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Österreichischer Handschlag

Von Herbert Skarke

Reflexionen
"Österreich würde viel verlieren, wenn die Sozialpartner zum Auslaufmodell degradiert werden."
© Illustration: levshina - stock.adobe.com (nachbearbeitet)

Über die glorreiche Vergangenheit und die ungewisse Zukunft der Sozialpartnerschaft.


Von Österreich weiß die Welt außerhalb der EU - von einigen gängigen Klischees abgesehen - verhältnismäßig wenig. Unter jenen Ausländern aber, die sich etwas eingehender mit politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in unserem Land beschäftigen, wird es wohl kaum welche geben, die Österreich nicht als Land mit ausgeglichenem sozialen Klima um die Harmonie in den Beziehungen zwischen "Kapital und Arbeit" - heißt Unternehmer- und Arbeitnehmerorganisationen - und um das System des Ausgleichs von Gruppeninteressen in der sogenannten Sozialpartnerschaft beneiden.

Das österreichische Modell für die Zusammenarbeit der Wirtschaftspartner hat in unserem Land eine nunmehr rund 70-jährige Erfolgsgeschichte. Nach dem Kriegsende 1945 waren die Ausgangsbedingungen schlechter als 1918. Nicht nur waren viele arbeitsfähige Männer gefallen, verwundet oder in Gefangenschaft, sondern die Infrastruktur sowie die Produktionsanlagen waren zu einem erheblichen Teil zerstört, Rohstoffe und Brennstoffe sowie Nahrungsmittel dramatisch verknappt, das Land von den Alliierten besetzt und zunächst mit hohen Besatzungskosten belastet.

Das BIP erreichte nicht einmal die Hälfte von 1913. Die Mehrheit der Bevölkerung hungerte. Zusätzlich gab es 1945 in der Erinnerung des ehemaligen ÖNB-Generaldirektors Heinz Kienzl (geboren 1922) eine Geldschwemme, der kaum ein Angebot an Waren und Dienstleistungen entgegenstand und die daher eine hohe Inflation auslöste, die natürlich von den Politikern und Gewerkschaftern dieser Zeit, welchen noch die galoppierende Inflation der ersten Republik in Erinnerung war, als neuerliche Gefahr für die Wirtschaft und Gesellschaft unter Kontrolle gebracht werden musste.

In dieser schwierigen Zeit des Wiederaufbaus entstand eine vorbehaltlose Zusammenarbeit der ehemaligen Gegner des Bürgerkrieges, was eine maximale politische Stabilität sicherte und zu einer Rücksichtnahme auf die Notwendigkeiten der Wirtschaftspartner führte. Es gab viele bedeutende Persönlichkeiten, die diese Zusammenarbeit prägten, wie etwa der ÖGB-Präsident Johann Böhm und ab 1953 Bundeskanzler Julius Raab, die als Väter der Sozialpartnerschaft gelten. Laut Heinz Kienzl, der bereits Ende der vierziger Jahre dabei war und mit unzähligen Vertretern der Interessenvertretungen viel zum Erfolg dieser Zusammenarbeit bei Lohn- und Preisabkommen, in der "Paritätischen Preis-Lohnkommission" und dem "Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen" beigetragen hat, war es in erster Linie eine Entwicklung, die sich durch die erzielten Erfolge und die Nützlichkeit für die Regierung Schritt für Schritt vertiefte und ausweitete.

Von Böhm waren 1956 die ersten Anregungen für eine engere Zusammenarbeit der Wirtschaftspartner gekommen. Geprobt wurde die Zusammenarbeit schon vorher in den vier Lohn- und Preisabkommen Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Raab wurde nachgesagt, er habe seinen Parteifreunden die Idee schmackhaft gemacht, dass ihm die "Roten" am Verhandlungstisch lieber wären als auf der Straße.

Offiziell ins Leben trat die Sozialpartnerschaft in Gestalt der Paritätischen Kommission für Preise und Löhne auf Regierungsbeschluss gegen Ende März 1957. Dabei war die interne Zusammenarbeit natürlich nicht immer spannungsfrei und auch von "außen" gab es oft kritische Zurufe, aber es wurde trotz unterschiedlicher Zugänge zur Problemlösung immer ein gemeinsamer Weg gefunden, weil einfach der Wille zur Einigung überwog.

