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Das große Reinemachen

Von Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter

Reflexionen
© Ulrike Koeb

Hohes Schmutzaufkommen, niedriges Sozialprestige: Zur Kultur- und Sozialgeschichte des Putzens.


In westlichen Gesellschaften gilt Reinheit als zivilisatorisches Ideal. Als Europäer sind wir stolz auf unseren sauberen Kontinent, rümpfen dafür anderswo oft und gerne die Nase. Schmutzige Straßen oder Hotelzimmer sind uns ein Gräuel. Sauberkeit erachten wir als Beweis kultureller Vormacht. Doch wer macht unser blitzeblankes Europa eigentlich sauber? Dem strahlenden Ideal absoluter Reinheit steht das Putzen als recht unbeliebte Arbeit gegenüber. Wer putzt schon gerne selbst? Und wer kennt mehr als den Namen und die ungefähre Herkunft der Putzfrau?

Das Interesse an jenen zehntausenden Menschen, die Europas Sauberkeit gewährleisten, ist gering, denn Reinemachen gilt als minderwertige Arbeit. Wer für andere putzt, tut dies gezwungenermaßen, weil sie (oft) oder er (fast nie) nichts anderes kann, so die gängige Meinung. Das Putzen gilt als eine der niedrigsten Arbeiten, weil dafür keine Kompetenzen erforderlich sind. Man verdient damit weder gutes Geld noch Anerkennung.

In Internaten oder beim Militär wird das Reinigen von Tischen, Geschirr oder auch von Gemeinschaftstoiletten gerne als Strafe eingesetzt. Während des Nationalsozialismus wurden Menschen dazu gezwungen, Straßen mit Handbürsten zu reinigen. Putzen wurde und wird somit bewusst als politischer Akt der Erniedrigung eingesetzt.

Selbst ein Wirtschaftsfaktor: das große Arsenal an Putzmitteln- und -utensilien.
© ulrike koeb

Rituelle Dimension

Entgegen so mancher (zumeist männlicher) Meinung ist das Putzen aber keine einfache Aufgabe. Es erfordert Wissen, technisches und soziales Verständnis - und es setzt die Kenntnis kultureller Überlieferungen und Gepflogenheiten voraus. Rund ums Putzen haben sich unzählige Gewohnheiten, Techniken und Rituale entwickelt, zu deren Durchführung neben praktischen Kompetenzen und Erfahrung vielfältige Mittel wie Geräte, Apparate, Bürsten, Puder, Flüssigkeiten, Cremen und Pasten nötig sind.

Saubermachen ist auch deswegen ein wichtiger Faktor in der Konsumgesellschaft, da die verwendeten Werkzeuge, Mittel und Ausführenden Teil eines globalen Wirtschaftszweiges sind - und natürlich ist das Putzen Ausdruck von Hierarchie und Status. Es tangiert politische Themen wie die Diskriminierung der Frau, Migration und Umweltschutz. An der Art und Weise des Putzens - oder Putzen-Lassens - manifestiert sich der Zugang von Personen und Gesellschaften zu ihren Mitmenschen und zur Natur. Und als tagtägliche, profane Fortführung uralter, religiöser Reinigungsrituale kann auch das heutige Putzen eine gewisse symbolische und rituelle Dimension nicht leugnen.

Was als sauber erachtet wird und was nicht, ist eine Frage von Kultur und Zeitgeist - und hängt unter anderem vom jeweils aktuellen Stand der Wissenschaft ab. Robert Koch erkannte 1884, während einer Reise nach Kalkutta, dass menschlicher Kot Cholerabakterien als Überträger dient.

Diese Entdeckung des späteren Nobelpreisträgers veränderte den kulturellen Umgang mit Sauberkeit nachhaltig. Der französische Philosoph Michel Foucault beschreibt die darauf folgende hygienische Revolution Ende des 19. Jahrhunderts als einen der wichtigsten Wendepunkte in der jüngeren gesellschaftlichen Entwicklung der westlichen Zivilisation.

