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PRAISE THE LORD!

Von Manfred Rebhandl

Reflexionen

Zu Besuch in Gottesdiensten bei Katholiken, der Fellowship of Christ und Rumänisch-Orthodoxen - auf der Suche nach dem wehrhaften Christentum.


Besucherinnen einer rumänisch-orthodoxen Kirche.
© Rebhandl

Ein Kellerraum in der Goldschlagstraße im 15. Wiener Gemeindebezirk, fünf Minuten Fußweg hinterm Westbahnhof. Ein freundlicher Mann in glänzendem, blauem Nadelstreif reicht mir die Hand und umarmt mich auch gleich, ohne mich zu kennen. Dann sagt er mit einer Herzlichkeit, die nicht echt sein kann, aber doch recht überzeugend wirkt: "Komm rrrein, Brrruder!"

Er ist nicht der einzige Rumäne hier, der das R so schön rollen lässt. Er bietet mir einen der schwarzen Klappstühle an, die in diesem schmalen, lang gezogenen Raum in zwei Reihen stehen, und vorne auf der Bühne, wo in uns bekannten Kirchen der Altarraum ist, singen zwei schwarze Männer mit sich stets steigernder Inbrunst: "Würdig! Würdig ist der Herr!" Immer wieder. Es ist die Fellowship in Christ, eine Art christlicher Pfingstkirche, deren Sonntagsgottesdienst ich beiwohne auf der Suche nach dem wehrhaften europäischen Christentum.

Altarbereich in einer rumänisch-orthodoxen Kirche in Wien.
© Rebhandl

Es sind hauptsächlich Afrikaner, die sich hier als besonders bibelfest erweisen, dazu ein paar Rumänen und nur vereinzelt "Einheimische". Man drückt mir eine Bibel in die Hand, während der Boss, Pastor Zika aus Nigeria, anfängt, den Herrn zu preisen:

"Praise the Lord!"

Und alle: "Hallelujah!"

Und der Pastor: "There is only one god!"

Und alle: "Da ist nur ein Gott!"

Aber wo ist er? Und wem gehört er? Und was will er überhaupt von uns? Dass uns die Welt langsam um die Ohren fliegt, wird die meisten von uns nicht kalt lassen: Terroranschläge, Brexit in England, Wahlwiederholung bei uns, nicht zugestellte Packerl, überhöhte Telefonrechnungen. Außerdem eine steigende Lebenserwartung samt damit einhergehender Probleme: Was soll ich eigentlich mit der vielen Zeit machen? Hinzu kommt eine diffuse, allgemeine Leere, die sich im Leben breit macht und sich auch nicht durch die Versprechungen der Globalisierung oder des hemmungslosen Kapitalismus füllen lässt.

"Praise the Lord!": Kirchenraum der Fellowship of Christ in Wien 15.
© Rebhandl

Langsam scheint uns zu dämmern, dass alles Schlimme, was heute passiert, die Folgeerscheinung einer himmelschreienden Ungleichheit auf dieser Erde ist, gegen die niemand so recht bereit oder imstande ist anzukämpfen. Auch nicht die christlichen Kirchen. Zwar gehen immer weniger Österreicher in die Kirche, aber dass neuerdings auch Minarette neben unseren schönen Zwiebel- oder sonstigen Türmen stehen dürfen, drückt ihnen trotzdem aufs Gemüt. Und je mehr Arme aus Syrien oder Afrika an unsere Türen klopfen, jedenfalls von irgendwo weit her, wo sie nicht so leben und erst recht nicht so ausschauen wie wir, desto wütender und ängstlicher werden sie. Und desto mehr erinnern sich wieder an unsere angeblich so glorreiche, christlich-abendländische Vergangenheit.

Minderheitenprogramm

Dabei haben sich die christlichen Kirchen über die Jahrzehnte zu einem Minderheitenprogramm heruntergewirtschaftet mit ihrer zögerlichen Unentschlossenheit, sich entweder wirklich zu öffnen und die Kernbotschaft des Evangeliums, die bedingungslose Nächstenliebe, zu leben und auch von ihren Schäfchen einzufordern. Oder die Kutte wieder ganz tief ins verbrämte Gesicht zu ziehen und den ganzen Tag nur noch "Memento mori!" zu twittern und Schreckliches über die Hölle zu posten.

