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"Me git, aber me sait nyt"

Von Ingeborg Waldinger

Reflexionen

Die Schweizer sind auch als Mäzene Weltspitze. Eine Erkundung in der Philanthropen-Hochburg Basel.


Ferdinand Hodler: "Der Genfersee von Chexbres aus" (1905). Kunstmuseum Basel, Ankauf mit Mitteln des Birmann-Fonds.
© Kunstmuseum Basel/Martin P. Bühler

Die Schweizer stehen nicht eben im Ruf, prunksüchtig zu sein. Sozialen Rang und Vermögen nach außen hin zu bekunden, entspricht nicht dem Stil der Eidgenossen. Wer hat, der zeigt es nicht - oder pflegt es zu geben, und zwar im Sinne der Gemeinnützigkeit.

Ein idealer Ort, dem Schweizer Mäzenatentum und Stiftungswesen nachzuspüren, ist Basel: Dort gibt es pro Kopf die höchste Stiftungsdichte des Landes (im Kanton Basel-Stadt über 800, in Basel-Land über 300), und eine legendäre Gruppe von Stiftern und Förderern - den DAIG. Das Wort, eine Variante von Deich im Sinne von Schutzwall, bezog sich einst auf Basels mittelalterliche Stadtmauer. Für den hochgelegenen Abschnitt wies Bischof Burkhard dem Adel Parzellen zu - mit der Auflage, an der hinteren Grundgrenze eine Mauer (mithin ein Stück Stadtwall) zu errichten. "Daig" wurde zum Synonym für diese (einfluss-)reichen Wall-Anwohner.

Die Humanistenhochburg und Messestadt Basel war 1529 gesamthaft zum Protestantismus übergetreten. Eine Oberschicht aus protestantischen Kaufleuten und Gewerbetreibenden gab nun den Ton an, darunter viele Seiden(band-)händler bzw. -fabrikanten. Auch das Färbergewerbe erblühte; es legte den Grundstein für Basels Chemieindustrie: Gleich zwei chemisch-pharmazeutische Global Players haben hier den Sitz: Hoffmann-La Roche und Novartis (1996 durch Fusion von Ciba-Geigy und Sandoz entstanden).

Klingende Namen

Über die Jahrhunderte etablierte sich eine Basler Elite mit klingenden Namen: Sarasin, Burckhardt, Faesch, Iselin, Merian, Staehelin, Vischer, Geigy, Sandoz, Hoffmann-La Roche, um nur einige der berühmtesten Familien zu nennen. Eine geschlossene Gesellschaft, bis heute DAIG genannt, die eine endogame Heiratspolitik betrieb, sich in Wohltätigkeit und Mäzenatentum übte - und eben in Understatement: "Me git, aber me sait nyt" (Man gibt, aber man spricht nicht darüber).

Das Ausmaß des lokalen Mäzenatentums kann der Besucher des Basler Kunstmuseums erahnen: "Ankauf mit Mitteln des Birmann-Fonds", "Legat Hans Von der Mühll", "Schenkung Raoul La Roche", "Vermächtnis Max Geldner" oder "Schenkung der Prof. Johann Jakob Bachofen-Burckhardt-Stiftung" steht neben Exponaten zu lesen. Oder: "Mit Beiträgen von Dr. h.c. Richard Doetsch-Benziger, Karl Im Obersteg, René Guggenheim und einem ungenannt sein wollenden Spender".

Direktor des CEPS Basel: Georg von Schnurbein.
© Waldinger

Ein hehrer Anonymitätswunsch. Ob das Schweizer Stifterwesen überhaupt in Zahlen und Namen erfassbar ist, fragen wir den Experten Georg von Schnurbein, Direktor des "Center for Philanthopic Studies" (CEPS) an der Universität Basel, der uns erklärt: "Dieses Schweizer Bonmot, "Me git, aber me sait nyt", ist sehr weit verbreitet. Wir haben dieses Jahr Vertreter aus der Wirtschaft, Politik, NPOs und Medien gefragt: Was ist denn das typisch Schweizerische an der Philanthropie? Die Antwort war jegliche Variation von Diskretion, Zurückhaltung und Bescheidenheit. Der Anonymitätswunsch von Gebern entsprang teils auch einem pietistischen Ansatz." Doch die heutige Gesellschaft verlange Transparenz und Offenheit. Daher hätten "mehrere Stiftungen, vor allem der Verband Swiss Foundations vier Universitäten eingeladen, sich um die Anschubfinanzierung für ein solches Zentrum zu bewerben." Der universitäre Rahmen sollte Unabhängigkeit, eine gewisse Rigorosität und Kontinuität in der Forschung gewährleisten.