Die Idee der realen Sauberkeit löste als kulturelles Konzept jenes der religiösen Reinheit ab. Städte, Straßen, Wasser, Luft und Eigenheime werden seither so sauber wie möglich gemacht. Unablässig fließt Wasser, um Schmutz zu binden und abzutransportieren. Dauerhaftes und ständig wiederholtes Reinigen garantiert ein besseres Leben, denn Sauberkeit wird mit Gesundheit und Zivilisation gleichgesetzt.

Schmutz ist relativ

Doch was ist Schmutz eigentlich? - Es ist alles, was einem reinen Zustand im Wege steht. Schmutz ist das, was irgendwo nicht hin- oder nicht dazugehört. Schmutz ist zumeist eine Ansammlung von Kleinteilchen, die von außen auf Oberflächen und Gegenständen zu liegen oder haften kommen, und zu diesen Gegenständen und Oberflächen per Definition nicht gehören.

Das Autorenpaar bei einer Putzaktion bei den institutionalisierten Saubermachern der Stadt Wien. . .
© Stummerer/Hablesreiter/Köb/Akita

Ein Fusel auf einem Pullover ist möglicherweise lästig, aber letztlich noch kein Schmutz, ein Wollfusel eines anderen Kleidungsstückes aber möglicherweise schon. Schmutz ist also ein Fremdkörper, etwas, das von woanders her stammt, abgetrennt (auch aus der Natur), zumeist zerkleinert und vermischt, nicht zum fraglichen, das heißt nun: schmutzigen Gegenstand dazugehört.

Wie relativ Schmutz aufgrund dieser Definition ist, zeigt der sogenannte Gatsch: Im Außenbereich, im Garten oder am Feld, vermittelt feuchte Erde einen positiven Eindruck. Es handelt sich um fruchtbaren Boden. Anders verhält es sich bereits auf Wegen oder Straßen. Hier ist der Humus unwillkommen, denn der Weg ist zum Begehen oder Befahren da, nicht aber zur Bepflanzung. Infolgedessen watet man auf einem schlammigen Weg - sprachlich betrachtet - nicht in "feuchter Erde", sondern im "Dreck". Noch extremer und eindeutiger wird es im Wohnbereich: Dort ist der "Gatsch" ganz klar Schmutz, der schleunigst entfernt werden muss.

Schmutz ist grundsätzlich relativ, denn er braucht ein übergeordnetes System von Ordnung, auf das er sich bezieht, um überhaupt als solcher wahrgenommen zu werden. Schmutz ist etwas, "das fehl am Platz ist", dem akkordierten Ordnungssystem widerspricht. Ein Reiskorn am Teller ist Essen. Bereits am Tischtuch oder Teppich verändert sich seine Funktion - und tendiert in Richtung Schmutz.

Die britische Sozialanthropologin Mary Douglas beschreibt Schmutz als Nebenprodukt eines systematischen Ordnens und Klassifizierens von Sachen, wobei Ordnen das Verwerfen ungeeigneter Elemente einschließt. Unsauberes oder Schmutz ist demnach das, was entfernt werden muss, um eine vordefinierte Ordnung, ein gewünschtes Muster, aufrechtzuerhalten.

Kulturelles Konstrukt

Insofern ist die Definition von Schmutz ein soziales und kulturelles Konstrukt. Unterschiedliche Epochen, soziale Schichten und Kulturen definieren ihn jeweils anders und verfolgen demnach verschiedene Reinheitsgewohnheiten. Diese werden wiederum innerhalb des jeweiligen Sozialgefüges als selbstverständlich und naturgegeben erachtet. So bleiben in Indiens Großstädten etwa Kuhfladen liegen, um alsbald, von der heißen Sonne getrocknet, als Brennmaterial zum Kochen verwendet zu werden. Auf Wiens Straßen ist Kot undenkbar - es sei denn, er stammt von Hunden. Obwohl sich mittlerweile manches verändert hat, erkennen manche Besitzer der Vierbeiner den Kot ihrer geliebten Tiere noch immer nicht als Schmutz an und lassen ihn daher auf Gehwegen liegen.

