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"Dieses Gedicht von einem Auto"

Von Peter Jungwirth

Reflexionen

Ferrari ist mehr als eine Marke: Die (nicht ausschließlich) roten Autos und Rennwagen zählen zum kulturellen Erbe Italiens. Auf den Spuren einer Legende.


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Italien ohne Ferrari? Undenkbar. Das politische Zentrum Italiens befindet sich zwar in Rom. Der emotionale Mittelpunkt unseres Nachbarlandes aber liegt, zumindest an den Rennsonntagen, im kleinen norditalienischen Ort Maranello. Dort baut Ferrari seit den späten 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts seine legendären Autos, und die sind aufgrund ihrer außergewöhnlichen Erfolge und ihrer außerordentlichen Schönheit sehr rasch weltberühmt und zu einer Quelle des Nationalstolzes geworden. Ja, mehr noch, zu einer regelrechten Passion.<p>Scheinbar nichts weniger als Leidenschaft ist es jedenfalls, von der die Ferrari-Fans, die Ferraristi, beherrscht werden, wenn der Formel-1-Zirkus in Italien gastiert, traditionellerweise im September, beim Heimrennen in Monza.<p>Man kann nun dieses infantil wirkende Verhalten der Massen - und überhaupt das scheinbar völlig sinnentleerte Im-Kreise-Fahren - als bloßen Eskapismus abtun, als verachtenswertes Verharren auf einer Schwundstufe menschlicher Kultur, und sich, unabgelenkt von derlei Sorte von Spektakel, wieder der nötigen Verbesserung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse auf diesem Globus widmen.<p>

Nicht nur schön

Stärkster Ferrari: Das Modell 812 Superfast, mit fast 800 PS, fährt 340 km/h.
© Ferrari

<p>Man kann die roten Rennwagen und Sportwagen von Ferrari aber auch bewundernd zum großen kulturellen Erbe Italiens zählen, so wie den Schiefen Turm von Pisa, die schwarzen Gondeln Venedigs und die Opern von Verdi. Und man könnte auf die Idee kommen, dass der Zeit seines Lebens bodenständige - 1898 in Modena geborene und ebendort 1988 verstorbene - Enzo Ferrari zum Erhalt der von Garibaldi zusammengeführten Nation mehr beigetragen hat als die meisten der oft nur kurz amtierenden Premierminister Italiens.<p>Ferrari ist aber natürlich nicht alles. In Italien wird auch noch gut Fußball gespielt, Motorrad und Ski gefahren. Und es gab und gibt auch noch Kultur - man denke etwa an die weltberühmten italienischen Filmregisseure, an Fellini, Pasolini oder Rossellini (der ein enthusiastischer Ferrarifahrer war). Auch Alfa Romeo, Lancia und Maserati bauten Rennautos, die viele internationale Siege einfuhren. Und hochkalibrige Sportwagen boten und bieten zudem noch De Tomaso, Lamborghini und Pagani an.