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Offene Debatten - besseres Bauen!

Von Reinhard Seiß

Reflexionen

Wie internationale Beispiele zeigen, fördert die Mitbestimmung der Bevölkerung die stadtplanerische Qualität und Kreativität. In Österreich ist man diesbezüglich noch zurückhaltend.


<p>Partizipation ist in Österreich kein Liebkind von Politik und Planung. Den Entscheidungsträgern wird - nicht ohne Grund - oft vorgehalten, sie würden Anregungen aus der Bevölkerung nur widerwillig entgegennehmen und in der Regel nur das tun, was sie selbst für richtig hielten. Den Bürgerinnen und Bürgern wiederum wird gern nachgesagt, sie hätten weder Ahnung noch Interesse - und wenn sich jemand engagiere, dann aus rein egoistischen Motiven.<p>

Mangel an Transparenz

<p>Nur wenige Städte und Gemeinden sind hierzulande bemüht, die Betroffenen in Planungsentscheidungen so miteinzubeziehen, dass von ernstgemeinter Inten-

Dem Salzburger Gestaltungsbeirat werden alle größeren Bauprojekte vor der behördlichen Genehmigung vorgelegt.
© Blanchot/Hermis/Corbis

tion, professioneller Partizipation und einem transparenten demokratischen Prozess die Rede sein kann. Dies führt vielfach zu einer abgehobenen, sich verselbständigenden Planung und lässt den Großteil der Bevölkerung ahnungslos, teilnahmslos und oft auch frustriert im Abseits.

<p>Eine zukunftstaugliche Entwicklung unseres Siedlungsraums ist nur dann möglich, wenn sie von der Mehrheit der Menschen verstanden, gewollt und unterstützt wird. Denn Österreichs Politik ist, insbesondere auf Bundes- und Landesebene, frei von jedem Verdacht, als nachteilig erkannte, aber zur Gewohnheit gewordene Entwicklungen von sich aus durch gesetzliche Regelungen oder eine faire Kostenverteilung stoppen zu wollen - sei es die überbordende Automobilität, sei es der Wildwuchs an Einkaufszentren oder der horrende Bodenverbrauch durch freistehende Einfamilienhäuser.<p>Umgekehrt bestätigen all jene Lokalpolitiker, die sich auf das Wagnis Partizipation eingelassen haben, dass der Innovationsgrad der Planung, die Qualität und Nachhaltigkeit ihrer Umsetzung und schließlich auch die gesellschaftliche Akzeptanz der Ergebnisse um ein Vielfaches höher sind als bei herkömmlicher Planung und Realisierung.<p>Zudem wäre mehr Partizipa-
tion in der Kommunal- und Regionalplanung ein Vehikel, die demokratische Praxis in Österreich generell auf ein höheres Niveau zu heben - bei allen Beteiligten, so auch bei der "Vierten Gewalt" im Staat. Österreichs Medien kommen beim Thema Siedlungsentwicklung kaum ihrer Aufgabe, zu informieren und zu kontrollieren, nach. Im Gegenteil: Das Gros der heimischen Presse lebt von Inseraten nicht zuletzt aus der Bau-, Immobilien- und Automobilwirtschaft. Dem wird allzu oft durch redaktionelles Stillschweigen zu heiklen Themen oder durch geradezu propagandistische Berichterstattung über neue Projekte Rechnung getragen.<p>Bei strittigen Planungen schlagen sich manche Zeitungen gar auf eine Seite, anstatt ausgewogen Für und Wider zu beleuchten. Der gutdotierte Kreuzzug des größten Salzburger Boulevardblatts gegen die Grüne Raumordnungslandesrätin und für weitere Einkaufszentren - ganz im Interesse des regionalen Branchenführers - ist ein publizistisches Lehrbeispiel für die unheilige Allianz zwischen Wirtschaft und Journaille. Schlägt man dagegen die "Neue Zürcher Zeitung" auf, so liest man etwa im Vorfeld von Volksentscheiden über mehrere Tage hinweg ausführliche Pro- und Contra-Argumente von externen Fachleuten sowie - klar als solche gekennzeichnet - die Meinung der Redaktion dazu.

