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Mit dem absoluten Auge

Von Wolfgang Georg Fischer

Reflexionen

Der österreichische Maler Gustav Klimt durchlief viele Stilperioden - und fand im Jugendstil zu seiner Glanzform. Zum 100. Todestag am 6. Februar.


Klimts Portrait der Adele Bloch-Bauer ("Goldene Adele"), 1907. (Ausschnitt)
© Wikimedia commons

In das an Jubiläen reiche Jahr 2018 fällt auch der 100. Todestag eines der bedeutendsten Vertreter des Jugendstils und Wegbereiters der Moderne: Gustav Klimt.

Der heute weltberühmte Maler wurde als zweites von sieben Kindern am 14. Juli 1862 in Baumgarten bei Wien (heute 14. Bezirk, Linzer Straße 247) in eine Handwerkerfamilie geboren. Sein Vater, Ernst Klimt der Ältere (1834-1892), war von Beruf Goldgraveur und stammte aus Böhmen; die Mutter Anna Rosalia, eine geborene Finster, sollte ihn um 23 Jahre überleben.

Schon im Alter von 14 Jahren wird Gustav Klimt ein Stipendium an die neugegründete Kunstgewerbeschule des österreichischen Museums für angewandte Kunst zuerkannt, wo er sieben Jahre lang die technischen Grundlagen des Kunstmalergewerbes erlernt.

Gustav Klimt, 1912.
© Ullsteinbild/Imagno/ÖNB

Am berühmten Makart-Festzug zu Ehren der Silbernen Hochzeit des Kaiserpaares im Jahre 1879 nimmt er gemeinsam mit seinem Bruder Ernst und seinem Maler-Kollegen Franz Matsch teil. Das Trio schließt sich zu einer Ateliergemeinschaft zusammen und bewirbt sich erfolgreich um Aufträge im Rahmen der Ringstraßen-Renaissance in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ein schönes Beispiel dafür sind die Fresken im Treppenhaus des Burgtheaters, welche Szenen aus der Weltgeschichte des Theaters zeigen: Themen wie etwa "Thespiskarren" "Theater Shakespeares" oder "Theater in Taormina" und das vom Standpunkt der Klimt-Biographie aussagekräftigste Fresko "Hanswurst auf der Stegreifbühne zu Rothenburg an der Tauber" (alle 1886/88). Als Modelle für die Figuren des Publikums hat Klimt Mitglieder seiner engsten Familie und der befreundeten Familie Flöge genommen.

Muse Emilie Flöge

Klimts Portrait von Emilie Louise Flöge, 1902 (Ausschnitt).
© Wikimedia commons

Hier taucht erstmals als Zuschauerin (Halbfigurenbild) die Gestalt der damals erst 16-jährigen Emilie Flöge (1874- 1952) auf, die später, bis zu seinem Tod 1918, Klimts Muse, ständige Begleiterin und wahrscheinliche Geliebte gewesen ist, obwohl Gustav und Emilie nie unter einem Dach gewohnt haben. Gustav hatte sein Atelier in Hietzing und wohnte zeitlebens bei seiner Mutter und den beiden Schwestern. Die Stellung von Emilie als ungekrönte "Künstlerwitwe" hat jedoch niemand in Zweifel gezogen; sie konnte auch über die Hälfte des Erbes verfügen (die andere Hälfte ging an Gustavs Schwestern).

Die Familien Klimt und Flöge waren bereits durch die Heirat von Gustavs Bruder Ernst (1864- 1892) und Emilies Schwester Helene verbunden. Gustav Klimt kannte also die um Jahre jüngere Emilie Flöge schon als Kind. Trotz seiner offenbar immer stärker werdenden Bindung an Emilie, die ihrerseits nicht nur erwidert wurde sondern bis zu ihrem Tod anhielt, bestehen beide Partner zeitlebens auf ihrer - auch beruflichen - Eigenständigkeit: Emilie als Modeschöpferin mit dem Modesalon "Schwestern Flöge", Gustav als stets freier Künstler ohne jedwede Lehrverpflichtung.

Davon zeugen schon die 393 Schriftstücke, die Klimt zwischen 1897 und 1917 an Emilie verfasst und oft in erstaunlich kurzen Zeitabschnitten abschickt. Am 10. Juli 1909 etwa sendet er acht Karten per Rohrpost an Emilie. Diese Korrespondenz wurde von mir im Flöge-Nachlass entdeckt, angekauft und 1999 über das Auk-
tionshaus Sotheby’s an die Sammlung Leopold in Wien vermittelt.

Der Inhalt dieser Korrespondenz ist meist belanglos, ja oft banal. Wir erfahren darin nichts über Klimts Werk, sein Künstlerleben oder über die Liebesbeziehung zu Emilie. Die Grußformeln sind äußerst formell, etwa: "besten Gruß Gust.", "Leb wohl, noch einmal", ein kurzes "Gustav" oder "herzlichen Gruß an alle".

