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Braune Brause

Von Georg Biron

Reflexionen

Mehr als 100 Jahre hielt ein Wirtschaftskrieg zwischen Coca-Cola und Pepsi Cola die globalen Getränkemärkte in Bewegung. Jetzt bringen der Trend zu einer gesunden Lebensweise sowie der anti-amerikanische Nationalismus in der Dritten Welt die Marken in Bedrängnis.


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© Illustration: Wiener Zeitung

Die Bedürfnisse der Kunden haben sich in den vergangenen Jahren sehr verändert. Immer mehr Menschen legen Wert auf gesunde Ernährung. Gezuckerte Erfrischungsgetränke sind nicht mehr angesagt - daher müssen sich die Brause-Konzerne etwas einfallen lassen. Der Umsatz der Cola-Konzerne ist seit acht Quartalen rückläufig.<p>"Dem Konzern aus Atlanta macht zu schaffen, dass Amerikaner und Europäer zuckerhaltige Getränke vermehrt ablehnen", notiert "Focus Money"-Redakteur Timo Baudzus. "Zwar hat sich Coca-Cola mit Powerade, Apollinaris, Vio und Bonaqa einige Standbeine abseits von den zuckerhaltigen Erfrischungsgetränken zugelegt, doch der einseitige Fokus auf Getränke im Allgemeinen rächt sich."<p>Parallel dazu berichtet das "Wall Street Journal": Die Liebe der Amerikaner zu Cola und anderen Limonaden erkaltet zusehends. Erstmals seit Beginn statistischer Erhebungen zum Thema hat Mineralwasser die süßen Brausen von der Top-Position im Ranking der Lieblingsgetränke verdrängt. Als Hauptgründe sieht die Zeitung die zunehmende Sorge der Bürger um die Gesundheit: Zucker steht zunehmend als schädlich in der Kritik, und Süßstoffe wie Stevia haben den großen Durchbruch nicht geschafft.<p>

Die Gesundheitsorganisation Amerikas, die American Health Association, empfiehlt einen täglichen Zuckerkonsum von 24 Gramm für Frauen und 36 Gramm für Männer. Eine Dose Coke oder Pepsi hat allein schon 39 Gramm Zucker intus. Der Kampf gegen den Zucker macht den Softdrinkherstellern daher zu schaffen - und erinnert an den Kampf der Tabakindustrie gegen den Trend des Nichtrauchens.<p>

Neue Strategien

<p>Die schwierige Situation für die Coca-Cola-Company spiegelt sich auch in aktuellen Zahlen wider: Im ersten Quartal 2017 ging der Umsatz weltweit um 11 Prozent auf 9,1 Milliarden Dollar zurück, der Gewinn schrumpfte gar um 20 Prozent auf 1,2 Milliarden Dollar.<p>"Hersteller zuckriger Brausen müssen umdenken, müsste man annehmen", glaubt man in der Wirtschaftsredaktion beim Hamburger "Stern". "Doch Pepsi zeigt, dass es anders geht. Im ersten Quartal stieg der Überschuss bei Pepsi auch dank höherer Preise im Jahresvergleich um 41 Prozent auf 1,3 Milliarden Dollar in die Höhe, teilt der Getränkekonzern mit. Dabei kletterte der Umsatz um zwei Prozent auf 12,05 Milliarden Dollar." Um Ausfälle zu kompensieren und die Aktionäre zu befriedigen, benötigt man sowohl bei Coca-Cola als auch bei Pepsi neue Strategien, die greifen.<p>Entsprechend hat Pepsi seinen Kosmos erweitert. Glutenfreies Müsli, Tee und Protein-Shakes werden die neuen Top-Seller. Schon bisher hat der US-Konzern mit Chips und Crackern gepunktet. Die Chips unter dem Label Lay’s sind bereits in 33 Ländern in diversen Geschmacksrichtungen zu haben und bringen jedes Jahr 250 Millionen Dollar. Die Cracker, 2007 auf den Markt geworfen, sorgen für 400 Millionen Dollar.<p>"Der Quartalsumsatz zeigt bei beiden Marktführern das Dilemma der Branche", notiert Axel Postinett im "Handelsblatt". "Coca-Cola verzeichnete ein Minus, Pepsi nahm weniger ein als im Vorjahr. Es ist vor allem die erfolgreiche Sparte mit Snacks und Chips, die die Zahlen von Pepsi herausreißt. Diese Expansion hat nicht zuletzt dazu beigetragen, dass Pepsi in den vergangenen Jahren Coca-Cola zunehmend Terrain streitig machen kann und vor allem in der Kursentwicklung besser dasteht."<p>Während Pepsi erfolgreich mit Snacks ist, agiert man bei Coca-Cola auf unbekanntem Terrain - und verkauft Milch. Freilich keine gewöhnliche natürliche Milch: Das Rohprodukt wird in die Bestandteile Wasser, Vitamine und Mineralien, Laktose, Protein und Fett zerlegt. Die Laktose wird komplett eliminiert, das Fett reduziert man auf zwei Prozent, die Proteine werden verdoppelt, der Zucker halbiert.<p>"Derart wieder zusammengesetzt, kostet die Premium-Milch der Marke ‚Fairlife‘ in verschiedenen Geschmacksrichtungen rund doppelt so viel wie normale Milch in den USA und knapp so viel wie Milch vom Öko-Bauern. Nach Testverkäufen in drei Großstädten erfolgte die Einführung in den US-Markt", so das "Handelsblatt".<p>

