Zum Hauptinhalt springen

Waffe gegen Unvernunft

Von Piotr Dobrowolski

Reflexionen

Wenn Wissenschaft sich selbst parodiert, ist sie besonders mächtig: Sie enthüllt die Logik im Denken von Wutbürgern, Mainstream-Verweigerern und Fans alternativer Wahrheiten. - Ein Essay über den wissenschaftlichen Witz.


Das berühmte Foto von Albert Einstein, als er anlässlich seines 72. Geburtstages (am 14. Mai 1951) dem Fotografen die Zunge zeigte. 
© Bettmann/gettyimages

Die Aufregung war groß: Dihydrogenmonoxid im Babybrei! Sollten Kleinkinder nicht endlich ein Recht auf unmanipulierte Nahrung bekommen?

Seit gut dreißig Jahren hält der Protest gegen Dihydrogenmonoxid an. Jedes Mal, wenn Aktivisten ausrücken, um gegen die Substanz zu protestieren, kehren sie mit Listen voller Unterschriften zurück. Doch umsonst: Dihydrogenmonoxid aus der Lebensmittelproduktion zu verbannen, ist unmöglich. Denn Dihydrogenmonoxid bedeutet in der Sprache der Chemie nichts anderes als: Wasser.

Es war ursprünglich ein klassischer Pausengag, den sich Studenten der University of California ausdachten, als sie Ende der neunziger Jahre Flugblätter gegen Dihydrogenmonoxid verteilten und ein Verbot der Substanz forderten. Schlimmes wussten sie in ihren Flyern zu berichten: Dihydrogenmonoxid sei Bestandteil des sauren Regens, in Überdosis genossen führe es zum Tod. Und: Es sei so potent, dass es selbst Eisen zersetze. Alles richtig. Der Ruf nach einem Verbot von Wasser ist dennoch eine Forderung, die an alarmistischer Absurdität kaum übertreffbar scheint.

Das später oft wiederholte Happening gegen Dihydrogenmonoxid wird gern als die Geburtsstunde des wissenschaftlichen Witzes bezeichnet, einer Textform zwischen Gag und Aktionismus, zwischen Aufklärung und Verhöhnung. In Wirklichkeit haben Wissenschafter ihr Tun allerdings seit jeher parodiert. Ein ganz frühes Beispiel liefern die berühmten Dunkelmännerbriefe, eine mit satirischer Absicht verbreitete Reihe gefälschter lateinischer Briefe aus dem Jahr 1515, mit der deutsche Humanisten die Scholastik ins Lächerliche zogen, die damals an den Universitäten noch weit verbreitet war.

Atombombe basteln

Auch die jüngere Geschichte ist reich an Beispielen: So gründete zum Beispiel der Atomphysiker Harry J. Lipkin 1955 zusammen mit dem Virologen Alexander Kohn das bis heute erscheinende "Journal of Irreproducible Results" (JIR), das frei erfundene, aber umso witzigere Forschungsergebnisse publiziert. Darin findet man unter anderem so spannende Dinge wie etwa Betrachtungen über den Einfluss von Erdnussbutter auf die Erdrotation. Den Ausgangspunkt für diese These bildet übrigens die Beobachtung, dass Brote immer auf die beschmierte Seite fallen . . .

In seinem Kern geht der wissenschaftliche Witz aber tiefer. Stets wendet er sich gegen Irrationalität, vor allem aber gegen den Wunsch, diese Irrationalität auch noch mit rationalen Argumenten begründen zu wollen. Er hat daher den Esoteriker, der seine vagen Ahnungen naturwissenschaftlich untermauern möchte, ebenso im Visier wie den Wutbürger, der aus Statistiken immer das herausliest, was er gern herauslesen will. Er verlacht den Gegner der Mainstream-Medien, der einer Meldung umso mehr glaubt, je unglaubwürdiger sie klingt, und er prangert den Scharlatan an, der anderen seine übernatürlichen Kräfte weismachen will.