Niemals kommen die - unter Liebenden üblichen - Worte "Umarmung", "Kuss" oder "Sehnsucht" vor. Hat Emilie die wahren Liebesbriefe aus Prüderie verschwinden lassen, sind sie vielleicht im Schloss Immendorf (NÖ; seit 1942 Kunstdepot, am 8. Mai 1945 in Brand gesteckt, Anm.) verbrannt oder wurden sie gar nie geschrieben? Dazu wäre anzumerken, dass Klimt ein ausgesprochenes Anti-Schreibtalent an den Tag legte und ihn auch die zahlreichen, mitunter primitiven Rechtschreibfehler wenig kümmerten.

Die Musen haben Künstlern oft ein absolutes Gehör, einen absoluten Stil oder ein absolutes Auge mit auf den Lebensweg gegeben. Den Einzelkünstler aber haben sie stets nur mit einer Gabebeschenkt: Im Falle Klimt mit dem absoluten Auge!

Im Jahr 1894 erteilt das Unterrichtsministerium den Auftrag, Entwürfe zur Ausschmückung der Universität einzureichen. Diese sogenannten Fakultätsbilder (Darstellung von Medizin und Philosophie) werden zum Skandal: zum einen, weil sie von den Professoren abgelehnt werden, zum anderen, weil sie auch zum Bruch mit Franz Matsch führen, der den kühnen, neuen Bildvorstellungen Klimts nicht mehr folgen kann. Gustav Klimt kauft zwar seine eigenen Entwürfe mit Hilfe eines Mäzens, der Familie Lederer, zurück, ist aber von dieser offiziellen Demütigung ebenso getroffen wie von der Ablehnung des Staates, ihm eine Professur an der Meisterschule für Historienmalerei an der Akademie der Bildenden Künste zu verleihen, obwohl ihn die Professorenschaft primo loco vorgeschlagen hatte.

Portraitgetreue Figuren

Die progressiven Wiener Maler, vor allem Oskar Kokoschka und Egon Schiele, haben die Führungsposition des Meisters hingegen anerkannt und noch zu seinen Lebzeiten gewürdigt. Kokoschka widmete ihm sein Frühwerk von 1908, die bunten Holzschnitt-Illustrationen in den "Träumenden Knaben", mit den Worten: "Gustav Klimt in Verehrung zugeeignet". Egon Schiele wiederum hat uns ein schönes Aquarell (1916) hinterlassen, das den Meister in seinem typischen blauen Malerkittel in voller Figur zeigt.

Wie wach und gleichzeitig akribisch genau Klimt sein Augenmerk nicht nur auf die Künstler der kommenden Generation geworfen hat, sondern auch auf seine Zeitgenossen in ihrer Gesamtheit, zeigt sein großes Aquarell (91,2 x 103 cm!) "Zuschauerraum im alten Burgtheater" (1888/89, Wien Museum). Trotz seines großflächigen Zusammenhaltes ist jede Figur namentlich überliefert und in ihrer portraitgetreuen Einzigartigkeit erkennbar! Unter den Gästen befinden sich Persönlichkeiten wie der Bruder Ernst Klimt, der Schauspieler Alfred Girardi, der Musiker Johannes Brahms und der Schriftsteller Eduard von Bauernfeld, der Bürgermeister Karl Lueger und der Ministerpräsident Eduard Graf Taaffe, aber auch Aristokraten wie Erzherzog Carl Ludwig oder die Herzogin Thyra von Cumberland, Tochter des Königs Christian IV. von Dänemark.

In den Skizzen zu den Figuren im Zuschauerraum, den Logen und Rängen hat Klimt den Gesichtern noch keine individuellen Züge gegeben, die portraitgetreuen Physiognomien sind von ihm wohl erst später eingesetzt worden. Man muss sich die Entstehung vorstellen wie einen photographischen Schnappschuss, dem ein Retoucheur die Gesichter als Portraits später einsetzt. Jedenfalls hat Klimt uns mit diesem Aquarell gleichsam einen "gemalten Gotha" der Monarchie mit Einschluss der kreativen, großbürgerlichen Akademiker und Künstler hinterlassen.

Die Aufgeschlossenheit des Künstlers dem Neuen und Modernen gegenüber wirkt auch nach außen: seine Wahl zum Präsidenten der Secession ist Zeugnis davon. 1898 wird das Gebäude von Joseph Maria Olbrich in Form eines Kubus mit aufgesetztem Turmhelm aus durchbrochenen Goldornamenten als Ausstellungsraum errichtet. Wegen des Aufbaus wurde die "Secession" im Wiener Dialekt als "Krauthappel" bezeichnet und als solches ins Herz geschlossen, während die Elite um 1900 glücklich und stolz war, die Werke der zeitgenössischen Moderne (Vincent van Gogh, Max Klinger u.a.) in einem angemessenen Rahmen zu zeigen.

