Zum Hauptinhalt springen

Das trügerische Wir-Gefühl

Von Bernadette Goldberger

Reflexionen

Die Vorstellung, die Linke könne auf den grassierenden Rechtspopulismus mit vergleichbaren Konzepten reagieren, ist verführerisch, enthält aber doch einige Fallstricke.


Ernesto Laclau, der 2014 verstorbene Theoretiker des Linkspopulismus.
© Xavier Granja Cedeño/Wikimedia.

Nach der Wahl ist vor der Wahl, und diesmal war das in Österreich wörtlich zu nehmen. Wir erleben zurzeit noch einen Präsidentschaftswahlkampf, der schon beim ersten Mal eher unansehnliche Formen annahm. Von Spaltung ist die Rede, von "Gräben", die zugeschüttet werden müssten, und von Populismus. Zeit, das Phänomen näher zu betrachten. Warum fallen Norbert Hofer die Wählerstimmen geradezu in den Schoß? Weil er sagt, "wie es wirklich ist"? Die Attraktivität populistischer Politik liegt nicht darin, dass sie die einzige "echte Alternative" zum politischen Einheitsbrei ist, sondern dass sie Feinde bietet und damit widerspruchsfreie Identitäten ermöglicht.

Hofer ist nicht der Einzige, der mit dem Rezept gut fährt. Von Polens Jarosław Kaczynski bis zu Frankreichs Marine Le Pen greifen die Rechtspopulisten in Europa nach der Regierungsmacht oder haben sie schon erobert.

Die linken Parteien stehen dem Trend mehr oder weniger ratlos gegenüber. Dementsprechend mehren sich die Stimmen, die dafür plädieren, den Populismus nicht den Rechten zu überlassen. Der österreichische Journalist und politische Schriftsteller Robert Misik fragt sich in seinem Online-Blog, "was so schlimm daran sein soll, wenn die Linke populistisch agiert", schließlich schaffe ein linker Populismus "ein ,Wir’ gegenüber einem ‚Sie’ - wobei das ,Wir’ das normale einfache Volk, die Bürger sind, und das ,Sie’ die korrupten, gierigen Eliten."

Für Deutschland fordert "Spiegel"-Kolumnist Jakob Augstein: "Setzt dem rechten Populismus endlich einen linken entgegen!" und meint damit den "Mut, in Gegensätzen zu denken" und das Gefühl in der Politik zurückzuerobern, mit dem die europäischen Rechtsparteien einen Erfolg nach dem anderen einstreifen.

Theorie und Politik

Das klingt ganz einleuchtend. Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich aber leicht. Die Linke sollte lieber zweimal überlegen, bevor sie auf den populistischen Zug aufspringt, denn sie untergräbt damit ihre eigenen Ziele.

Die populismusaffine Linke bezieht sich auf den politischen Theoretiker Ernesto Laclau. Der gebürtige Argentinier, der im britischen Essex lehrte, ist 2014 verstorben. Seine Witwe Chantal Mouffe tourt mittlerweile durch Europa und macht Werbung für Laclaus Populismustheorie als strategisches Werkzeug für die Linke. Beispiele, wo dieser Transfer von der Theorie in die Politik funktioniert hat, gibt es bereits. In Spanien hat es die 2014 gegründete linkspopulistische Podemos auf Anhieb zur drittstärksten Partei geschafft. Ihre führenden Köpfe nennen Laclaus Ideen als Inspirationsquelle. In Griechenland stellt Syriza sogar den Ministerpräsidenten. In ihren Reihen finden sich mehrere Essex-Absolventen.

