Es ist eine höchst denkwürdige Szene, die sich 1533 in Rom abspielt: Papst Clemens VII., zwei Kardinäle und ein Bischof spazieren durch die vatikanischen Gärten. Dabei lauschen sie den Worten des etwa 27-jährigen päpstlichen Sekretärs Johann Albrecht Widmannstadt. Der Humanist spricht über die Grundzüge des kopernikanischen Weltbilds. Er kennt diese wohl aus einem nur in handschriftlichen Kopien kursierenden Büchlein namens "Commentariolus". Dieser "kleine Kommentar" stammt von Nikolaus Kopernikus und ist bereits ähnlich alt wie der Vortragende selbst.

Besitzer von Kopernikus’ "De revolutionibus" mussten das Buch handschriftlich "verbessern" . . . - © Pinter
Besitzer von Kopernikus’ "De revolutionibus" mussten das Buch handschriftlich "verbessern" . . . - © Pinter

Was Widmannstadt den hohen Herren erzählt, muss auf sie äußerst befremdlich wirken. Man lebt damals ja noch in einem Kosmos, der tagtäglich um die ruhende Erde rast - mitsamt seinen Sternen, der Sonne und den Planeten. Die Erde thront ohne jede Bewegung in der Mitte des Geschehens. Doch Kopernikus dreht alles um: Nicht der Kosmos rotiert bei ihm, sondern die Erde. Nicht unsere Welt ruht im Zentrum des Universums, sondern die Sonne. Die bisher ruhiggestellte Erde wird in Fahrt versetzt. Sie gerät zum Planeten und muss, Jahr für Jahr, auf einer Kreisbahn um die nun festgenagelte Sonne laufen. All das widerspricht dem Augenschein und Urteil der Naturphilosophen.

Wir wissen nicht, wie Widmannstadts Zuhörer reagieren. Verärgert sind sie jedenfalls nicht, denn der Büchersammler erhält zum Dank eine wertvolle griechische Handschrift. Zwei Jahre später tritt er in den Dienst des Kardinals Nikolaus von Schönberg, Erzbischof der süditalienischen Stadt Capua. Schönberg will in Folge mehr über die neuen Ideen wissen. Er wendet sich im November 1536 direkt an Kopernikus - mit der Bitte, sie "den Gelehrten allgemein zugänglich" zu machen. Doch der Astronom schreckt vor dem Druck seiner Kosmologie zurück. Er weiß, wie verkehrt und lächerlich sie den allermeisten Zeitgenossen erscheint. Und er besitzt dafür keinen einzigen Beweis.

Tiedemann Giese, seit 1538 Bischof von Kulm, drängt Kopernikus ebenfalls zu publizieren. Auch ihm ist klar, dass die "astronomische Spekulation" seines Freundes "von wegen ihrer unerfahrlichen Neuigkeit bei jedermann ein seltsam Ansehen hat". Dennoch spornt er den Astronomen an, diese endlich "ans Licht treten" zu lassen.

Nach insgesamt gut drei Jahrzehnten des Zögerns stimmt Kopernikus der Drucklegung seines Werks "De revolutionibus" schließlich zu. Er widmet es Papst Paul III.. Den Widmungstext verfasst der alternde Domherr wohl im Sommer 1542. Darin erwähnt er, wie zur Entschuldigung, das Drängen von Giese und Schönberg. Beide sind Katholiken. Kopernikus spricht aber auch von "Schwätzern", die ihn wegen eines "übel verdrehten Worts" der Heiligen Schrift tadelten. Drei Jahre zuvor wurde er nämlich vom Reformator Martin Luther attackiert.

Himmels-Narretei

Kopernikus hofft, der Papst könne solche Angriffe dank seines Ansehens verhindern. Er ahnt nicht, dass Rom dieselben Argumente wie Luther verwenden wird, um seine Kosmologie zu bekämpfen - allerdings erst ein Dreivierteljahrhundert später.

Während der Astronom noch am Widmungstext feilt, gründet der Papst die Heilige Römische und universelle Inquisition zur Abwehr abweichender Lehren. Wer einer solchen hartnäckig anhängt, gilt als Häretiker, also als Ketzer. Als oberste Instanz aller kirchlichen Gerichte verhängt die Inquisition auch Strafen. Der Bogen reicht von einer angeordneten Pilgerfahrt über langjährige Haft bis zum Tod am Scheiterhaufen.

1545 beruft der Papst das Konzil von Trient ein. Es stellt unter anderem klar: Die Auslegung von Bibeltexten, immerhin ein wichtiger Streitpunkt im Ringen mit den Anhängern Luthers, ist allein Sache der katholischen Kirche.

430 Jahre nach seinem Tod ehrte die Vatikanische Post Kopernikus mit einer Marke (hergestellt von der Österr. Staatsdruckerei). - © Pinter
430 Jahre nach seinem Tod ehrte die Vatikanische Post Kopernikus mit einer Marke (hergestellt von der Österr. Staatsdruckerei). - © Pinter

Als wesentliches Instrument der Inquisition dient der seit 1559 erscheinende Index Librorum Prohibitorum. Dieses Verzeichnis der verbotenen Bücher listet Werke auf, die dem Glauben und der Moral abträglich scheinen. Kein Katholik darf ein solches Buch lesen. Die Werke Niccolò Machiavellis landen sofort auf diesem Index, ebenso jene von Luther. Kopernikus findet man dort nicht. Der Astronom ist 1543 verstorben, kurz nachdem "De revolutionibus" die Druckerpresse verlassen hat. Rom reagiert nicht darauf.

Allerdings geht der aus Mes-
sina stammende Universalgelehrte Franciscus Maurolicus 1575 hart mit der neuen Kosmologie ins Gericht: Für den Benediktiner ist die Auseinandersetzung damit Zeitverschwendung. Kopernikus verdiene keine Widerlegung, sondern "eine Peitsche", schreibt der Abt. Ein anderer Leser von "De revolutionibus" kritzelt ins Buch, Kopernikus habe den Himmel zum "Narren" gemacht.

Hingegen tritt der aus Nola stammende Philosoph Giordano Bruno kompromisslos für das neue Weltbild ein. Er entwickelt es radikal weiter. Kopernikus hat den Kosmos vom täglichen Umschwung um die Erde befreit. Der Raum kann daher gehörig wachsen. Für Bruno wächst er ins Unendliche hinaus. Hatte Kopernikus wenigstens noch die Sonne im Zentrum des Universums belassen, so rückt Bruno auch sie an eine völlig unbedeutende Stelle.