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Leere, Weite und Licht

Von Bernhard Widder

Reflexionen

Die Malerin Georgia O’Keeffe, deren Werke derzeit in Wien zu sehen sind, lebte lange in New Mexico. Ihre Kunst spiegelt diese archaische Landschaft in unterschiedlichen Formen.


Seit den 1920er Jahren war der Name der 1887 in Wisconsin geborenen Malerin Georgia O’Keeffe in den USA bekannt - anfänglich vor allem in New York. Nach den ersten größeren Ausstellungen in Chicago (1943) und im Museum of Modern Art in New York (1946) wurde sie vollends zu einer Ikone der modernen amerikanischen Malerei stilisiert.

Diese vorerst auf die USA, eventuell noch auf Kanada und Mexiko beschränkte Anerkennung und Wahrnehmung als moderne Künstlerin geschah, als Georgia O’Keeffe fast sechzig Jahre alt war. 1946 war sie die erste Frau, die mit einer eigenen Retrospektive im New Yorker "MoMA" vertreten war. Im selben Jahr starb ihr Mann, der Fotograf Alfred Stieglitz (geboren 1864), mit dem sie seit 1924 verheiratet war.

1949 verließ sie die Stadt New York und ließ sich im nördlichen Hochland von New Mexico nieder, in dem kleinen Ort Abquiu am Chama-Fluss. Dort verbrachte sie eine lange Zeit, und lebte ihre letzten beiden Jahre in der nahe gelegenen Hauptstadt Santa Fe, wo sie 1986 im Alter von 98 Jahren starb.

Das "Museum of New Mexico" in Santa Fe, das seit 1917 in dem Lehmbau eines vormaligen spanisch-mexikanischen Franziskanerklosters untergebracht ist, hatte bereits zu Lebzeiten O’Keeffes eine Dauerausstellung durch ihr gesamtes Schaffen eingerichtet. Nach ihrem Tod wurde eine Stiftung begründet, und nach dem Jahr 2000 ihrem Werk in Santa Fe ein eigenes Museum gewidmet, wieder in einem Gebäude aus Lehm (spanisch Adobe). Und das vielleicht aus gutem Grund, denn diese Bauform mit ihrer Tendenz zu kubischen, geometrischen, abstrakt wirkenden Gebäuden ist in das gesamte Spätwerk O’Keeffes wie eine Grundierung eingedrungen.

Fremd in Europa

In Europa wurde Georgia O’Keeffes Werk nur zögerlich wahrgenommen, Publikationen erschienen erst nach ihrem Tod, und Ausstellungen mit ihren Werken gab es kaum, auch finden sich in europäischen Museen und Sammlungen nur wenige ihrer Werke. Insofern ist die jetzige Ausstellung im Kunstforum Wien eine besondere Entdeckung, die nach London und Wien nur noch eine weitere Station in Toronto, Kanada, erleben wird.

Man kann nach den Gründen fragen, warum die frühe amerikanische Kunst der Moderne, einschließlich der pionierhaften künstlerischen Fotografie, in manchen europäischen Ländern, wie auch Österreich, so wenig gezeigt wurde. Das mag damit zusammenhängen, dass seit den späten 1960er Jahren der Einfluss der Pop Art übergroß wurde, samt der visuellen Präsenz einiger ihrer Vertreter, die wiederum eine breitere Kunstrichtung auf wenige griffige Namen reduziert.

Mit der Fotografie als eigenständiger künstlerischer Disziplin haben Leben und Werk von Georgia O’Keffe erstaunlich viele Verbindungen: sowohl durch ihre lange Beziehung und Ehe mit Alfred Stieglitz wie auch durch die Freundschaften mit anderen Künstlern, die zu den Pionieren der modernen Fotografie zählen, so Paul Strand und Charles Sheeler, der auch als Maler der "Neuen Sachlichkeit" tätig war. Ein weiterer Pionier der Fotografie, mit dem O’Keeffe befreundet war, ist der jüngere Kalifornier Ansel Adams (dem übrigens vor zehn Jahren die erste Retrospektive in Wien gewidmet war).

Stieglitz hatte seine erste Galerie ("291") im Jahr 1905 in New York gegründet, wirkte als Foto-Pionier und Förderer moderner Kunst. 1908 sah Georgia O’Keeffe mit 21 Jahren erstmals Aktzeichnungen von Auguste Rodin in dieser Galerie. In den ersten Jahren hatte Stieglitz sich der europäischen Moderne verschrieben, doch nach dem Ersten Weltkrieg konzentrierte er seine Tätigkeit auf die Förderung einer eigenständigen amerikanischen Moderne. Zu Stieglitz’ Kreis zählten die Maler Arthur Dove, Marsden Hartley, John Marin und Charles Demuth, wobei diese Künstler alle aus dem späten 19. Jahrhundert stammten.

Abstraktion - Intuition

Um 1912 las O’Keeffe die englische Ausgabe von Wassily Kandinskys wegweisendem Buch "Über das Geistige in der Kunst", das Generationen von jungen modernen Künstlern geprägt hatte. Ihr eigenes, umfangreiches Werk sollte sich im Lauf der Jahrzehnte immer wieder zwischen den Polen Abstraktion und gegenständlicher Darstellung bewegen. Für die Künstler um Stieglitz waren auch Theorien von Henri Bergson von Bedeutung, so dessen Betonung der Intuition.

Die lange Beziehung zu Stieglitz, zur Fotografie, haben auf Georgia O’Keeffe mehrfach eingewirkt. Manche ihrer später berühmt gewordenen Bilder-Zyklen verraten einen völlig ungewöhnlichen, fotografischen Blick: entweder mit einem Makro-Objektiv gesehen, wie bei ihren umfangreichen Blumenbildern der 1930er Jahre, oder mit einem Tele-Objektiv erfasst, wie beim Zyklus der New Yorker Hochhäuser aus den 1920er Jahren.

