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Der verbotene Kopernikus

Von Christian Pinter

Reflexionen
In Polen ein Nationalheld - das Kopernikus-Denkmal in Warschau.                 
© Pinter

Vor 400 Jahren untersagte Rom die Lehre vom sonnenzentrierten Weltbild.


<p>Es ist eine höchst denkwürdige Szene, die sich 1533 in Rom abspielt: Papst Clemens VII., zwei Kardinäle und ein Bischof spazieren durch die vatikanischen Gärten. Dabei lauschen sie den Worten des etwa 27-jährigen päpstlichen Sekretärs Johann Albrecht Widmannstadt. Der Humanist spricht über die Grundzüge des kopernikanischen Weltbilds. Er kennt diese wohl aus einem nur in handschriftlichen Kopien kursierenden Büchlein namens "Commentariolus". Dieser "kleine Kommentar" stammt von Nikolaus Kopernikus und ist bereits ähnlich alt wie der Vortragende selbst.<p>

Besitzer von Kopernikus’ "De revolutionibus" mussten das Buch handschriftlich "verbessern" . . .
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Was Widmannstadt den hohen Herren erzählt, muss auf sie äußerst befremdlich wirken. Man lebt damals ja noch in einem Kosmos, der tagtäglich um die ruhende Erde rast - mitsamt seinen Sternen, der Sonne und den Planeten. Die Erde thront ohne jede Bewegung in der Mitte des Geschehens. Doch Kopernikus dreht alles um: Nicht der Kosmos rotiert bei ihm, sondern die Erde. Nicht unsere Welt ruht im Zentrum des Universums, sondern die Sonne. Die bisher ruhiggestellte Erde wird in Fahrt versetzt. Sie gerät zum Planeten und muss, Jahr für Jahr, auf einer Kreisbahn um die nun festgenagelte Sonne laufen. All das widerspricht dem Augenschein und Urteil der Naturphilosophen.

<p>Wir wissen nicht, wie Widmannstadts Zuhörer reagieren. Verärgert sind sie jedenfalls nicht, denn der Büchersammler erhält zum Dank eine wertvolle griechische Handschrift. Zwei Jahre später tritt er in den Dienst des Kardinals Nikolaus von Schönberg, Erzbischof der süditalienischen Stadt Capua. Schönberg will in Folge mehr über die neuen Ideen wissen. Er wendet sich im November 1536 direkt an Kopernikus - mit der Bitte, sie "den Gelehrten allgemein zugänglich" zu machen. Doch der Astronom schreckt vor dem Druck seiner Kosmologie zurück. Er weiß, wie verkehrt und lächerlich sie den allermeisten Zeitgenossen erscheint. Und er besitzt dafür keinen einzigen Beweis.<p>Tiedemann Giese, seit 1538 Bischof von Kulm, drängt Kopernikus ebenfalls zu publizieren. Auch ihm ist klar, dass die "astronomische Spekulation" seines Freundes "von wegen ihrer unerfahrlichen Neuigkeit bei jedermann ein seltsam Ansehen hat". Dennoch spornt er den Astronomen an, diese endlich "ans Licht treten" zu lassen.<p>Nach insgesamt gut drei Jahrzehnten des Zögerns stimmt Kopernikus der Drucklegung seines Werks "De revolutionibus" schließlich zu. Er widmet es Papst Paul III.. Den Widmungstext verfasst der alternde Domherr wohl im Sommer 1542. Darin erwähnt er, wie zur Entschuldigung, das Drängen von Giese und Schönberg. Beide sind Katholiken. Kopernikus spricht aber auch von "Schwätzern", die ihn wegen eines "übel verdrehten Worts" der Heiligen Schrift tadelten. Drei Jahre zuvor wurde er nämlich vom Reformator Martin Luther attackiert.<p>

Himmels-Narretei

<p>Kopernikus hofft, der Papst könne solche Angriffe dank seines Ansehens verhindern. Er ahnt nicht, dass Rom dieselben Argumente wie Luther verwenden wird, um seine Kosmologie zu bekämpfen - allerdings erst ein Dreivierteljahrhundert später.<p>Während der Astronom noch am Widmungstext feilt, gründet der Papst die Heilige Römische und universelle Inquisition zur Abwehr abweichender Lehren. Wer einer solchen hartnäckig anhängt, gilt als Häretiker, also als Ketzer. Als oberste Instanz aller kirchlichen Gerichte verhängt die Inquisition auch Strafen. Der Bogen reicht von einer angeordneten Pilgerfahrt über langjährige Haft bis zum Tod am Scheiterhaufen.<p>1545 beruft der Papst das Konzil von Trient ein. Es stellt unter anderem klar: Die Auslegung von Bibeltexten, immerhin ein wichtiger Streitpunkt im Ringen mit den Anhängern Luthers, ist allein Sache der katholischen Kirche.

