Zum Hauptinhalt springen

Uni-Heimstatt im Heimatstil

Von Gerhard Strejcek

Reflexionen

Vor hundert Jahren wurde die Exportakademie in Wien-Währing fertiggestellt, die viele Jahrzehnte die Hochschule für Welthandel beherbergte.


<p>

Die ehemalige Hochschule für Welthandel dient heute u.a. Ägyptologen als Lehrstätte.
© wiki/commons

Unweit des Währinger Parks fällt ein weitläufiges Universitätsgebäude ins Auge, das für sechs Jahrzehnte der Hochschule für Welthandel und für weitere fünf Jahre (von 197580) deren Nachfolge-Institution, der Wirtschaftsuniversität Wien (WU), als akademische Unterrichtsstätte diente.<p>Das im Heimatstil erbaute Gebäude wurde zwar durch zwei spätere Anbauten in seiner Wirkung und Symmetrie gestört, doch beeindruckt es bis heute von mehreren Perspektiven aus in seiner ästhetischen und symbolhaften Gestaltung. Steinerne Masken an den Fassaden erinnern an ferne, exotische Länder, Jugendstilornamente geben dem vierstöckigen Bildungspalast Glanz und Wertigkeit; ein imposantes Entrée und ein Foyer mit den großen europäischen Handelshäfen erinnert an die ursprüngliche Widmung des Gebäudes in der Franz-Kleingasse. Vermutlich hätte Adolf Loos die Ornamente gegeißelt, aber sie vermitteln bis heute einen eigentümlichen, ästhetischen Reiz und regen den Betrachter zum Nachdenken an. Architekt Alfred Keller gelang unter Mithilfe von Steinmetzen und Bildhauern die Visualisierung der Exportwirtschaft und des Freihandels, zudem passt dieses Dekor erstaunlich gut zur gegenwärtigen Nutzung des einstigen Übungskontors, in dem heute Alte Geschichte, Archäologie, Ägyptologie und Papyrologie gelehrt werden.<p>

Zeitlose Ornamente

<p>Einen besseren Beweis für zeitlosen Gebäudeschmuck kann man nicht liefern, als es die Versatilität von Symbolen bei einer völlig geänderten Nutzung zeigt. In Wien gilt dies gleich für mehrere historische Gebäude, deren Nutzung seit der k.u.k. Monarchie zum Teil dramatische Änderungen erfahren hat. So befindet sich etwa im ehemaligen Militärgeografischen Institut an der Landesgerichtsstraße heute eine Dienststelle des Magistrats, aber die Weltkugel auf dem Dach passt sowohl zur Vermessung der Welt als auch zur Aufnahme von Fremden in einer Metropole. Theophil Hansens Parlamentsdekor hat den Übergang vom Reichsrat in ein republikanisches Parlament dank seiner antiken Zitate (Quadriga, Pallas Athene etc.) viel unbeschadeter überstanden, als es eine opportunistische Anpassung an imperiale Zeiten der k.u.k. Monarchie geschafft hätte. Der dänische Architekt bediente sich lieber der antiken Formensprache, die er mit seinem Bruder in Athen zur Genüge kennen gelernt hatte.<p>Auch der in Graz geborene Architekt Alfred Keller tat, was er am besten konnte - und das war der damals modern gewordene Heimatschutz, der keine nationalen Implikationen hatte, sondern sich am englischen Cottagestil orientierte. Damit passte das neue Gebäude perfekt in die oberhalb gelegene Währinger und Döblinger Cottagesiedlung, in der Schlichtheit und Fachwerk dominierten.

