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Der Geist der digitalen Utopie

Von Barbara Eder

Reflexionen

Seit 1984 findet der Jahreskongress des "Chaos Computer Clubs" (CCC) zwischen Weihnachten und Silvester statt. Dieses Mal wurden Technik-Konzepte vorgestellt, die möglichst für alle funktionieren sollen.


Die Rakete "Fairydust", das Wahrzeichen des Kongresses.
© Eder

Gedimmtes Licht in der Hacker-Halle des Hamburger Congress Centrums (HCC), zeitweise blinkt und funkelt es. Technikbegeisterte Menschen, die sich in Assemblies - losen Zusammenschlüssen von Gleichgesinnten - organisieren, treffen hier aufeinander. Sie sind gut vernetzt, egal ob on- oder offline. Als Betreiber und Betreiberinnen unterschiedlicher Hackspaces im deutschsprachigen Raum haben sie Erfahrung mit Technikvermittlung, veranstalten regelmäßig Workshops, beschäftigen sich mit Fragen des Datenschutzes oder offenen Betriebssystemen.

Oft handelt es sich bei ihren Initiativen um lokale Inseln im institutionalisierten Wissenstransfer, kleine, unabhängige Plattformen mit technischer Infrastruktur zum Austausch von Ideen, Informationen und Ressourcen.

Auf dem alljährlichen Hamburger Kongress des "Chaos Computer Clubs" (CCC) stellen viele ihre Projekte einer breiteren Öffentlichkeit vor. Nicht immer geht es dabei um Effizienz, um die neuesten Features oder die schrägsten Hacks; was ebenso zählt, ist Spaß am Gerät oder einfach nur die Lust, den Spieltrieb gemeinsam auszuleben. Durch Halle 1 rollt ein motorisierter Router: die computergesteuerte Stickmaschine für "Nährdinen und Nährds" aus der Werkstatt der Karlsruher CCC-Dependance "Entropia e.V." wurde eben erst in Betrieb genommen, und auch das vor drei Jahren errichtete Kongress-Rohrpost-System namens "Seidenstraße" scheint noch bestens zu funktionieren.

In Kontakt treten

Ob formell, ob informell, ob zwischen Maschinen oder Menschen: Kommunikation wird bei jeder Tagung des CCC groß geschrieben. Wer mit anderen in Kontakt treten will, kann dies auf viele Arten tun. Selbst auf den Unisex-Toiletten, die von einem anonymen User in Cyber-Sex-Toiletten umbenannt wurden, funktionierte das WLAN ohne Unterbrechung, im Gebäude sorgte ein GSM-Netz für die vermehrte Präsenz von Empfangsgeräten, die schon seit längerer Zeit vom Markt verschwunden sein dürften. Die mehr als 1500 "Engel", die den Kongress als Volunteers am Laufen hielten, haben SIM-Karten für die DECT-Telefone verteilt.

Was funktioniert, muss nicht unbedingt neu sein - darüber herrscht im CCC weitgehend Konsens; aber wichtiger wäre es, aufzuzeigen, was alles nicht oder nicht mehr funktioniert und welche gesellschaftlichen Konsequenzen dies hat. Demgemäß lautete das Motto des diesjährigen Kongresses, der Ende Dezember in Hamburg stattfand, auch "Works for Me". Aufgegriffen wurde damit eine Phrase aus dem IT-Bereich, die immer dann zu hören ist, wenn man selbst ein Problem nicht lösen kann oder es bagatellisieren will. "Funktioniert doch, oder nicht?" ist die Antwort, die die verzweifelten User hinter den Endgeräten dann zu hören bekommen.

