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Der neue Bürgerkrieg

Von Walter Hämmerle

Reflexionen

Österreich, wieder in zwei Lager gespalten, steht ohne verbindende Erzählung für eine gemeinsame Zukunft da.


Die gute Nachricht lautet: Der alte Bürgerkrieg, der einst zwischen Schwarz und Rot mit Waffen und später noch mit heißen Worten ausgetragen wurde, ist Geschichte. Die schlechte Nachricht ist: Ein neuer Bürgerkrieg ist im Gang.

An dessen Anfang steht das Aufkommen einer neuen Moral. Diese führt in einem ersten Schritt zur Entstehung der Grünen. Das Gegenstück bildet die Neuerfindung der FPÖ ab 1986. Seitdem steht die Frage unserer Identität wieder im Zentrum der Auseinandersetzung. Beide neuen Lager geben darauf entgegengesetzte Antworten. Die Flüchtlingskrise hat diesen Konflikt nicht verursacht, aber sehr wohl zusätzlich verschärft und zugespitzt. Die Frage nach unserer Identität hat bereits zuvor das Land gespalten.

Jetzt, gerade rechtzeitig zum hundertsten Jahrestag der Gründung der Republik, ist der neue Bürgerkrieg in allen Köpfen angekommen. Es ist dies ein Konflikt, von dem sich alle voll betroffen fühlen, selbst wenn sie es faktisch kaum sind. Damit einher geht eine verbale Aufrüstung. Jede Seite verwandelt Debatten in öffentliche Demonstrationen der eigenen Überlegenheit und Interviews in Glaubensbekenntnisse. Nicht nur Politik, auch das Reden und Schreiben darüber nimmt quasi-religiöse Züge an. Wer das für Übertreibung hält, muss nur die Selbstverliebtheit, die Gewissheit gepaart mit Verbissenheit betrachten, mit der öffentlich gestritten wird: im Nationalrat, in Talkshows, auf Demonstrationen, sogar im privaten Bereich.

Archaischer Rückfall

Natürlich überlassen Parteien und Politiker wenig dem Zufall. Vieles, ja fast alles ist im Vorhinein geplant und inszeniert. Doch in diesem Fall ist der zugrunde liegende Konflikt echt: Es prallen tatsächlich zwei politische Glaubensbekenntnisse aufeinander, die mit ihrer "Zunge gleichsam als Trompete des Krieges und des Aufruhrs" kämpfen, wie es Thomas Hobbes, der Theoretiker des modernen Bürgerkriegs, im 17. Jahrhundert beschreibt. In diesem Sinne ist auch der Begriff des neuen Bürgerkriegs zu verstehen:

Der Konflikt dreht sich um politische und soziale Identitäten. Widerspruch wird nicht geduldet, Pardon weder gewährt noch erbeten. Und die mächtigste Waffe, die dabei zum Einsatz kommt, ist die Sprache als Mittel der Propaganda. Dieser archaisch anmutende Rückfall in eine vermeintlich überwundene Ära der Glaubenskriege hat Folgen für unsere Demokratie. Immerhin, es gibt noch Grenzen: Das Prinzip der unbedingten Gewaltlosigkeit ist unbestritten, jedenfalls im Zentrum der Politik.

Trotzdem ist der neue Bürgerkrieg nicht gewaltfrei. Vor allem an den Rändern, wo die Leidenschaft am heißesten lodert, franst dieses Prinzip aus. Die Verbitterung, die Wut und der Hass haben jederzeit das Potenzial, sich in körperliche Gewalt zu entladen. Notorisch zählt hier der rechtsextreme Rand zu den üblichen Verdächtigen. Gewalt ist aber auch dem Linksextremismus nicht fremd. Und die Empörung ist verlässlich am größten, wenn die Gewalttäter beider Seiten miteinander auf eine Stufe gestellt werden.

