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"A Schuster ist er - und Krätz hat er"

Von Brigitte Biwald

Reflexionen
Ferdinand Hebra (1816-1880), ca. 1870.
© adoc-photos/Gettyimages

Vor 200 Jahren wurde Ferdinand Hebra geboren, der - im Rahmen der "Zweiten Wiener Medizinischen Schule" - die moderne Dermatologie begründete.


Unaufhörlich strömten um die Mitte des 19. Jahrhunderts Ärzte aus dem böhmisch-mährischen und dem galizischen und ungarischen Raum nach Wien. Das führende Team dieser Zeit, in der Medizingeschichte "Dreigestirn" genannt, waren der Pathologe Rokitansky, der Internist Skoda und der Dermatologe Hebra. Die drei Böhmen waren - neben den Norddeutschen Billroth und Nothnagel, dem Holländer Wenckebach und dem Ungarn Semmelweis - für die Wiener medizinische Fakultät von großer Bedeutung und begründeten die sogenannte "Zweite Wiener Medizinische Schule".

Die Wiener Medizinische Fakultät stand Mitte des 19. Jahrhunderts an einer Zeitenwende: Der junge Carl Rokitansky (1804- 1878) setzte mit der Spezialisierung des Faches Pathologische Anatomie einen Meilenstein. Abertausende von Befunden hat Rokitansky am Seziertisch aufgenommen. Er stellte an zahllosen pathologisch-anatomisch veränderten Organen ganz bestimmte Krankheitstypen fest.

Hand in Hand mit dieser gigantischen Bestandsaufnahme ging ihre Auswertung für die Klinik. Hier erwies sich seine Freundschaft mit dem Internisten Josef Skoda (1805-1881) und Ferdinand Hebra als besonders erfolgreich: Die Zweite Wiener Medizinische Schule in ihrer umfassenden Geschlossenheit wäre ohne die Ergänzung Skodas, Hebras und anderer Mediziner nicht zustandegekommen.

Damals entstand das Bedürfnis der Chirurgen, Geburtshelfer, Augenärzte (Ophtalmologen) und Gynäkologen, die klinischen Befunde pathologisch-anatomisch zu begründen. Sie mussten jedoch, wie der junge Hebra, zunächst durch die Schule des Carl von Rokitansky gehen.

Ferdinand Hebra wurde am 7. September 1816 unter dem Namen Ferdinand Karl Franz Schwarzmann als außerehelicher Sohn der Aloysia Slawik in Brünn/Brno geboren. Seine Mutter lebte vom Gatten getrennt, Ferdinand erhielt den Mädchennamen seiner Mutter. Sein Vater, der Militärbeamte Johann Hebra, adoptierte den volljährigen Ferdinand. Vater und Sohn hatten ein gutes Verhältnis und lebten ab 1839 im gemeinsamen Haushalt. Bis zum Ende seiner Gymnasialzeit wurde Ferdinand in einem Konvikt in Judenburg erzogen, besuchte anschließend die "Huma-niora" in Graz und promovierte 1841 in Wien.

Während Josef Skoda Junggeselle blieb, führten Ferdinand von Hebra und Freiherr Carl von Rokitanksy ein glückliches Familienleben. Hebra bekam mit seiner Frau Johanna Nepomucena sieben Kinder. Er war Mitglied der Akademie der Wissenschaften, erhielt Orden, Auszeichnungen, die Nobilitierung und den Hofratstitel.

1872 wurde Hebra zum Vorsitzenden der Gesellschaft der Ärzte und 1879 zu deren Präsidenten gewählt. Doch kurz darauf musste der 63-Jährige aus gesundheitlichen Gründen sein Lehramt aufgeben. Wie der Wiener Chirurg Leopold Schönbauer in seiner Medizingeschichte ausführt, trat zu dem "Grundleiden noch ein hochgradiges Emphysem, Lungenblähung dazu, dem Herz-, Nieren und Leberschädigungen und schließlich Wassersucht folgten."

Am 5. August 1880 starb Hebra im Alter von 64 Jahren. Sein Freund, der leidende, herzkranke 76-jährige Skoda folgte ihm ein Jahr später, am 13. Juni 1881. Sohn Hans von Hebra, Professor für Dermatologie und Vorstand der Hautabteilung der Wiener Poliklinik, führte das Werk seines Vaters weiter.

