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Unrentabel, aber sinnvoll

Von Monika Raič

Reflexionen

Ökonomisch betrachtet, sind Geisteswissenschaften vor allem eines: teuer und kaum profitbringend. Dennoch sind sie nötig, denn sie tragen zu einem differenzierten Weltverständnis bei.


Der SF-Film "Arrival" behandelt die Differenz zwischen Natur- und Geisteswissenschaft.
© themovie

Stellen Sie sich vor, es wäre ein unidentifizierbares (sic!) Flugobjekt in einem entlegenen Teil Tirols gelandet. Niemand weiß, weshalb es dort rund drei Meter über der Erde schwebt. Niemand kann erklären, wie sich der Monolith zur Erde bewegt hat. In der Atmosphäre sind keinerlei Spuren zu finden. Nicht nur in Tirol, weltweit melden elf Orte dieselbe, rätselhafte Landung. Was tun? Klar: Es müssen Wissenschafter her!

Im Helikopter auf dem Weg zum Schauplatz der Geschehens begegnen sich die beiden ausgewählten Experten: ein Physiker und eine Linguistin. Der Naturwissenschafter hat zufällig eine Kopie des letzten Buches der Geisteswissenschafterin in der Hand. Er begrüßt sie mit einem Zitat daraus: "Sprache ist das Fundament der Zivilisation. Sie ist der Klebstoff, der die Menschen zusammenhält. Sie ist die erste Waffe, die in Konflikten gezogen wird." Wie bei Geisteswissenschafterinnen üblich, entgegnet sie verlegen, mit solchen Gemeinplätzen blende man eben die Leserschaft; wie von höflichen Naturwissenschaftern zu erwarten, erwidert er "Nein, das ist großartig! . . . auch wenn es falsch ist!" "Es ist falsch?" fragt sie. "Klar! Das Fundament der Zivilisation ist nicht die Sprache, sondern die Wissenschaft!"

Wer Denis Villeneuves Film "Arrival" gesehen hat, hat das nach Tirol übersetzte Szenario wiedererkannt. Die Kritik hat den ungewöhnlichen Sci-Fi-Film positiv aufgenommen, aber in keiner Besprechung ist vom Kampf der wissenschaftlichen Disziplinen um Deutungshoheit die Rede, der in diesem Film tobt. Mit der Storyline des Filmes formuliert: Retten die Natur- oder die Geisteswissenschaften die Welt vor der Gefahr, die - wie wir am Schluss lernen - überhaupt keine war?

Prekäre Verhältnisse

Kein anderer Wissensbereich steht heute so sehr unter Beschuss wie die Geisteswissenschaften. Der US-amerikanische Präsident kündigte für das Jahr 2018 krasse budgetäre Kürzungen an: für Colleges, Universitäten und Forschungseinrichtungen, die Amerika nicht genug "great again" machen können. Betroffen davon sind vor allem die Künste und die "Humanities".

Nicht nur in den USA, weltweit werden Fragen nach ökonomisch- und handlungsorientierter Optimierung gestellt: Welche Aufgabe, Bedeutung, ja welches Ziel haben die "Humanities" heute überhaupt noch? Was haben wir davon, "alte, nebulöse Texte" zu lesen? Wie helfen uns die abgehobenen und unverständlichen Theorien bei akuten Problemen? Welchen Nutzen haben Ausbildungen, die sich nicht direkt in den Arbeitsmarkt integrieren lassen? Junge Kulturwissenschafter haben - anders als Physiker, Mathematiker oder angehende Börsenmakler, deren Abstraktions- oder Fiktionsniveau mindestens ebenso hoch ist - in diesem Zusammenhang besonders zu kämpfen. Sie müssen mit umfassenden und zugleich leicht verständlichen Argumenten erklären können, was Steuerzahler von der "Investition" in etwa literaturwissenschaftliche oder philosophische Forschung haben.

Kürzlich wurden auch mir Fragen nach der ökonomischen Rechtfertigung meiner Forschung gestellt. Einige Zeit, nachdem ich "Arrival" gesehen hatte, war mein Antrag durch die dritte Begutachtungsrunde des "Marietta Blau Stipendiums" gekommen. Dieses Stipendium des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) ermöglicht es österreichischen Doktorierenden aller Bereiche, bis zu zwölf Monate im Ausland zu studieren und ihre Forschung zu optimieren. Mitte Dezember wurde ich zum Interview nach Wien eingeladen, wo ich vor einem Komitee des BMWFW mein Forschungsprojekt vorstellen durfte.