430 Jahre nach seinem Tod ehrte die Vatikanische Post Kopernikus mit einer Marke (hergestellt von der Österr. Staatsdruckerei).
© Pinter

<p>Als wesentliches Instrument der Inquisition dient der seit 1559 erscheinende Index Librorum Prohibitorum. Dieses Verzeichnis der verbotenen Bücher listet Werke auf, die dem Glauben und der Moral abträglich scheinen. Kein Katholik darf ein solches Buch lesen. Die Werke Niccolò Machiavellis landen sofort auf diesem Index, ebenso jene von Luther. Kopernikus findet man dort nicht. Der Astronom ist 1543 verstorben, kurz nachdem "De revolutionibus" die Druckerpresse verlassen hat. Rom reagiert nicht darauf.<p>Allerdings geht der aus Mes-
sina stammende Universalgelehrte Franciscus Maurolicus 1575 hart mit der neuen Kosmologie ins Gericht: Für den Benediktiner ist die Auseinandersetzung damit Zeitverschwendung. Kopernikus verdiene keine Widerlegung, sondern "eine Peitsche", schreibt der Abt. Ein anderer Leser von "De revolutionibus" kritzelt ins Buch, Kopernikus habe den Himmel zum "Narren" gemacht.<p>Hingegen tritt der aus Nola stammende Philosoph Giordano Bruno kompromisslos für das neue Weltbild ein. Er entwickelt es radikal weiter. Kopernikus hat den Kosmos vom täglichen Umschwung um die Erde befreit. Der Raum kann daher gehörig wachsen. Für Bruno wächst er ins Unendliche hinaus. Hatte Kopernikus wenigstens noch die Sonne im Zentrum des Universums belassen, so rückt Bruno auch sie an eine völlig unbedeutende Stelle.<p>Sofern der unendliche Kosmos nicht sowieso schon immer da war, könne er nur von einer unendlich großen Gottheit erschaffen worden sein - betont Bruno. Diesen Gott in drei Teile zu teilen, erscheint ihm absurd. Bruno leugnet die Dreifaltigkeit und damit auch die Göttlichkeit Jesu. Er sägt am Fundament des Christentums - und das als ehemaliger Dominikaner! Die Inquisition verurteilt ihn im Februar 1600 zum Tode.<p>Die Vorstellungen Brunos wirken auf manche Theologen vielleicht wie ein Menetekel: So weit kommt es also, wenn Philosophen die kopernikanischen Gedanken weiter und weiter spinnen!<p>Die Kosmologie des Kopernikus bleibt zunächst völlig unbeweisbar. Nur wenige Gelehrte nehmen sie ernst. Doch im Frühjahr 1610 beschreibt der italienische Mathematiker Galileo Galilei erstmals den Himmelsanblick im Fernrohr. Seine Beobachtungen schwächen die Einwände, die Naturphilosophen bisher gegen Kopernikus ins Treffen geführt haben. Keine einzige Beobachtung taugt aber als wirklich unumstößlicher Beweis für die Richtigkeit seiner Lehre.<p>Mittlerweile ist Galilei zum Hofphilosophen der Medici in Florenz aufgestiegen. Er tritt laut und selbstsicher auf - so, als hätte er den Beweis längst in der Tasche. Immer mehr Gelehrte schließen sich ihm an. Das sonnenzentrierte Weltbild gewinnt an Plausibilität. Erst jetzt setzen sich katholische Theologen wirklich damit auseinander. Sie bemühen dabei die gleichen Bibelstellen wie seinerzeit Luther.<p>