<p>Eine weitere Einschränkung: Zwölfzylindermotoren hatten und haben nicht alle Ferraris: Alberto Ascari wurde 1952 und 1953 mit einem Zweiliter-Vierzylinder-Ferrari vom Typ "500" Formel-1-Weltmeister. Und, last but not least: Es sind bei weitem nicht alle Ferraris rot oder außerordentlich schön. Es gibt, abseits der internationalen Rennstrecken, auch berühmte silberne, schwarze, weiße, blaue, gelbe und grüne Exemplare (auch ein brauner Ferrari wurde vom Autor bereits gesichtet). Und in den frühen Jahren, als Ferrari in Maranello nur die Motoren und die Fahrgestelle baute, und die in Einzelfertigung oder Kleinstserien hergestellten Karosserien von verschiedenen Firmen entworfen und zugeliefert wurden, waren einige Ferraris barock, schwülstig und manche sogar grotesk hässlich, etwa die fünf von Touring gebauten "166 Inter".<p>Wahr ist allerdings, dass Ferrari in der seit 1950 bestehenden Formel 1 nicht nur viel öfter gesiegt hat als Alfa Romeo, Lancia und Maserati zusammen, sondern auch erfolgreicher war als jeder andere Rennstall. Fünfzehn Fahrerweltmeisterschaften wurden mit dem springenden schwarzen Pferd auf gelbem Grund in der sogenannten Königsklasse des Automobilsports bisher gewonnen.<p>Fünf davon gehen auf das Konto des Deutschen Michael Schumacher, je zwei haben der Italiener Alberto Ascari und der Österreicher Niki Lauda beigesteuert, und je einen der Argentinier Juan Manuel Fangio, die Engländer Mike Hawthorn und John Surtees, der Amerikaner Phil Hill, der Südafrikaner Jody Scheckter und der Finne Kimi Räikkönen. Kein anderer Rennstall war außerdem, so wie Ferrari, in den 67 Jahren der Formel 1 in jeder Saison mit dabei.<p>Erfolgreich und bis zur Mitte der 1960er Jahre dominant war Ferrari auch bei den wichtigsten Sportwagenrennen. Bei der Mille Miglia etwa, dem berühmten und berüchtigten Straßenrennen quer durch Italien, von Brescia nach Rom und retour, gewannen Ferraris zwischen 1948 und 1957 achtmal; und in Le Mans gab es von 1949 bis 1965 neun Gesamtsiege, den letzten davon erzielte der Österreicher Jochen Rindt (gemeinsam mit Masten Gregory, USA).<p>Triumph und Tragödie lagen dabei oft nahe beieinander. In den engen, brutal heißen Cockpits der Ferraris wurde nicht nur gekämpft und gesiegt, sondern auch gelitten und gestorben. Und dies unter Anteilnahme des italienischen Volkes. Es hing während der Mille Miglia am Radio, es fieberte und litt mit dem alten und kranken Tazio Nuvolari, Italiens legendärstem Vorkriegsrennfahrer. Und es war an vorderster Front dabei, als 1957 der schleudernde Ferrari von Alfonso de Portago auf dem Rückweg nach Brescia wie eine Sense in das Spalier der Zuseher raste und ein Dutzend Menschen, darunter fünf Kinder, in den Tod riss.<p>