Zugleich legt der wissenschaftliche Witz aber auch - und das ist seine besonders böse Seite - die fehlende Bildung jener offen, die auf ihn reinfallen. Dass in einem Al-Qaida-Quartier ein Exemplar des "Journal of Irreproducible Results" gefunden wurde, in dem beschrieben wird, wie man eine Atombombe preisgünstig in Heimarbeit bauen kann, fügt sich gut ins Bild. Dass sich die CIA in der Folge mit dem Journal beschäftigte, weil sie es für eine Bedrohung der nationalen Sicherheit hielt, ebenfalls.

"How To Build An Atomic Bomb In 10 Easy Steps", heißt der Text. Die Kosten für die Produktion eines Atom-Sprengsatzes beziffert er mit 5000 bis 30.000 Dollar, vermutlich genau das, was die Al-Qaida-Kämpfer lesen wollten. Dass der Artikel den Hinweis enthält, die Bombe könne nicht nur zur nationalen Verteidigung, sondern auch als cooler Partygag eingesetzt werden, war für Al Qaida offensichtlich kein Anlass, an seiner Ernsthaftigkeit zu zweifeln. Die CIA kam immerhin so weit ins Nachdenken, dass sie Fachleute beizog, die das Schriftstück schnell als eine Parodie erkannten.

Unfähigkeit zu zweifeln

Die Unfähigkeit zu zweifeln, sobald etwas den eigenen Wunschvorstellungen widerspricht, wird in der wissenschaftlichen Community zu Recht als ein gravierendes Hindernis für rationales Denken angesehen. Dass allerdings auch die Community selbst nicht davor gefeit ist, kritisches Fragen zu unterlassen, wenn eine Publikation den richtigen Ton trifft, hat die sogenannte Sokal-Affäre bewiesen - der möglicherweise folgenreichste Witz der Wissenschaftsgeschichte.

Dorthe Landschulz: "Urknall" (aus "Wissenschaftliche Cartoons", hrsg. v. C. Ettenauer, J. Bergmayr, Holzbaum Verlag, Wien 2016).

Im Sommer 1996 publizierte das von der Duke University Press herausgegebene sozialwissenschaftliche Journal "Social Text" einen langen Beitrag mit dem ebenso langen Titel: "Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity", auf deutsch: "Die Grenzen überschreiten: Auf dem Weg zu einer transformativen Hermeneutik der Quantengravitation".

Der Autor, Alan Sokal, ist eine Berühmtheit, allerdings kein Geistes- oder Sozialwissenschafter, sondern ein hochdekorierter Physiker und Mathematiker an der New York University. In seinem Beitrag für "Social Text" behauptete er, die physische Realität sei bloß ein sprachliches und soziales Konstrukt und folgerte daraus, dass es gar keine objektive Realität geben kann, sondern bestenfalls mehrere Realitäten. Auch die Erkenntnisse der Wissenschaft, schreibt er, seien daher "alles andere als objektiv".

Mit dieser These und zahlreichen Bezügen zu postmodernen Philosophen wie Jacques Derrida, Gilles Deleuze, Jacques Lacan oder Paul Virilio traf Sokal den Geist der Zeit - und noch mehr die Erwartungen seiner Herausgeber. Sie druckten den Text ab, der wie geschaffen schien, das große postmoderne Dogma vom Fehlen einer festen Realität endlich auch naturwissenschaftlich zu untermauern, noch dazu mit Bezug auf die damals gerade so schicke Quantenphysik.

DekonstruierteMathematik

Sokal gibt sich alle Mühe: Sogar die Mathematik rückt er in das Reich des Vagen, Multirealen. "Die Mainstream-Physik des Westens hat ihre Erkenntnisse seit Galileo in der Sprache der Mathematik formuliert", schreibt er und stellt dann die Frage: "Aber um wessen Mathematik handelt es sich dabei?" Um eine kapitalistische, patriarchale und militaristische, antwortet er, um am Ende des Textes die Conclusio aufzustellen: "Eine befreite Wissenschaft ist ohne eine grundlegende Revision des mathematischen Kanons nicht zu erreichen." Die Begeisterung in der Leserschaft war groß. Endlich war auch die Mathematik demaskiert, dekonstruiert und ihres pseudoobjektiven Scheins beraubt.