Diese rohe Gewalt an den Rändern ist fraglos eine Tragödie. Maßgeblicher für den Verfall der Streitkultur ist jedoch das Ausmaß an Aggression, das sich im virtuellen Raum breitmacht. Bei Facebook, Twitter und Co fallen, oft unter dem Deckmantel der Anonymität, alle Hemmungen, die ein persönliches Streitgespräch von Angesicht zu Angesicht üblicherweise im Gleichgewicht halten. Hier werden "die anderen" beleidigt, beschimpft und bedroht. Oft von den Fußtruppen der streitenden Lager ohne jede Weisung, mitunter aber auch gezielt gesteuert, sei es direkt oder indirekt. Dass es sich dabei meist um negative Gefühle handelt, ist der menschlichen Psyche geschuldet. Wut ist eine mächtige Triebfeder. Und sie versorgt die Gläubigen des virtuellen Bürgerkriegs mit schier unerschöpflicher emotionaler Energie.

Verlustanzeigen

Im Kern dreht sich der neue Bürgerkrieg darum, was es im Hier und Heute bedeutet, ein Österreicher, eine Österreicherin zu sein. Es ist ein Konflikt um Werte und Identitäten, das macht es so schwierig, ihn zu moderieren und zu überwinden. Auf politischer Ebene stehen sich dabei in der ersten Reihe FPÖ und Grüne samt verbündeten Kohorten mit ihrem gegensätzlichen Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gegenüber; doch die dazugehörenden Lager gehen weit über diese Parteien hinaus. Die anderen, vor allem Rot und Schwarz, stehen mit je einem Fuß in beiden Lagern. Es zieht sie einmal auf die eine, dann wieder auf die andere Seite. Ob diese Position im Niemandsland des Frontverlaufs dauerhaft ein Vor- oder Nachteil ist, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten, schon gar nicht für alle Zukunft. Die bisherige Erfahrung lehrt, dass wann immer Rot und Schwarz die Arena den Rändern überlassen, sie selbst unter Druck geraten. Entscheiden sich SPÖ und ÖVP dagegen für die Offensive, spüren FPÖ und Grüne Gegenwind. Das haben die Wahlen vom 15. Oktober gezeigt.

Bestandsaufnahmen der Gegenwart haben bisweilen den Charakter von Verlustanzeigen. Wir vermissen, was wir nicht haben. Das ist beim einzelnen Individuum nicht viel anders als bei Gemeinschaften. Zwei zentrale Fähigkeiten sind uns als Gesellschaft abhandengekommen, und das ausgerechnet in einem Moment, in dem wir sie dringend benötigen: Wir haben verlernt, die aktuellen Vorgänge in der Politik angemessen zu beschreiben, zu analysieren. Und wir können die Zukunft nicht mehr positiv denken. Das Morgen ist für uns keine Verheißung mehr, sondern ein lauernder Albtraum, ein Schreckgespenst, vor dem zu fürchten wir gute Gründe haben.

Das ist neu und besorgniserregend. Es ist völlig ungeklärt, was eine Revolution der Wütenden und Enttäuschten im Rahmen einer Demokratie bedeuten kann, ja bedeuten soll. Und das gilt auch für die Ideale der Gegenseite. Wir sind so mit dem Kampf gegen und für das Bestehende beschäftigt, dass daneben keine Energie mehr bleibt, sich mit neuen Ideen und den Folgen der technischen Möglichkeiten zu beschäftigen. Es ist wahrscheinlich, dass uns diese gedankliche Engführung noch einmal auf den Kopf fallen wird.

Ein "Regime der Unruhe": Das ist die bürgerliche Demokratie für Karl Marx und Friedrich Engels. In den Augen der beiden sorgt der Kapitalismus "für die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, für ewige Unsicherheit. Alle festen eingerosteten Verhältnisse werden aufgelöst, alle neu gebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. (. . .) An die Stelle der alten lokalen und nationalen Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen untereinander."

Unruhe aushalten

Die Zeitdiagnose des "Kommunistischen Manifests", verfasst im unvorstellbar weit entfernten Jahr 1848, liest sich beklemmend aktuell für die unmittelbare Gegenwart. Das war nicht immer so. Für lange Jahrzehnte nach 1945 sorgt der Primat der Politik über den Kapitalismus für Stabilität. So erfolgreich sogar, dass es entgegen der Prognose von Marx und Engels eben doch zu Verknöcherungen kommt.

