"Wien ist anders!" - Das war mehr als ein plakativer Werbeslogan. Ein mondänes Nachtleben wie in anderen Metropolen war - mit ganz wenigen Ausnahmen - Jahrzehnte lang nicht vorhanden, dafür gab es jede Menge Morbidität und Patina. Bis in die 1970er Jahre waren die Wunden des Zweiten Weltkriegs vor allem in den Vorstädten sichtbar, und internationale Filmproduktionen, die ihre Thriller an Originalschauplätzen im kommunistischen Osteuropa des Kalten Kriegs nicht realisieren konnten, fanden in Wien oft die passende Kulisse für stalinistische Tristesse.
Dementsprechend konnten ausländische Gäste in Wien auch lange Zeit keine Shops der noblen französischen und italienischen Luxusmarken finden. Mittlerweile ist das anders. Alles was bei Mode, Schmuck, Uhren und Kosmetik als gut und teuer gilt, ist in der Wiener City vertreten - von Armani über Chanel und Cartier bis Zegna. Vor Kurzem ließ sich auch Tods am Graben nieder. Raunzende Kritiker melden sich zu Wort: "Wer soll denn den teuren Tand, bitte schön, kaufen?"
Die Frage hat sich längst beantwortet, angesichts der Touristenmassen, die neben Walzer und Schrammelmusik, Wiener Schnitzel und Sachertorte, Heurigenseligkeit und k&k-Romantik auch die Shoppingmöglichkeiten in Wien schätzen und lieben. Für 2016 weist die Statistik von Wien Tourismus 5,34 Millionen ausländische Gäste aus, ein Plus von knapp vier Prozent, und der seit Jahren anhaltende Aufwärtstrend setzt sich auch heuer weiter fort: zwischen Jänner und März kamen 951.000 Besucher (+ zwei Prozent) aus dem Ausland.
Boombeginn 80er Jahre
Der Mehrwertrückerstatter Pre-mier Tax Free untersucht seit Jahren die Ausgaben der Touristen von außerhalb der EU. Österreichweit haben demnach im Vorjahr die Umsätze um 13 Prozent zugelegt und auch heuer sitzt den Gästen der Euro locker. Chinesen geben im Schnitt 523 Euro aus, Russen 495, die Schweizer kaufen um 397 Euro ein und Touristen aus den USA lassen sich das Shoppingvergnügen 619 Euro kosten.
Begonnen hat der Luxusboom in den 1980er Jahren. Das war die Ära der "Anything Goes!"-Mentalität einer stark individualisierten Elite. Das Geld schien in manchen Branchen auf den Bäumen zu wachsen bzw. auf der Straße zu liegen, und Konsum wurde die neue Religion gut verdienender Yuppies. Zu zeigen, was man hatte oder zumindest bald haben könnte, war das Gebot der Stunde. Der Anzug von Armani zeigte nicht nur, dass man sich das teure Stück leisten konnte, sondern auch den Trip nach Mailand. Und während für die Generation der Mütter "Ein Kleid von Dior" bloß der im Jahr 1958 erschienene Roman von Paul Gallico und ansonsten ein unerreichbarer Traum war, leisteten sich 30 Jahre später die Töchter den Luxus ganz ungeniert. Zwar nicht das Haute Couture-Modell nach Maß, aber immerhin ein Stück aus der Prêt-à-porter-Linie.
Gleichzeitig begannen die großen Marken zunehmend auf Expansion zu setzen. Aus den inhabergeführten Couture-Ateliers und Manufakturen wurden global agierende Unternehmen unter der Leitung wachstumsorientierter Manager, die mit groß angelegten Werbekampagnen die Lust der breiten Masse auf Luxus schürten. Mit Erfolg: Die weltweiten Umsätze mit Designermode, edlen Accessoires, teuren Uhren, kostbarem Schmuck und Nobelkosmetik stiegen von 77 Mrd. Euro im Jahr 1995 auf derzeit knapp 250 Mrd. Euro.
Eine wesentliche Rolle dabei spielten Models, die den Marken im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesicht verliehen. Auf bekannte Persönlichkeiten hatte man zwar auch schon früher gesetzt, allerdings in deutlich kleinerem Rahmen. So wurden etwa für Chanel-Parfüms immer wieder prominente Damen als exklusive Werbeträger eingesetzt. Bis in die 1930er Jahre posierte Coco Chanel höchstpersönlich für Chanel N° 5.
Spezies Supermodel
Ab 1968 war die französische Schauspielerin Catherine De-
neuve das Gesicht des Parfüms. Auf sie folgten Ali MacGraw und später Carole Bouquet. Der Mode-Magier Karl Lagerfeld, der 1983 zuerst als Berater für die Haute Couture zu Chanel kam und seit 1984 Chef-Designer der gesamten Mode-Sparte ist, machte das französische Model Inès de la Fressange zur authentischen Werbeträgerin von Chanel, die 1990 von Claudia Schiffer abgelöst wurde.
Abgesehen von wenigen Ausnahmen - wie etwa Twiggy oder Veruschka Gräfin von Lehndorff - waren die Models bis in die 1980er Jahre meist namenlose menschliche "Kleiderpuppen". Die Modeschöpfer ließen ihre Kreationen oft sogar von gut aussehenden Töchtern ihrer wohlhabenden Kundinnen oder einfach von schönen Mädchen aus ihren Ateliers vorführen.
Christie Brinkley, Carol Alt, Paulina Porizkova, Kathy Ireland oder Stephanie Seymour waren die ersten Vertreterinnen der neuen Spezies Supermodel. In den 1990ern eroberten dann Claudia Schiffer, Cindy Crawford, Naomi Campbell, Tatjana Patiz, Linda Evangelista, Christy Turlington & Co. die Laufstege und Titelseiten der internationalen Presse.
Sie waren Stars und propagierten ein weltweites Schönheits- ideal. Ihr Ruhm basierte jedoch nicht auf herausragenden Leistungen (wie etwa jener von Schauspielerinnen), sondern einzig und allein auf Aussehen, Professionalität und Unverwechselbarkeit - ein Synonym für eine blühende Marketing-Epoche, in der auf Äußerlichkeiten deutlich mehr Wert gelegt wurde als auf Inhalt.