Dass jüdische Unternehmer "die brutalsten Ausbeuter" gewesen wären, wie Antisemiten häufig behaupten, ist - so formuliert es Gaugusch wörtlich - "eine äußerst bösartige und gemeine Unterstellung". Bei seinen genealogischen Forschungen gewann er den Eindruck, dass es in den Unternehmen, die von Juden gegründet und geführt wurden, relativ selten zu Arbeitskämpfen kam. "In den Geschäftsberichten findet man oft Sätze wie: ,Wir sind stolz darauf, dass in den letzten sechs Jahrzehnten nicht gestreikt wurde. Es gab in diesen Unternehmen auch besonders viele Sozialeinrichtungen für Arbeiter."
Das hatte auch unsere Recherche über die Familie Jolesch ergeben. Als Julius Jolesch im Jahr 1894 für Isidor Mautner in der Nähe von Rosenberg (ungarisch Rozsahegy, slowakisch Ruzomberok) am Rande eines Flusses eine riesige Textilfabrik errichtete, wurden Arbeiterhäuser und Schlafsäle errichtet, außerdem eine Bäckerei, eine Fleischerei, eine Selcherei, ein Konsumverein und eine Arbeiterküche. Hierbei ist es allerdings schwierig, die Grenze zwischen edler Gesinnung und wirtschaftlicher Notwendigkeit zu ziehen. Wenn ein Unternehmer eine Fabrik auf die grüne Wiese stellt, kommt er nicht umhin, für die Arbeiter auch eine Werkssiedlung samt Infrastruktur zu errichten.
Handfestere Hinweise auf das soziale Handeln jüdischer Unternehmer finden sich in "Wer einmal war", und zwar in großer Zahl. Als Beispiel soll hier Leopold Popper dienen. Er war zwischen 1860 und 1886 der bedeutendste Holzindustrielle Österreichs und Ungarns, lieferte sogar Holz für den Bau des Suezkanals.
In einem ministeriellen Antrag für eine Ordensverleihung ist von seiner "philantropischen und humanitären Gesinnung" die Rede. "Namhafte und zahlreiche Beträge spendete er für Schulzwecke, für Verunglückte und zur Unterstützung der hinterbliebenen Familien der gelegentlich der Okkupation Bosniens gefallenen Krieger, ferner zum Aufbau eines Armee-Hauses in Trencsin-Teplitz (heute Trenčianske Teplice in der Westslowakei) und zur Förderung des Industrie-Fachunterrichts. . ."
Außerdem war ihm die Benachteiligung der Mädchen im Schulsystem ein Dorn im Auge. "Zur Dotation der Trencsiner höheren Staatsschule für erwachsene Töchter leistete er jährlich einen bedeutenden Beitrag." Der Holzindustrielle und Großgrundbesitzer bekam die für ihn beantragten Orden, wurde schließlich in den Adelsstand erhoben und war fortan Leopold Freiherr Popper von Podrághy.
Für Georg Gaugusch sind derartige Hinweise weder Zufall noch Lobhudelei. "Wer eine Nobilitierung anstrebte, musste an Hand konkreter Beispiele ein soziales Engagement nachweisen, sonst wurde der Antrag abgelehnt. Unbescholten zu sein und ein wirtschaftlicher Erfolg reichten nicht aus."
Derartige Spenden kamen einem Staatsapparat gelegen, der für die Arbeiter und für die Armen recht wenig tat. Zu Beginn der Industrialisierung und auch noch einige Jahrzehnte darüber hinaus gab es keine Sozialversicherung. Erst als es vermehrt zu Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten kam, wurde 1887 eine Unfallversicherung geschaffen: Nur für Personen, die unmittelbar mit Maschinen zu tun hatten, wurde eine Verletztenrente und eine Hinterbliebenenrente auf die Beine gestellt. Die wenig später beschlossene Krankenversicherung galt nur für industrielle und gewerbliche Arbeiter und Angestellte, nicht für Landarbeiter.
Arbeit am dritten Band
Alle Unternehmer, nicht nur die jüdischen, hatten jahrzehntelang von einer 66-Stunden-Woche profitiert - elf Stunden Arbeit pro Tag bei nur einem freien Tag pro Woche - und von steuerlichen Rahmenbedingungen, die Unternehmergewinne praktisch ungeschoren ließen. Wer aus dieser Position heraus in einem besonderen Maße Gutes tat, der wird zurecht posthum vor den Vorhang gebeten.
Gaugusch arbeitet zurzeit am dritten und letzten Band von "Wer einmal war". "Ich hoffe, dass ich 2020 fertig bin. Im dritten Band wird es auch ein Namensregister geben und Nachträge zu den ersten zwei Bänden, auch die Familie Jolesch wird im dritten Band zu finden sein."
Das komplette Werk wird rund 4500 Seiten umfassen. Die nach genealogischem Prinzip zusammengefassten Stammbäume mit Geburts- und Sterbedaten sind für Laien nicht leicht zu lesen, aber mit etwas Übung ist es zu schaffen. Außerdem gibt es kurze einleitende Familiengeschichten mit Auszügen aus Nachrufen und Zeitungsberichten. Die Arbeit des Genealogen ist ein sorgfältig zusammengestelltes und äußerst wichtiges Basismaterial für weitere Forschungen.