Coca-Colas Siegeszug

<p>Coca-Cola betrat den deutschen Markt im Jahr der Weltwirtschaftskrise, 1929, und konnte nur ein paar tausend Flaschen verkaufen. Doch mit der Herrschaft der Nazis kam zunächst ein Wirtschaftsaufschwung.<p>Rund 100.000 Kisten Coca-Cola wurden 1933 verkauft. 1939 waren es mehr als 4,5 Millionen. Damals hatte die Deutschland-Tochter bereits 50 Fabriken. Coca-Cola war einer der wichtigsten Sponsoren von Sportveranstaltungen und unterstützte massiv die Olympischen Spiele von 1936 in Berlin. Während des Krieges gingen die Rohstoffe für die Herstellung von Cola aus und durften nicht aus anderen Ländern eingeführt werden. Deshalb konnte Coca-Cola-Deutschland die Zutaten nicht mehr importieren. Der damalige Deutschland-Chef von Coca-Cola, Max Keith, ließ ein neues Getränk aus Apfelfruchtfleisch und Molke entwickeln. Unter dem Namen Fanta kam es in Umlauf und erwies sich als gute Alternative zu Cola.<p>Eine Woche nach der deutschen Kapitulation vom 8. Mai 1945 wurde die erste Flasche Coca-Cola nach dem Krieg abgefüllt - zunächst aber nur für die US-Soldaten vor Ort. Colonel Jim Nash wollte einen Cola-Automaten im Verhandlungssaal der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse aufstellen. Doch diese Idee "wurde leider abgelehnt", wie er im Mai 1946 in einem Brief nach Hause schrieb. Dennoch war der Siegeszug von Cola nicht aufzuhalten.<p>Am Beginn des Kalten Krieges bildeten sich kuriose Allianzen aus Kommunisten, Winzern, Saftverkäufern, um den flüssigen "American Way of Life" zu behindern und zu stoppen. In Frankreich wurde ein Gesetzesentwurf eingebracht, der Coca-Cola als "Gift" bezeichnete und sich vergeblich um ein Verbot bemühte. In Italien wurde die Mär verbreitet, dass der Konsum von Cola die Haare über Nacht schlohweiß werden lässt. In Japan wurde das Gerücht in Umlauf gebracht, Cola würde Frauen unfruchtbar machen. Und während ein verwirrter Demagoge in Ägypten wegen der Unterstützung Israels durch die USA die These aufstellte, Cola sei mit Schweineblut versetzt und daher unrein, sah Mao Tse-Tung darin sogar das "Opium für die Rennhunde des revanchistischen Kapitalismus".<p>