Das Geheimnis des Erfolgs hat Chantal Mouffe gemeinsam mit Podemos-Wahlkampfleiter Íñigo Errejón in ihrem 2015 veröffentlichten Buch treffend betitelt: "Construir pueblo". Frei übersetzt heißt das "ein Volk herstellen". Was Populismus im Kern ausmacht, ist mehr als die Infragestellung der etablierten Politik. Es geht darum, eine Identität zu konstruieren, ein neues Wir zu schaffen, das nicht nur eine lose Allianz unzufriedener Bürger und Bürgerinnen ist, sondern ein einheitliches kollektives Subjekt - ein "Volk". Dass die Rechtspopulisten dies schon vollzogen haben, zeigt sich in ihrer Sprache. So posaunt Heinz-Christian Strache auf Facebook, er müsse nicht so sein, wie "die anderen Parteien" es gerne hätten, sondern wie "sein Volk" es von ihm verlange. Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD im Thüringer Landtag, beruft sich gar auf ein unhintergehbares "Volksempfinden", von dem sich Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik entfernt habe.

An den Beispielen kann gut nachvollzogen werden, wie Populismus seine Anhängerschaft mobilisiert: Es wird ein Teil der Gesellschaft identifiziert, der den gegenwärtigen unhaltbaren Zustand verschuldet hat und daher nicht Teil des "Volkes" sein kann. Der andere Teil ist auf der "guten Seite". So entsteht eine gemeinsame Identität all derer, die nicht gehört werden. Es ist dieses "Wir", das "wahre Volk" des Rechtspopulismus, das reibungslos funktionieren würde und harmonisch zusammenleben könnte, wenn "die anderen" nicht wären. Nicht umsonst posiert Strache bei besagtem Posting vor der Österreichflagge. Das "wahre Volk" ist gleichzeitig das ganze Volk.

Die spannungsfreie Gesellschaft gibt es natürlich nicht. Auch die FPÖ- und AfD-Wähler und Wählerinnen haben heterogene Interessen und würden untereinander in Konflikt geraten, selbst wenn sie allein im Land wären. Als politisches Erlösungsversprechen wirkt die fantasierte Einheit aber mobilisierend. Voraussetzung dafür ist nur, dass sie unerreichbar bleibt, sonst flöge der Schwindel ja schnell auf. Deswegen braucht der Populismus seine Feinde. Diese erklären, warum sich die homogene, konfliktfreie Gemeinschaft noch nicht realisiert hat: Das "Volk" kann eben nicht zur Entfaltung kommen, weil seine Feinde in Gestalt der "Willkommenskultur", der "Lügenpresse" und der "Asylanten" das verhindern.

Dasselbe Spiel von links

Folgt man dem Populismustheoretiker Ernesto Laclau, müsste sich das ganze Spiel auch von links betreiben lassen. Stellen wir uns also die spiegelverkehrte Konstellation vor: die "Feinde" wären dann die Börsenspekulanten, die Immobilienhaie oder die politischen Machtcliquen, gegen die Podemos-Chef Pablo Iglesias in Spa-nien als "die Kaste" wettert. Im Kontrast dazu nimmt ein "authentischer Kern" des Volkes Gestalt an, der solidarisch und umverteilungswillig ist. Das klingt doch, als wären das die "richtigen" Feindbilder, als würde diese Spaltung progressive Politik ermöglichen. Tatsächlich schweißt die Zuspitzung das Protestlager zusammen, gibt ihm ein Gefühl gemeinsamer Identität und macht es handlungsfähig.

Nur wofür eigentlich? Spätestens wenn es eine linkspopulistische Partei in die Regierung schafft, zeigen sich die Widersprüche im homogenen Kollektiv. Was war jetzt eigentlich noch mal genau links? Die Steigerung der Sozialausgaben oder das bedingungslose Grundeinkommen? Der sozial-ökologische Umbau oder die Neuauflage keynesianischer Wirtschaftspolitik?

Interne Differenzen sind in einem populistischen Projekt allerdings nicht vorgesehen. Denn wenn Populisten untereinander zu debattieren beginnen, wenn sie ihre interne Pluralität nach außen kehren, dann verspielen sie alles, was sie mit ihrer populistischen Rhetorik vorher gewonnen haben. "Mit ganzer Kraft gegen die anderen" funktioniert nur, solange das "Wir" einheitlich bleibt.

