Zum Hauptinhalt springen

Ein Freigeist zur Unzeit

Von Brigitte Biwald

Reflexionen
Streitbar und selbstbewusst: Helene von Druskowitz, die vor 100 Jahren, am 31. Mail 918, starb.
© Kulturforum Zagreb

Die Wiener Schriftstellerin und Philosophin Helene von Druskowitz forderte die gelehrte Männerwelt heraus - und zerbrach an der Realverfassung.


Die begabte Schriftstellerin und Philosophin Helene von Druskowitz, Jahrgang 1856, hatte sich in den 27 Jahren ihrer "psychiatrischen Verwahrung" das Denken und Schreiben nicht verbieten lassen. Kompromisslos begann sie um die Wende zum 20. Jahrhundert die gelehrte Männerwelt zu kritisieren. Friedrich Nietzsche (1844-1900) gehörte zu den Betroffenen.

Sie verfasste radikale Texte und stieß damit auch ihre Gönnerinnen und Förderer vor den Kopf. Helenes Theaterstücke enthielten Scherze über "eitle unfähige Universitätsprofessoren und schwatzhafte Männer" und hatten daher keine Chance, von Theaterdirektoren angenommen zu werden. Ein Leben lang fühlte sich die Intellektuelle eher zu Frauen hingezogen, trank jede Menge Alkohol, rauchte Zigarren und Pfeife. Druskowitz konnte sich zwar in der Geschichte der Literaturwissenschaft oder Philosophie keinen Namen machen, hinterließ aber literarische Spuren. Und die sind durchaus ernst zu nehmen.

Im Jahr 1891, Helene war erst 35 Jahre alt, wies man sie in die "Kaiser-Franz-Joseph-Heil-und-Pflegeanstalt" von Mauer Oehling bei Wien ein. Dort verfasste sie trotz "halluzinatorischer Anfälle" weiterhin Artikel. 1905 konnte sie sogar ihre Kampfschrift "Pessimistische Kardinalsätze. Ein Vademecum für die freiesten Geister" veröffentlichen - ein satirisches Werk, voller Ironie und Radikalität: "Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt".

Dabei beginnt die Lebensgeschichte der Helene von Druskowitz recht "brav und rechtschaffen", wie ihr die deutsche Dichterin Louise von François (1817- 1893) bescheinigte. Sie lernte das "geistig frische, kräftige, ehrenhafte Fräulein Druskowitz" 1881 im bayrischen Bad Reichenhall im Rahmen eines literarischen Zirkels kennen.

Helene von Druskowitz wurde am 2. Mai 1856 in Hietzing bei Wien geboren. Sie war das jüngste von drei Kindern. Helenes Vater, ein wohlhabender Geschäftsmann mit Gutsbesitz, starb früh. Dennoch ermöglichte Helenes Mutter nicht nur ihren beiden Söhnen, sondern auch ihrer begabten Tochter eine gute Ausbildung. Helene entschied sich zunächst für die Musik und absolvierte am Wiener Konservatorium 1873 das Abschlussexamen im Klavierfach. Doch die 17-Jährige wollte sich weiterbilden.

Damals standen weder die Gymnasien noch die Universitäten in der österreichisch-ungarischen Monarchie den Frauen offen. Daher erhielt Helene Privatunterricht und konnte 1874 erfolgreich die Matura (extern) am Wiener Piaristen-Gymnasium ablegen. Noch im selben Jahr übersiedelte sie mit ihrer Mutter nach Zürich. Von 1874 bis 1878 studierte Helene Philosophie, Archäologie, Orientalistik, Germanistik und moderne Sprachen. Nach der Russin Stefania Wolicka war die 22-jährige Österreicherin die zweite Frau, die in Zürich zum Doktor der Philosophie mit einer Abhandlung über Byrons "Don Juan" promovierte.

Nach dem Studium versuchte Helene zunächst mit literaturhistorischen Vorlesungen an den Universitäten von Wien, München, Zürich und Basel ihre wissenschaftliche Karriere voranzutreiben. Sie lebte ab 1881 abwechselnd in Wien und in Zürich.