In den drei folgenden Wochen bereitete ich mich auf das Interview vor. Ich erklärte allen, die nicht schnell genug weggelaufen waren, aus welcher Perspektive ich die Theorien zu Kosmopolitismus, Orientalismus und Weltliteratur untersuchen will und weshalb das Nachdenken darüber bedeutsam und gesellschaftlich relevant ist. Einsteins kolportierte Aussage, "Was man nicht in einfachen Worten erklären kann, hat man selbst nicht verstanden", war das Maß, das ich an den Erfolg meiner Argumente anlegte.

Die kritische Frage

Mit der ersten Interviewfrage wurde jedoch nicht meine wissenschaftliche Sattelfestigkeit geprüft: Ich sollte begründen, was der österreichische Steuerzahler von einem so theoretischen Projekt wie dem meinen hätte. An und für sich eine vollkommen verständliche Frage aus den Reihen des Wirtschaftsministeriums, das intern alle seine Ausgaben rechtfertigen muss und selbstverständlich bevorzugt Themen unterstützt, die gesamtgesellschaftliche Reichweite haben.

Die Frage versetzte mich dennoch gedanklich in jene Helikopterszene aus "Arrival", in der über das "wahre" Fundament der Zivilisation gestritten wurde. Wie mit dem Misstrauen, das den gesamtgesellschaftlichen Nutzen der Geisteswissenschaften in Frage stellt, umgehen? Denn aus der finanziellen Investition in geisteswissenschaftliche Forschung ist weder ein materielles Ergebnis zu erwarten noch unmittelbarer ökonomischer Gewinn - und das ist ein großes Problem.

Zu diesem Thema haben vor rund zwei Jahren in der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" Volker Meyer-Guckel vom wirtschaftsnahen Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und Julian Nida-Rümelin, Professor für Philosophie und politische Theorie an der Universität München, Standpunkte bezogen. Mehr Systematik und eine Ökonomisierung des Studiums forderte Meyer-Guckel und schloss mit der Forderung: "Das Studium muss die Studienziele inhaltlich und didaktisch so aufbereiten, dass Studenten am Ende wissen, auf welche Fragen das Fach mit welchen Methoden mögliche Antworten geben kann. Sich diesem Bildungsauftrag zu stellen, bedeutet, Humboldts Idee der Universität ins 21. Jahrhundert zu übersetzen."

In diesen Argumenten dürfte Humboldt sein "Bildungsideal" wohl nicht ganz leicht wiederfinden. Aber davon abgesehen, verfehlt die Forderung, dass Studierende am Ende wissen sollen, welche Fragen das Fach beantwortet, in ihrer redlichen Absicht, gute Lehre an Universitäten zu gewährleisten, ihr Ziel. Denn es ist schlicht unmöglich, zu wissen, auf welche Fragen wir zukünftig Antworten finden müssen, weil sich diese z.B. von den zu beantwortenden Fragen der Gegenwart und der Vergangenheit durch neue Spezifika, die wir uns noch nicht ausmalen können, unterscheiden. Selbst wenn die "Geschichte der Menschengattung im großen als die Vollziehung eines vernünftigen Plans der Natur" angesehen werden könnte, wie Kant einmal meinte, so scheinen wir aktuell angesichts der international verwobenen Konflikte kaum eine klare Frage für eine Disziplin formulieren zu können.

Erkennbarer Nutzen

Dabei funktionieren Gesellschaften doch nur, das hat Platon schon beobachtet, weil Individuen unterschiedliche Fähigkeiten besitzen, sich in einer Tätigkeit spezialisieren und die "Produkte" ihres Wirkens tauschen. Dass wir einander dabei vertrauen, ist selbstverständlich. Natürlich ist es einfach zu sehen, dass ein Bäcker wirklich backen kann und eine U-Bahnfahrerin wahrscheinlich einen Führerschein besitzt. Wir überprüfen das nicht, weil wir "selbstverständlich" ein Brot bekommen und sicher transportiert werden. Den Nutzen von Wissenschaft aufzuzeigen, ist etwas schwieriger, weil er nicht mit einem unmittelbaren Bedürfnis wie Hunger, Schlaf, Lust oder Gemeinschaft zu tun hat, sondern mit Gegebenheiten, die als unsichtbare, dünne aber vielschichtige Hülle um viele Aspekte des Lebens liegen.