Die Erkenntnisse von Rokitansky, Skoda, Hebra und Semmelweis sowie anderer fortschrittlicher Mediziner stellten die alten Anschauungen auf den Kopf: Lange beherrschte die "Krasenlehre" das medizinische Wien. (Darunter wurden Krankheitsauffassungen verstanden, die der Mischung von Körpersäften grundlegende Bedeutung für Gesundheit und Krankheit zuweisen, Anm.). Doch die Erkenntnis eines ursächlichen Zusammenhanges einzelner Krankheiten mit lokalen pathologischen Veränderungen wies schon neue Wege: Wie Rokitansky forschte auch Skoda nach den physikalischen Entstehungsbedingungen der krankhaften Organveränderungen. Nur tat er dies am Lebenden, indem er den Brustkorb seiner Patienten abklopfte und abhorchte. Befunde der Lebenden verglich er mit jenen in den Organen von Leichen.

Veraltete Heilkunde

Rokitanksy, Skoda und Hebra haben einen neuen Weg beschritten: Zu ihrer Zeit war die Pharmakologie noch vom Aberglauben der mittelalterlichen Heilkunde belastet. So hatte man in der Wiener Hofapotheke Mitte des 19. Jahrhunderts noch Mumienpulver vorrätig. Als Folge der veralteten Heilkunde entstand der "therapeutische Nihilismus", eine medizinische Strömung dieser Zeit. Aufgrund der Wirkungslosigkeit der alten medizinischen Mittel wie Aderlass, Schröpfen und Erbrechen sowie dem Fehlen einer Therapie sollte auf diese überhaupt verzichtet werden.

"Therapeutischer Nihilismus" bedeutete also ein Nichteingreifen, zurückzuführen auf die Unsicherheit der Ärzte. Hebra begann pathologische Veränderungen lokal zu bekämpfen. Damit errang er die ersten therapeutischen Erfolge im damals noch rückständigen Fach Dermatologie: Hautkrankheiten waren demnach ein Leiden, "wo sich das Blut seiner krankhaften Verunreinigungen entledigte". Das erschien nach der "Krasenlehre" als natürlicher physiologischer Vorgang, den man zweckmäßig sich selbst überließ.

Im Übrigen fürchtete man die Übertragbarkeit der Hautkrankheiten, daher versuchte man, die Kranken zu isolieren. Im Wiener Allgemeinen Krankenhaus war dazu die bei Ärzten äußerst unbeliebte 5. Abteilung bestimmt. Diese umfasste außer den "Irren" auch die Geschlechts- und Krätzekranken. Der zuständige und völlig überlastete Sekundararzt hatte außerdem die seit 1792 angeordnete gerichtliche "Totenbeschau" durchzuführen.

Unter den wenigen Schriften, die sich mit Hautkrankheiten beschäftigten, fand Hebra die "Doctrina de morbis cutaneis", die Kunde von den Hautkrankheiten vor, die Joseph Jakob von Plenk im Jahr 1771 veröffentlicht hatte. Plenk ging von den Ausschlägen und Veränderungen der Haut aus, die er in 14 Klassen mit vielen Unterteilungen gliederte. Das entsprach dem damaligen Zeitgeist, wo man besonders gerne systematisierte, um überhaupt erst eine Ordnung der Krankheiten zu erreichen. Englische und französische Ärzte forschten auf dieser Basis weiter, konnten jedoch keine klare Terminologie und Systematik der verschiedenen Krankheitsursachen herausarbeiten.

Das war die Lage, die Hebra vorfand und die er mit seinem Reformwerk aufhob. Am Beginn seiner Forschungen stehen Arbeiten "Über die Krätze" und "Über die selbständig auftretenden Krankheiten der behaarten Kopfhaut", die schon zeigen, was er anstrebte: Vage Theorien durch möglichst einfache, auf Beobachtung gestützte Erklärungen zu ersetzen.

Daraus entwickelte Hebra eine Therapie und konnte mit Unterstützung Skodas seine Forschungen weiterführen. Dazu diente ihm das sogenannte "Ausschlagzimmer", das zur Abteilung Skodas gehörte. Dieser ließ 1841 dem jungen Aspiranten zum Studium der Hautkrankheiten freie Hand. In der "Konduitetabelle" wird Hebra als "fleißig und pünktlich im Dienste beurteilt", weiter ist zu lesen, er "beschäftige sich unermüdet mit dem ihm zugewiesen Fache, den Hautkrankheiten".