Klimt hat in seinem Leben von einem halben Jahrhundert viele Stilperioden durchwandert: Vom historisierenden Ringstraßen-Stil wie in seinen Burgtheaterfresken ging er über zu den ikonographischen, revolutionären - und abgelehnten - Fakultätsbildern; von den monumentalen Werken mit persönlicher Symbolik (etwa bei dem Bild "Tod und Leben") zum dokumentargetreuen Kommentar historischer Begebenheiten (siehe die naturgetreue Abbildung des Publikums auf dem Aquarell mit dem Interieur des alten Burgtheaters); von freien, eilig hingeworfenen Aktzeichnungen (Illustrationen zu "Lukians Hetärengesprächen") zu den impressionistischen, großen Landschaften der Spätzeit - bis zum absoluten Höhepunkt mit den berühmten Goldgrundbildern "Hoher Frauen" beziehungsweise Damen der Wiener Gesellschaft. Aus dieser Reihe gelangte das Portrait der Adele Bloch-Bauer, das zu Recht als die "österreichische Mona Lisa" bezeichnet wird, zu besonderem Ruhm. Es ist heute im Privatmuseum des Sammlers Ronald Lauder, der Neuen Galerie in New York, zu sehen.

Klimts "Mona Lisa"

Diese Klimt-"Mona Lisa", wegen des Goldgrundes auch "Goldene Adele" genannt, hing jahrelang im Belvedere. Im Rahmen der Nachforschungen zu gestohlenen jüdischen Besitztümern ist man in den 1990er Jahren auf die rechtmäßige Erbin des Bildes gestoßen, die Nichte Maria Altmann. Sie war nach dem "Anschluss" nach Kalifornien emigriert und sogar bereit, Österreich das Bild zu einem Freundschaftspreis zu überlassen. Maria Altmann war trotz Emigration und Enteignung eine österreichische Patriotin geblieben.

Die österreichischen Kulturbeamten haben aber alles darangesetzt, um die Rückgabe an die rechtmäßige Erbin zu verhindern, bis der amerikanische Supreme Court ein Urteil im Sinne der Besitzerin fällte. Die damals zuständige Bundesministerin, Elisabeth Gehrer, hat die Weltbedeutung der Klimt-Adele (Mona Lisa) anscheinend nicht verstanden und falsch gehandelt.

So weit so schlecht für Österreich. Das Bild selbst wurde nach erzwungener Ausfuhrbewilligung von Ronald Lauder, dem Präsidenten des World Jewish Congress und ehemaligen amerikanischen Botschafter in Wien, um 135 Millionen Dollar erworben und bildet heute das vielbewunderte Glanzstück seines Privatmuseums. Jetzt strömen Kunstfreunde aus ganz Amerika nach New York, um die "Goldene Adele", dieses Glanzstück der klassischen österreichischen Moderne, zu betrachten.

Es ist nicht das einzige Zeugnis der Geniewelt von 1900: Neben dem Trio der Malerei- Klimt, Kokoschka, Schiele - gibt es in der Musik das Trio Mahler, Schönberg und Berg, in der Architektur Hoffmann und Loos, sowie die beiden Solisten Kafka in der Literatur und Freud in der Psychiatrie. Ein Zehnpersonenkammerorchester mit unterschiedlichsten Instrumenten, das sich neben den Wiener Philharmonikern wahrlich sehen lassen kann!

Literatur

Johannes Dobai, Fritz Novotny: Gustav Klimt. Gesamtverzeichnis der Gemälde. Salzburg 1967.

Alice Strobl: Gustav Klimt. Die Zeichnungen 4 Bände. (nur für Fortgeschrittene). Salzburg 1980-1989.

Wolfgang Georg Fischer: Gustav Klimt und Emilie Flöge. Wien 1987.

Paul Asenbaum, Wolfgang Kos, Eva-Maria Grosz: Glanzstücke. Emilie Flöge und der Schmuck der Wiener Werkstätte. Wien 2008.

Dörthe Bukert: Frauen in Gold. Musen und Modelle. München, Wien 2011.

Klimt. Die Sammlung des Wienmuseums (darunter das Porträt Emilie Flöge). Ausstellungskatalog. Wien 2012.

Tobias Natter (Hg.): Klimt persönlich. Wien 2012. (Mit dem Essay von Wolfgang Fischer: "Liebe Emilie!". Klimt schreibt an Emilie.)

Elisabeth Sandmann: Der gestohlene Klimt. Frankfurt am Main2016.

Margret Greiner: Auf Freiheit zugeschnitten. Emilie Flöge. (Romanbiographie. In diesem Sinn oft freie Deutungen der historisch belegbaren Ereignisse).

Mona Horncastle, Alfred Weidinger: Gustav Klimt. Wien 2018.

Wolfgang Georg Fischer, geboren 1933 in Wien, ist Schriftsteller und Kunstexperte mit dem Spezialgebiet "Die Wiener Klassische Moderne mit Klimt, Kokoschka und Schiele".