Enzo Ferraris Strategie

<p>Die Mille Miglia war danach zwar Geschichte, das Sterben - auch der Zuseher - ging jedoch leider weiter. 1961 starben in Monza mit Wolfgang Graf Berghe von Trips fünfzehn Menschen. Und es fanden noch viele andere Werkspiloten von Ferrari in ihren Autos den Tod, u.a. Alberto Ascari, Luigi Musso, Eugenio Castellotti, Lorenzo Bandini und Gilles Villeneuve. Und andere, wie Niki Lauda und Gerhard Berger, kamen nur knapp mit dem Leben davon.<p>Welchen Anteil hatte Enzo Ferrari an den vielen fatalen Unfällen seiner Fahrer? Und welchen die Piloten selbst? Das sind Fragen, über die, ebenfalls unter Anteilnahme der gesamten Bevölkerung, in Italien oft gestritten wurde. Nach dem Unfall von Alfonso de Portago, als dessen Ursache ein geplatzter Reifen gilt, wurde Ferrari angeklagt. Aber war es die Schuld des Rennstalls, dass de Portago die abgefahrenen Reifen nicht wechseln ließ? Oder doch eher jene des Piloten? Am Ende wurde Ferrari freigesprochen.<p>Sicher ist, dass Enzo Ferrari nicht zimperlich, sondern gnadenlos fordernd war. Und dass ihm die Motoren seiner Autos wichtiger waren als deren Fahrwerke. Ferrari hatte zwar zwölf Zylinder, aber noch Trommelbremsen, als Jaguar 1953 mit Scheibenbremsen in Le Mans gewann. Man darf dennoch annehmen, dass Enzo Ferrari, der vor dem Krieg Rennfahrer und erfolgreicher Rennleiter bei Alfa Romeo war, seine Lektionen in Strategie sehr gut gelernt hatte. Er verstand es jedenfalls, die Synergien zwischen Sport und Geschäft optimal zu nutzen. Von Beginn an gab es exklusive Straßensportwagen mit Zwölfzylindern für Privatkunden, und diese waren, unter anderem wegen der Rennerfolge, auch in den USA schon sehr bald begehrt.<p>Ein weiterer Grund für den bis heute andauernden Erfolg war, dass nach anfänglichen Missgriffen die meisten Ferraris außerordentlich attraktiv gestaltet waren. Besonderen Anteil daran hatten vor allem die stilbildenden, von Pinin Farina entworfenen Autos. Den Eindruck, den die 1954 in Paris präsentierte "Berlinetta 375 Mille Miglia" auf ihn machte, gab der entzückte Journalist John Bolster so wieder: "Dieses Gedicht von einem Auto ist nicht nur das schönste Modell der Ausstellung, sondern meiner Meinung nach die herrlichste Maschine, die jemals auf einer Automobil-Ausstellung ausgestellt wurde."<p>Dieser so lyrisch besungene Ferrari, dessen Designelemente sich noch Jahrzehnte später, als die Motoren der Topmodelle bereits hinter dem Fahrer lagen, an vielen Ferraris fanden, war ein in jeder Hinsicht besonderes Einzelstück. Pinin Farina hatte ihn für die Schauspielerin Ingrid Bergman gebaut (die damals in Italien lebte und mit Roberto Rossellini verheiratet war), und er hatte den schon aufgrund seiner Proportionen sehr anziehend wirkenden Wagen mit vielen fein gesetzten, deutlich femininen Elementen zu einer unwiderstehlichen Diva modelliert.<p>

Hoher Gewinn pro Auto

<p>1947 hatte der erste Ferrari die Werkshalle verlassen, ein eher hässliches Entlein, mit einem viel zu großen Maul, in dem sich der rechteckige Kühlergrill ausnahm wie eine Zahnspange bei einem Backfisch, und einem anfangs nur 72 PS starken Motor - der allerdings schon kräftig brüllte und mittels Kompressor bald 260 PS leistete. Nun, nur sieben Jahre später, nachdem Alberto Ascari zweimal Weltmeister geworden war und Pinin Farina diese Ikone geschaffen hatte, war Enzo Ferrari auf dem Zenit. Schönere und schnellere Autos als er baute niemand auf der Welt.<p>Und heute? Was fällt einem 2017, siebzig Jahre nach der "Geburt", zu Ferrari ein? 56.000 Euro Gewinn pro Auto, zum Beispiel. Das ist profitabel. Porsche schafft nur 15.600, und Mercedes - der regierende Formel-1-Weltmeister - lediglich 3200. Bemerkenswert sind auch die 32.075.200 Euro, die voriges Jahr bei einer Auktion in Paris für einen der drei noch existierenden "335S" bezahlt worden sind. 1957 waren es die bis dahin stärksten und schnellsten Ferraris: 390 PS, 300 km/h. Vier Stück waren gebaut worden. Einen davon fuhr de Portago.<p>Das stärkste Modell, das Ferrari derzeit anbietet, der 812 Superfast, hat 800 PS und fährt 340 km/h. Als derzeit schwächstes Modell offeriert Ferrari den "California T", der 560 PS hat und 316 km/h "geht". Dieselmodelle, SUV’s, Limousinen, Kleinwagen und Kombis sind bei Abarth, Alfa Romeo, Fiat und Lancia zu bekommen, bei Ferrari wird man sie vergeblich suchen . . .<p>Garibaldi hin, Garibaldi her, im Grunde hat sich in sieben Jahrzehnten wenig geändert. Ob heuer ein Mercedes oder ein Ferrari in Monza gewinnt? Man darf hoffen, dass das Land an der Antwort nicht zerbricht.

Peter Jungwirth, geboren 1962, lebt als freier Journalist und Fotograf in Wien.