Nach der einstigen Auseinandersetzung rund um das Bahnhofsgroßprojekt "Stuttgart 21" dürfen die Bewohner der Stadt nun städtebaulich mitbestimmen.
© Ruben Neugebauer/Demotix/Corbis

<p>Zudem legt das Schweizer Qualitätsmedium die Kosten und Nutzen von Projekten offen, und erläutert insbesondere bei öffentlichen Investitionen, dass beispielsweise ein Straßenbau auf Jahre hinaus Mittel bindet, die für andere Verkehrswegeprojekte fehlen. So werden die Bürgerinnen und Bürger nicht nur als Entscheidungsträger qualifiziert, sondern auch als Steuerzahler ernst genommen.<p>Sachliche Informationen sind hierzulande aber selbst der öffentlichen Hand nicht zwingend ein Anliegen. Die Stadt Wien etwa betreibt einen "Presse- und Informationsdienst", der unter anderem auch Themen wie Stadtplanung, Wohnbau und Verkehr kommuniziert - wobei es niemandem aufstößt, dass sich der PID als "Medien-, Presse- und Werbeagentur" versteht, die "sowohl für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit als auch für die Imagepflege der Stadtverwaltung zuständig ist".<p>Gleichzeitig haben in manche Dokumente der Stadtplanungsbehörde nicht einmal Gemeinderäte Einsicht - also Mitglieder des höchsten politischen Organs der Stadt, das sowohl die Stadtregierung als auch die Planungsverwaltung kontrollieren soll. Zugegeben: ein derartiges Amtsverständnis findet sich auch in anderen Bundesländern.<p>

Amtsgeheimnis

<p>Das Amtsgeheimnis will in Österreich freilich ernst genommen werden, steht es doch - ein absolutes Unikum unter allen alten EU-15-Staaten - sogar in der Verfassung. Während in Schweden die Verwaltungstransparenz bereits 1766, als das Land noch lange nicht demokratisch war, konstitutionell verankert wurde, und heute mit wenigen Ausnahmen alle Informationen und Dokumente, die von einer Behörde hergestellt oder empfangen werden, jedermann zugänglich sind - vom Gerichts- oder Steuerakt bis zu den dienstlichen E-mails von Politikern -, verschob die österreichische Bundesregierung die versprochene Lockerung des Amtsgeheimnisses erneut auf das Jahr 2018.<p>Geheimgehalten werden auch die Sitzungen des Wiener Fachbeirats für Stadtentwicklung und Stadtgestaltung, eines externen Expertengremiums, das der Bürgermeister der Stadtplanungsbehörde zur Seite stellt. Der Beirat tagt hinter verschlossener Tür, die Tagungsprotokolle sind vertraulich. Besetzt ist er von Architekten und Ingenieuren, die allesamt in Wien ihren beruflichen Mittelpunkt haben - was Kritiker daran zweifeln lässt, dass alle Experten ihre Urteile stets frei von wirtschaftlichem Sicherheitsdenken fällen können. Faktum ist, dass sich Wiens Stadtregierung in den letzten 36 Jahren kaum einmal von den Kritiken ihres Beirats hat beirren lassen.<p>Von den 101 Wiener Bürgerinitiativen, die sich unter dem Dach der "Aktion 21" versammeln, sind ganze 93 dem Bereich Planen und Bauen zuzuordnen. Insofern war die Erarbeitung des im Vorjahr präsentierten "Masterplans Partizipation" durch die rot-grüne Stadtregierung ein politisches Gebot der Stunde. Doch sehen die "Beteiligungsformen" darin vor allem Informationsausstellungen, persönliche Beratung, moderierte Diskussionen oder auch Befragungen vor. Auf eine Diskussion auf Augenhöhe, auf eine Ergebnisoffenheit der Planungsgespräche oder gar eine partielle Mitentscheidung durch die Bürgerinnen und Bürger wollte man sich nicht einlassen. Wirklicher Pluralismus und tatsächliche Abgabe von Entscheidungsgewalt sind im Rathaus offenbar noch nicht mehrheitsfähig.<p>Wie sehr dagegen offene Debatten über Architektur und Stadtentwicklung das öffentliche Bewusstsein - in Politik, Medien und Bevölkerung - schärfen und in letzter Konsequenz die Qualität des Geplanten und Gebauten anheben kann, zeigt die Stadt Salzburg. Ein Zentrum des Diskurses ist seit 1983 der Salzburger Gestaltungsbeirat, dem alle größeren Bauprojekte vor der behördlichen Genehmigung vorgelegt werden. Wesentlich für seine Wirksamkeit ist, dass seine Sitzungen frei zugänglich sind, dass er durch Experten besetzt ist, die in keinerlei wirtschaftlicher Verbindung mit Salzburg stehen - und sich die Politik verpflichtet, den Empfehlungen des Beirats zu folgen. Erst in einem einzigen Fall tat sie das nicht - und da hatte sie die "Kronen Zeitung" als offenbar übermächtigen Gegner.<p>

