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Scheiberlspiel und Stanglpass

Von Robert Sedlaczek

Reflexionen

Der urtümliche österreichische Fußballer-"Slang" droht auszusterben. Höchste Zeit, an diesen besonderen Sprachschatz zu erinnern.


Fußball ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält. Zum heurigen hundertjährigen Todestag der Marie von Ebner-Eschenbach sollte es erlaubt sein, einen ihrer berühmten Aphorismen ein wenig abzuwandeln und auf die Sprache umzumünzen. Denn es ist in der Tat so: Im österreichischen Fußballjargon, einer kleinen Welt, zeigen sich all jene Entwicklungen, die auch im allgemeinen Sprachgebrauch anzutreffen sind, nur schneller, schärfer und dramatischer.

Das Vordringen bundesdeutscher Sprachgewohnheiten ist bei einem relativ überschaubaren Wortschatz besonders auffällig. Unlängst hörte ich eine österreichische Fußball-Ikone im ORF sagen: "Das war ein schön geköpfter Ball!" Dabei müsste der gute Mann doch wissen, dass wir das runde Leder nicht köpfen, sondern köpfeln - ein Buchstabe macht den Unterschied aus.

Österreichische Sportreporter verwenden auch immer öfter Wörter wie Pferdekuss - das ist eine Verletzung durch einen Tritt in den Oberschenkel - oder sie sagen Tunnel und Beinschuss, wenn ein Spieler dem anderen den Ball durch die Füße schiebt. Nur die deutschen Dialektausdrücke für den Fußball, nämlich Pille, Poke und Kirsche bleiben uns noch erspart. Wir sagen auch weiterhin Torhüter und nicht Torwart - seine Aufgabe ist es ja, das Tor zu hüten, nicht zu warten -, Torstange und nicht Torpfosten - na klar, das Wort Stanglpass ist uns heilig -, auch Fersler ist relativ stabil, Hackenstoß und Absatzkick sind verpönt. Wie lange noch?

"Schnittpartie"

Der aus Deutschland kommende Anpassungsdruck ist wohl auch deshalb recht stark, weil unsere Bundesligaklubs im besten Fall Ausbildungsvereine für Deutschland sind. Jeder junge österreichische Kicker träumt von einer internationalen Karriere - er möchte irgendwann einmal in die Fußstapfen jener Spieler treten, die heute das österreichische Nationalteam ausmachen, es sind fast durchwegs Legionäre. Daher schauen sich die jungen Spieler recht früh die Formulierungen von den Sportreportern des deutschen Fernsehens ab - sozusagen auf Verdacht für später. Dass der erfolgreichste Legionär, nämlich David Alaba, nach wie vor so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und sich dadurch in der Sportwelt Deutschlands ein Alleinstellungsmerkmal verschafft hat, übersehen sie.

Den urtümlichen fußballerischen Slang beherrschen nur noch die Älteren, er droht genauso auszusterben wie die Mundarten. Wie reichhaltig doch der Sprachschatz am Fußballplatz einmal war! In meinen Gesprächen mit Fußballlegenden wie Rudi Flögel, Heli Köglberger, Robert Sara, Funki Feurer, Andi Ogris und einigen anderen sind alte Wörter aufgetaucht, mit denen die Jungen meist nichts mehr anfangen können. Ich habe sie in meinem Buch "Österreichisch fia Fuaßboifäns" dokumentiert, um zu zeigen, was einmal war.

Vielleicht weiß noch der eine oder andere Fußballfan, was eine Schnittpartie ist. Gemeint ist ein Match zwischen zwei Klubs, die in der Tabelle eng beisammen liegen, also eine Partie, die entscheidend für den Kampf um den Meistertitel oder gegen den Abstieg sein kann. Schnitt kommt aus der Sprache der Landwirte und bedeutet so viel wie Ernteertrag.