Ein weiterer Grund für ihre wachsende Bekanntheit war der Umstand, dass Alfred Stieglitz sie von 1917 bis 1937 in vielen fotografischen Zyklen als "Fotomodell" einsetzte, wobei manche intime Aktbilder natürlich große Aufmerksamkeit erregten. Auch die anderen Fotografen des Kreises um Stieglitz porträtierten sie immer wieder, weshalb manche Biografen davon sprachen, dass Georgia O’Keeffe schon eine der meistfotografierten Frauen ihrer Zeit gewesen war, bevor sie als Malerin größere Aufmerksamkeit erhielt.

Der karge Westen

Zum Westen und Südwesten des amerikanischen Kontinents hatte O’Keeffe seit ihrer Jugend ein besonderes Verhältnis. 1912 bis 1914 unterrichtete sie in Amarillo, Texas, in einer kargen, wüstenhaften und einsamen Landschaft, deren Leere, endlose Weite und Licht sie beeindruckte.

Damals entstanden Aquarelle, die das natürliche Licht zum Thema haben. 1917 kam sie während einer Reise nach Colorado (dem höchst gelegenen Bundesstaat der USA) durch das Hochland von New Mexico und war von dieser Landschaft fasziniert. Ab 1929 verbrachte sie immer wieder die Sommermonate am Hochplateau von New Mexico, zwischen den Siedlungen von Taos beim Oberlauf des Rio Grande, und dem westlichen Tal des Rio Chama, wo sie jahrzehntelang zwischen der Feriensiedlung "Ghost Ranch" und dem alten Dorf Abiquiu pendelte.

1945 kaufte sie ein verfallenes altes Adobe-Gebäude, renovierte es, und übersiedelte 1949 endgültig dorthin. Ihr gesamtes, sich über 35 Jahre erstreckendes Spätwerk widmet sich der Darstellung der außergewöhnlichen Landschaft und den alten indigenen Kulturen dieses Teils von New Mexico. Geologisch ist das Gebiet äußerst vielfältig, es wird von einigen Gebirgsmassiven begrenzt, die zu den höchsten Bergen der Rocky Mountains zählen, so die östliche Kette der "Sangre de Cristo", die sich über hunderte Kilometer bis weit ins nördlich gelegene Colorado erstreckt.

Südlich ihres Wohnortes Abiquiu (dessen Name indianischer Herkunft ist und "Äbikju" gesprochen wird, mit Betonung der ersten Silbe) erstreckt sich ein vulkanisches Gebiet, das einen der größten Einzelvulkane der Erde umfasst, dessen vormalige Teile in einige Gebirgsketten umgeschichtet worden waren. Verschiedenste Gesteinsformationen (Basalte, Granite, etc) befinden sich in der Nähe ihres Hauses in schroffen Gegensätzen zwischen wüstenhaften Tälern, dichten Nadelwäldern und Gebirgsflüssen.

Neben den natürlichen Vorbildern, die sie zwischen Abstraktionen in reiner klarer Farbe (um dem besonderen Licht des "Big Sky Country" nahzukommen) und ihrem eigenen Realismus malerisch löst, spielt die Bauform der Adobe-Tradition eine besondere Rolle in ihrem Werk.

Hochlandlicht

Schon seit dem späten 19. Jahrhundert, als New Mexico einer der jüngsten und größten US-Bundesstaaten wurde, hatten das besondere, raue Klima und das Hochlandlicht Künstler in die Nähe von Taos gezogen. Die Fotopioniere Sieglitz und Strand folgten später, und einige der bedeutenden alten Missionskirchen wurden immer wieder von Fotografen und Malern porträtiert. So die als Bauwerk bekannte Kirche "San Francisco de Asís" in Ranchos de Taos, die auch mehrfach ein Bildthema für O’Keeffe war. Die derzeitige Retrospektive im Kunstforum vergleicht die Malerei mit bedeutenden Schwarz-Weiß-Fotos aus derselben Zeit, so Ansel Adams’ berühmtes Foto "Mondaufgang über Hernandez, 1941".

Im Herbst 1985 besuchte ich das Kunstmuseum von New Mexico in Santa Fe zum ersten Mal, sah die damalige Ausstellung über Georgia O’Keeffes Leben und Werk. Über ihr hohes Alter wurde gerätselt - und darüber, ob sie noch am Leben wäre. Sie wurde wie eine mythische Figur betrachtet.

In ihrem Wohnort Abiquiu wiederum verhält sich alles anders. Dort gab es im Sommer 2003 so gut wie keinen Hinweis auf die berühmte Bürgerin, deren verschachteltes Adobe-Anwesen mit Garten sich gegenüber der alten Kirche Santo Tomás (18. Jahrhundert) befindet. Bei mehreren Besuchen war das Wohnhaus und Atelier nie zu betreten. An einem hölzernen Pfosten war ein Zettel mit einer Telefonnummer befestigt, mehr war nicht zu erfahren.

Einmal betrat ich das kleine Postamt von Abuiqiu, das unterhalb der Kirche gelegen ist. Dort erstand ich damals neue Briefmarken mit einem der leuchtend roten Blumenmotive von Georgia O’Keeffe aus den 1930er Jahren.

Die Ausstellung "Georgia O’Keeffe" im Kunstforum Wien ist noch bis 26. 3. 2017 zu sehen. Siehe: www.kunstforumwien.at

Bernhard Widder, geboren 1955, lebt als Schriftsteller, Lyriker, Essayist, Übersetzer und Architekt in Wien.