"Ich lehre im Rahmen der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Stiftungsmanagement, Nonprofitmanagement usw. Und unsere Weiterbildungslehrgänge in Recht und Management sprechen u.a. leitende Angestellte von Stiftungen, Bankenmitarbeiter bzw. aktive wie künftige Mäzene an. Grundsätzlich ist es meine Zielsetzung, dass es einmal eigene ,Philanthropie Studies‘ gibt." (Die weltweit einzige Universität, die bisher einen Doktor in Philan-thropie anbietet, ist die University of Indiana mit deren Lilly School of Philanthropy.) Das Basler CEPS veröffentlicht auch jährlich den "Schweizer Stiftungsreport". Das Stiftungsrecht zwingt aber nicht zur Transparenz; eine Stiftung muss nur der staatlichen Aufsicht einen Jahresbericht abliefern.

Operative Stiftungen

Neben den Förderstiftungen (die Gelder ausschütten) gibt es die operativen Stiftungen, etwa die Fondation Beyeler, die ihre Kunst zur Verfügung stellt, das Merian-Iselin-Spital oder das Adullam, eine Pflegeeinrichtung. Georg von Schnurbein: "Die wurden von Familien gegründet, werden aber heute von der Öffentlichkeit erhalten, das wäre anders nicht tragfähig." Aus Unternehmersicht sei das so zu beurteilen: Die erste Investition übernimmt ja die Stiftung; laufe sie erfolgreich an, dann könne der Staat schon einsteigen. "Letztendlich reduzieren die Stiftungen das Risiko für den Start."

80 Prozent der Stiftungen in Basel stehen unter kantonaler Aufsicht, d.h., sie verfolgen einen kantonalen Zweck. Für bezahlbare Mieten engagiert sich die Stiftung Habitat der Beatrice Oeri. Habitat und die Stiftung Edith Merian haben auch maßgeblich die "Bodeninitiative" vorangetrieben, die dazu führte, dass der Kanton Basel-Stadt bei Verkauf einer Immobilie eine gleichwertige erwerben muss.

Die Stiftung "Ladies first" wiederum (fünf Damen, vier davon anonym) legte für den Bau des Schauspielhauses 12 Millionen Franken hin. Sogar das Spitzenrestaurant Stucki wird gesponsert, oder das große Feuerwerk am 1. August. Direktor von Schnurbein: "Also es ist viel Geld da, keine Frage. Aber verglichen mit dem staatlichen Budget ist das immer noch gering. Der Kanton Basel-Stadt gibt 190 Millionen für Kultur aus, davon allein 30 Millionen fürs Schauspielhaus. Und die größte Stiftung hier, die Christoph Merian Stiftung, gibt 10 Millionen für alle Bereiche aus."

Der Zweck einer Stiftung wird urkundlich festgeschrieben und ist nur sehr schwer zu ändern. Das hat mitunter bizarre Folgen: "Wir sprechen von der ,Diktatur der toten Hand‘, wenn ein Stifter so enge Vorgaben gemacht hat, dass man das Vermögen gar nicht zur Gänze ausschütten kann." Ein prominenter Fall sei die 700 Millionen schwere Emma Winkler-Stiftung zur Unterstützung der Stadt Stein am Rhein: "Inzwischen haben sie dort jeden Pflasterstein mit Gold überzogen."

Der Schweizer Pragmatismus (und eine Gesetzesnovelle) erlaube gewisse Anpassungen des Stiftungszwecks. Dennoch gelte es vor Gründung einer Stiftung genau zu überlegen, was und wen man damit erreichen wolle, auch die Laufzeit sei ein wichtiger Faktor.