Heute reden die Sportreporter meist von einem Sechs-Punkte-Spiel, und zwar nach der Überlegung: die eine Mannschaft gewinnt drei Punkte und die andere gewinnt drei Punkte nicht - das macht zusammen sechs Punkte. Adam Riese hätte damit keine Freude gehabt, denn wenn zwei Mannschaften vor einem Match gleichauf liegen, dann hat nach dem Match die siegreiche Mannschaft einen Vorsprung von drei und nicht von sechs Punkten.

Wenn ein gefährlicher Stürmer gut bewacht werden soll, dann lautete früher die Anweisung des Trainers: "Der eine geht drauf, der andere schmiert ab." Das Zeitwort abschmieren kommt von hebräisch schemirá (= Wacht, Wächter, Bewachung). Die Wendung Schmiere stehen ist ja allseits bekannt; der zweite Spieler soll also in lauernder Haltung den Gegner beobachten und gegebenenfalls eingreifen. Andi Ogris und Robert Sara, zwei Legenden von Austria Wien, sagten mir, dass sie den zweiten Spieler früher Schmieranski nannten.

Das ist etwas anderes als der gleichlautende Ausdruck für einen schlechten Journalisten, einen Schmierer. Kenner der österreichischen Fußballgeschichte wissen, dass 1931 der Teamchef Hugo Meisl in einem Wiener Kaffeehaus den Journalisten einen Zettel mit den Worten "Da habt’s euer Schmieranski-Team" hingeworfen hatte. Aus der Wunschelf der Journalisten wurde das Wunderteam (siehe dazu Seite 38).

Apropos Wunderteam. Damit verbinden wir den Ausdruck Scheiberlspiel - gemeint ist ein Kurzpassspiel auf engem Raum. Früher war auch das Zeitwort scheiberln gebräuchlich. Der legendäre Matthias Sindelar sagte 1929 zum Teamchef Hugo Meisl nach einem 0:5-Debakel: "Z’wenich gscheiwalt homma hoid." Mit ähnlichen Argumenten, aber anderer Wortwahl begründete Pep Guardiola als Trainer des FC Bayern die seltenen, aber schmerzenden Niederlagen seiner Mannschaft.

"Briskicker"

Einen Fußballspieler mit Übersicht, der auch Spielzüge vorhersehen kann, nannte man früher Briskicker. Das Wort gibt Rätsel auf. Ich kenne aus dem Wienerischen die Formulierung "keinen Bris von etwas haben", das heißt: von einer Sache nichts verstehen. Damit dürfte diese Wortbildung zusammenhängen, jedenfalls nicht mit Kalbsbries. Ich vermute einen Zusammenhang mit französisch compris (= begriffen) oder prix (= Siegespreis), aber es ist reine Spekulation.

Interessant ist auch, dass in Österreich weniger eingedeutscht wird als in Deutschland. Wir sagen Out, Hands etc., in Deutschland sagt man "Ball im Aus", "Handspiel" etc. Der Grund dafür ist in der Anfangsphase des Fußballsports zu suchen. Im Jahr 1903 veröffentlichte Konrad Koch, ein Lehrer aus Braunschweig, der sich um die Einführung des aus England importierten Sports verdient gemacht hatte, in der Zeitschrift des "Allgemeinen Deutschen Sprachvereins" eine Liste mit Eindeutschungen: "Anstoß" statt kick-off, "Ecke" statt corner, "abseits" statt off side, "Strafstoß" statt penalty-kick usw.

In Deutschland ist diese Initiative äußerst wirksam gewesen, in Österreich ist sie gar nicht wahrgenommen worden - in der Schweiz übrigens auch nicht. Außerdem wäre in der damaligen multikulturellen Monarchie Österreich-Ungarn ein von oben verordnetes Eindeutschen nicht gut angekommen. Angesichts fehlender standardisierter Eindeutschungen konnte sich der Dialekt bei uns besonders gut entfalten - wobei sich die dialektalen Ausdrücke mit der englischen Originalsprache gut vertragen, man denke an Zusammensetzungen wie Cornerstangl oder an Outwachler - das ist der Schiedsrichterassistent, der früher Linienrichter genannt wurde.