<p>Mitten im Ersten Weltkrieg brachte Keller sein ehrgeiziges Projekt nach lediglich zweijähriger Bauzeit zu einem gelungenen Abschluss. Trotz einiger budgetbedingter Abstriche konnte er das - gemessen am Prunk der Ferstel-Universität und der RingstraßenPalais - eher schlichte Gebäude errichten und die unabdingbaren Ornamente durchsetzen. Lediglich ein einziges, aber besonders wichtiges Merkmal einer Universität fehlte dem Neubau der Exportakdemie: ein Auditorium Maximum, ein zentral gelegener und ausreichend großer Hörsaal, um auch die Kapazitäten für den Andrang in Friedenszeiten erfüllen zu können.<p>Dieses Manko ließ die Architekten Carl Appel und Kurt Eckel in der Zweiten Republik auf den Plan treten, um in zwei Phasen Kellers Bau Richtung Westen (Gymnasiumstraße) zu erweitern. Beide Male ernteten die Planer zwar herbe Kritik, konnten mit der Erweiterung aber die Schübe an Studierenden in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren einigermaßen unterbringen. Seit dem Auszug der "WU" benutzen Dolmetscher und Translationswissenschafter der Universität Wien den modernen Trakt neben den Sportanlagen im Währinger Park.<p>Die Lage im Grünen zählt(e) zu den größten Vorteilen, welche das Hochschulgebäude für sich verbuchen konnte; die öffentliche Anbindung hingegen war und ist nicht gerade optimal. Als Alfred Keller den Planungsauftrag vom Verein Exportakademie erhielt, befand sich noch ein Friedhof auf dem Areal, das unweit eines 1856 errichteten englischen Gaswerks gelegen war. Der Architekt ließ sich aber von diesen ungünstigen Vorgaben nicht entmutigen, stand doch eine Umwidmung in einen öffentlichen Park bereits fest.<p>Keller wusste das, denn er verfügte über ausgezeichnete Beziehungen zum Wiener Magistrat und hatte selbst jahrelang in der Baubehörde der Reichshauptstadt als Experte mitgewirkt. Für seine eigene Planungstätigkeit fiel der eine oder andere, nicht unbeträchtliche Auftrag an, wie etwa das riesige Polizeigebäude an der Roßauer Lände und das Gerichtsgebäude in der Riemergasse. Während die "Liesl" nach wie vor als Polizeigefängnis genutzt wird, hat sich die Justiz zwischenzeitig eine schlechtere Bleibe in Wien-Mitte gesucht - schlechter deshalb, weil im neuen Justizzentrum auf die Verhandlungsräume vergessen wurde . . .<p>