Rechtliche Leitplanken

Eine Änderung der Stiftungsurkunde kann nur die Aufsicht machen. Etwa, wenn der Zweck obsolet ist: In Zürich hat eine Stiftung die Beleuchtung des öffentlichen Raums mit Gaslampen unterstützt; das wurde auf "zeitgemäße Beleuchtung" umformuliert. Heute werden Stiftungszwecke im Allgemeinen eher breit formuliert, z.B. ,Förderung von Kultur, Bildung und Forschung‘".

Das Schweizer Stiftungsrecht ist im Zivilgesetzbuch (ZGB) geregelt. "Es wurde von 1912 bis zur Teilrevision von 2006 nicht angerührt." Im Vergleich zu Deutschland oder Österreich sei man relativ liberal, was die Gestaltung und die Zwecke der Stiftung betrifft. Klare Leitplanken gebe es aber da, wo es um den persönlichen Nutzen geht: Das gestiftete Vermögen sei "veräußert", für immer. Sich später zumindest einen Teil zurückzuholen, wie in anderen Rechtsräumen erlaubt, sei in der Schweiz nicht möglich. Auch steuerliche Vorteile gebe es einzig für gemeinnützige Stiftungen.

Ob eine Stiftung gemeinnützig ist, bewerten die Kantone; sie haben auch die Steuerverwaltung. In der Schweiz sind Spenden zu 20 Prozent absetzbar, mit kantonalen Ausnahmen: in Baselland sind es 100 Prozent. Dazu der CEPS-Direktor: "Das führt dort keineswegs zu unglaublichen Spendenerträgen. Steueroptimierung spielt für die meisten Spender keine große Rolle. Das hohe Bürger-Engagement in Basel ist auch historisch erklärbar."

Handle selbst . . .

Der Handel wusste die günstige Lage am Rheinknie stets zu nutzen. Durch den Jura aber war die Stadt vom Rest der Schweiz etwas abgeschnitten und kam erst relativ spät (16. Jh.) zur Eidgenossenschaft. Die Basler wussten also: wollten sie etwas bewegen, mussten sie selbst handeln. "Ein schönes Beispiel dafür ist die Gründung der Universität 1460 durch die Bürger. Da sie formal einen Stifter brauchten, wandten sie sich an Papst Pius II., der sich beim Basler Konzil in die Stadt verliebt hatte." Der Papst stiftete, die Bürger zahlten. Dieses Selbstverständnis zeigt sich in vielen Bereichen. 1662 hat die Stadt das Amerbach-Kabinett (Kunstsammlung) angekauft und damit die Grundlage für die Museen geschaffen. Die Patrizierfamilien fühlten sich Basel stets sehr verbunden. An den Pharmakonzernen sind sie bis heute beteiligt.

Gehörte es für die Stifter traditionell zum guten Ton, Kunst zu fördern (u.a. Ausbau des Kunstmuseums, Haus der elektronischen Künste), so stehen für die "neuen" Philanthropen oft Entwicklungsarbeit und Bildung im Vordergrund. Die hohe Stifter-Dichte in Basel und deren riesige Vermögen seien aber dennoch in Relation zu sehen, meint Georg von Schnurbein:

"Letztendlich ist es ein Segen für die Stadt, dass die zwei Riesenkonzerne Novartis und Hoffmann-La Roche hier ihre Steuern zahlen, denn ohne diese sähe es ganz düster aus. Da würde die ganze Philanthropie nichts helfen." Die beiden Konzerne stiften übrigens selbst: Hoff-Roche u.a. das Tinguely-Museum, Novartis Kindergärten und einen Teil der International School. Im globalen Wettkampf um Talente muss ein Standort schließlich ein entsprechendes gesellschaftliches und kulturelles Angebot haben.

Ein ganz anderes kulturelles Engagement kommt nun auch Österreich zugute: die 2013 gegründete Joseph Haydn-Stiftung. Bis zum 300. Geburtstag des Komponisten (2032) sollen all seine Sinfonien aufgeführt und auf CD eingespielt werden - durch das Ensemble Giardino Armonico und das Basler Kammerorchester, finanziert durch zwei Basler Mäzene . . .

Ingeborg Waldinger, geb. 1956, ist Redakteurin im "extra" der "Wiener Zeitung" und literarische Übersetzerin.