Für den CCC hat sich das Pro-blem des Funktionierens niemals nur in technischen Belangen gestellt. Im Call for Papers für die viertägige Veranstaltung wurden potenzielle Adressaten dazu aufgefordert, aus ihrer Isolation herauszutreten. Strategien gegen die seit der NSA-Affäre immer realer werdende Dystopie eines Orwell’schen Überwachungsstaates können nur kollektiv entwickelt werden. "Let’s make it work / For us!" ist demgemäß auch der Appell, mit dem die Veranstalter allfälligen Tendenzen zu Vereinzelung und Individualisierung begegnen. Mit ihrer Vision von einem emanzipativen Technikgebrauch für alle knüpfen sie an eine der Ideen der Gründerväter des CCC an: "Let’s break this vicious circle. Let’s get together and live our utopia."

Im Vorfeld wurde viel dafür getan, dass "es" für "uns" funktionieren konnte. Zum ersten Mal in der dreiunddreißigjährigen Geschichte der Kongresse konnten sämtliche Vorträge in den zwei größten Sälen des Kongresszen-trums mit Untertiteln ausgestattet werden, ein auf GitHub gehostetes "Engel"-System sorgte für die Koordination der Volunteers und sogar nach Gebärdensprachdolmetschern wurde im Netz händeringend gesucht.

Vier Tage lang erlebten die 12.000 Besucher des "33c3" (= 33. Kongress des CCC), der schon nach drei Terminen für den Online-Ticketverkauf restlos ausverkauft war, einen Zugriff auf Technik im Geiste Wau Hollands und Steffen Wernérys. Diese gründeten 1981 den CCC in den Räumlichkeiten der Berliner "taz".

Spektakuläre Aktionen

Dazumal herrschte ein Technikverständnis vor, das in einer Gleichsetzung von Rechner und Rasterfahndung kulminierte. Modems, die über einen Modulator mit dem Telefon verbunden werden mussten, hatten eine Übertragungsgeschwindigkeit von läppischen 300 Bits pro Sekunde, und die ersten Heimcomputer waren kaum erschwinglich.

Drei Jahre nach seiner Gründung übersiedelte der CCC nach Hamburg und machte von dort aus durch einen spektakulären Hack auf sich aufmerksam. 1983 loggten sich Wau Holland und seine Freunde über das Telefonsystem in das Fernmeldesystem der deutschen Bundespost ein und gaben auf BTX - einem Kürzel für den ersten, interaktiven Online-Dienst - vor, ein Kreditinstitut zu sein. Auf ihrer Seite war ein Trickfilm zu sehen, der bei jedem Abspielen 9,90 DM auf das Konto der Hacker transferierte. Das animierte Motiv ist heute legendär: das zum Totenkopf mutierte Post-Logo gilt als bekanntestes aller CCC-Symbole.

Kurz vor Kongressbeginn wurde die schwarze Fahne mit Posthörnchen-Skalp erneut gehisst. Der auf der obersten Etage des Congress Centers angebrachte CCC-Schriftzug und die dreifüßige Rakete "Fairydust", die am Platz davor aufgestellt wurde, signalisierten, dass die Landnahme gelungen war. Das Kongress-Programm bestand aus einer bewährten Mischung: Technisch hochversierte Vorträge zu IT-Security und Hardware-Engineering deckten weite Teile ab, gefolgt von Lectures zur Ethik und Politik des Datenraumes und einer inhaltlich breit angelegten Kultur- und Unterhaltungsschiene.

Teilzeit-Freibeuter

Der ideale Kongress-Teilnehmer zeichnet sich dadurch aus, dass er technisches und/oder naturwissenschaftliches Wissen mit politischen Ansprüchen und dem Geist der digitalen Utopie verbindet; nicht wenige sind Teilzeit-Freibeuter, die tagsüber in der IT-Branche arbeiten und nachts als Daten-Dandys durch die Netze ziehen, darunter auch lichtscheue Geschöpfe mit einer Vorliebe für Boolsche Algebra, Kryptografie oder einem Faible für Netzwerkarchitekturen.

