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Das Vorspiel zum totalen Krieg

Von Manuel Meyer

Reflexionen

Am 26. April 1937 bombardierte Hitlers Fliegerstaffel Legion Condor die baskische Kleinstadt Guernica. Pablo Picassos gleichnamiges Gemälde machte die Stadt zum Symbol gegen Krieg und Gewalt.


Der 94-jährige Zeitzeuge Luis Iriondo vor der Kopie des Picasso-Gemäldes in Guernica.
© Meyer

80 Jahre sind mittlerweile vergangen. Doch Luis Iriondo erinnert sich noch genau an jenen 26. April 1937. "So einen Tag vergisst man nicht. Er veränderte mein ganzes Leben. Meine Stadt wurde dem Erdboden gleichgemacht. Ich verlor viele Freunde und Bekannte", sagt der heute 94 Jahre alte Baske mit leiser Stimme.

Es war ein sonniger Montag in Guernica. Markttag. Viele Bauern waren aus der Umgebung gekommen, um Eier, Gemüse und Fleisch zu verkaufen. Die Front war nicht weit weg. Doch der Bürgerkrieg, den der faschistische Putsch-General Francisco Franco knapp ein dreiviertel Jahr zuvor gegen die spanische Republik angezettelt hatte, hatte das Dorf im baskischen Hinterland noch verschont.

Als gegen elf Uhr ein Aufklärungsflugzeug am Himmel gesichtet wurde, schenkte man ihm trotz des Luftalarms wenig Aufmerksamkeit. Es war nicht das erste Mal, dass Francos Flieger das Dorf überflogen. Aber niemals kam es zu einem Angriff. Warum sollte Franco auch eine Kleinstadt mit gerade einmal 5000 Einwohnern angreifen, die keine militärische Bedeutung hatte? Es gab in der Nähe zwar eine Kaserne mit ein paar Hundert Soldaten. Aber das Dorf verfügte nicht einmal über eine Luftabwehr.

Das Bombardement

Doch es waren gar nicht Francos Bomber. Gegen 15.45 Uhr läuteten die Kirchenglocken erneut. Minuten später heulten über der Stadt auch schon die Motoren der deutschen Fliegerstaffel Legion Condor auf, die zusammen mit italienischen Jagdfliegereinheiten an der Seite Francos kämpfte.

"Ich rannte vom Marktplatz in den nächsten Luftschutzbunker. Es war eng und stickig. Ich hatte Panik. Viele weinten. Draußen hörte man Schreie und Explosionen", sagt Iriondo. "Ich hatte solche Todesangst, dass ich immer wieder von neuem mit dem Gebet anfangen musste, das wir in der Schule gelernt hatten, da ich bei jedem Bombeneinschlag zusammenzuckte und den Text vergaß."

Die drei Stunden des Bombardements in dem zum Bunker umgewandelten Keller kamen ihm wie eine Ewigkeit vor. "Als wir den Bunker verließen, lagen überall Leichen. Es roch nach verbrannten Fleisch - von Tieren und Menschen. Die ganze Stadt brannte." Fast 40 Tonnen Bomben ließ Hitlers Luftwaffe auf die Kleinstadt niederregnen. Mehrere Hundert Menschen kamen zu Tode.

Für den spanischen Maler Pa-blo Picasso war das Massaker die Initialzündung zu einem seiner großen Meisterwerke. Während die baskische Kleinstadt praktisch aufgehört hatte, zu existieren, begann er in seinem Atelier in der Pariser Rue Grands-Augustins mit seinem Wandgemälde "Guernica" den Horror des Krieges zu verewigen. 27 Quadratmeter voller Tod, Schmerz, Verstümmelung, Verzweiflung, endlosen Leidens.

Das riesige Gemälde war eine Auftragsarbeit der spanischen Republik, mit der man im spanischen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung 1937 international gegen den faschistischen Putsch-General Francisco Franco Stimmung machen wollte.