Etliche staatlich gelenkte Bereiche schotten sich ab und schaffen ihre eigenen kleinen Welten, losgelöst von den aufziehenden Stürmen einer neuen Zeit. Die Politik, zumal jene in Österreich, zählt zu den letzten, die zum Aufbruch aus der Wärmestube der selbst geschaffenen Behaglichkeit mahnen. Sie verharrt lieber im Heimeligen, so lange es irgendwie geht. Erst wenn es nicht mehr anders geht, ist die Politik zum Aufbruch bereit.

Heute sorgt nicht mehr nur die Dynamik des Kapitalismus für das Marxsche Regime der Unruhe, hinzu kommt die Idee der Demokratie selbst. Früher waren die politischen Verhältnisse der Garant, dass die Dinge so bleiben, wie sie sind. Die große Koalition, die dank der Sozialpartner auch dann regierte, wenn Rot oder Schwarz allein das Sagen hatten, war der Garant umfassender Stabilität. Damit ist es vorerst vorbei. Diese Unruhe auszuhalten, fällt keiner Gesellschaft leicht. Warum sollte Österreich eine Ausnahme darstellen.

Der neue, alle Sachthemen überspannende Konflikt ist trotzdem kein Schicksal, keine Naturgewalt, die einfach über uns gekommen ist. Der Bürgerkrieg tobt, weil die alte Ordnung unwiederbringlich Vergangenheit ist; an deren Stelle sind zwei rivalisierende Lager getreten, die Anspruch auf die Führung für das ganze Land erheben. Seine Energie erhält er, weil sich zwei politische Glaubensbekenntnisse gegenüberstehen, deren Auffassung von Österreich, seinen Werten und seiner Identität unvereinbar sind; und weil es auf jeder Seite Glaubenskrieger gibt, die bereit sind, für ihre politische Religion in die Schlacht um die öffentliche Deutungshoheit zu ziehen. Diese sitzen in den Parteien, in Vereinen, Verbänden und Medien; sie schreiben, senden, twittern, posten und facebooken; sie organisieren und engagieren sich, sie protestieren und demonstrieren, die einen hauptberuflich und professionell, viele andere nur so nebenbei, aber mit umso mehr Leidenschaft und Überzeugung.

Den wenigen Lauten steht eine Mehrheit der Leisen und Unentschlossenen gegenüber. Weil nur eine Minderheit mit Leidenschaft kämpft, ist eine Befriedung des Bürgerkriegs oder zumindest ein Waffenstillstand möglich. Der einfachste Weg, die Spaltung zu überwinden, wäre das Auftauchen eines neuen Mega- und Metathemas, das alle verfügbare politische Energie auf sich zieht, sodass keine Kraft mehr übrig bliebe, den alten Kampf zu kämpfen. Etwa eine schwere ökonomische Krise oder eine Katastrophe. Es liegt auf der Hand, dass sich niemand eine solche Entwicklung wünschen kann. Also müssen wir nach anderen Wegen suchen, die Dynamik der Spaltung hinter uns zu lassen, auf dass das "Wir" wieder eine Chance bekommt.

Eine neue Erzählung

Über die Jahrhunderte hinweg war es unbestritten, dass Politik nur mithilfe von Symbolen ihre volle Kraft entfaltet. Solche Symbole verdichten sich zu Erzählungen. Und diese wiederum sind in der Lage, den Menschen Auskunft da-rüber zu geben, wer und was sie sind und wie sie zusammenleben sollen. Gesellschaften können zerbrechen, wenn sie keine gemeinsame Erzählung für sich entwickeln.

Mittlerweile ist wieder klarer erkennbar, dass sich jede Gemeinschaft nach einer verbindenden Idee sehnt. (. . . ) Und diese Idee einer Identität - mehr kann es in der Wirklichkeit ja nie sein - muss für die Menschen spürbar und fühlbar sein. Der Bürgerkrieg führt jedoch dazu, dass die Republik ohne verbindende Erzählung für die gemeinsame Zukunft dasteht. Mit einer pragmatischen Wiederverwertung des Alten kommt man nicht weit. Die rot-schwarze Heldengeschichte vom Aufbau taugt nur mehr als nostalgische Erinnerung für die Älteren, aber nicht als Leitmotiv für die Jungen.