Es war und ist eine Zweckgemeinschaft, die erkannte, dass eine greifbare und brauchbare Lösung besser ist als langwierige und kostspielige Konflikte mit ungewissem Ausgang. Und natürlich gab es auch Vorhaben, die an den unterschiedlichen Auffassungen scheiterten - daran erkennt man, dass eine erfolgreiche Zweckgemeinschaft keinesfalls nur Harmonie bedingt. Aber die Mehrzahl der Lösungen wurde mit Vernunft und Weitblick gefasst und führte zu wirtschaftlichen Erfolgen und einer besseren Einkommenssituation der Arbeitnehmer, man kann sagen: zu einem bescheidenen Wohlstand.

Paritätische Kommission und Sozialpartnerschaft entsprangen der großen Koalition, waren gewissermaßen die logische oder zumindest naheliegende Konsequenz der beiden Großparteien in Parlament und Regierung. Die politische Welt war damals noch klar geregelt. Die SPÖ war eindeutig Arbeitnehmerpartei, die Volkspartei eindeutig Wirtschaftspartei, also Partei der Unternehmer und Bauern. Jede der beiden Parteien hatte ihre berufsständischen Interessensvertretungen als "Vorfeld", berufsständische und parteipolitische Funktionen waren oft in Personalunion verflochten.

Deshalb war die Meinungsbildung zu wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen in den Vorfeldorganisationen für die Arbeit in Regierung und Parlament ein Vorteil. Es handelte sich um eine Art Rationalisierung politischer Arbeit mittels Koordination und Zusammenfassung der "Brain Trusts" beider Seiten mit den Ministerien unter dem Dach der Paritätischen Kommission und in den Beiräten. So wurde aus dem Klassenkampf ein Verteilungskampf, der nicht mehr auf der Straße, sondern am grünen Tisch ausgetragen wurde.

Das Ende der großen Koalition 1966 brachte im Grunde genommen den Wegfall dieser Geschäftsgrundlage der Sozialpartnerschaft, aber die Regierung Klaus hielt daran fest. Sie konnte als Alleinregierung nicht mehr nur Wirtschaftspartei sein, sondern musste der sozialistischen Seite etwas entgegensetzen und auch Arbeitnehmerpolitik machen, um mehrheitsfähig zu bleiben. Daher wurden weder die "Paritätische" noch die Sozialpartnerschaft in Frage gestellt. ÖGB und SPÖ behielten bei der Regierung den Fuß in der Tür und kamen mit der Vierzigstundenwoche und Maßnahmen gegen die Teuerung zu Erfolgen.

In der Ära Kreisky änderten sich die Gewichte in der Sozialpartnerschaft und die dominierende Rolle ging alsbald auf den ÖGB und seinen Präsidenten, Anton Benya, über. Hannes Androsch erzählte mir in einem Gespräch, dass in dieser Zeit die Zusammenarbeit der Sozialpartner auf die führenden Funktionäre der Interessenvertretungen überging. Das Duo Benya und Wirtschaftskammerpräsident Rudolf Sallinger war bestimmend für den Interessensausgleich. Sallinger brachte die Vorschläge von Industrie, Handel, Gewerbe und oft auch der Bauern ein, Benya jene der Arbeitnehmervertretungen; und wenn sie sich auf eine Lösung einigten, floss das über Benya in die Regierungsarbeit ein.

Das war eine neue Form der Sozialpartnerschaft, die weniger über Gremien, mehr über die führenden Persönlichkeiten lief.

Hartwährungspolitik als Prüfstein

Kreisky selbst pflegte die wirtschaftspolitische Aussprache mit den Institutionen der Sozialpartner als wichtige Informationsquelle. Ein Prüfstein für die Zusammenarbeit der Interessensvertretungen war die Einführung der Hartwährungspolitik, an welcher der aus dem ÖGB stammende Generaldirektor der Nationalbank, Heinz Kienzl, wesentlichen Anteil hatte und die von Androsch mit Unterstützung von Benya durchgesetzt wurde. Die Industrie - wie übrigens auch Kreisky - stand der Hartwährungspolitik sehr skeptisch bis negativ gegenüber.

Als aber die österreichische Wirtschaft weiter kräftig wuchs, während viele andere Länder bereits unter Stagflation litten, wurde die Hartwährungspolitik wieder von den Sozialpartnern beider Seiten mitgetragen. In dieser Zeit, in der es 1973 auch die Ölkrise zu überwinden galt, wurde durch die Zusammenarbeit der Regierung mit den Sozialpartnern u.a. die Benya-Formel für eine moderate Lohnpolitik als Instrument der Wirtschaftspolitik, die letztlich auch von den anderen Sozialpartnern akzeptiert wurde, eingesetzt, die später als "Austrokeynesianismus" international bekannt wurde.