Sofortdiagnosen

Geprägt von Rokitansky, hat sich Hebra dabei an die "objektiven Symptome" gehalten. 1842 wurde der 29-jährige Hebra Sekundararzt in Skodas Abteilung und übernahm 1848 dort das Primariat. Ein Jahr später erfolgte die Ernennung zum außerordentlichen Professor. Hebras Schüler schätzten den Scharfsinn ihres Lehrers: Ernst von Bergmann, der Fachwelt als bedeutender Chirurg bekannt, berichtete von einem Hebra-Kurs: "Aus den Schwielen von Händen und Füßen sagt er jedem, was für ein Handwerk er treibt": "A Schuster ist er - und Krätz hat er", war eine der Sofortdiagnosen von Hebra.

Die ordentliche Professur erhielt Hebra erst im Alter von 53 Jahren, obwohl er Fortschritte in der Dermatologie vorweisen konnte: Krätze galt vor Hebras Erkenntnissen als Allgemeinkrankheit, hervorgerufen durch eine fehlerhafte Mischung der Körpersäfte. Hebra hat die Krätzemilben öfter auf die eigene Haut einwirken lassen, um zu beweisen, dass diese für den Organismus an sich unschädlich sind und erst durch den von ihr ausgehenden Hautreiz die Krankheitsformen hervorrufen. Somit konnte er die Hautkrankheiten mittels Therapie behandeln.

Allmählich setzten sich die neuen Erkenntnisse durch: So unterlag der preußische Generalstabsarzt Johann Nepomuk Rust Mitte des 19. Jahrhunderts noch dem Irrtum, dass das Verschwinden des "Flechtenübels" infolge der örtlichen Behandlung nicht selten dem Gesamtorganismus schlecht bekomme: "Ich habe nicht allein anhaltende Krankheiten aller Art, sondern auch Zehrfieber, Brustwassersucht, Blindheit, Taubheit, Epilepsie, Schlagfluß usw. hierauf erfolgen und wieder verschwinden sehen, wenn man so glücklich war, die Flechte wieder hervorzurufen", urteilte der bekannte preußische Chirurg und Medizinschriftsteller Rust über diese Krankheit.

Neue Dermatotherapie

Demgegenüber bedeuteten die Anschauungen von Hebra einen völligen Umsturz. 1845 hat er die Dermatologie neu begründet, indem er sie getreu dem Forschungsprogramm seiner Schule auf eine pathologisch-anatomische Basis stellte und die Hautkrankheiten in 12 Klassen einteilte. Nach und nach entstand eine neue Dermatotherapie: Sie richtete ihre Kritik zuallererst gegen den alten humoralpathologischen Schlendrian: "Zweimal einen Esslöffel zu verschreiben und einzunehmen ist leicht, ein Hautarzt muss mehr können", lautete einer der markanten Aussprüche Hebras. Er hat eine ganze Reihe wirksamer Quecksilber-, Zink-, Blei-, Kupfer-, Schwefel- und Teerpräparate in die Dermatotherapie eingeführt. Bekannt ist vor allem unguentum diachylon (Bleipflastersalbe), das ebenso wie das Wasserbett bei schweren Verbrennungen eingesetzt wurde.

Die neue Auffassung von Hautkrankheiten übte eine starke Anziehung auf ausländische Ärzte aus. Hebra unternahm Studienreisen, beobachte unter anderem in Norwegen Leprakranke. In England, wo sich Hebra öfter aufhielt, schätzte man seine Forschungen: Noch vor den Franzosen, Italienern und Russen haben die Engländer Hebras großes "Lehrbuch der Hautkrankheiten", das von 1860 bis 1876 herausgegeben wurde, übersetzt.

Literatur:
Erna Lesky: Meilensteine der Wiener Medizin. Wien 1981.
Leopold Schönbauer: Das Medizinische Wien. Wien 1954.

Brigitte Biwald, geboren 1951, ist Historikerin und in der Erwachsenenbildung tätig, Schwerpunkt Medizingeschichte.