Dabei ist die Lücke nicht neu. Spätestens seit dem EU-Beitritt 1995 wartet dieses Land auf ein Narrativ für die Gegenwart und Zukunft. Weil die alten Eliten nur in den guten alten Zeiten schwelgen, ansonsten aber allenfalls leere Worthülsen parat haben, sind es die politischen Ränder, die in die Bresche springen und ihre eigenen Geschichten vom Aufbruch in eine bessere Zukunft entwickeln. Also predigen die Hohepriester des einen Glaubens den Aufbruch aus den nationalen Strukturen und wollen Grenzen niederreißen, während der andere Glaube die Verwerfungen der Gegenwart im Blick hat und sich Sicherheit und Geborgenheit von der Erneuerung der nationalen Gemeinschaft erhofft. Beide rücken ihr Ideal von Identität in den Fokus des Konflikts, und beide warnen mit drastischen Bildern vor dem Sieg der Gegenseite.

Die Frage nach der Identität ist auch deshalb relevant, weil unablässig die Forderung erhoben wird, die Menschen, die neu nach Österreich kommen, müssten sich inte-grieren. Das ist leicht gefordert, aber schwer umgesetzt, wenn offen ist, was es genau bedeutet, ein Österreicher, eine Österreicherin zu sein. Braucht es dazu unbedingt die Beherrschung der deutschen Sprache oder reicht zur Not auch fließend Englisch? Welche Rolle spielen Kleidung und Haartracht? Wer ist besser integriert: ein Steuern und Abgaben zahlender Muslim im Kaftan mit Vollbart, oder ein langzeitarbeitsloser opportunistischer "Herr Karl"? Oder sollte es nicht überhaupt reichen, sich einfach an die Buchstaben der hiesigen Rechtsordnung zu halten?

Alle diese Fragen sind bis aufs Äußerste aufgeladen mit Emotionen und Ängsten. Das wird so bleiben, solange sich zwei oder mehr Erzählungen gegenüberstehen. Und ob ein Triumph des einen über das andere Lager Abhilfe schaffen würde, darf getrost bezweifelt werden. Die Wunden würden lange nicht heilen.

Ein Ausweg könnte sein, sich auf die Suche nach einer ganz anderen Erzählung zu machen. Die diversen Ansätze für eine Dritte Republik kommen dafür nicht in Frage. Schon der Begriff ist hochgradig kontaminiert, seit ihn sich Jörg Haider zu eigen gemacht hat. Aber womöglich öffnen sich andere Türen. Österreichs Blick auf seine eigene Geschichte ist seltsam einseitig. Dass wir bis ins letzte Detail verstehen wollen, wie es zu den großen Tragödien kommen konnte, ist nur zu verständlich. Trotzdem erschöpft sich Österreichs Geschichte nicht in der Abwärtsspirale, es gibt Traditionen, die es wert sind, nicht nur in Erinnerung zu bleiben, sondern auch in die Gegenwart überführt zu werden.

Ein Beispiel für solch eine verschüttete Tradition (. . .) ist die erstaunliche Geschichte der Rechtsstaatlichkeit Österreichs. Die Rede von der Donaumonarchie als "Völkerkerker", von der engstirnigen Unterdrückung aller Liberalität und Freiheit, ist tief im österreichischen Bewusstsein verankert, obwohl sie einer kritischen Überprüfung nicht standhält. Wer weiß etwa schon um die bahnbrechende Leistung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs, im Jahr 1811 von Kaiser Franz I. erlassen und 1812 in Kraft getreten? Höchstens Feinspitze und eine Handvoll Eingeweihte. Im Paragraf 16 heißt es hier: "Jeder Mensch hat angeborne, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten. Sclaverey oder Leibeigenschaft, und die Ausübung einer darauf sich beziehenden Macht wird in diesen Ländern nicht gestattet." Das hat nicht nur Substanz, es ist auch noch ganz wunderbar formuliert.