Ihre Kritik am Kongress entzündet sich zumeist daran, dass nicht das gesamte Programm mit technischen Themen abgedeckt wird; mit Informationen zum Hacken von Amazon-Dash-Buttons und HDMI-Schnittstellen, Clouds und serverlosen Architekturen wurden sie beim 33c3 ebenso großzügig versorgt wie mit jenen zu den verwundbaren Stellen in Nintendos und elektronischen Wahlmaschinen.

Auch die Polit-Fraktion des Hackerwesens war in diesem Jahr stark vertreten. Linus Neumann, Sprecher des CCC, warnte unmittelbar nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz vor der Ausweitung der Videoüberwachung auf Straßen und Plätze. In Verbindung mit Software zur Gesichtserkennung könnten Behörden eruieren, wer sich wann wo aufhalte und mit wem in Verbindung stehe. In Konsequenz daraus ergäbe sich ein weiträumiges System der öffentlichen Überwachung.

Welche personenbezogenen Daten von staatlichen Institutionen schon jetzt gespeichert werden, legte Arne Semsrott vom Internet-Portal FragDenStaat.de offen, das sich dafür einsetzt, vom dahingehenden Recht auf Informa-tion Gebrauch zu machen. Tipps zum Stellen von Anträgen zur Auskunft über und Löschung von persönlichen Informationen in polizeilichen Datenbanken gab der Berliner Rechtsanwalt Ulrich Kerner. Wichtig sei dies nicht nur, weil auch Ermittler Fehler machen und Fehlzuordnungen passieren; oft würden auch Vermerke gemacht, die selbst im Fall eines strafrechtlich relevanten Tatbestands nicht gegen eine Person verwendet werden dürften.

Seit seiner Gründung beruft sich der CCC auf das Recht auf Informationsfreiheit und hat seine Grundsätze im Rahmen einer "Hacker-Ethik" formuliert. Demgemäß sollen private Daten geschützt, öffentliche hingegen genützt werden. Die oft unhinterfragte Preisgabe Letzterer via Instant-Messaging-Diensten und Social Media lässt diese Unterscheidung fragwürdig werden, weshalb Strategien präsentiert wurden, wie man das Internet neutral machen könnte.

Spuren lesen im Netz

In "SpiegelMining - Reverse Engineering von Spiegel-Online" ging Daniel Kiesel einen Schritt weiter und zeigte auf, was allein aus Metadaten herausgelesen werden kann. Mittels statistischer Auswertung konnte er anhand der innerhalb von drei Jahren auf "Spiegel Online" veröffentlichten Artikel nicht nur herausfinden, welcher Redakteur wann was publiziert, sondern auch mit wem dieser seinen Urlaub verbringt; anhand dessen, ob die Kommentarfunktion am Ende eines Artikels aktiviert oder deaktiviert wurde, schloss er darauf, über welche Themen unzensiert gesprochen werden dürfe.

Kurt Opsahl, stellvertretender Direktor der US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF), plädierte dafür, von der Tech-Industrie unabhängige Verschlüsselungsmethoden zu entwickeln; nach dem Vortrag von André Meister und Anna Biselli über die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses wurde CCC-Ehrenmitglied Edward Snowden per Videoschaltung begrüßt. Er kritisierte den Aufbau nationaler Überwachungsapparate zum vermeintlichen Schutz der Bürger/innen und insistierte darauf, dass es dabei nicht um Sicherheit, sondern um Macht gehe.

Neu war beim diesjährigen CCC-Kongress der mit Referenten der Europäischen Weltraumorganisation und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt prominent besetzte Space-Track. Mit Vorträgen zum aktuellen Stand der Weltraumforschung wagt sich "Fairydust" in andere Sphären vor. Sie wird es nötig haben: mit Jahresbeginn wird das Hamburger Congress Centrum saniert; der nächste Aufenthaltsort der bauchigen Rakete ist ungewiss.

Barbara Eder, geboren 1981, ist freie Journalistin und Autorin. Sie beschäftigt sich u.a. mit offenen Betriebssystemen, Webapplikationen und Programmiersprachen.