Dass die Arbeit am Selbst mittlerweile selbst zur Arbeit geworden ist, ist eine Zeitdiagnose, die man immer wieder liest (nicht zuletzt in dem Buch "Das Metrische Wir" des Soziologen Steffen Mau). Doch wo Arbeit als Broterwerb in einer Leistungsgesellschaft alternativlos erscheint, gibt es zur Arbeit am Selbst sehr wohl Alternativen. Niemand ist gezwungen,
10.000 Schritte am Tag zu gehen und mit dem Fitnesstracker den Leistungsnachweis physischer Aktivität zu erbringen. Warum tut man es trotzdem? Gibt es vielleicht doch einen Zwang?

Perpetuiertes Zerrbild

Kulturkritiker lamentieren schon seit Längerem, dass in TV-Formaten wie "Germany’s Next Topmodel" oder "The Biggest Loser" ein falsches Schönheitsideal kultiviert werde, in der Menschen auf ihr Äußeres reduziert werden und eine nachgerade sozialdarwinistische Auslese praktiziert werde, die suggeriere, dass nur die Fittesten im Leben reüssierten. Das ist freilich grob verzerrend und verkennt, dass auch ohne die TV-bildliche Spiegelung attraktive Menschen im Berufsleben bevorzugt werden (das belegen zahlreiche Studien) - und adipöse Menschen gesellschaftlich geächtet. Witze über Dicke gab es schon immer. Marius Müller-Westernhagen sang sein Schmählied "Dicke" ("Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin/ Denn dick sein ist ’ne Quälerei . . .") im Jahr 1978, lange bevor Abnehm-Formate auf Sendung gingen.

Diese Sendungen kommen nicht mit einem volkspädagogischen Gestus daher, sie bedienen ein in der Gesellschaft ausgeprägtes Verlangen danach, so auszusehen wie die durchtrainierten TV-Sternchen mit ihren Sixpacks und Knackpopos. Insofern kultivieren sie kein falsches Schönheitsideal, sondern perpetuieren lediglich ein Zerrbild. Denn dass nicht jeder so aussehen kann wie Brad Pitt und Angelina Jolie, ist offenkundig - und an sich auch beruhigend, weil eine moderne Gesellschaft nur über Differenz funktioniert. Das betrifft Aussehen gleichermaßen wie politische Einstellungen.

Doch in einer individualisierten, atomisierten und digitalen Gesellschaft, in der jeder sein eigener Regisseur ist und sich auf Social-Media-Plattformen präsentieren muss, lassen sich über Aussehen und Fitness Distinktionsmerkmale setzen. Auf Kuppelplattformen wie Tinder, wo Algorithmen unsere Attraktivität raten, kann ein trainierter Body den Marktwert erhöhen. Das heißt: "Investitionen" in das "Humankapital" zahlen sich aus. Das Geld und die Zeit, die man in Fitness-Studios in seinen Körper steckt, werden in eine immaterielle Währung der Attraktivität konvertiert.

Diese körperliche Fitness macht sich wiederum in anderen Lebensbereichen bezahlt. Versicherungen bieten "Pay as you live"-Tarife" an, die Prämien bereithalten, wenn die Versicherten Bewegung, Ernährung, Stress, Schlaf und andere Körperdaten aufzeichnen. Du bist, was du isst, was du zahlst, lautet die Formel dieses Geschäftsmodells. Der Anreiz, sich zu optimieren, ist also nicht nur intrinsisch.

"Feel Rich: Health Is the New Wealth", war 2017 ein Dokumentarfilm betitelt. Er erzählt die Geschichte von Rappern und Hip-Hop-Künstlern, die, statt Drogen zu konsumieren, gesundheitsbewusst leben, Yoga machen oder bei Ausdauerläufen schwitzen, und am Ende von sich sagen: "Ich fühle mich reich!". In dieser Losung steckte sicherlich auch ein wenig PR, doch trifft es den Zeitgeist auf den Punkt: Gesundheit wird zum Statussymbol.