Galileis Verteidigung

<p>Im Psalm 19 frohlockt die Sonne wie ein Held "und läuft ihre Bahn". Im Psalm 104 ist die Erde "auf Pfeilern gegründet". Also steht laut Bibel die Erde still, während sich die Sonne bewegt. Bei Kopernikus ist es umgekehrt. Besonders schwer wiegt das Buch Josua, das zunächst von der Eroberung Kanaans durch die Israeliten erzählt. Im 10. Kapitel geht es um die Schlacht mit den Amoritern. Militärisch im Vorteil, will Josua das Gemetzel an ihnen nicht enden lassen und das Tageslicht daher verlängert wissen. So kommt es auch: "Und die Sonne blieb stehen und der Mond stand still, bis das Volk an seinen Feinden Rache genommen hatte".<p>Die Schlussfolgerung der Theologen: Da Gott damals kurzzeitig die Sonne angehalten hat, muss sich diese normalerweise bewegen; also lehre die Heilige Schrift auch hier die Bewegung der Sonne, und nicht die der Erde. Galilei propagiere die gegenteilige Wahrheit - und schade so dem Glauben.<p>Mit diesem Vorwurf wendet man sich 1613 an Galileis Dienstgeber, die Medici. Der Hofphilosoph will sich verteidigen und wird aufs für ihn dünne Eis der Theologie gelockt. Sie gilt nach damaligem Verständnis als Königin aller Wissenschaften. In einem Brief bemüht sich Galilei, den Widerspruch aufzulösen: Zahlreiche Sätze der Heiligen Schrift seien so abgefasst worden, dass sie dem "Unvermögen der Menge" Rechnung trügen. Hätte man alles "in nackter und unverhüllter Wahrheit ausgesprochen", wäre das gemeine Volk nur widerspenstiger gegen die Heilslehre geworden. Deshalb müssten weise Ausleger den wahren Sinngehalt solcher Stellen erklären, betont Galilei.<p>Das alleinige Ziel der Schrift sei es, das Volk von jenen Lehren zu überzeugen, die unerlässlich fürs Seelenheil wären. Um die Natur zu ergründen, hätte Gott uns hingegen Sinne, Urteilskraft und Verstand geschenkt. Dem menschlichen Forschergeist dürfe man nicht mit Bibelzitaten Schranken setzen. In Disputationen über die Natur wäre der Heiligen Schrift "der letzte Platz vorbehalten". Sie sei ja, so Galilei sinngemäß, kein Naturkundelehrbuch.<p>Galilei nimmt sich das Recht, Bibelstellen zu interpretieren. Er greift damit ganz entschieden in die Domäne der Theologen ein. Nach den Reformatoren übt sich nun also auch schon ein Philosoph und ehemaliger Mathematiker in dieser Kunst!<p>Bereits 1612 hat sich der Florentiner Niccolò Lorini öffentlich über "Ipernico oder wie er heißen möge" geärgert. Im Dezember 1614 hetzt dann sein Ordensbruder Tommaso Caccini, ebenfalls von der Kanzel aus, gegen die "teuflische Kunst" der Mathematik und gegen die häretischen Mathematiker. Er liest am 4. Adventsonntag wohl nicht zufällig gerade aus dem 10. Kapitel des Buchs Josua. Die wörtliche Interpreta
tion des Textes wird im Anschluss von "einigen unverschämten Geistern" kritisiert: Es sind Schüler Galileis.<p>