Coke und Patriotismus

<p>Auch in Deutschland organisierten sich Cola-Feinde: Die Mineralwasserindustrie schloss sich in einem "Koordinations-Büro für deutsche Getränke" zusammen, weil sie Umsatzeinbußen hatte, um mit aggressiver Öffentlichkeitsarbeit wie etwa mit dem Pamphlet "Coca-Cola, Karl Marx und die Geistesschwäche der Massen" die Besatzerbrause in Misskredit zu bringen. In Bayern wollte man 1950 Cola und andere "aus Drogen hergestellte Getränke" verbieten.<p>Tatsache ist, dass in den Anfangsjahren der Cola-Limos tatsächlich Kokain darin enthalten war. Ein Liter Coca-Cola enthielt etwa 250 mg Koks. 1914 wurde in den USA der Zusatz von Kokain in Getränken und rezeptfreien Arzneimitteln verboten, und auch in den europäischen Staaten wurden strenge Suchtgiftbestimmungen erlassen.<p>"Es darf auf der ganzen Welt keine geographischen und kulturellen Breitengrade geben, die nicht an den Segnungen von Coca-Cola teilhaben können", hatte der charismatische Coca-Cola-Boss Robert W. Woodruff in den 1950ern mit großem Sendungsbewusstsein gefordert. Den Zweiten Weltkrieg hatte die Company zur Stärkung der Marke in Europa und Asien genützt. Das von John S. Pemberton erfundene Gebräu gegen Kopfschmerz, Müdigkeit und Frauenleiden wurde im Weltkrieg zum Symbol der amerikanischen Moral.<p>"Unserer Ansicht nach kann Coca-Cola als eins der grundlegenden, die Moral hebenden Produkte für die Jungs eingestuft werden", schrieb ein Offizier im Jänner 1942 an die Coca-Cola-Company. Die sich in der Folge mit einem gigantischen Werbebudget daran machte, Coke und Patriotismus in ein und derselben Flasche auszuliefern. Nach 1945 waren die Herren aus Atlanta als ideologische Sieger im Goldenen Westen hoffnungsfroh an den Start gegangen und machten Profite mit Siegern und Besiegten. Doch bei den mit den USA verbündeten Kommunisten im Ostblock waren auf einmal die Pepsi-Cola-Lieferanten aus North-Carolina angesagt.<p>Wieso denn das?<p>Es war das Resultat eines massiven Geldflusses in der US-Innenpolitik: Vizepräsident Richard Nixon war lange Zeit Rechtsanwalt von Pepsi und ließ sich seinen Wahlkampf vom Pepsi-Management finanzieren. Dafür machte er sich 1959 im Gegenzug während eines Moskau-Besuchs bei Sowjet-Führer Nikita Chruschtschow für Pepsi stark. Auf Pressefotos konnte die ganze Welt sehen, wie Chruschtschow und Nixon miteinander Pepsi tranken.<p>Im Tausch gegen Gabelstapler aus Bulgarien und Weine aus Rumänien gelangte das zur Herstellung notwendige Pepsi-Konzen-trat hinter den Eisernen Vorhang und sorgte für große Gewinne. Ab 1974 wurde es auch in der Brauerei Rostock abgefüllt und kam auf diese Weise in der DDR auf den Markt.<p>

Carter für Coca-Cola

<p>Beide Cola-Produzenten sind seit jeher stark in der amerikanischen Politik verwurzelt. Die Demokraten werden von Coca-Cola, die Republikaner von Pepsi finanziert: Nixon machte den sowjetischen Markt für Pepsi klar. Präsident Jimmy Carter war später mit Nachdruck dabei behilflich, den chinesischen Markt für Coca-Cola zu öffnen.<p>Pepsi befürchtete 1970 durch die Wahl des Sozialisten Salvador Allende zum Präsidenten von Chile Umsatzeinbußen und drängte zusammen mit anderen Konzernen die amerikanische Regierung dazu, einen Militärputsch zu organisieren. Die Vorbereitungen dazu gipfelten in der Entführung und Ermordung des Allende-Vertrauten und Oberbefehlshabers des Militärs René Schneider im Rahmen einer CIA-Aktion. Und auch Coca-Cola Inc. und deren Zitrusfrüchtelieferant, The United Fruit Company, finanzierten den blutigen Putsch von 1973.<p>Als die Sowjetunion auseinanderbrach, war Pepsi Cola nicht mehr länger interessant, und in kürzester Zeit setzte sich auch bei den Ex-Genossen die unwiderstehliche "Muttermilch des Kapitalismus" (Woodruff über Coca-Cola) durch.<p>"Schnell rüstete Coke in Osteuropa auf", berichtete "Der Spiegel" 1996 über den Siegeszug von Coca-Cola in Osteuropa. "Für 1,5 Milliarden Dollar wurden 26 Abfüllanlagen gebaut, 50.000 Läden vertreiben Coca-Cola. Dauerrivale Pepsi verlor wertvolle Zeit: Der Konzern musste zunächst seine alten Partner, die staatlichen Abfüller, aufkaufen. Mittlerweile setzt Coke etwa doppelt so viele Flaschen in Osteuropa ab wie die Konkurrenz."<p>Nur in Kuba und Nordkorea wird Coca-Cola bis heute nicht offiziell verkauft, aber zumindest in Sachen Kuba herrscht derzeit Optimismus. Auf der Karibikinsel scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis der duftende Rum mit eiskaltem Coca-Cola serviert wird.<p>Doch die Zeiten, in denen bekannte Lifestyle-Produkte made in USA automatisch auf der ganzen Welt Begeisterung auslösten und begehrt wurden, sind mittlerweile eindeutig vorbei. Durch die wirtschaftliche Globalisierung sind die historisch gewachsenen Regionen vor allem auch in der Dritten Welt zu starken Märkten mit einem großem Selbstbewusstsein geworden. Dort wird schon seit Jahren der Imperialismus von Supermächten nicht gerne gesehen.<p>Der neue Fokus auf die eigene Heimat, auf nationale Traditionen und bodenständige Kultur führt zu massiven Veränderungen von politischen Strukturen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Die Bereitschaft der Konsumenten, in den Points Of Sales Widerstand zu leisten und sich beim Einkaufen querzulegen, wächst auffällig. Ebenso wie die Lust von verhältnismäßig kleinen Herstellern, die Konzerne herauszufordern und für die eigenen Leute eigene Produkte auf den Markt zu bringen.<p>