Beispiel Porto Alegre

<p>Beschämend ist, wie weit die Demokratisierung der Planung in Regionen fortgeschritten ist, wo wir in unserer Voreingenommenheit niemals politische Best Practices vermuten würden, etwa in Südamerika. Im brasilianischen Porto Alegre beispielsweise eta-blierte die 1988 an die Macht gekommene Arbeiterpartei einen sogenannten Bürgerhaushalt. Darin wurden nicht nur alle Einnahmen und Ausgaben der Stadt offengelegt, sondern die direkte Beteiligung der Bevölkerung an der Budgetgestaltung und damit auch an der Stadtentwicklung ermöglicht.<p>Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden seither selbst, welche Infrastrukturprojekte in ihren Stadtteilen realisiert und welche verworfen werden. Inzwischen haben viele Stadtverwaltungen in Brasilien, aber auch manche europäische Kommunen dieses partizipative Modell übernommen - wenn auch oft in etwas zurückhaltenderen Varianten.<p>So rief Baden-Württembergs Landeshauptstadt Stuttgart nach dem Konflikt um das Bahnhofsgroßprojekt "Stuttgart 21" und mit politischer Unterstützung der neuen, grün-dominierten Landesregierung im Jahr 2011 einen Bürgerhaushalt ins Leben. Alle zwei Jahre kann nun jede Stuttgarterin und jeder Stuttgarter Vorschläge für Veränderungen und Verbesserungen in der Stadt einbringen, die fürs Internet aufbereitet und dort der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden. 2013 wurden 3700 Ideen eingereicht und von 1,2 Millionen Unterstützungserklärungen bestärkt. Die 250 populärsten Ideen wurden von der Stadtregierung diskutiert - und 150 davon schließlich auch umgesetzt. Auf Platz eins landete die Modernisierung eines städtischen Freibads, die sonst nicht in Angriff genommen worden wäre.<p>Dass das Planen und Bauen gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern in allen Bereichen Erfolge bringen kann, zeigt sich auch in der Architektur. Nachdem in Köln mehrere Baugruppenpro- jekte realisiert, also Häuser gemeinschaftlich von künftigen Nutzern und einem sie begleitenden Architektenteam entwickelt worden sind, hat die Stadt eine Ausnahmeregelung beschlossen: Baugruppenprojekte waren fortan von der ansonsten verpflichtenden Architekturbegutachtung im Zuge der Baugenehmigung befreit. Die Begründung: All diese Projekte sind von so hoher Qualität, dass eine Prüfung nach den herkömmlichen Kriterien schlicht keinen Sinn macht.<p>

Beispiel München

<p>Demokratische Planung kann sich auf vielfältige Weise äußern. 1994 beschloss die Stadt München, dass es nicht gerecht oder eben nicht demokratisch sei, wenn private Projektentwickler von der öffentlichen Hand ein lukratives Baurecht sowie die komplette In-frastruktur zur maximalen Nutzung ihrer Liegenschaften erhalten, ohne dafür eine Gegenleistung für die Gesellschaft zu erbringen.<p>Mit dem Modell der "Sozialgerechten Bodennutzung" verpflichtet die Bayerische Landeshauptstadt seither die Antragsteller größerer Projekte, sich an den öffentlichen Folgekosten ihrer Bauvorhaben zu beteiligen beziehungsweise den sozialen Wohnbau in München zu fördern.<p>Zumindest ein Drittel der durch die Planung erzielten Bodenwertsteigerung verbleibt als Investitionsanreiz beim Bauwerber. Bis zu zwei Drittel des Wertzuwachses gehen jedoch in Form von kostenlos abgetretenen Flächen oder aber finanziellen Leistungen an die Stadt, die diese Mittel nicht etwa zum Stopfen von Budgetlöchern verwendet, sondern im Umfeld der Projekte reinvestiert - beispielsweise in Kindergärten, Schulen oder Parks.<p>Dass bürgerschaftliches Engagement nicht bloß toleriert, sondern tatsächlich wertgeschätzt wird, erfahren die Menschen in den Niederlanden. Dort gewährt die öffentliche Hand Bürgerinitiativen, die sich zum Teil auch gegen Projekte der Stadt- oder Regionalverwaltung formieren, finanzielle Unterstützung. Diese ist bei weitem nicht so hoch, als dass bereits jemand in Versuchung gekommen wäre, sich als "Profi-Bürger" zu verdingen. Doch erspart es den Aktivisten, neben ihrer Zeit auch noch Geld etwa für Kopier- oder Portokosten aufwenden zu müssen - oder den Babysitter aus eigener Tasche zu bezahlen, wenn Eltern den Abend anstatt mit ihren Kindern wieder einmal mit Stadtentwicklung und Raumplanung verbringen.

"ORTE, das "Architekturnetzwerk Niederösterreich" widmete Ende 2015 sein 5. Raumplanungssymposium dem Thema "Demokratie in der Planung? Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung in der Orts- und Regionalentwicklung".
Die Ergebnisse dieses Symposiums sind im Internet nachzulesen, u.a. mit Beispielen aus Vorarlberg, Deutschland und der Schweiz: http://www.orte-noe.at/event.php?item=9231

Reinhard Seiß, geboren 1970, lebt als Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.