Monatelang wusste Picasso nicht, was er malen sollte. Dann wurde Guernica dem Erdboden gleichgemacht. Doch warum bewegte gerade die Bombardierung einer baskischen Kleinstadt Picasso dazu, das bedeutendste Anti-Kriegsbild der Geschichte zu malen? Er hätte sich doch auch im Ersten Weltkrieg inspirieren lassen können.

"Was an jenem Tag in Guernica passierte, war eine neue Dimen-sion der Kriegsführung. Bisher fanden Kämpfe zwischen Soldaten statt. Doch dies war ein gezielter Schlag gegen die Zivilbevölkerung, um diese im Kampf gegen Franco zu demoralisieren", erklärt Leire Arrieta, Geschichtsprofessorin an der baskischen Deusto-Universität in Bilbao. Die Bombardierung Guernicas sei ein Ausblick auf den totalen Krieg gewesen, den wenige Jahre später Hitler beginnen sollte, so Arrieta.

Zudem legte der Angriff offen, dass die faschistischen Regime Deutschlands und Italien einen Krieg gegen eine offizielle Regierung eines anderen Landes in Europa unterstützten. Tatsächlich war der Protest der internationalen Gemeinschaft auf die Bombardierung Guernicas so vehement, dass sowohl Franco als auch Nazi-Deutschland zunächst sogar abstritten, überhaupt für das Massaker verantwortlich gewesen zu sein.

Noch lange nach dem Ende des Bürgerkriegs 1939 behauptete der Putsch-General und spätere Diktator Franco, der Spanien bis 1975 mit eiserner Faust regierte, es seien die "roten Horden" der Republik gewesen, die Guernica zerstört hätten, um seinen franquistischen Truppen auf dem Marsch nach Bilbao den Weg zu erschweren.

Doch Tatsache ist, dass die Legion Condor nur drei Tage nach dem Massaker in Guernica in der benachbarten Großstadt Bilbao Flugblätter vom Himmeln regnen ließ, welche die Täterschaft klar belegte: "Was Deinen Nachbarn geschah, wird Dir morgen geschehen, wenn Du Dich nicht ergibst." Hermann Göring, Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, gab später bei den Nürnberger Prozessen selber zu, man wollte in Guernica einfach neue Bomben und Kriegsmaterial für den Zweiten Weltkrieg testen.

Die "Märtyrerstadt"

Die Legion Condor sollte im Verlauf des spanischen Bürgerkriegs noch zahlreiche baskische Städte angreifen. Doch Gernika, so der baskische Name der Stadt, wurde zu einem Symbol - zur Märtyrerstadt! Ein Grund liegt in der Bedeutung der Stadt selber. Gernika - oder Guernica - ist die "Heilige Stadt der Basken".

Schon im Mittelalter hatten die spanischen Könige unter der Eiche von Guernica, dem baskischen Nationalsymbol, geloben müssen, die Freiheitsrechte der Basken anzuerkennen. Unter der Eiche Guernicas schwört auch heute noch der baskische Regierungschef seinen Amtseid. Mit Guernica griff man das Identitäts- und Freiheitssymbol der Basken an. Dessen waren sich Franco wie Hitler bewusst. Vielleicht sahen sie darin gerade einen wichtigen Schritt zur Terrorisierung und Unterwerfung des nordspanischen Baskenlandes, das an der Seite der spanischen Republik gegen Franco kämpfte.

Doch wurde Guernica vor allem durch Picassos Gemälde zum Sinnbild für die Brutalität neuer Kriegsführung. Der internationale Protest gegen die Bombardierung Guernicas soll sogar die USA im Zweiten Weltkrieg dazu bewogen haben, ihre Atombombe nicht wie geplant auf Kyoto, die heilige Stadt Japans, sondern auf Hiroshima abzuwerfen, das weniger Symbolwert hatte.

Picassos "Guernica" wurde zum universalen Antikriegsbild schlechthin. Es half dabei, sämtliche Kriege zu kritisieren - vom Zweiten Weltkrieg über den Vietnam-Krieg bis hin zum heutigen Syrien-Konflikt. Wie groß die Aura "Guernicas" als universales Friedensmahnmal auch noch in jüngster Zeit ist, wurde 2003 deutlich, als US-Außenminister Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat den Militäreinsatz im Irak rechtfertigten wollte und die US-Regierung zuvor darum bat, die seit 1985 im Gang vor dem Sitzungssaal befindliche Kopie "Guernicas" mit einem Tuch abzuhängen.