In Wien fand Helene von Druskowitz Eingang in den literarischen Salon von Marie von Ebner- Eschenbach. 1881 erschien unter dem Pseudonym E. v. René ihr erstes literarisches Werk, ein Trauerspiel. Es wurde ebenso wenig aufgeführt wie ihre späteren Lustspiele. Helene verwendete männliche und weibliche Pseudonyme wie H. Foreign, H. Sakkorausch, H. Sakrosankt, Erna von Calagis. Nach einigen Misserfolgen wandte sich die junge, wissbegierige Frau der Literaturwissenschaft zu, übersetzte sehr sorgfältig und publizierte Essays englischer Dichterinnen.

Kritik an Nietzsche

Einen Platz in der Geschichte der Literaturkritik hat sich Helene von Druskowitz erst durch ihre Beschäftigung mit Nietzsche sichern können. Unvergessen und unverziehen ist ihre Kritik an ihm, die auch in Nietzsche-Biografien bis heute mit Empörung erwähnt wird. Im Oktober 1884 lernte die junge Wienerin den Philosophen und seinen Kreis persönlich kennen. Nietzsches anfängliche Begeisterung für sie als "ein edles und rechtschaffenes Geschöpf" entpuppte sich bald als Strohfeuer, denn Kritik konnte er nicht vertragen und schon gar nicht vom Fräulein Dr. Druskowitz.

Druskowitz kritisierte sein Werk und vor allem sein Frauenbild. Friedrich Nietzsche (gezeichnet von Hans Olde).
© Wikimedia/public domain

Sie hatte es gewagt, sich kritisch mit dem "geheimen" Teil des "Zarathustra" auseinanderzusetzen, den ihr Nietzsche geschickt hatte. Am 1. August 1885 sandte sie den Text an ihn zurück. Für die junge, emanzipierte Philosophin waren Formulierungen wie "Die Frau gilt als Mittel zum Zweck, um den Lebenswillen des Mannes zu steigern" einfach unerträglich. Helene von Druskowitz zog die schriftstellerischen Fähigkeiten Nietzsches nicht in Zweifel, bezeichnete aber seine philosophischen als "oberflächlich". Diese Kritik brachte sie auch in ihrem 1886 erschienenen Buch "Moderne Versuche eines Religionsersatzes" zum Ausdruck. Das Werk wurde zwei Jahre später unter dem veränderten Titel "Zur Begründung einer überreligiösen Weltanschauung" wieder aufgelegt.

In diesem Buch legte die überzeugte Atheistin eine kritische Lektüre der klassischen Philosophie vor. Doch ihre Angriffe auf die männliche Philosophie - neben Nietzsche waren auch Auguste Comte und Ludwig Feuerbach betroffen - wurden in ihrem intellektuellen Bekanntenkreis nicht gutgeheißen: "Auch sollte sie einmal aufhören, den Prof. Nietzsche öffentlich zu züchtigen, ihm die Rute zu geben", meinte Helenes Gönner, der Züricher Dichter Conrad Ferdinand Meyer. Nietzsche fühlte sich gekränkt und bezeichnete Helene von Druskowitz in einem Brief als "kleine Literaturgans".

Unbeirrt von ihren Kritikern schrieb sie weiter und setzte sich mit Kant, Schopenhauer, Ludwig Feuerbach und anderen bedeutenden Philosophen auseinander. Beeindruckt war sie von dem zeitgenössischen, antisemitischen Berliner Philosophen Eugen Dühring. An seinen Ideen einer freien Gesellschaft und seiner Kritik an der Berliner Universität, die ihm die Lehrbefugnis entzogen hatte, fand die kompromisslose Denkerin Gefallen. Daher verfasste sie 1889 eine Studie über den Berliner.

Einweisung in Anstalt

Nach dem Tod ihrer Mutter übersiedelte Helene im Jahr 1888 nach Dresden. Mit dem Schreiben von Lustspielen wollte sie sich ihren Lebensunterhalt sichern. Doch das Stück "Die Emancipations-Schwärmerin" entsprach 1890 nicht dem Geschmack eines bürgerlichen Publikums, das von der Frauenfrage noch kaum Kenntnis genommen hatte. Zwischen 1889 und 1891 erschienen insgesamt sieben Lustspiele, die niemals aufgeführt und wohl selten gekauft wurden. Sie stellten nach Meinung der Germanistin Helga Guthmann "die letzten verzweifelten Versuche dar, als intellektuelle Frau in einer gelehrten Männerwelt ihren Platz zu finden und sich dort einen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen".