Die große Ernüchterung kam wenige Tage später. Da bekannte Sokal, der Text sei eine Parodie gewesen: ein bunt zusammengewürfeltes Sammelsurium aus postmodernen Zitaten, um die herum er eine physikalische Theorie aufstellte, die derart widersinnig sei, dass sie von jedem durchschnittlichen Physikstudenten als unhaltbar zu erkennen gewesen wäre. Überdies habe er auch etliche logische Fehler in seine Argumentation eingebaut, die selbst Nicht-Physiker hätten merken müssen. Ganz abgesehen davon, dass er die Zahl Pi als eine Va- riable bezeichnete. Aber auch diesen Fehler, der über das Mittelschul-Niveau nicht hinausgeht, erkannten die Herausgeber nicht.

Was Sokal mit seinem Text zeigen wollte, war die für ihn beängstigende Tatsache, dass in manchen Bereichen der Wissenschaft der Jargon mehr zählt als der Inhalt. Dass viele Herausgeber bereit sind, ein Kauderwelsch zu akzeptieren, das sie nicht verstehen, solange die These eines Artikels nur mit ihren Wertvorstellungen übereinstimmt. Der New Yorker Philosoph Paul Boghossian sprach in diesem Zusammenhang von einer "Inkompetenz, die daraus erwächst, dass ideologischen Kriterien erlaubt wird, wissenschaftliche Standards so vollständig zu verdrängen, dass nicht einmal Verständlichkeit als relevant angesehen wird".

Verständlichkeit ist ein Punkt, auf den auch Bernd Mayer vom Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Graz verweist, wenn er danach gefragt wird, wie der unbedarfte Normalbürger echte Wissenschaft von Quacksalberei, Esoterik von Medizin trennen kann. Es sei letztlich relativ simpel, meint der Professor. Um zum Beispiel medizinisch untermauertes Wissen von Pseudowissenschaft zu unterscheiden, müsse sich der Laie bloß drei Fragen stellen: ob die Hypothese verständlich formuliert ist, ob sie prinzipiell widerlegbar ist, und ob auf uraltes Wissen oder einen Guru verwiesen wird. Fallen die ersten zwei Antworten negativ aus, die dritte aber positiv, sei es sehr wahrscheinlich, dass man einer Pseudowissenschaft aufsitze. Oder einem wissenschaftlichen Witz.

Sokals Fake-Experiment ist mit den Jahren immer wieder neu adaptiert worden. Ein eindrucksvolles aktuelles Beispiel stammt aus Deutschland. Im Dezember 2015 druckte die Zeitschrift "Totalitarismus und Demokratie" einen Text mit dem Titel "Der deutsch-deutsche Schäferhund" ab, der zuvor an der TU Berlin als Vortrag bei einer Konferenz gehalten wurde. Die Kernaussage des Textes, der ganz im Duktus der gerade höchst angesagten Human Animal Studies abgefasst wurde: Das erste Opfer der Berliner Mauer war ein Polizeihund namens Rex. Und: Die Schäferhunde, die auf der DDR-Seite der Mauer patrouillierten, seien direkte Nachfahren von Schäferhunden, die einst in nazideutschen KZs Wache schoben.

"Grenzperspektive der Wildkaninchen"

Auch bei diesem Text hätte sich jeder einigermaßen kritische Gutachter fragen müssen, ob er tatsächlich ernst gemeint sein kann. Zum Beispiel an jener Stelle, an der die Autoren menschliche Lebensjahre in Hundelebensjahre umrechnen und zu der Schlussfolgerung kommen: "Die Mauer, die menschliche Familien für zwei Generationen auseinander riss, trennte die Hundepopulationen für über 20 Generationen." Doch die Gutachter schöpften keinen Verdacht und ließen den Text zur Publikation zu, neben anderen, nicht minder skurrilen, aber offenbar ernst gemeinten Beiträgen wie zum Beispiel: "Grenzperspektive der Wildkaninchen".