Der letztendliche Nutzen und Sinn wissenschaftlicher Arbeit hat in den erfolgreichsten Fällen übrigens wenig mit der ursprünglichen Forschungsabsicht zu tun. Michael Faraday und Wilhelm Röntgen folgten etwa dem Drang, einer Sache oder Problemstellung auf den Grund zu gehen. Dass die daraus entstandenen Anwendungsgebiete wenig mit dem ursprünglichen Forschungsinteresse gemein hatten, legte jüngst der ehemalige MIT-Fellow Federico Kukso in einem Artikel dar.

Dass sich die Geisteswissenschaften "gegenwärtig auf einer abschüssigen Bahn, an deren Ende ihre weitgehende Marginalisierung stehen könnte" befinden, wie Nida-Rümelin in der "Zeit" meinte, ist nicht mehr in Abrede zu stellen. Aber sie stehen dort auch, weil sie in den globalen Prozessen der Ökonomisierung ihrer Marginalisierung kein starkes Argument entgegengesetzt haben.

Als Argumente zulässig sind aber nur unmittelbarer Nutzen und Kapital, eine Währung, die mit dem Geschäft des Geistes nicht zu erzielen ist. Der versuchten Marginalisierung muss Stand gehalten werden, und zwar indem Forschung und Wissen positiver konnotiert werden. Vielleicht, indem wir Wissenschafterinnen und Wissenschafter Interesse für Wissen und Bildung durch aktive und positive Partizipation an gesellschaftlicher Meinungsbildung wecken, anstatt uns in relativ langweilige, aber umso blutigere Grabenkämpfe zu verbeißen.

Falsche Eindeutigkeit

Während wir hier um die Humanwissenschaften bangen, beschloss im Dezember 2016 die argentinische Regierung, Wissenschaft fast ganz abzuschaffen. Forschungsbereichen, bei denen kein praktischer Nutzen erkennbar ist, wird die staatliche Förderung um 60 Prozent gekürzt. Forschung, die "strategisch wichtige Resultate" liefert, verdient, gemäß der argentinischen Regierung, weiterhin nationale finanzielle Förderung. Das erklärte Ziel der Regierung ist eine rasche Antwort auf die wirtschaftliche Schieflage des Landes. Eine konservative Regierung mit einem Regierungschef, der sein Land wie einen Fußballverein managen möchte, will also Spieler, die keine Tore schießen, sofort transferieren.

Es kommt mir menschlich vor, sich über Erfolge wie Tore zu freuen. Aber derartig schnelle Ja-Nein-Ergebnisse sind selten Teil gesellschaftlicher Realität. Das liegt daran, dass Gesellschaften facettenreich sind und über Ressourcen verfügen, die sich erst zeigen, wenn sie angezapft oder gesucht werden. Die Protagonistin von "Arrival" demonstriert, wie ihre Erkenntnisse anschlussfähig für Methoden der Physik sind. Gemeinsam entschlüsseln sie und ihr Kollege die komplexen Zeichen der außerirdischen "Heptapoden". Aber die Aussagen sind nicht eindeutig, wie kein sprachliches Zeichen vollkommen eindeutig ist - eine Lektion, die wir den Poststrukturalisten verdanken.

Während die internationalen Regierungschefs noch ihre Machtpolitik verhandeln, ziehen die Flugobjekte plötzlich und friedlich ab. Die Frage, wer die richtigen Informationen und Interpretationen hatte, wer den Kampf gegen die Bedrohung, die keine war, gewonnen hat, stellt sich nicht. Es bestand nie eine Gefahr. Warum also nicht gleich zusammenarbeiten, anstatt ins Leere zu beißen?

Monika Raič promoviert in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft an der Universität Innsbruck. Zurzeit forscht sie als Marietta-Blau-Stipendiatin im Ausland.