Am 2. Februar 1891 wurde die 35-jährige Helene von Druskowitz, nachdem sie in einer Dresdner Pension randaliert hatte, in das Dresdner Irrenhaus eingewiesen und von dort - als gebürtige Wienerin - in die Heil- und Pflegeanstalt Mauer-Oehling überstellt. Gleichzeitig wurde sie entmündigt. Hinrike Gronewold, die als Erste die Lebensspuren der Philosophin recherchierte, hat die Krankengeschichte eingesehen und in ihrem Essay "Wahnsinnsfrauen" wichtige Teile daraus pu-bliziert.

Helene von Druskowitz forderte schon in Dresden ihre sofortige Entlassung und erklärte, sie sei von "telepathischen Erscheinungen beunruhigt". Auch wenn es keinen Hinweis darauf gibt, dass sie sich vor ihrer Internierung mit Telepathie und Spiritismus beschäftigt hat, lässt sich nicht ausschließen, dass Helene in einen der damals zahlreichen okkultistischen Zirkel hineingeraten war und visionäre Experimente vorgenommen hatte. Es ist aber auch denkbar, dass sie gar keine Visionen hatte, sondern betrunken in der Dresdner Pension randalierte, um sich dann, durch ihre Einlieferung ins Irrenhaus ernüchtert, als okkultistische Wissenschafterin zu präsentieren. Ebenso könnten verschiedene psychische Belastungen in Verbindung mit Alkoholmissbrauch zu Halluzinationen geführt haben.

Kardinalangriff

Die Geldsorgen hatten sich für Helene mit ihrer Einlieferung in die Anstalt erledigt. Ihr Bruder und einige adelige Damen aus dem Bekanntenkreis von Marie von Ebner-Eschenbach beteiligten sich an der Finanzierung des Anstaltsaufenthalts. Helene bat niemanden um Hilfe, brach alle früheren Verbindungen ab, machte Marie von Ebner-Eschenbach sogar Vorwürfe. Wie aus Helenes Krankengeschichte hervorgeht, war sie alkoholabhängig. Erhielt sie keinen Alkohol, besuchte sie mit Wärterinnen Gasthäuser.

Es ist schon erstaunlich, dass 1905 Helenes Essay "Pessimistische Kardinalsätze" gedruckt wurde, wird darin doch der Mann "als Zwischenglied zwischen Mensch und Tier, als Spottgeburt" bezeichnet. Aber sie steigerte sich noch: Sie wirft dem Mann, "der grausig beschaffen sei" und "sein schlumpumpenartiges Geschlechtszeichen wie ein Verbrecher voran- trage" die "Zerstörung der Natur, Misshandlung aller Lebewesen und vor allem Unterdrückung der Frauen" vor.

Helene von Druskowitz nur wegen der "Pessimistischen Kardinalsätze" als simple Männerfeindin abzutun, wäre aber zu einfach, denn sie verfasste auch eine fast 400 Seiten umfassende Biographie des englischen Dichters Percy Bysshe Shelley.

Helene von Druskowitz starb am 31. Mai 1918 im 62. Lebensjahr an einer Infektion.

Literatur:

Hinrike Gronewold: Die geistige Amazone. Frankfurt 1992. In: Sibylle Duda, WahnsinnsFrauen, S. 96-123.

Christa Gürtle: Eigensinn und Widerstand. Wien 1998.

Helga Guthmann: Helene Druskowitz. Von der Schau der letzten Dinge zum Endesende. In: Birgit Christensen (Hrsg.) wissen macht geschlecht, Zürich 2002, S. 755-762.

Brigitte Biwald, geboren 1951, ist Historikerin und in der Erwachsenenbildung tätig, Schwerpunkt Medizingeschichte. Lebt in Perchtoldsdorf.