Fairerweise muss man allerdings sagen: Inzwischen hat fast jede kulturwissenschaftliche Disziplin ihren "Sokal" gefunden, wenn auch nicht immer derart öffentlichkeitswirksam. Unter Germanisten kursiert zum Beispiel hartnäckig die Geschichte, die möglicherweise aber selbst ein Hoax (engl. für Jux, Scherz, Schabernack, Schwindel) ist, dass es einem findigen Studenten einmal gelungen sein soll, eine literaturwissenschaftliche Diplomarbeit über Sauerkraut in der deutschen Literatur zu schreiben, deren Literaturangaben zur Gänze erfunden waren - und damit durchzukommen.

In den USA wiederum gibt es Archäologen, die offenbar allen Ernstes die historisch abgesicherte Tatsache, dass Indianer über die Beringstraße nach Amerika kamen, nur als eine Hypothese betrachten und damit als gleichwertig zum indianischen Mythos, wonach Indianer immer schon den amerikanischen Kontinent besiedelten, weil sie einst aus einer unterirdischen Geisterwelt auf die Erde krochen.

Verfechter solcher Thesen pflegen diese oft mit dem Hinweis zu verteidigen, die Wirklichkeit sei zu komplex, um sie nur auf eine Art und Weise zu beschreiben. Je nach dem Standpunkt des Betrachters ändere sich auch die betrachtete Wirklichkeit. Kritisch wird ein solcher Relativismus allerdings spätestens dort, wo er dazu dient, umstrittene politische oder auch moralische Entscheidungen zu rechtfertigen. Schon Sokal warnte davor. Damals nahm man ihn nicht allzu ernst.

Heute sitzt mit Donald Trump ein Mann an der Spitze der Supermacht USA, der ganz im Geiste des Relativismus den durch Menschen hervorgerufenen Klimawandel bestenfalls für eine Theorie unter vielen hält - und aus diesem Grund auch wenig Grund sieht, etwas gegen ihn zu unternehmen.

Ein völlig schräger Blickwinkel, der Unwahrscheinliches allein schon deshalb für richtig hält, weil es nicht in den Verdacht geraten kann, Teil des Mainstreams zu sein; die Unfähigkeit, das eigene Denken zu hinterfragen; der Glaube an alte Weisheiten, die im Dunkel schlummern und nur wenigen Auserwählten zugänglich sind - all das nimmt der wissenschaftliche Witz aufs Korn und wird so zu einer mächtigen Waffe der Aufklärung.

IntellektuelleHochstapeleien

Alan Sokal war dieser aufklärerische Impetus derart wichtig, dass er ein Jahr nach seinem Fake-Artikel in "Social Text" gemeinsam mit dem Belgier Jean Bricmont ein ganzes Buch zum Thema nachreichte. Es erschien unter dem französischen Titel "Impostures Intellectuelles" ("Intellektuelle Hochstapeleien") und wurde dann in mehrere Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche, wo es als "Eleganter Unsinn" in die Buchhandlungen kam.

Die Vorwürfe, die Sokal in diesem Text vor allem den Vertretern der Postmoderne macht, sind heftig: Sie referieren weitschweifig naturwissenschaftliche Theorien, ohne sie auch nur ansatzweise zu verstehen; sie eignen sich Fachbegriffe anderer Gebiete an, bloß um Eindruck zu schinden; sie stellen Halbbildung zur Schau, und sie verwenden bedeutungslose Schlagworte, schreiben völlig bedeutungslose Sätze.

So viel Kritik an der Wissenschaft ist natürlich nicht unproblematisch. Unter Umständen bestärkt sie gerade jene in ihrem Vorurteil, die immer schon gewusst haben, dass Wissenschafter vom wahren Leben keine Ahnung haben und bloß unnützes Gebrabbel von sich geben. Alan Sokal weist in "Eleganter Unsinn" diese Lesart allerdings entschieden zurück: "Unser Ziel ist es nicht, Geisteswissenschafter zu verspotten, sondern den Kanon der Rationalität und der intellektuellen Redlichkeit zu verteidigen, der allen wissenschaftlichen Disziplinen eigen ist (oder jedenfalls sein sollte)."

Den wissenschaftlichen Witz wollte Sokal daher nicht als eine Selbstdemontage, sondern vielmehr als ein subversives Plädoyer für die Vernunft verstanden wissen. Eine Funktion, die er bis heute erfüllt.