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Rechtsanspruch auf Klimaschutz?

Von Andreas Lorenz-Meyer

Reflexionen

Immer häufiger versuchen Opfer der Erderwärmung einen Schadensersatz vor Gericht einzuklagen. Das ist ein schwieriger juristischer Weg, der aber nicht ganz aussichtslos ist.


Zu den Menschen, die unmittelbar vom Klimawandel betroffen sind, gehören jene, die im Einzugsbereich von Gletschern leben. Schmelzen diese, weil es wärmer wird, steigt der Wasserpegel der Bergseen und Flüsse. Es drohen Überflutungen. Saúl Luciano Lliuya, peruanischer Bergführer, lebt im Andenort Huaraz auf 3000 Metern Höhe. Oberhalb von Huaraz liegt ein Bergsee, der in den letzten Jahren immer mehr Wasser aufgenommen hat, weil die Gletscher abtauen. Irgendwann hält der Damm das Wasser nicht mehr, Huaraz wird überflutet. Um die Katastrophe zu verhindern, müsste ein neues Abpumpsystem installiert und der Damm stabilisiert werden.

Im April 2015 schrieb Lliuya einen Brief an den deutschen Energiekonzern RWE. Darin forderte er 20.000 Euro - Geld für die dringend notwendigen Maßnahmen. Die Summe soll dem Anteil von RWE an der globalen Treibhausgasemissionen entsprechen.

Der Energiekonzern, Betreiber klimaschädlicher Kohlekraftwerke, lehnte das Ansinnen ab. Im November reichte Lliuya Klage ein. Eine Hamburger Kanzlei vertritt ihn, eine Nichtregierungsorganisation sammelt Spenden. Die Klage stützt sich auf den Paragraphen 1004 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs: "Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen." Dieser Paragraph, sagt die Anwältin des Peruaners, gilt auch für Eigentum im Ausland. Das Landgericht Essen hat die Klage zugelassen.

Schwierige Rechtslage

Wie steht es um die Chancen solcher Klimaklagen? Was sagt das Völkerrecht dazu? Gibt es einen Rechtsanspruch auf Klimaschutz?

Eine klare Aussage ist schwierig, sagt Nils Meyer-Ohlendorf, Völkerrechtler vom Berliner Ecologic-Institut. Es kommt darauf an, wer gegen wen klagt. Klagen eines Staates gegen einen anderen lässt das Völkerrecht grundsätzlich zu. Einfach wird es deswegen aber nicht. Angenommen, ein Staat verlangt von einem anderen Ersatz für einen Schaden, der auf den Klimawandel zurückgeht: Dann muss der klagende Staat beweisen, dass der verklagte Staat durch seine Emissionen genau diesen Schaden verursacht hat. Keine leichte Aufgabe, sind doch viele Staaten und seine Bürger am Klimawandel beteiligt.

Es gibt noch einen Weg. Nach dem Völkerrecht kann ein Staat von einem anderen verlangen, grenzüberschreitende Umweltverschmutzungen zu unterlassen. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob dieser Anspruch auch dann einklagbar ist, wenn die Emissionen des verklagten Staats nach dem Völkerrecht erlaubt sind. Der verklagte Staat könnte geltend machen, dass seine Emissionen unterhalb der Grenzen des Kyoto-Protokolls liegen. Das wäre ein gewichtiger Einwand, so Meyer-Ohlendorf, auch wenn die Emissionsgrenzen des Kyoto-Protokolls zu niedrig sind, um einen Klimawandel von zerstörerischen Ausmaßen zu verhindern.

Klagt ein Bürger gegen einen Staat wegen Verletzung seiner Menschenrechte, liegt die Sache noch einmal anders. Hier könnte der Kläger mit seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit argumentieren. Es kommt aber unter anderem darauf an, ob der Bürger gegen seinen Staat klagt oder gegen einen anderen. Die im arktischen Norden Kanadas und auf Grönland lebenden Inuit, denen die Erwärmung die Lebensgrundlage nimmt, klagten vor Jahren nicht Kanada, sondern die USA an. "Menschenrechte schützen aber grundsätzlich nicht gegen Handlungen von Drittstaaten", erklärt Meyer-Ohlendorf. Der Schutzanspruch bezieht sich nur auf den eigenen Staat.