Der Wandel in der großen österreichischen Sprachwelt hat auch in der kleinen Welt des Fußballjargons eine Entsprechung. Wenn ein Spieler dem anderen den Ball durch die Beine schiebt, sagten wir früher: Er hat ihm ein Gurkerl gegeben. Das scheint die Abwandlung einer gängigen Redensart zu sein: Er hat ihm Saures gegeben. Die jungen Spieler formulieren es anders: Er hat ihm eine Wurzen geschoben.

Auch Wörter wie Eisenbahnerschmäh werden neu interpretiert. Früher verstand man darunter einen Drübersteiger - der ballführende Spieler täuscht an, auf der einen Seite vorbeizugehen, und überspielt den Gegner auf der anderen. Neuerdings verstehen die Jugendlichen unter "Eisenbahner" einen Tritt mit dem Knie in den Oberschenkel. Das nannten wir früher Tschekabuff oder Buffatscheck - offensichtlich eine Wortmischung aus englisch to check (= einen Gegenspieler rempeln, zum Beispiel im Eishockey) und puffen (= jemandem mit der Faust oder einem anderen Körperteil einen Schlag versetzen). Eisenbahnerschmäh steht im allgemeinen Sprachgebrauch für einen plumpen, wirksamen Trick, ist aber selten zu hören.

Auch in der kleinen Sprachwelt der Fußballer muss man zwischen Dialekt und Standard unterscheiden. Wörter wie Cornerfahne und Torstange sind Teil der Standardsprache, die zahlreichen witzigen Bezeichnungen für den Ball sind Dialekt: Bemmal, Blunzn, Ei, Frucht, Haut, Laberl, Nudl, Schweinsblodan, Tuchat, Wuchtl oder Wule.

Einige Ausdrücke zeugen davon, dass früher "auf der Gassen" mit einem Fetzenlaberl gespielt wurde, andere stammen aus dem Tschechischen. Wuchtl kommt von buchta - die berühmte Buchtel in Vanillesauce ist dasselbe Wort. Komplizierter ist die Etymologie von Wule. Der deutsche Ausdruck Beule ist ins Tschechische gewandert, wo daraus leicht adaptiert boule wurde, und beim Re-Import durch Prager Fußballer ist daraus Wule entstanden, weil wir im Anlaut das stimmhafte B des Tschechischen im Deutschen als W aussprechen.

"Hösche" und "Bago"

So wie in der großen Sprachwelt gibt es auch Unterschiede im Fußballjargon zwischen den einzelnen Bundesländern. Das beliebte Übungsspiel zum Aufwärmen heißt in Wien Hösche, in Oberösterreich Bago, keiner weiß warum, und in der Steiermark Flockerl. Vier oder fünf Spieler stehen in einem Kreis und spielen sich den Ball zu, zwei Spieler in der Mitte des Kreises versuchen, an den Ball heranzukommen. In Bayern sagt man dazu Rondo, weiter im Norden Kreis (vor allem fünf gegen zwei) oder Ecke (vor allem vier gegen zwei).

Dass sich der alemannische Sprachraum anders verhält als der bairisch-österreichische, zeigt sich auch im Fußballjargon. Im Osten und Süden ist kicken der gängige Ausdruck für das Spielen mit dem runden Leder, in Vorarlberg genauso wie in der Schweiz sagt man tschutten. Beide Wörter sind Entlehnungen aus dem Englischen: von to kick und von to shoot. Und was der Rapid- oder Austria-Fan als Arschpartie bezeichnet, nennt der Fan des SC Rheindorf Altach eine Füdlapartie: ein furchtbares Match mit inakzeptablen Leistungen der Akteure.

Robert Sedlaczek, geboren 1952 in Wien, ist Sachbuchautor. Er ist vor allem durch seine Werke über Aspekte der deutschen Sprache bekannt, wovon auch seine wöchentliche, stets am Mittwoch erscheinende Glosse in der "Wiener Zeitung" zeugt.
Literatur:
Robert Sedlaczek: Österreichisch fia Fuaßboifäns. Ein heiteres Lexikon. Mit Zeichnungen von Martin Czapka. Amalthea Verlag, Wien 2016, 112 Seiten, 9,95 Euro.