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Welttheater und Farbenzauber

Von Oliver Bentz

Reflexionen

Kurt Moldovan brillierte als politisch-phantastischer Zeichner und sinnlicher Aquarellist. Am 22. Juni jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal.


Kurt Moldovan: Venedig, "Blick auf die Punta della Dogana", 1977.
© Courtesy of Galerie bei der Albertina. Zetter, Wien.

"Zeichnen war sein Wesen, Verwesentlichen durch Zeichnen dessen ausdrücklicher Drang. Wenn sich ihm die jeweils einprägsame Gestalt nicht aufzwängte, (. . .) entspannte er sich beim mehr gemütlicheren Aquarellmalen in freundlichen Farben. Wenn er aber zeichnete (immer lieber, je älter er wurde), war er der energetische Gestalter wie eh und je. Energisch wollte er es wissen und zu Papier bringen, wie es für ihn um die Welt bestellt war, was sie unter Umständen zusammenhält oder durcheinanderwirrt", beschrieb der Kunsthistoriker Otto Breicha dereinst Kurt Moldovan. Am 22. Juni 1918 wurde Moldovan, der zu den bedeutendsten graphischen Künstlern gehört, die die österreichische Kunstgeschichte aufzuweisen hat, in Wien geboren.

Kurt Moldovans Werk setzt sich vor allem aus Zeichnungen, Aquarellen, Monotypien und Druckgraphiken zusammen. Inhaltlich bestimmend für seine Arbeit war stets das politisch wie mythologisch facettenreiche "Theatrum mundi", in dem das ganze Welttreiben als vorüberziehendes Schauspiel aufgefasst wird, in dem jedes menschliche Wesen seine vom Schicksal auferlegte Rolle zu spielen hat. Ein Treiben, das er mit scharfem, unbestechlichem Blick künstlerisch durchforschte. Auch seine Stadtveduten und Landschaften, die er in großer Zahl in Aquarellen wie auch in Zeichnungen aufs Papier brachte, sind vor allem Schilderung des Ambientes und der Bühne dieses Welttheaters.

Schrecken des Krieges

Kurt Moldovan war ein Leben als Künstler keineswegs in die Wiege gelegt. Nach der Schule arbeitete er zunächst als Kellner und dann, nach dreijähriger Lehrzeit, als Feinmechaniker in einer Manometerfabrik. Im Alter von 19 Jahren gab er diese Arbeit zugunsten seiner künstlerischen Interessen auf und begann ein Graphik-Studium an der Wiener Kunstgewerbeschule. Nach drei Jahren beendete die Einziehung zur Wehrmacht sein Studium. Weitgehend an der Ostfront in vorderster Linie eingesetzt, überlebte er diese Schreckensjahre. Aus dem Krieg zurückgekehrt, studierte er an der Akademie der Bildenden Künste am Schillerplatz von 1945 bis 1948 in der Meisterklasse von Sergius Pauser, hörte bei Albert Paris Gütersloh und belegte den heute legendären Abendakt bei Herbert Boeckl.

Dem Grauen des Krieges entronnen, war Moldovan die Kunst, so Wieland Schmied, ein Mittel, "mit dieser Welt, mit ihrer Bombe und ihrem Bösen, zu leben, ja es sich wohnbar einzurichten. Unermüdlich erfindet er sich Reglements, für Leben und Kunst, für die menschliche Existenz: Verhaltensweisen für seinen Strich, den Dingen zu befehlen, wie sie zu erscheinen haben und sich nicht umgekehrt von ihnen befehlen zu lassen. (. . .) Die Begegnung von Leben und Tod ist ein wiederkehrendes Thema von Moldovans Zeichnungen. In allen ist Aggression: kein Insekt ohne giftigen Stachel, keine Sonne, die nicht sengende Strahlen schleudert. (. . .) Doch wohnt allen Insekten ein ritterlicher Zug inne. Ihr Kampf ist ein Weltkrieg, ausgefochten nach den Regeln mittelalterlicher Turniere."

