Betriebssystem Körper

Stars wie die Schauspielerin Nina Dobrev prahlen heute nicht mehr mit teuren Uhren oder der Luxuskarosse vor der eigenen Villa, was längst als dekadent und prollig gilt, sondern mit der eigenen Fitness. Auf ihrem Instagram-Account, den 14,2 Millionen Menschen abonniert haben, stammt fast jedes dritte Bild aus einem Cardio-Workout oder Fitness-Kurs. Die Botschaft, die sie mit diesen Bildern an ihre Fans aussendet, lautet: "Ich bin fit und vor allem diszipliniert!" Im Subtext heißt das: Nur wer diszipliniert ist, bringt es zu etwas. Und im Umkehrschlusses bedeutet dies freilich: Wer undiszipliniert ist, hat weniger Erfolg im Leben.

Der ideologische Kern dieser obsessiven Selbstoptimierung steckt in der Biohacking- bzw. Quantified-Self-Community, die ihren Körper als manipulierbares Betriebs-system erachtet und in der Bewirtschaftung ihres Organismus eine Technik zum Glück erblickt - einen Shortcut zum Wohlbefinden. Es geht bei der Selbstoptimierung nicht nur darum, alles aus sich herauszuholen, ein gutes Gefühl nach dem Sport zu haben, sondern auch darum, das Projekt der "Ich AG" in einer hyperkompetitiven Gesellschaft auch auf dem Feld der Gesundheit zu verwirklichen. Wer im Beruflichen nicht reüssiert, kann zumindest seinen Körper zur Hochleistungsmaschine aufrüsten und sich dadurch soziale Anerkennung verschaffen.

Die digitalen Kanäle bieten dabei die Möglichkeit, der Autor seines eigenen Drehbuchs zu werden. Man erzählt seine Geschichte heute nicht mehr im Pub, sondern breitet sie per Social Media aus. Insofern kehrt die Sozialität, aber auch der systemimmanente Zwang, bestimmte Normen zu erfüllen, durch die Hintertür der Digitalisierung zurück. Die digitalen Technologien schaffen eine neue Vergleichbarkeit. Man sieht, wie viele Kilometer der Facebook-Freund gelaufen ist, und nimmt diesen Wert als Benchmark, seine eigene "Laufleistung" anzupassen.

Was vorher nur gefühlt werden konnte, wird plötzlich messbar. Die Daten-Selfies dokumentieren die eigene Fitness-Historie, konstituieren aber gleichsam soziale Normen. Es ist eine Wechselwirkung zwischen Körper und Technologie: Die Daten formen das (digitale) Ich, und das Ich formt die Daten. Das Fitness-Studio wird zum Pub, weil dort jeder in seiner Datenförmigkeit gleich ist.

Daten-Buddhisten

In einer aktuellen Studie des Gottlieb Duttweiler Institute ("Wellness 2030: Die neuen Techniken des Glücks") heißt es: "Dank der Daten könnte der Code des Glücks bald geknackt werden, dabei wird Glück dekodiert und immer wieder neu kodiert. Glück wird individueller definiert und auch individuell erreichbar gemacht. Wir werden quasi auf Knopfdruck zu Daten-Buddhisten." Hier bekommt die Selbstoptimierung eine spirituelle Komponente. In der traditionellen Vorstellung des Buddhismus führte der Weg zum Glück über Leiden und persönliche Anstrengung. Wer es zum Meister bringen wollte, musste viel üben. Der Daten-Buddhismus beschleunigt diesen Weg, indem das Upgrade bis zum Super-Ego nur einen Mausklick entfernt scheint.

Dieses tranzendentale Versprechen zum perfekten Ich ist jedoch eine Illusion, weil eben nicht jeder zum Ebenbild göttlicher Diven und Superhelden werden kann. Das liegt schon an den genetischen Dispositionen. Der eigentliche Zweck ist ein anderer: Durch die körperliche "Dressur" und "Disziplinierung" (Foucault) der Individuen erhält die Industrie ein biopolitisches Zugriffsrecht auf das Leben von Menschen, indem sie ihren Alltag konditioniert. Der nette Nebeneffekt ist, dass den Unternehmen stets fittes Personal zur Verfügung steht, der Krankenstand reduziert wird und das Fitness-Studio zur verlängerten Werkbank wird. Selbstoptimierung ist das größte neoliberale Programm, das es je gegeben hat. Man macht nicht mehr die Politik für Arbeitslosigkeit oder Unzufriedenheit aus, sondern seine eigene (mangelnde) Fitness. Und geht im Zweifel ins Studio.