Seinen Staat, Pakistan, hat der Bauer Ashgar Legarit verklagt. Weil im Zuge des Klimawandels der Regen ausbleibt, kann er keine Landwirtschaft mehr betreiben. Legarit berief sich auf die Fürsorgepflicht des Staates, der seiner Meinung nach zu wenig für den Klimaschutz tut. Ein pakistanisches Gericht gab ihm Recht und ordnete die Berufung eines Klimaschutzkomitees an, das bestehende Gesetze endlich umsetzt. Für Pakistan sei der Klimawandel keine entfernte Bedrohung, hieß es in der Urteilsbegründung. Das Land spüre die Folgen schon jetzt.

Auch Urgenda, ein niederländisches Bürgerbündnis, zog gegen den eigenen Staat vor Gericht, weil der die Klimagasemissionen nicht ausreichend senkt. Das Bündnis stützt sich darauf, dass die Regierung laut niederländischem Grundgesetz die Bewohnbarkeit des Landes zu gewährleisten und die Bürger zu schützen habe. Ein Gericht stimmte den Klägern zu und ordnete an, dass die Klimagasemissionen bis 2020 um mindestens 25 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken sind. Deutlich mehr, als bei der aktuellen niederländischen Politik herauskäme. Die steuert auf eine Reduzierung um die 17 Prozent gegenüber 1990 zu. Was der Verantwortung eines Industrielands nicht gerecht wird, so die Meinung des Gerichts. Die Regierung legte Berufung ein.

Mitschuld am Taifun

Die Erderwärmung richtet viel Unheil an, auch häufigere und heftigere Unwetter. Ende 2013 wurden die Philippinen hart getroffen, da zerstörte der Taifun "Haiyan" große Teile des Inselstaats und nahm geschätzt 6300 Menschen das Leben. Müssen die Hauptverursacher der globalen Klimagasemissionen für die Zerstörungen, die der Taifun angerichtet hat, gerade stehen?

Greenpeace Südostasien und eine philippinische Nichtregierungsorganisation reichten Klage gegen 50 mutmaßliche Klimasünder ein. Es sind Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Zementunternehmen, darunter Chevron, BP und OMV aus Wien. Ihre Treibhausgasemissionen sollen die Menschenrechte verletzen. Die philippinische Menschenrechtskommission hat die Ermittlungen aufgenommen. Sie prüft nun, ob die Konzerne eine Mitschuld an Extremwettereignissen wie "Haiyan" tragen.

Sind diese Fälle erst der Anfang? Thomas Pogge, Professor für Internationale Beziehungen und Philosophie an der Yale University und Direktor des Global Justice Program: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass solche Fälle zunehmen, weil sich ja auch die vom Klimawandel ausgelösten Schäden erheblich verschärfen. Wann immer reiche Akteure wissentlich große Schäden verursachen, wird man versuchen, sie straf- und zivilrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Die Kläger können sich auf die Menschenrechte berufen, besonders auf das Recht auf Leben, und auf andere Teile des Völkerrechts. Aber auch auf das Deliktrecht, das Privatrecht und das Umweltrecht."

