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Kein Stern, der deinen Namen trägt

Von Christian Pinter

Reflexionen

Die Regelung der himmlischen Nomenklatur zählt zu den Aufgaben der Internationalen Astronomischen Union, die nächste Woche in Wien tagt. Ein historischer Rück- und thematischer Ausblick.


Die IAU versetzt Jules Vernes Kapitän Nemo auf den Plutomond Charon; ebenso Arthur C. Clarke und Stanley Kubrick ("2001") sowie die Königstochter Revati aus dem Mahabharata.
© NASA/IAU

Im Jahr 1798 bat der im heutigen Budapest geborene Baron Franz Xaver von Zach nach Gotha: zum ersten europäischen Astronomenkongress. In der jungen Seeberg-Sternwarte hieß er fünfzehn Besucher willkommen, darunter Forscher aus Berlin, Basel und Cambridge. Aus Paris war der prominente Astronom Jérôme Lalande angereist. Er wusste um die Notwendigkeit einer internationalen Zusammenarbeit, hatte er doch die zahlreichen Beobachtungen des Venusdurchgangs ausgewertet.

Um die Venus vor der Sonne zu sehen, hatten im Jahr 1769 mindestens 150 Astronomen aus acht Ländern abenteuerliche Expeditionen nach Südindien, Tahiti, Haiti, Baja California oder Sibirien unternommen. Maximilian Hell, der Gründungsdirektor der Wiener Universitätssternwarte, machte sich ins norwegische Vardö auf. Bei Lalande langten schließlich Messergebnisse von 77 Stationen ein. Daraus steckte er die Erddistanz zur Sonne ab, im Deutschen "Astronomische Einheit" genannt: Die Werte streuten zwar zwischen 148 und 154 Mio Kilometer, doch selbst das war schon ein bedeutender Fortschritt.

Beim zweiten Astronomenkongress im Jahr 1800 rief Baron von Zach dazu auf, sich seiner "Himmelspolizey" anzuschließen - zur gemeinsamen Fahndung nach Körpern zwischen Mars und Jupiter. Im späten 19. Jahrhundert kam es ebenfalls zu einem bemerkenswerten Großprojekt: Observatorien auf mehreren Kontinenten teilten den Himmel unter sich auf, um die Positionen der Fixsterne aufs Genaueste zu vermessen. Die Kuffner-Sternwarte in Wien Ottakring nahm als einziges Observatorium Österreich-Ungarns daran teil.

10.000 Mitglieder

Zu dieser Zeit hatte sich die astronomische Spitzenforschung schon in die USA verlagert. Dort standen dank großzügig agierender Stiftungen weit mehr Mittel zur Verfügung: Der vor genau 150 Jahren in Chicago geborene, prominente Sonnenforscher George Ellery Hale wurde mit der Planung der Yerkes-Sternwarte in Wisconsin beauftragt. Dazu bestieg er im Jahr 1893 ein Schiff nach Europa und kontaktierte hier etliche Astronomen. Später konzipierte Hale das Observatorium am kalifornischen Mount Wilson. Dessen Jahresbudget soll größer gewesen sein als der Etat aller deutschsprachigen Observatorien zusammen.

Um die Sonne lückenlos zu überwachen, war eine Zusammenarbeit über Kontinente hinweg unerlässlich. So hob Hale 1904 die International Union For Cooperation in Solar Research aus der Taufe: Die Mitglieder trafen einander in St. Louis, Oxford, Paris und auf dem Mount Wilson. Nach einem weiteren Meeting in Bonn vereitelte der Erste Weltkrieg alle weiteren Konferenzen.