Das bittere Dekret

<p>Nun überschlagen sich die Ereignisse. Die beiden Dominikaner Lorini und Caccini zeigen Galilei Anfang 1615 bei der Inquisition an. Dieser besucht in Rom derweil Aristokraten, Prälaten und Kardinäle. Der toskanische Gesandte zeigt sich besorgt: Dies sei nicht das richtige Land, um "über den Mond" zu diskutieren, schreibt er. Galilei agiere viel zu temperamentvoll, obwohl ihm einige Dominikaner doch übel gesinnt seien.<p>Ein Zeitzeuge hält fest, wie Galilei auftritt. Demnach hielte er "erstaunliche Reden" - umringt von 15 bis 20 Zuhörern, die ihm "grausam zu Leibe" gingen. Zunächst bekräftige Galilei deren Einwände mit scheinbar gewichtigen Argumenten; doch dann zerpflücke er genau diese wieder, um seine Gegner besonders lächerlich dastehen zu lassen. Unterstützung erfährt Galilei aus Kalabrien. Der Theologe Paulo Antonio Foscarini verfasst 1615 ein Büchlein, das keinen Widerspruch zwischen dem kopernikanischen Weltbild und der Bibel sieht. Auch dieser theologischen Schrift wegen fühlt sich Rom nun zum Handeln gedrängt.<p>Am 19. Februar 1616 beauftragt Papst Paul V. elf Theologen, die grundlegenden Sätze der kopernikanischen Lehre zu überprüfen. Es sind fast ausschließlich Dominikaner und Jesuiten. Sie beraten am 23. und 24. Februar. Dann fällen sie ihr einhelliges Urteil: Die Behauptung einer ruhenden, zentralen Sonne sei formell ketzerisch, die Annahme einer bewegten Erde irrtümlich für den Glauben.<p>Das Buch des Theologen Foscarini wird verboten. Der Karmeliter stirbt wenige Tage später im 51. Lebensjahr. Der Papst fordert auch ein komplettes Verbot von "De revolutionibus". Doch die Kardinäle Bonifacio Caetani und Maffeo Barberini schlagen einen anderen Weg vor. Die im Buch enthaltenen Ideen sollen weiterhin vermittelt werden dürfen - jedoch nicht als Behauptungen, sondern bloß als Hypothesen. Als solche würden sie nicht gegen die biblische Wahrheit verstoßen. Das Werk des Kopernikus müsse daher nur verbessert, aber nicht verdammt werden.<p>Dieses Dekret wird am 5. März allerorts veröffentlicht. Ab sofort ist es untersagt, das kopernikanische Weltbild zu lehren, zu vertreten oder für wahr zu halten. Man darf es zwar weiterhin erwähnen - aber eben nur als hypothetische Gedankenspielerei oder als bloße Rechenhilfe; keinesfalls jedoch als zutreffende Beschreibung der Wirklichkeit. Die Kirche reißt damit einen Graben zwischen Wissenschaft und Religion auf, der für Kopernikus selbst nie existiert hat.<p>Auf Geheiß des Papstes ermahnt Kardinal Bellarmin den immer noch in Rom weilenden Galilei am 26. Februar. Der Generalkommissar der Inquisition befiehlt ihm gleichzeitig, die kopernikanischen Behauptungen aufzugeben. Galilei unterwirft sich. Er muss zu diesem Zeitpunkt aber weder abschwören, noch wird er mit einer Buße belegt. Bald tauchen anderslautende Gerüchte auf, offenbar um Galileis Ruf zu schaden. Der Philosoph lässt sich von Bellarmin am 26. Mai eine Art "Leumundszeugnis" ausstellen.<p>

"Schlafender Hund"

<p>Der Florentiner Staatssekretär kennt den streitbaren Galilei nur allzu gut. Er fordert ihn Ende Mai dringend zur Rückkehr auf: Fürst Cosimo II. fürchte Unannehmlichkeiten, die auf den Hofphilosophen in Rom zukommen könnten. Bisher mit Ehre aus der Sache hervorgegangen, solle er den "schlafenden Hund" nicht weiter reizen. Tatsächlich zieht sich Galilei im Juni 1616 nach Florenz zurück.<p>Wer ein Exemplar von "De revolutionibus" besitzt, muss die inkriminierten Passagen jetzt überkleben, durchstreichen oder handschriftlich hinzufügen, dass es sich hier eben nur um Hypothesen handle. Auch Galilei wird dazu gezwungen. Ohne solche Korrekturen darf niemand mehr dieses Buch aufbewahren oder lesen. Allerdings zeigt das päpstliche Dekret praktisch nur in Italien Wirkung. Anderswo bleiben fast alle Exemplare unzensiert.<p>17 Jahre später hält es Galilei nicht mehr aus. Er verstößt in einer Schrift recht frech gegen das Dekret. So kommt es zum legendären Inquisitionsprozess gegen den Gelehrten. Dieser endet mit der Verurteilung wegen Ungehorsams und mit lebenslangem Hausarrest.<p>

Späte Rehabilitation

<p>Die Arbeiten von Galilei, Kepler und Newton verhelfen der kopernikanischen Lehre letztlich zum Durchbruch. Im 18. Jahrhundert löst ihr Verbot nur noch Kopfschütteln aus. Selbst in Italien wird es kaum noch respektiert. Doch Rom tut sich schwer, den einstigen Fehler einzugestehen. Erst 1835 verschwinden die kopernikanischen Bücher wieder aus dem Index der verbotenen Bücher.<p>Weitere 138 Jahre später gibt die Vatikanische Post sogar Briefmarken mit dem Porträt des Kopernikus heraus. Sie werden 1973 von der österreichischen Staatsdruckerei hergestellt. In Polen gilt Kopernikus längst als Nationalheld. 1992 wird dann auch Galileo Galilei rehabilitiert - und zwar von dem aus Polen stammenden Papst Johannes Paul II.

Hinweis: Der Autor spricht zu diesem Thema am 22. 2. um 19:30 h im Wissensturm Linz, am 10. 3. um 19:00 h in der VHS Schwechat (Städtische Bücherei) und am 18. 4. um 18:30 h in der VHS Klosterneuburg (Rathaus).

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als freier Journalist in Wien und schreibt seit 1991 astronomische Artikel für die "Wiener Zeitung". Im Internet unter: www.himmelszelt.at