In den Achtzigerjahren und bis zum Beitritt Österreichs zur EU waren die Sozialpartner mit der Regierung bemüht, die steigende Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die Budgets zu stabilisieren. Ein herausragendes Ereignis war, dass sich die verstaatlichte Industrie über Druck von Finanzminister Lacina von da an am Kapitalmarkt zu finanzieren hatte - eine Maßnahme, der sich schließlich auch die Sozialpartner nicht verschlossen. Damit ging eine Ära zu Ende.

Ab 1987 gab es wieder eine große Koalition und es folgten "interessante Zeiten": der Zusammenbruch des kommunistischen Wirtschaftssystems der Ostblockstaaten und der Fall der Berliner Mauer, mit großen Einflüssen auf die österreichische Wirtschaft. Aufgrund der traditionell engen Beziehungen zu den ostmitteleuropäischen Ländern griffen unsere Unternehmer die ökonomischen Möglichkeiten intensiv auf, sowohl im Außenhandel, als auch durch Investitionen. Die Sozialpartner sorgten für Ruhe und Stabilität in den Institutionen. Auf der Arbeitnehmerseite war eine umfassende Steuerreform unter Einbeziehung der Sozialpartner gelungen, die 90 Prozent der Arbeitnehmer Entlastungen brachte.

Der Beitritt Österreichs zur EU war eine weitere Herausforderung für die österreichische Wirtschaft und die Sozialpartner. Während Industrie und Handel sich große Vorteile erwarteten, überwog zunächst die Skepsis bei den Arbeitnehmervertretungen. Für einzelne Berufsgruppen ging es um die berufliche Existenz: etwa im Speditionsgewerbe, im Zoll und im Lebensmittelgewerbe, wo "Auffanglösungen" gefunden werden mussten. Aber nach intensiven Verhandlungen wurde auch der Beitritt zur EU von den Sozialpartnern gemeinsam getragen und 1995 nach erfolgreicher Volksabstimmung vollzogen.

Bereits kurze Zeit danach sollte die EU erweitert werden und vier Nachbarländer waren davon betroffen. Mögliche Verwerfungen am Arbeitsmarkt durch Zuzug und von Pendlern aufgrund der großen Unterschiede im Lebensstandard waren der Grund für große Sorge. Die Sozialpartner waren ebenso gefordert wie die Regierung - und auch diese Hürde wurde durch die Zusammenarbeit mit Deutschland und einer Übergangsfrist von sieben Jahren bei der Personenfreizügigkeit gelöst. 2002 erfolgte dieser Beitritt.

Eine echte Bewährungsprobe mussten die Sozialpartner in der Zeit der sogenannten schwarz-blauen Regierung ab 2000 bestehen. Jörg Haider hatte sich jahrelang auf die "Zwangsmitgliedschaften", so sein Terminus, eingeschossen und sah jetzt seine Chance, diese Organisationen und damit die Sozialpartnerschaft zu schwächen. Da aber die Wirtschaftskammer unter dem Schutz der ÖVP stand, konzentrierte er sich auf die Arbeiterkammer und versuchte den Mitgliedsbeitrag gesetzlich um zwei Drittel zu senken, was das Ende dieser Organisation bedeutet hätte. Die Wirtschaftskammer und der ÖGB kamen der AK zu Hilfe und gemeinsam konnte man das Gesetz abwehren. Auch die Legitimität des ÖGB wurde infrage gestellt, aber mit einer Urabstimmung unter den Mitgliedern eindrucksvoll bestätigt.

Die Sozialpartner wurden in ihrer Rolle zurückgedrängt und aus vielen Verhandlungen ausgeschlossen. Auch die Rolle des Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen wurde geschwächt, was Folgewirkungen für die Sozial- und Arbeitsmarktgesetzgebung hatte, mit zahlreichen Streichungen von sozialen Regelungen, Leistungskürzungen durch eine Pensionsreform ohne Zustimmung der Sozialpartner.