Vom Gastgarten meines Stammcafés aus blicke ich jeden Morgen teils verzagt, teils hoffnungsfroh auf die Pfarrkirche Neufünfhaus im 15. Wiener Gemeindebezirk, und nicht selten höre ich das Läuten ihrer Glocken. Corinna Wilken, zugewanderte Protestantin aus Zorningen bei München, hat sich davon locken lassen, als vor elf Jahren ihr Sohn Nepomuk geboren wurde. Sie schätzt an den Gottesdiensten hier "das Langsame und Ineffiziente. Das Leistungsbefreite als Ausgleich zu den dominierenden Effizienzkriterien im Alltag, der von Beruf und Kindererziehung bestimmt wird". Und dass ihre Gemeinde zwei Räume für zehn Flüchtlinge frei geräumt hat, das gefällt ihr auch. Klingt sympathisch.

Diakon Arpad Paksanszki lebt zusammen mit seiner Familie im Pfarrhaus neben der Kirche. Ist er vom Wunsch erfüllt, Europa gegen die einfallenden "Horden" zu verteidigen? Nicht wirklich: "Die überwältigende Erfahrung der Nähe Gottes weitergeben", ist sein Antrieb. "Die Erfahrung, dass Gott mich liebt." Paksanszki war 16 Jahre alt, als er mit seinem Vater im Auto unterwegs war und von rechts ein anderes Auto kam, und er betete: "Lieber Gott, soll sein, was du willst." Nicht die Erfahrung, dass trotz heftigen Einschlages nichts passiert ist, sondern die Erfahrung der absoluten Geborgenheit in Gott war für ihn das Schlüsselerlebnis in den Sekundenbruchteilen vor dem Einschlag.

Dieses Vertrauen soll auf seine Gemeinde ausstrahlen, der erweitert rund 500 Aktive angehören, im Kern vielleicht 300. "Wenn um zehn Uhr für die Kinder nichts ist, dann kommen auch die Eltern nicht", gesteht er einen gewissen Schlendrian seiner Schafe ein, der nicht selten mit "Verwestlichung" gleichgesetzt wird von denen, die den Westen hassen. Und die eine Kirche ablehnen, die statt klarer Vorgaben und strenger Regeln oft nur noch den Verweis auf das eigene Gewissen als höchste Instanz anbietet.

Ich besuche den Sonntagsgottesdienst der Gemeinde Neufünfhaus, wo Doris Wanura, kurze, graue Haare, goldene Brille, im Eingangsbereich organisiert. Sie ist im Gremium des Seniorenkreises tätig, der sich hier zweiwöchentlich trifft zum Singen, für Dia-Vorträge und Lyrik, aber auch, um Vertretern von Hörgeräteherstellern zu lauschen. Die ersten zwei Reihen rechts sind Senioren und Seniorinnen vorbehalten, die im Juni Geburtstag hatten, am Ende sind es zwei Damen, die dort heute Platz nehmen.

Ein älterer Herr im Trachtenanzug läuft hektisch herum und klagt: "Lektor nicht da, Messner nicht da, zum Glück ist der dort drüben am Mischpult da, sonst müsste ich das Mischpult auch noch bedienen!" Das Mischpult gehört zur Musikgruppe, die seitlich des Altars das Songrepertoire probiert mit Snare Drum, Rassel, Keyboard und akustischer Gitarre. Sie beginnen mit "Es ist schön, solche Freunde zu haben, ich bin nie mehr allalhlalalalalalalalal. . ."

Den Pfarrer gibt heute eine polnische Aushilfskraft, was ein bisschen die Verhältnisse in unserem Europa widerspiegelt: Allzu viele Polen scheinen auf Aushilfskraft festgelegt, während fast jeder Deutsche ein Chef ist. Und vielleicht wollen die Polen deshalb einen härteren Kurs fahren gegen die Flüchtlinge, gegen die Homosexuellen, gegen die protestantischen Deutschen. Er beginnt den Gottesdienst klassisch mit "Der Herr sei mit Euch!", und dann erklärt er das Thema der heutigen Messe: "Sendung".

Der Gott unserer Tage

Da passt es irgendwie, dass sogleich ein Handy ertönt, der Empfang in der Kirche ist gut, und der Gott unserer Tage lässt dem Gott dieser Kirche wenig Raum. Bald singt die Gesangsgruppe für die Alten das Geburtstagslied aus "Conni hat Geburtstag", dem CD-Klassiker für unsere Kleinen: "Schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst mehr vermisst."

Darf man da auch die Frage nach der Beliebigkeit stellen? Oder anders gefragt: Ist es völlig unverständlich, dass manche mit diesem "Anything goes" nichts anfangen können? "Trotz Pfarrer eine schöne Messe!", sagt Susanne vor der Kirche, sie steht dort mit ihrem Mann Helmut und ihrer Teenagertochter Kira, die gerade ministriert hat. Kira macht das seit Kindertagen, aber sehr oft wird sie es nicht mehr tun, sagt sie. Irgendwie fällt alles auseinander, die Freundinnen machen was anderes, und ihr Freund Simon hat am Anfang nur geholfen, die Liedtexte auszuteilen, weil Kira da ist. Die Veranstaltung selbst ist ihm zu konservativ.