Das ganze Gerede vom Volk - auch wenn es im deutschsprachigen linken Kontext vielleicht anders genannt würde - hat nur einen Sinn, wenn dieses als massiver Einheitsblock inszeniert wird, der nur einen unhintergehbaren Volkswillen hat. Den kann dann auch nur eine geschlossene Formation vertreten. "Das Volk" lässt sich nicht auseinanderdividieren. Deshalb setzt Podemos-Vorsitzender Iglesias nach internen Querelen Organisationssekretär Sergio Pascual kurzerhand wegen "parteischädigender" Amtsführung ab und schreibt in einem Brief an die Anhängerschaft, die oligarchischen Sektoren versuchten, "die Einheit und die Schönheit unseres politischen Projekts" mit der Behauptung zu schwächen, es gäbe innerhalb der Partei unterschiedliche Richtungen. Man dürfe daher den Gegnern nicht in die Hände spielen, schließlich sei die "Schönheit", die Podemos von den anderen Parteien unterscheide, die gegenseitige Liebe.

Wenn das politische Panorama in zwei homogen vorgestellte Gruppen gespalten wird, wird es schwierig, Zugehörigkeit zum "popularen Lager" zu postulieren und zugleich Kritik an diesem zu üben. Identität und Pluralität sind letztlich unvereinbar.

Ernesto Laclau selbst erklärt die Anziehungskraft des Populismus psychoanalytisch: Im frühkindlichen Erleben wird die Mutter nicht als eigenständiges Individuum wahrgenommen, die Beziehung zu ihr ist eine symbiotische, widerspruchsfreie. Auf den im Subjekt angelegten Wunsch nach Rückkehr in diesen vollkommenen Zustand antwortet populistische Politik. Sie bietet die Illu- sion eines ungeteilten Gemeinschaftssubjekts, das als Ersatz für die verlorene "Vollständigkeit" libidinös besetzt werden kann.

Erklärt man linke Politik zur Projektionsfläche, die das Begehren nach vollkommener Identität zu bedienen habe, reduziert man sie aber auf eine psychologische Funktion. Dann büßt sie ihren emanzipatorischen Anspruch ein. Schließlich meint Emanzipation nicht nur Befreiung von äußeren Unterdrückungsverhältnissen, sondern in einem aufklärerischen Sinn auch Ermächtigung gegenüber den eigenen regressiven Impulsen.

Restaurative Züge

Wird hingegen kein einheitliches Wir geschaffen, bleibt die Identität der linken Bewegung unsicher, ihre Politik muss ständig ausdiskutiert werden. Zu diskutieren gäbe es aber ohnehin genug, was durch die populistische Personalisierung von Herrschaftsverhältnissen in den Hintergrund gerät. Selbst wenn ein "Oligarch" wie Red-Bull-Milliardär Dietrich Mateschitz sein Geld an alle verschenken und verschwinden würde, käme schließlich bald der nächste nach. Soziale Ungleichheit mit der Bedrohung des guten Volkes durch mächtige Personengruppen zu erklären, lenkt von strukturellen Dynamiken ab.

Hier rächt sich die implizite Rückwärtsgewandtheit der populistischen Rhetorik. Wenn Populisten wie der griechische Premier Alexis Tsipras ständig die "Würde" des Volkes als Ziel ihres politischen Handelns nennen, ist das eine Zukunftsvision, der die Vorstellung von etwas Verlorengegangenem anhaftet: das griechische Volk, als es noch ein "stolzes" Volk war. Die politische Zielsetzung wird an eine Art "Goldenes Zeitalter" gekoppelt. Der mythische Rückbezug liefert politische Legitimität.

Gleichzeitig wird Populismus damit auch irgendwie ein restauratives Projekt mit der Aufgabe, die gute alte Zeit wiederherzustellen. Damit verbaut sich die Linke den Sprung in eine wirklich neue Logik. Gerade die braucht es aber in gesellschaftlichen Umbruchzeiten, in denen ein emanzipatorischer Zukunftsentwurf gefragt ist.

Bernadette Goldberger ist Dissertantin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und forscht u.a. über Populismus.