Österreichische Astronomen studierten auch den AGB-Stern R Sculptoris. Der Riese schleudert Materie ins All. Ein Begleitstern "rührt darin um" – und sorgt so für die hübsche Spiralstruktur.
© ESO

1919 wurde diese Organisation ersetzt - von der wesentlich breiter aufgestellten Internationalen Astronomischen Union mit Sitz in Paris. Zunächst machte die IAU Inventur am Sternenhimmel. Astronomen wie Maximilian Hell hatten in der Vergangenheit immer wieder neue Sternbilder zum Gefallen ihrer Fürsten einführen wollen. 1922 fixierte man die Anzahl und Namen der Sternbilder ganz verbindlich.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der in der IAU vertretenen Länder auf 31. Heute hält man bei rund 10.000 Mitgliedern in einhundert Staaten. Die IAU ist die weltweit führende himmelskundliche Organisation. Alle drei Jahre lädt sie an wechselnden Orten zur Generalversammlung ein. Jetzt steht das letzte große Treffen vor dem 100. Geburtstag an. Deshalb feiert die IAU bereits ab kommender Woche in Wien anstatt erst im nächsten Jahr. Natürlich lässt sie dabei auch die eigene Geschichte Revue passieren und erinnert an den Sonnenforscher George Ellery Hale.

Astronomische Einheit

Zu den Aufgaben der IAU zählt die Regelung der astronomischen Nomenklatur. So wurde bei der Generalversammlung 2006 in Prag erstmals der Begriff "Planet" wissenschaftlich abgegrenzt (zumindest für unser Sonnensystem). Der 1930 in Arizona entdeckte kleine Pluto fiel nicht in diese Kategorie. Vor allem in den USA war die Aufregung danach groß. 2012 wurde die erwähnte Astronomische Einheit von der IAU mit 149,597870700 Millionen Kilometern fixiert. Auch die Dauer des astronomischen Tages, des Jahres und die Länge des Lichtjahres sind mittlerweile per Definition geregelt.

Die IAU ist ganz allein für die Benennung ferner Sonnen, deren Planeten sowie der kleineren Körper in unserem Sonnensystem zuständig. Den "Stern, der deinen Namen trägt" gibt es nur im Schlagertext. Am offiziellen Himmel findet man zum Glück keine gekauften Sternnamen. Wer seinen Familiennamen dort verewigen möchte, muss schon einen neuen Kometen aufstöbern. Bei Kleinplaneten darf der Entdecker ebenfalls einen Namen vorschlagen: aber nicht den eigenen. Auch Firmen- und Produktnamen sind grundsätzlich tabu.

Dank zahlreicher Raumsonden gilt es immer mehr Oberflächendetails auf fremden Welten zu taufen. Berge, Täler, Ebenen oder Spalten dürfen unter anderem an verstorbene Künstler, Autoren oder Wissenschafter erinnern. Persönlichkeiten von aktueller politischer, militärischer oder religiöser Bedeutung aber haben dort nichts verloren.

Großinstrumente, Himmelsdurchmusterungen, Weltraumteleskope: Sie alle haben in den letzten Jahren einen enormen Schatz an Daten geliefert. In Wien diskutiert man darüber. Auch österreichische Astronomen stellen ihre Arbeiten vor. Zu den vielen Konferenzthemen zählen die AGB-Sterne. Eine Gruppe um Franz Kerschbaum (Institut für Astronomie der Universität Wien) hat diese Spätphase der Sternentwicklung eingehend erforscht.

AGB-Sterne gestatten einen Blick in die Zukunft unserer Sonne. Diese Sterne mit 0,6 bis 10 Sonnenmassen dehnen sich schlussendlich zu Roten Riesen aus und entledigen sich ihrer Hüllen. So können die im Stern geschmiedeten Elemente später anderswo Verwendung finden. AGB-Sterne sind die wichtigsten Rohstofflieferanten beim Bau von Planeten. Ohne sie gäbe es keine Erde und keine IAU-Konferenz: Thomas Lebzelter wird erklären, wie sich die Messdaten des europäischen Astrometriesatelliten Gaia zur weiteren AGB-Forschung nutzen lassen.

Doppelte Sterne

Sterne werden in Molekülwolken geboren - und zwar nicht als Einzelkinder, sondern gemeinsam mit anderen Sonnen in Sternassoziationen oder gar in dicht gedrängten Sternhaufen. Josefa Elisabeth Großschedl von der Universität Wien informiert über die Sternentstehung in der relativ nahen Molekülwolke Orion-A. Junge Sterne zeigen starke Strahlungsausbrüche. Welche Auswirkungen hatte die wilde Phase unserer Sonne auf die damalige Erdatmosphäre? Das wird Manuel Scherf vom Institut für Weltraumforschung der Akademie der Wissenschaften in Graz beleuchten.