Kurt Moldovan (1918-1977) in seinem Atelier.
© Elfriede Mejchar/ ÖNB Bildarchiv / picturesdesk

Albert Paris Gütersloh bezeichnete diesen Künstler, dessen frühe graphische Zyklen die äußeren und inneren Verheerungen des Krieges in einer aus den Fugen geratenen Welt thematisierten, als "inneren Barbaren", der zuerst den Natureindruck vorsorglich "zerstöre", um dann "das eigentliche Bild mit den Trümmern desselben zusammenzubauen".

Stilistisch war er weder dem Gegenständlichen noch dem Abstrakten, sondern einem Stil der ureigensten phantasievollen Welterfindung verpflichtet. Im Heutigen sah Moldovan Historisches, im Antiken entdeckte er Aktuelles - und alles verschmolz durch seine Zeichenfeder zur Schilderung der "Dschungelkriege" unserer Tage mit einem scheinbar Himmel und Hölle entsprungenem Personal, angesiedelt im Niemandsland zwischen Konkret und Abstrakt.

Seine erste größere Ausstellung hatte Kurt Moldovan bereits 1946 im Foyer des Wiener Konzerthauses. Zu Beginn des Jahres 1947 nahm er an der Gründungsversammlung des Wiener Art Clubs teil, in dessen internationalen Werkschauen er seine Arbeiten regelmäßig zeigte. Durch Ausstellungen in der renommierten Galerie Würthle in Wien, durch die Beteiligung an den Biennalen von Venedig (1950) und Sao Paulo (1954), der Ausstellung des Österreich-Pavillons auf der Weltausstellung in Brüssel (1958) und zahlreiche Kunstpreise bzw. Stipendien erreichte Kurt Moldovan schon früh die Anerkennung der Kunstkritik und des Publikums.

Aus seinem vielfältigen künstlerischen Werk erregten die mit politischen, mythologischen und phantastischen Themen ein breites Spektrum abdeckenden graphischen Zyklen besondere Aufmerksamkeit. Er legte sie in Aquarell, Zeichnung, Radierung und Lithographie vor (in dieser hatte er sich 1953, im Rahmen eines Stipendiums in den großen Pariser Druckgraphik-Ateliers geschult). So etwa "Fin de Siècle" (1950), "Krieg" (1951), "Tierkreis" (1956), "Danse macabre" (1957), "Antike Szenen" (1962), "Cortés in Mexiko" (1967), "Zirkus" (1971), "Alice im Wunderland" (1973), "Moldovan sieht Spanien" (1974), bis hin zu seinem letzten, kurz vor seinem Tod geschaffenen und postum 1978 in Buchform erschienenen Zyklus "Carnevale Veneziano".

Im Lauf der Jahre illustrierte er auch zahlreiche Bücher, etwa "Sacher-Masoch" von Reinhard Federmann (1961), "Euer Ruhm war nicht fein" von Werner Riemerschmid (1962), "Die Freunde meiner Frau" von Herbert Eisenreich, "Über Don Quijote" von Salvador de Madariaga (beide 1966) oder "Der Sammlersammler" von Peter Marginter (1972).

Immer wieder war Moldovan auch als Buchautor und journalistisch tätig, wobei er nicht selten das Pseudonym "Lenus Moll" verwendete. In Zeitschriften und Zeitungen (die auch häufig Karikaturen von ihm druckten) veröffentlichte er Essays, Kurzgeschichten oder kunstkritische Beiträge.

Mit Paul Flora, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband, brachte er 1958 im Diogenes Verlag den Erzählband "Vom Umgang mit Drachen" heraus. Moldovan verfasste die Texte, während Flora die Zeichnungen beisteuerte. In der Folge erschienen noch einige weitere Bücher des Duos, so 1965 - unter "Lenus Moll" - der Band "Frauen für Anfänger" oder 1972 der Titel "Handbuch der Partnerwahl", dessen Auflage in die Zehntausende ging.