Verzögerte Eröffnung

<p>An Pannen gab es auch schon vor hundert Jahren keinen Mangel. Mit der Eröffnung der Exportakademie wollte es im Jahr 1916 nicht und nicht klappen. Zwar stand das Gebäude fertig im Grünen, aber die Politik ließ sich reichlich Zeit, bis ein offizieller Termin angesetzt werden konnte. Dramatische und welthistorisch relevante Gründe spielten herein, wie der Kriegseintritt Rumäniens im Sommer 1916, der Tod des Kaisers im November und die durch einen weiteren Todesfall erzwungene Neubildung der Regierung unter Ministerpräsident Clam-Martinic gegen Jahresende.<p>Da sich aber die in der Berggasse 16 im Palais Festetics untergebrachten Dozenten und Studierenden nicht mehr weiter mit dem zu eng gewordenen "k.k. Handelsmuseum" abfinden und identifizieren wollten, nahmen sie den neuen Wissenschaftstempel hoch erfreut in Besitz und veröffentlichten noch im selben Jahr eine im Jugenstildesign gehaltene Erinnerungsschrift an die Eröffnung im Herbst 1916. Aus heutiger Perspektive muten nicht nur die Beschwörung griechischer Handelsgötter und die devote Adresse eines Studenten der k.k. Exportakademie in der Festbroschüre aus 1916 skurril an, sondern besonders die Tatsache, dass es wenige Monate später eine neuerliche Erinnerungsschrift gab. Diesmal berichteten die Beiträge in einer deutlich billigeren äußeren Ausstattung von der "feierlichen Eröffnung" des Neubaus der k.k. Exportakademie am 20. März des Folgejahres, also 1917. Zu diesem Anlass erschienen neben dem Bürgermeister Richard Weiskirchner auch die beiden ressortzuständigen Minister, der k.k. Handelsminister Anton Urban und der k.k. Unterrichtsminister Max von Hussarek-Heinlein.<p>Letzterer, ein konservativer Adeliger, lehrte an der Universität Wien Staatskirchenrecht und galt dank seines 1905 erschienenen Lehrbuchs als anerkannter Experte für dieses Rechtsgebiet. Bei der Eröffnungszeremonie musste er aber dem deutschfortschrittlichen Brauereibesitzer Anton Urban den Vortritt lassen, weil die Exportakademie als gemeinsame Gründung der Handelskammer und des privaten Vereins aus Wirtschaftstreibenden beim Handelsminister ressortierte.<p>Heutzutage wäre das insofern kein Problem, als erstmalig in der österreichischen Geschichte diese beiden Ressorts (Wissenschaft/Wirtschaft) in einer Hand vereint sind - bekanntlich in jener des amtierenden Vizekanzlers Reinhold Mitterlehner. Die Hochschule für Welthandel musste sich bis zu einer Studienreform im Jahr 1968 mit der Zweigleisigkeit herumschlagen. Sie erhielt zwar nach langen Kämpfen das Promotionsrecht (1930), doch blieb die Zuordnung zu den zwei Ressorts bis Ende der Sechzigerjahre erhalten. Einen richtigen Neuanfang gab es erst nach der Aufwertung zur Universität unter der Regierung Kreisky 1975.<p>Die Adresse des Gebäudes lautete zunächst nach dem alten britischen Gasbehälter "Gaswerkstraße", wurde sodann in "Exportakademiestraße" umbenannt, nach dem Tod des Justizministers Franz Klein aber ehrenhalber nach diesem benannt. Die Tatsache, dass Klein auch an der Universität Wien Zivilprozessrecht gelehrt hatte, ließ ihn fälschlich in manchen Chroniken zum "Professor an der Hochschule für Welthandel" werden. An der Exportakademie lehrten aber andere bekannte Wissenschafter, wie etwa der Schöpfer der Bundesverfassung, Hans Kelsen. Da der Zeitpunkt zur Erweiterung und Eröffnung der größten Handelshochschule der Donaumonarchie mitten in den Ersten Weltkrieg fiel, konnte er der Feier nicht beiwohnen, denn Kelsen absolvierte gerade seinen Wehrdienst als Militärauditor (Staatsanwalt) im Kriegsministerium.<p>

Kelsens Gutachten

<p>Der Staatsrechtslehrer hatte 1913 den Auftrag erhalten, die Frage gutachterlich zu klären, ob sich die k.k. Exportakademie rechtmäßig eine "Handels-Hochschule" nennen durfte. Sein Votum fiel überraschend aus: Der Untertitel sei nicht geschützt. Dennoch strebten die Funktionäre und die Professoren nach einer staatlich anerkannten Aufwertung, da außer in Wien nur eine kleine Privathandelsschule in Triest bestand, wogegen der deutsche Nachbar mehrere renommierte Handelshochschulen aufwies.<p>Besonders schmerzte die Exportakademie, dass ihr berühmtester Handelswissenschafter, der Wiener Professor Josef Hellauer, im Jahr 1912 nach Berlin an die dortige Handelshochschule berufen worden war. Sein System der Welthandelslehre entwickelte sich zu einem Studienbuchschlager, der in den Fünfzigerjahren neu aufgelegt wurde. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte sich die "Welthandel" bereits zu einer anerkannten Bildungsinstitution entwickelt - und heute verfügt die WU nicht nur über einen eigenen Campus im Prater, sondern sogar über eine wertvolle internationale Zertifizierung.

Literatur:

Matthias Böckl: Der Campus der Wirtschaftsuniversität  Wien, Wien 2014.

Jürgen Busch: Hans Kelsen an der Exportakademie. in: Festschrift für Werner Ogris, Manz 2010, S. 85-101.

Gerhard Strejcek, geboren 1963, ist Außerordentlicher
Universitätsprofessor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.