HerausforderungFinanzkrise

Im Herbst 2008 stellte die globale Finanzkrise die neue Koalitionsregierung von Rot-Schwarz und die wieder voll einbezogenen Sozialpartner vor eine neue große Herausforderung. Die Sozialpartner schlugen Steuerentlastungen zur Kaufkraftstärkung, befristete Kurzarbeit und ein Konjunktur- und ein Beschäftigungsprogramm vor, das die Regierung aufgriff und realisierte. Dadurch konnten negative Auswirkungen für Wachstum und Beschäftigung gemildert werden, mussten keine Massenkündigungen durchgeführt werden. Durch weitere Maßnahmen bei der Arbeitszeit wurde den Unternehmen Zeit gegeben, Auftragsflauten zu überbrücken, ohne drastische Einschnitte vornehmen zu müssen. Das war ein großer Erfolg für die Sozialpartnerschaft, da dadurch die erste Welle der Krise relativ glimpflich überstanden werden konnte. Nach einer zunächst konjunkturellen Erholung 2010/2011 ging das Wirtschaftswachstum erneut deutlich zurück. Mit der von den Sozialpartnern initiierten Steuerreform 2016 ist es schließlich gelungen, die Kaufkraft wieder etwas zu stärken.

Globalisierung undDigitalisierung

Mittlerweile stehen Regierungen weltweit vor ungeheuren Herausforderungen, was auch unser politisches System der Zusammenarbeit von Regierung und Sozialpartnern belastet. Ich lasse einmal wieder aufgeflammte Kriegsgefahren, im worst case eine Weltkriegsgefahr und den Terrorismus beiseite, darauf haben wir kaum entscheidenden Einfluss. Aber die bereits erfolgte und weiterhin zu erwartende Migration als Folge von Kriegen im Nahen Osten und die wirtschaftlichen Auswirkungen für die Integration dieser Menschen in unserem Land stellen einen großen Problemkreis dar, der durch die unsolidarische Haltung einiger EU-Staaten für Länder wie Österreich noch verschärft wird.

Die weiter fortschreitende Globalisierung und die dadurch weiter wachsende Konkurrenz für unsere Betriebe durch billigere Produktionsbedingungen, die globale Steuerpolitik, die international tätigen Konzernen erlaubt, in unserem Land und zu unserem Schaden Steuern zu sparen und eine Europäische Union, die darauf noch keine greifbaren Lösungen entwickelt hat, sind ein Teil dieser Probleme der Zukunft.

Der Klimawandel, ob vom Menschen beschleunigt oder einfach von natürlichen Prozessen ausgelöst, erfordert auch Problemlösungen für die Wirtschaft, was mit der jetzt vorgesehenen Elektro-Mobilität für PKWs alleine sicher nicht ausreichend geleistet werden kann. Ein noch viel größeres Problem wird wohl durch die Digitaliseriung entstehen, an deren Anfang wir erst stehen. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt der Zukunft, die Auswirkungen auf praktisch alle Bereiche des Lebens, vor allem aber auf die wirtschaftlichen Bedingungen und den Zusammenhalt der Gesellschaft sind noch gar nicht abzusehen.

Ebenso wenig klar ist derzeit die Zukunft der Sozialpartnerschaft durch den Regierungswechsel 2017 und personelle Neubesetzungen in Wirtschaftskammer, ÖGB, Landwirtschafts- und Arbeiterkammer. Angefangen mit ersten Schritten der türkis-blauen Regierung, den Einfluss der Sozialpartner bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit zu übergehen, die Pflichtmitgliedschaft bei der Arbeiter- und Wirtschaftskammer infrage zu stellen, bis zu bereits eingeleiteten Maßnahmen bei der Reform der Sozialversicherungen und des Arbeitsmarktes scheut die Regierung Kurz/Strache anscheinend auch nicht vor der Infragestellung der seit über 70 Jahren bewährten Selbstverwaltung zurück.

Man wird sehen, ob die neu zusammengesetzten Sozialpartner sich so wie ihre Vorgänger gemeinsam gegen dirigistische und einseitige Bestrebungen zur Wehr setzen. Solange es vernünftige Menschen in den Interessensgruppen gibt, die den Zusammenhalt und die Suche nach gemeinsamen Lösungen zum Ziel haben und sich nicht durch Gruppenegoismen leiten lassen, wird die Sozialpartnerschaft eine wichtige Rolle spielen.

"Österreich würde viel verlieren, wenn die Sozialpartner zum Auslaufmodell degradiert werden", meint der scheidende Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich, Hermann Schultes. Auch ich bin überzeugt, dass dadurch ein nicht wieder gut zu machender Schaden für das Land entstehen würde.

Herbert Skarke, geboren 1939, war 40 Jahre in der Nationalbank beschäftigt, davon 15 Jahre als Direktor der Banknotendruckerei, und ist Autor zahlreicher Publikationen. Der Beitrag ist die überarbeitete Fassung des Einleitungstextes von "Die dritte Säule der Republik Österreich: Die Sozialpartnerschaft" (Sozialwissenschaftliche Studiengesellschaft, Wien 2017).