Als Textdichter betätigte sich Moldovan auch auf dem Gebiet der Musik: Er verfasste 1960 das Libretto "Liebe" für das von Theodor Berger komponierte Ballett "Jahreszeiten", das an der Staatsoper seine Uraufführung fand; desgleichen schuf er Bühnenbilder für das Sprech- und das Musiktheater. Auch im öffentlichen Raum bekam der Künstler in Wien etliche Aufträge. So schuf er etwa 1963 im Auftrag der Stadt am Gemeindebau Hartlebengasse im 22. Bezirk eine vierzig Meter lange Mauer in Terrakotta, die er dem Thema "Technische Parolen" widmete.

Längere Studienaufenthalte führten Kurt Moldovan in seinem nahezu unstillbaren Hunger auf Erfahrungen und Themen nach Italien, Spanien, Marokko, Mexiko, in die USA und nach Großbritan-nien. In seinen letzten Lebensjahren hatte er ein eigenes Atelier in Venedig, wo er längere Perioden vorwiegend in den touristenärmeren Wintermonaten verbrachte.

Dort schuf er Zeichnungen und besonders Aquarelle, die er dann in seinen Wiener Galerie-Ausstellungen zur Schau stellte. Moldovan, erinnert sich der eine Generation jüngere Maler und Zeichner Herwig Zens, der ihn als beginnender Künstler erlebte, "sortierte dabei die entstandenen Arbeiten auf drei Stapel: Auf den ersten kamen die besten Blätter, die er in ‚wichtigeren‘ Galerien wie der ‚Würthle‘ zeigte, auf den zweiten jene für Präsentationen in ‚minder wichtigen‘ Ausstellungen und auf einem dritten sammelte er die ‚Gaben‘, mit denen er seine zahlreichen, meist durchaus attraktiven Verehrerinnen beglückte."

Magie der Serenissima

In ihrem Buch "Kunst & Kultur in Österreich" (1999), in dem sie eine Bilanz des kulturellen Lebens im Österreich des 20. Jahrhunderts zieht, betont Barbara Denscher, dass Wien "mit Kurt Moldovan einen überragenden Aquarellisten (besaß), der vor allem seine Reiseeindrücke in leuchtenden Farben festhielt." Der Künstler selbst gab über die Herausforderungen seiner Aquarellmalerei, einer Technik, die gerade in der Wiener Kunstgeschichte bis in die jüngere Vergangenheit eine besondere Wertschätzung erfuhr, Auskunft:

"Strömungen, Wirbel, Tropfen, Schleier, Tümpel, Rinnsale, Flachseen - die ‚action‘ des farbigen Wassers wird nach dem Antrocknen auf dem Papierbogen zu einem sinnlich wahrnehmbaren Bildgegenstand. Zum Beispiel Venedig: Transparent wie Einzeller schnellen Lampen vorbei. Ein Anlegesteg versickert im Algengrün. Die Salutekuppeln tauchen auf wie Medusen und Palazzi sind halbtrocken an Land gegangen. Als Wasserfarbenmaler bin ich neugierig, was mit der in Fluss gesetzten Farbe alles passieren kann, fordere Zufälle heraus und nütze sie augenblicklich für die Gestaltung meines Bildes. Wie ein Jongleur muss ich ununterbrochen meine Bälle unter Kontrolle halten, denn ich hantiere mit dem feuchten Farbfleck und zugleich mit seiner angetrockneten Form
(. . .) Das Antrocknen ungeduldig überschätzt, und die darüber gelegte Form zerfließt. Die Linie zu spät aufgesetzt, und sie fließt nicht mehr. Die falsche Farbe ausgespielt, und ich muss passen. Rien ne va plus. Nichts geht mehr!"

Nachdem er sich auch 1977 mehrmals in der Serenissima aufgehalten und wie üblich mit der Stadt und dem Karneval zeichnerisch beschäftigt hatte, starb Kurt Moldovan nach seiner Rückkehr aus der Lagunenstadt am 16. September im Alter von nur 59 Jahren überraschend in Wien. Er wurde in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.

Oliver Bentz, geboren 1969, lebt als Germanist, Ausstellungskurator und Kulturpublizist in Speyer.