Kiras gesamte Familie zählt zu den "Pfarrer Martin"-Fans, der hier eine legendäre Figur ist, die auch mal am Pferd zum Martinsfest geritten kommt. "Wärme, Freude, Menschlichkeit", sagt man ihm nach, sowie "Liebe und Nächstenliebe". Einer, der wie Arpad Paksanszki die Basics einer christlichen Existenz verinnerlicht hat, und trotzdem wächst seine Gemeinde nicht - im Gegenteil: Bis 1970 waren von 70.000 Einwohnern im Grätzel 68.000 Katholiken. Heute sind es von knapp über 70.000 Einwohnern nur noch 23.000, und jedes Jahr treten 50 bis 60 aus.

Was also kann man tun?, frage ich, und Susanne spricht von "Random acts of Kindness", also kleinen Gesten der Aufmerksamkeit, einem Lächeln oder zwei Minuten Zeit, die man sich für den Anderen nimmt und die das Leben lebenswerter machen. "Nicht sein eigenes Süppchen kochen, sondern Suppe für andere kochen." Schön. Aber? "Die Leute werden nur noch zum Konsum erzogen!" Und von oben, vom Kardinal, kämen laut Arpad Paksanszki die Prioritäten in dieser Reihenfolge: Mission first! Dann Jüngerschaftsschulung. Und dann erst Strukturreform.

Re-Evangelisierung

So wie die Europäer sich nicht einigen können, ob sie mehr Europa wollen oder weniger, können sich die Christen nicht einigen, ob sie mehr Nächstenliebe wollen oder doch lieber die strenge Hand.

Thomas Meisel, Urenkel des Meiselmarktgründers, groß, grauhaarig, Brille, ist hier Pfarrgemeinderat, schätzt "das Offene" seiner Pfarre: dass hier fünf muslimische Palästinenser mit fünf christlichen Nigerianern im Pfarrhaus aufgenommen wurden, "dass hier alle herkommen". Wobei: "Richtig voll wird es", muss er eingestehen, "erst um halb zwölf, wenn die Polen kommen. Die sind aufgemascherlt, bist du deppert!"

Die Polen sind Vorreiter einer erträumten Re-Evangelisierung unseres säkularisierten Kontinentes, auf dem Schwule heiraten dürfen und in den immer mehr Fremde herein wollen, die sie nicht mögen. Eine abwehrende Blut-und-Bodenrhetorik geht dabei einher mit einer übertrieben verklärten Sicht auf "das Abendland" und seine christlichen Werte, von denen viele aber keine Ahnung mehr haben, wie Angela Merkel im Zuge der Flüchtlingskrise recht süffisant bemerkte: Wer nicht weiß, was zu Pfingsten gefeiert werde, der solle nicht vom hohen Ross herab reden, meinte sie sinngemäß.

Adelige Schlossbesitzerinnen wie Gloria von Thun und Taxis wissen darüber natürlich schon Bescheid und hübschen ihre angenehme diesseitige Existenz mit dem Wunsch nach mehr Katholizismus auf. Und in die Jahre gekommene Zeitungskommentatoren schreiben gegen ihre Angst vor dem Islam und ihre Wut auf die Islamisten an, indem sie ein wiedererstarktes christliches Europa herbeisehnen. In Papst Benedikt schienen diese Leute für kurze Zeit einen rückwärtsgewandten Anführer gefunden zu haben, der neben Lateinisch praktischerweise auch Bayerisch sprach. Aber bald war klar, dass er mit seinem Programm niemanden hinterm Handy hervorlocken
würde.

Nun hat die größte christliche Kirche, die katholische, zur Abwechslung einen Mann an ihrer Spitze, der sogar muslimischen Flüchtlingen die Füße wäscht, und - für manche vielleicht sogar noch schlimmer - auch Frauen! O tempora, o mores!

Wie es die Katholiken auch machen, sie machen es falsch. Der weltoffene Flügel verschmäht den konservativen - und vice versa. Das damit einhergehende Schwinden der Herden erfordert von den Katholiken "ökonomisches Umdenken", wie Arpad es nennt. Die ehemals katholische Pfarrkirche in der Pouthongasse wurde daher für einen "geschwisterlichen, aber fairen Preis" an die Rumänisch-Orthodoxen verkauft, deren Kirchenhaus in Wien-Simmering aus allen Nähten geplatzt war.