Rechtsstaatlichkeit

Einen vergleichbaren Meilenstein der Rechtsstaatlichkeit bildet das "Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger" von 1867 für die cisleithanischen Gebiete der Doppelmonarchie. Sowohl das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch wie auch das Staatsgrundgesetz finden Eingang in das Verfassungsrecht der Repu-blik. Dessen Kern bildet das Bundes-Verfassungsgesetz von 1920. Dieses Grundgesetz hat vielleicht nicht die literarische Qualität der US-Verfassung, es verfügt jedoch über eine ganz eigene sprachliche Klarheit. Die kann man jedoch nur entdecken, wenn man den Originaltext auch liest, was leider so gut wie niemand tut.

Vielleicht ist die Idee von Rechtsstaatlichkeit, von Freiheit und Demokratie zu abstrakt für eine eingängige Erzählung von Österreich. Für diesen Zweck haben die Schönheit der Landschaft, die Erhabenheit der Berge, die Majestät der Donau, haben Mozart und Grillparzer, Sisi & Franz Joseph nur noch beschränkten Wert. Warum also nicht etwas Neues versuchen? Anknüpfungspunkte in der Geschichte gibt es. Zumal die skizzierte Erzählung offen für weitere Kapitel ist. Die Idee Europa etwa ließe sich problemlos integrieren.

Eine neue Erzählung lässt sich natürlich nicht verordnen, sie ist auch nicht das Endergebnis eines strategischen Prozesses, der von der Politik angestoßen und dann von oben nach unten durchexerziert wird. Solche Versuche scheitern meist, weil ihnen die authentische Verbindung zu anderen Bereichen der Gesellschaft fehlt.

Trippelschritte

Die allgemeine Verunsicherung ist auch ein Ergebnis der intellektuellen Auseinandersetzung mit diesem Land. Die Denker und Dichter haben ein seltsam gespaltenes Verhältnis zur Zweiten Republik entwickelt. Es gibt Abrechnungen und Aufrechnungen in großer Zahl, oftmals wütend und bebend vor Zorn, manchmal ironisch und oft verächtlich. Mitunter ist daraus große Literatur entstanden. Was bis dato interessanterweise jedoch fehlt, ist ein Werk, das nicht nur die Schattenseiten der Republik im Fokus hat, sondern auch die Leistungen anerkennt. Wenn stimmt, wie es alle beharrlich behaupten, dass die Zweite Republik in Summe ein gelungenes Unterfangen ist, weshalb spiegelt sich dieser Erfolg nicht in der kulturellen Auseinandersetzung mit dem Land wider? Warum gibt es keinen Roman, der dieser Geschichte mit all ihren Ambivalenzen und Schattenseiten Rechnung trägt?

Optimismus ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Gefühlslage, die sich die Menschen nicht mehr leisten zu können glauben. Oder sie wollen nur nicht. Einfache Lösungen sind nicht in Sicht. Notwendig ist vielmehr eine Vielzahl an Trippelschritten in die richtige Richtung; sicher wird es auch einige, hoffentlich nicht zu viele, in die falsche Richtung geben. Das ist in einer liberalen Gesellschaft unvermeidbar. Es gibt keinen Masterplan, der zum Frieden führt. Das ist das Dilemma einer offenen Gesellschaft. Die Königsdisziplin dieser Gesellschaftsform ist die Improvisation. Diese Einsicht gilt es, im Bürgerkrieg der Identitäten und Werte zu bewahren.

Nebenstehender Text ist ein Auszug aus dem Buch "Der neue Kampf um Österreich. Die Geschichte einer Spaltung und wie sie das Land prägt" von Walter Hämmerle, dem interimistischen Chefredakteur der "Wiener Zeitung", das dieser Tage im Wiener Verlag edition a erscheint.
Das Buch wird am Freitag, 16. Februar, um 19.00 Uhr in der Thalia-Buchhandlung Wien-Mitte, 3. Bezirk, Landstraßer Hauptstraße 2a/2b, präsentiert.