Professor Manuel Güdel (Universität Wien) blickt auf die Ereignisse zurück, die zwischen dem Kollaps "unserer" Molekülwolke und der Entstehung der ersten irdischen Lebensformen lagen. Manche verstehen wir noch nicht gut. Andere muten höchst unwahrscheinlich an. Unsere Existenz ist das Ergebnis einer Kette kosmischer Zufälle.

Seit 1995 kennt man auch Planeten im Orbit um andere Sonnen. Helmut Lammer, ebenfalls vom Grazer Institut für Weltraumforschung, befasst sich schon lange mit den Bedingungen auf solchen Exoplaneten. Diesmal rückt er aber die Entwicklung unseres eigenen Sonnensystems in den Mittelpunkt - mit besonderer Berücksichtigung der Erde und ihres Nachbarplaneten Venus.

Die österreichische Astrobiologin Ruth-Sophie Taubner wird sich dem Saturntrabanten Enceladus widmen. In seinen Geysiren hat man Methan nachgewiesen. Könnte es von Lebewesen herrühren, die vielleicht in einem versteckten, unterirdischen Ozean dieses Mondes hausen?

Etliche Exoplaneten ziehen um Doppelsterne. An ihrem Himmel leuchten also zwei Sonnen. Elke Pilat-Lohinger vom Institut für Astronomie der Uni Wien berechnet die Stabilität solcher Planetenbahnen: Was passiert, wenn es dort Großplaneten vom Format unseres Saturns oder unseres Jupiters gibt? Welchen Einfluss hätte das auf etwaige kleine Welten, die in einer wohltemperierten, lebensfreundlichen Zone kreisen?

Geerbter Himmel

Thomas Posch (Institut für Astronomie der Universität Wien) stellt das Gebiet der Terra-Astronomie vor. Sie will die langfristigen Schwankungen der Sonnenstrahlung, der Sonnenaktivität, des Erdmagnetfelds, der Erdrotation oder der kosmischen Strahlung ergründen - und zwar mit Hilfe historischer Beobachtungen.

Dazu sollen möglichst viele alte Aufzeichnungen über außergewöhnliche Himmelserscheinungen gefunden und analysiert werden. Gesucht werden etwa Hinweise auf Supernovae, Polarlichter, Kometen, Sternschnuppenschauer oder Berichte über astronomische Finsternisse. Als Quellen kommen etwa chinesische, koreanische und arabische Chroniken in Frage, aber auch die mündliche Überlieferung der australischen Aborigines. Der österreichische Astronomiehistoriker Hermann Hunger berichtet über Aufzeichnungen und Omina aus Mesopotamien.

Wie die Alten den Himmel sahen, lässt sich mit Hilfe von digitalisierten Horizontpanoramen und 3D-Modellen untersuchen. Georg Zotti (Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie) ist Experte auf diesem Gebiet. Davon konnten sich schon die Besucher der Stonehenge-Ausstellung im Urgeschichtemuseum MAMUZ überzeugen. Er hat das beliebte Programm Stellarium mitentwickelt und spricht nun über den Einsatz dieser quelloffenen Software in der "kulturellen Astronomie".

Auch der intakte Sternenhimmel selbst ist ein kulturelles Erbe: Wir haben es mit unserer ungehemmten Beleuchtungswut allerdings verspielt. Der Astronom Günther Wuchterl, Kuffner-Sternwarte, hat Ursachen und Folgen dieser Lichtverschmutzung eingehend studiert. Dem Nachthimmel die Sterne zu stehlen ist, so wird er betonen, als würde man einem Wasserfall das Wasser wegnehmen.

Christian Pinter, geboren 1959 in Wien, schreibt seit 1981 im "extra" über Astronomie und Raumfahrt. Internet: www.himmelszelt.at

Website der Internationalen Astronomischen Union: https://www.iau.org/