Pfarrer mit Hipsterbart

Schon um 9 Uhr herrscht hier geschäftige Vorbereitung auf den eigentlichen Gottesdienst um 10 Uhr. Es sind auch hier vor allem Frauen, traditionell mit Kopftüchern, oft gebeugt vom Leben, aber nicht gebrochen, die hereinkommen. Pfarrer Ioan Moga nimmt ihnen vorne in einer Ecke die Beichte ab, einmal sind es sogar drei Frauen, die gleichzeitig um ihn herum knien. Hier wird Frömmigkeit gelebt, man bekreuzigt sich ständig, wer kann, berührt davor den Boden. Beim Kircheneingang ist eine Ikone aufgestellt, die von allen geküsst wird.

Bekreuzigen und Küssen, Niederknien und sich Bekreuzigen, immer wieder, während der Pfarrer noch mit Weihrauchkessel das ganze Kirchenschiff durchmisst. Der Schwung seiner Hand ist dabei locker, sein Schritt lässig, sein Blick zielgerichtet. Pfarrer Moga könnte mit seinem Hipsterbart auch hinter einer Weinbar im 7. Bezirk stehen. Nach dem Gottesdienst krempelt er sich die Ärmel hoch und nimmt eine Ganzkörpertaufe am kleinen Geraldo vor.

Dessen junge Mutter, scheinbar einem Roma-Clan entstammend, darf an der Taufe ihres Sohnes vorne beim Altar aber nicht teilnehmen, weil der Vater für das Kind fehlt. Ist es das, was man wehrhaft nennen könnte? Strenge Regeln aufstellen und sie stur befolgen, auch um den Preis der Ausgrenzung einer Mutter von der Taufe des eigenen Kindes?

Ich bin wieder bei der Fellowship of Christ. Godfrey Egbon ist ein gut aussehender Österreicher mit nigerianischen Wurzeln. Er war früher Model in Deutschland und hat nach eigenen Angaben auf YouTube Videos mit fünf Millionen Aufrufen. Hier in dieser Kirche ist er Übersetzer sowie rechte Hand des nigerianischen Pastors Zika. 2012 schaute er sich Nahtoderfahrungsvideos an, und das veränderte sein Leben, er dachte fortan: Es muss mehr geben als Modeln! Er folgt somit vollinhaltlich den Worten seines Pastors, wenn dieser predigt: "I refuse to be cold, I am hot." Und immer wieder: "Praise the Lord!"

Bald hat man den Eindruck, dass Pastor Zika für jedes "Praise the Lord" bezahlt wird. So zäh, wie die Veranstaltung in stickiger Luft voranschreitet, bekommt man hier am ehesten eine Ahnung von der Ewigkeit, und man will sie auf keinen Fall selbst erleben. Pastor Zika aber schon, er ruft: "We are waiting for the coming King!"

Tipps für Krebskranke

Die aufgestellten Opferboxen, schirmständerhoch, füllen sich nicht, viele kleine Kupfermünzen fallen hinein und nur vereinzelt ein Fünfer. "Wir bezahlen davon die Miete, den Strom, alles", sagt Godfrey später, aber vorher kümmern wir uns noch um wichtige Fragen wie: "Was sagt uns Korinther 17?" Oder: "Was sagt uns Jessiah 53, Vers 3? - "Er wurde verachtet und von allen gemieden!"

Dazwischen hat der Pastor einen Tipp für alle Krebskranken parat: "Tumor, I refuse you!" Also: Tumor, ich lehne dich ab!" Und natürlich einen Rat für alle: "Praise the Lord!" Dann Ephesser 6,17, was steht da? "Du hast heute eine Niederlage erlitten - Hallelujah! -, aber nicht weil Gott es will - Hallelujah!" Und weiter: "Come on, let’s check what he said - Offenbarung Vers 12 - Praise the Lord!"

Ein Fladenbrot und ein Krug Rotwein stehen auf einem Tisch bereit zur Wandlung, Godfrey und Pastor Zika knien sich davor nieder mit Mikrofonen, und dann geht es ein paar Minuten dahin: "Da ist mächtig Kraft in dem Blut von Gott!" Das Brot und der Wein mit der vielen Kraft werden verteilt, auch an Kinder, und nach ein paar weiteren "Praise the Lord!" fallen wir uns alle in die Arme und versichern uns gegenseitig: "Du bist gesegnet!"

Da denke ich an die Sangesfreunde aus der katholischen Pfarrkirche: "Es ist schön, solche Freunde zu haben, ich bin nie mehr allahlalalalalalalala . . ."

Das gelebte Christentum scheint mir hier nicht gerade wehrhaft zu sein, aber es ist doch zumindest lustig. Das abschließende Henderl mit Reis und gemischtem Salat ist einfach herrlich!

Manfred Rebhandl, geboren 1966, lebt in Wien. Er schreibt Krimis rund um
den Superschnüffler Rock Rockenschaub und Reportagen für Zeitungen.