Die Bombardierung der Stadt ist heute anscheinend immer noch ein Thema, welches viele damals am Massaker beteiligten Länder lieber ruhen lassen. Zumindest Deutschland zeigte eine Geste der Entschuldigung, als 1997 der damalige Bundespräsident Roman Herzog die Überlebenden um Verzeihung bat. 1999 finanzierte die Bundesregierung dann mit drei Millionen Mark den Bau einer Sporthalle in Guernica.

Eine kleine Geste für großes Leid. Doch weder Spanien noch Italien haben sich jemals für das Massaker entschuldigt. Deshalb würde Luis Iriondo auch gerne Picassos Gemälde am 26. April zu den 80. Jubiläumsfeiern in Guernica sehen. "Das Bild in Guernica auszustellen, wäre trotz seines universalen Charakters eine Art Wiedergutmachung für das, was man uns hier angetan hat", meint der Sprecher der Überlebenden der damaligen Bombardierung.

Das wird jedoch nicht möglich sein. Nach vielen Reisen darf das Gemälde, das seit 1992 im Madrider Königin Sofía Museum hängt, heute nicht mehr verliehen werden. Andreas Schäfter vom Friedensforschungszentrum Gernika Gogoratuz kann den Wunsch Iriondos dennoch nachvollziehen: "Guernica sollte wieder auf Reisen gehen. Und zwar in all die Länder, die heute kriegerische Konflikte und Gewalt verursachen."

Traurige Gegenwart

Das baskische Friedensforschungszentrum hält heute die Erinnerung an die damaligen Kriegsverbrechen an den Einwohnern Guernicas am Leben, macht aber auch darauf aufmerksam, dass Geschehnisse wie die in Guernica keineswegs der Vergangenheit angehören.

Ein Blick in die heutigen Nachrichten reiche, um das zu merken, so der deutsche Friedensaktivist Schäfter, der sich schon seit den 80er Jahren in internationalen Friedensbewegungen engagiert und seit 2007 für das baskische Friedenszentrum arbeitet. Es gebe viele "Guernicas": Dresden, Hiroshima, Srebrenica. Die Liste werde immer länger statt kürzer. Nun reihen sich Homs, Palmyra und Aleppo in die Liste ein.

"Gerade der aktuelle Syrienkrieg erinnert mit seinen vielseitigen Macht-Interessen und dem brutalen Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung an Guernica und den spanischen Bürgerkrieg", gibt Schäfter zu Bedenken. Ein Grund mehr, dass Guernica als Mahnmal nicht in Vergessenheit geraten sollte. Darum kümmert sich sein Friedensforschungszentrum. Darum - und um pädagogische Friedensarbeit.

Es bereitet die Erinnerungsfeiern zum 80. Jubiläum der Bombardierung vor, bei denen auch der Syrienkrieg und das Thema Flüchtlinge eine wichtige Rolle spielen werden. Guernica sei heute eine Stadt, die für Frieden und die Schaffung einer Friedenskultur steht, wofür sie 2002 bereits mit dem Friedensstädtepreis der UNESCO ausgezeichnet wurde, erklärt Schäfter.

Vielleicht schärfen die politischen und kulturellen Veranstaltungen, die jetzt zum 80. Jahrestag der Bombardierung in Guernica stattfinden, ja ein wenig "unsere Wahrnehmung vom Leid, das derzeit die syrische Bevölkerung ertragen muss", hofft Luis Iriondo. Er selber verfolgte mit Entsetzen, wie Europa sich nach und nach den syrischen Flüchtlingen verschloss. Er weiß, was sie ertragen müssen. Nachdem seine Heimatstadt ausgelöscht wurde, lebte er lange in Flüchtlingslagern.

Manuel Meyer lebt als Journalist in Madrid und schreibt für die "Wiener Zeitung" über spanische Kultur und Politik.