Pogge hat mit Kollegen 2015 die Oslo-Grundsätze veröffentlicht. Sie zeigen die rechtlichen Verpflichtungen von Staaten und Unternehmen auf, effektive Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. Pogge: "Klar ist, dass der Klimawandel schon heute und erst recht in der Zukunft große Schäden verursacht. Unklar ist, wie man die Verantwortung für diese Schäden unter den Schädigern aufteilt. Offensichtliches Unrecht wäre es, diese Unklarheit zu Lasten der Geschädigten auszulegen, so dass jeder weiterhin unbegrenzt Treibhausgase in die Atmosphäre geben und dadurch frühzeitige Todesfälle, ernste Erkrankungen und Milliardenschäden verursachen darf. Also müssen Juristen die plausibelste Interpretation von bestehendem Recht, Präzedenzfällen und Opinio Juris finden. Eine Interpreta- tion, die klarstellt, welche rechtlichen Pflichten die Akteure haben. Genau das haben wir getan."

Was bedeuten Klimaklagen für den globalen Klimaschutz? Beschleunigen sie das Entstehen ressourcenschonenderer Wirtschaften? Pogge: "Klimaklagen motivieren die Schädiger, in ihren Entscheidungen auch die von ihnen verursachten Schäden mit einzubeziehen, egal, wen diese betreffen." Freisetzung von Treibhausgasen sei ja keine Entsorgung, die Sorgen würden nur anderen aufgebürdet. Nach dem Motto: Wir, die Industrieländer, sind die Abgase los, und in Bangladesh gibt es Naturkatastrophen und versalzenes Grundwasser.

Pogge hält es für Unrecht, sich so auf Kosten anderer das Leben leicht zu machen. Er vergleicht es mit einer Spazierfahrt übers Land, die jemand zum Spaß unternimmt. Die Abgase der Fahrt produzieren insgesamt mehr Schaden als Nutzen. Aber den Nutzen hat der Fahrer allein, und vom Schaden bekommt er nur 0,000000014 Prozent ab. Also macht er weiter, und alle anderen auch. Am Ende ergehe es allen schlechter, als wenn der Schaden voll berücksichtigt worden wäre.

Es sei eine klassische Aufgabe des Rechts, durch Regeln und Sanktionen das individuell optimale Handeln mit dem kollektiv optimalen Handeln in Einklang zu bringen. Das Recht soll, kantisch gesprochen, die Freiheit eines jeden so einschränken, dass sie mit der gleichen Freiheit jedes anderen vereinbar ist, so Pogge. Die Oslo-Grundsätze interpretieren bestehendes Recht, so dass es dieser Aufgabe gerecht wird.

Gerichtliche Hilfe

Parlamente und Regierungen bleiben die zentralen Orte für Klimaschutz, meint Meyer-Ohlendorf, aber Gerichte können die Bemühungen unterstützen. Wie beim Vorgehen gegen die US-Tabakindustrie. Richterliche Urteile haben da eine wichtige Rolle gespielt. Wobei beim Rauchen die Kausalitäten einfacher sind als bei Treibhausgasemissionen, merkt der Völkerrechtler an. Einen Hebel für Klimaschutz sieht er im Aktienrecht. Da hätten Richter zumeist klare Regeln, nach denen sie urteilen können. In den USA laufen derzeit staatsanwaltliche Ermittlungen gegen den Ölriesen Exxon. Der hat möglicherweise die Rechte von Aktionären verletzt: Dass aus der Erwärmung die Notwendigkeit erwächst, fossile Brennstoffe zu vermeiden, verschwieg man nach Meinung der Staatsanwaltschaft den Anlegern.

Hier sieht Meyer-Ohlendorf eine mögliche Grundlage für Schadensersatzansprüche. Aktionäre können sich darauf berufen, dass die gekauften Aktien weniger wert sind, als nach den Darstellungen Exxons anzunehmen war. Der Völkerrechtler erklärt: "Investoren ziehen sich eher zurück, wenn sie die vollen finanziellen Risiken ihrer Investition besser verstehen. Öl, Gas und Kohlefirmen müssen höhere Rücklagen für Ansprüche ihrer Aktionäre bilden, was das existierende Geschäftsmodell unattraktiver macht."

Andreas Lorenz-Meyer, geboren 1974, lebt als freier Journalist in Hamburg und schreibt über wissenschaftliche Themen aller Art.