Dennoch herrscht in westlichen Industriestaaten generell die Meinung vor, dass unsere Idee von Schmutz rational ist, also logischen Überlegungen folgt und auf wissenschaftlichen Grundlagen fußt. Doch sowohl die Beurteilung von Schmutz, als auch die Art des Saubermachens folgt viel eher Gewohnheiten und Traditionen als rationalen Erkenntnissen. Wenn wir zum Beispiel durch eine Straße gehen, die stark nach Pferdeurin oder Hundekot riecht, verspüren wir danach eher das Bedürfnis, uns die Hände zu waschen, auch wenn wir absolut nichts berührt haben, als die Sohlen unserer Schuhe zu reinigen, die wir bedenkenlos innerhalb der Wohnung abstellen. In Japan, wo Schuhe grundsätzlich vor der Tür ausgezogen und gelagert werden, stößt dieses Verhalten bestenfalls auf Unverständnis.

Schließlich verrät das Konzept von Schmutz und dessen Beseitigung einiges über Lebensart und Verhalten einzelner Personen; es trägt zum sozialen Gefüge bei und beeinflusst die Beziehungen von Menschen untereinander. Wie viele Wiener Paare kennen die potenziell aggressiv geführten Diskussionen über die hygienische Lage der gemeinsamen Wohnung!? Auch anstehende Besuche mehr oder weniger wohlmeinender Verwandter beeinflussen diese Debatten tendenziell negativ. Kritische Blicke in Richtung Staub oder Schlieren vermögen einfach mehr zu verunsichern als etwa das Räuspern während des Verzehrs eines verbrannten Grillguts.

Während der Braten oder das Dessert als ganzer Stolz der Hausfrau oder des Hausmannes und als Resultat von deren Arbeit präsentiert werden, erntet der oder die Putzende keinerlei Applaus. Sauberkeit ist selbstverständlich. Bloß der Dreck erregt die Gemüter. Insofern ist der Wille zur Verrichtung der harten Arbeit Putzen eher gering ausgeprägt. Wer (finanziell) kann, lässt saubermachen. Jene, die diesen Job erledigen, sind im Regelfall weiblich, stammen selten aus westlichen Ländern und arbeiten meistens schwarz. Mittlerweile migrieren deutlich mehr Frauen als Männer in die EU, um zu putzen und zu pflegen.

Diese Frauen stehen - wie generell Menschen in engerem Kontakt zu Schmutz - am unteren Ende der sozialen Rangordnung. Sie reinigen Haushalte, die Arbeitsplätze der Anderen, Straßen oder die Kanalisation. Sie bringen weg, was beseitigt werden soll. Hygiene bewahrt die Megastädte des Westens vor Epidemien. Ein schmutziges Krankenhaus wäre ein Todesurteil für Patienten und medizinisches Personal gleichermaßen. Dennoch beachtet kaum jemand die zwingend notwendigen Putzfrauen und -männer in einem Spital. Beinahe unsichtbar und - im Gegensatz zu Ärzten - völlig unbekannt, garantieren sie die zwingende Hygiene der Krankenstationen. Sie agieren buchstäblich im Schatten.

Menschen, die putzen, sehen sich überdies öfter mit dem Vorurteil konfrontiert, selbst schmutziger zu sein als andere, sozial höher gestellte Personen. Im Zuge eines uralten, teils ritualisierten oder tradierten Verhaltensmusters gehen symbolische Bedeutungen des Gegenstandes auf die Handelnden über. Die negativen Assoziationen und Zuschreibungen von Schmutz werden auf die Personen, die mit ihm hantieren, übertragen.

Diese Vorstellungen führt etwa dazu, dass man sich eher geneigt sieht, sich die Hände zu waschen, nachdem man einer Hausmeisterin oder einem Schulwart die Hand geschüttelt hat, als nach dem Kontakt mit einer Direktorin oder einem Arzt. Nicht umsonst heißt die niedrigste Kaste Indiens die "Unberührbaren". Ein Brahmane, ein Angehöriger der höchsten Kaste, der Priesterkaste, kann keine religiösen Handlungen durchführen, wenn er Kontakt mit einem Unberührbaren hatte, ohne sich davor rituell zu reinigen.