Cola-Protest in Indien

<p>Beispiel Indien: Rund eine Million indische Händler boykottieren derzeit sowohl Pepsi als auch Coca-Cola. Sie werfen den US-Konzernen die rücksichtslose Plünderung von wichtigen Wasserreserven vor. Doch ein Gericht entschied, dass es dafür keinerlei Beweise gebe und die Cola-Fabriken wieder die Produktion aufnehmen dürfen. Das heizte die Wut noch weiter an.<p>"Tatsächlich geht es in diesem Streit längst nicht mehr nur um Wasser, wie die Gegner der US-Konzerne selbst zugeben. Der Protest wirft vielmehr ein Schlaglicht auf die wachsende Skepsis vieler Inder gegen westliche Einflüsse und multinationale Unternehmen - und den Wunsch, eigene Marken zu fördern", konstatiert Frederic Spohr vom "Handelsblatt". Es gäbe tausende unbekannte regionale Getränkemarken, die von Pepsi und Coke erdrückt würden und keine Chance hätten.<p>Auch in Österreich ist der Limonadenmarkt "hart umkämpft", weiß Margareta Seiser, die Marketing-Chefin der St. Pöltner Egger Getränke GmbH & Co. Dementsprechend sei der Preisdruck. Egger füllt neben eigenen Marken (Bier, Radlberger, Granny’s, Himbeerkracherl) auch für fremde Unternehmen ab und erkennt einen Trend: Viele neue Getränkemarken kämen verstärkt aus völlig unbekannten Produktionsnischen.<p>Zwar ist Coca-Cola mit einem Marktanteil von 55 Prozent die unangefochtene Nummer eins auf dem österreichischen Limonadenmarkt und füllt hier längst nicht nur die braune Brause ab, sondern auch die Marken Römerquelle, Fanta, Sprite, Cappy, Mezzo Mix - für Österreich und zehn Länder in Europa.<p>

Enzian-Exot

<p>Doch "neben den Multis gehen immer mehr Newcomer mit dem Regionalitäts-Mascherl an den Start", sagt Simone Hoepke, Wirtschaftsjournalistin. Auch Supermärkte und Diskonter würden auf hippe "urban lifestyle"-Produkte setzen. "Alles was unter dem Regionalitätsdach daherkommt, lässt sich derzeit gut und zu guten Preisen verkaufen. Eine zahlungskräftige Klientel will sich mit der Limo auch ein Stück heile Welt oder zumindest ein gutes Gewissen kaufen. Etwa weil das Kracherl nicht anonym daher kommt, sondern in der Region für Wertschöpfung und Arbeitsplätze gesorgt hat und einen kleinen ökologischen Fußabdruck in der Welt hinterlässt."<p>Einer der schrägsten Exoten auf dem alkoholfreien Getränkemarkt hat im Salzburger Land seine Wurzeln: der Enzo Alpin.<p>Walter Trausner war eigentlich als Premium-Marmeladenhersteller ein Begriff, dann kam er auf die Idee mit dem würzig-bitteren Saft: "In einer der schönsten Regionen Österreichs wächst der Enzian. Die Ernte bedarf viel Fingerspitzengefühls. Ausgesuchte Gewürze, erlesene Früchte, Zucker und Weiteres, was ein streng gehütetes Geheimnis ist, werden zu einem Sirup eingekocht."<p>Im Vorjahr ließ Trausner rund 200.000 Flaschen abfüllen, beim Umsatz fuhr er ein Plus von 40 Prozent ein. Enzo Alpin gibt es mittlerweile nicht nur in Gasthäusern im Salzburgischen, sondern auch bei Spar Gourmet sowie in Salzburger und Wiener Filialen der Rewe-Gruppe (Merkur, Adeg, Billa). "Als alkoholfreier Aperitif schmeckt er am besten auf Eis, mit Soda oder Mineralwasser", sagt Trausner.<p>Selbstverständlich kann man Enzo auch mit Eis und Cola mischen, dann erinnert der Drink ein bisschen an das japanische "Pepsi Ice Cucumber" - mit Gurkengeschmack . . .

Georg Biron, geboren 1958 in Wien, ist Schriftsteller, Reporter, Regisseur und Schauspieler.