Häusliche Liebesarbeit

Im Gegensatz zu putzenden Menschen mit Migrationshintergrund und/oder dunklerer Hautfarbe ist die Hausfrau ein, wenn nicht das Symbol für strahlende Reinheit. Die liebende Ehefrau und Mutter ist in jeder Hinsicht für alle Arten von realer und metaphorischer Sauberkeit zuständig und verantwortlich. Ihr Reinlichkeitsverhalten wird gerne mit genereller Tugendhaftigkeit in Zusammenhang gebracht - und auf soziales, sexuelles und moralisches Verhalten übertragen.

Dass Frauen die Reinigung im Haus übernehmen, während Männer außer Haus arbeiten, wurde lange - und wird zum Teil bis heute - gerne biologisch begründet: Frauen verrichten aufgrund ihrer physiologischen Eigenschaften die vermeintlich leichtere und ungefährlichere Arbeit zu Hause, während die Männer die schwere, harte Arbeit draußen erledigen - sei es im körperlichen wie im geistigen Sinn. Zudem binden Schwangerschaft und Geburt die Frau (nach bürgerlicher Vorstellung) an das Haus.

Die Historikerin und Feministin Barbara Duden schrieb bereits 1977, dass das Putzen für die eigene Familie als Teil der häuslichen Liebesarbeit gilt, die die Frau freiwillig und aus Liebe zu den Ihren auf sich nimmt. Putzen für Mann und Kinder ist ein Dienst, der nicht mit Geld, sondern mit Liebe vergolten wird. Die Frau stellt ihre Arbeitskraft gratis in den Dienst der Familie und erhält als Gegenleistung Kost, Logis und Zuneigung.

Dieses gesellschaftliche Rollenbild ist ein unverzichtbarer Bestandteil der modernen Industriegesellschaft. Die unbezahlte Arbeit der Hausfrauen gehört zum Wirtschaftssystem hinzu. Generell gilt: Bezahlte Arbeit setzt unbezahlte Hausarbeit voraus, egal ob diese von Männern, Frauen, Singles oder Pensionisten erledigt wird. Derzeit arbeiten berufstätige Frauen durchschnittlich 77 Stunden pro Woche, um den Haushalt - gesellschaftlichen Anforderungen gerecht - aufrechtzuerhalten. Diese Arbeitszeit übersteigt jene der Männer deutlich.

Bis heute wird Hausarbeit - von der Kinderbetreuung bis zum Putzen - nicht in gleicher Weise entlohnt wie andere "klassische" Lohnarbeit. Entweder wird sie vom Staat subventioniert - etwa in Form von Kindergärten - oder in den Bereich der Schwarzarbeit verdrängt.

Unbezahlte Tätigkeit

Forderungen von Hausfrauen werden noch immer gerne mit dem Argument abgetan, dass sie einen Teil des Lohnes des (Ehe-) Mannes ja ohnehin "geschenkt" bekämen. Witwenpensionen oder Prämien für alleinstehende Mütter gelten eher als Wohltätigkeitsmaßnahme denn als Abgeltung einer zuvor erbrachten Leistung.

Die Herabwürdigung von Reinigungstätigkeiten liegt in diesem Denken begründet, denn wäre Putzen eine harte Arbeit und eine wichtige Leistung, könnte man ihre Nicht-, Schwarz- oder schlechte Bezahlung nicht mehr rechtfertigen. Putzen darf also per se keine ökonomische Arbeit/Leistung sein, weil es als weitgehend unbezahlte Tätigkeit eine der Säulen des Systems bildet. Darin ist eine adäquate Bezahlung nicht vorgesehen und nicht möglich, da dieses sonst finanziell kollabieren würde.

Ob das eine saubere Lösung ist, bleibe freilich dahingestellt (und nicht weggeräumt).

Sonja Stummerer & Martin Hablesreiter leben und arbeiten als Designer, Künstler und Autoren in Wien. Sie setzen sich mit Alltäglichem wie Essen oder eben Putzen auseinander. Zuletzt publizierten sie das Buch "eat design". Und sie leiten den akademischen Lehrgang "sustainable food design" an der New Design University in St. Pölten.
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