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Aufmerksamkeit garantiert

Von Wolfgang Tumler

Reflexionen

Über biografische Wirklichkeit in Filmen, am Beispiel von "Werk ohne Autor" von Florian Henckel von Donnersmarck.


Was für ein Film! Der österreichische Komponist Alban Berg (1885-1935) schwängert zuerst die Haushälterin seiner Eltern und heiratet dann eine Sängerin, die eine uneheliche Tochter des Kaisers Franz Joseph I. sein soll. Er verkehrt gesellschaftlich mit den kulturellen Größen seiner Zeit - dem Maler Gustav Klimt, dem Schriftsteller Peter Altenberg, dem Spötter Karl Kraus und dem Architekten Adolf Loos. Seine Opern "Wozzeck" und "Lulu" machen ihn weltberühmt. Der Film erzählt das erstaunliche Leben eines großen Künstlers, eine anrührende Liebesgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Wien.

So hörte sich der Vorschlag eines aufstrebenden Filmproduzenten aus Deutschland an, der mich vor einigen Jahren wegen einer Finanzierung um Rat fragte. Das Projekt klang sehr attraktiv, und ich wollte wissen, ob ich helfen könne. Na ja, sagte der junge Mann, er dürfe den Namen Alban Berg nicht für seinen Film verwenden. Ach, sagte ich, da machen Sie sich mal keine großen Sorgen. Denken Sie sich einen schönen Namen aus, und die Freunde seiner Musik werden Alban Berg sicher erkennen. Werbung und Presse werden ein Übriges tun. Und Sie gewinnen viel künstlerische Freiheit. War das alles?

Der Produzent zögerte ein wenig und gab dann preis, er dürfe auch die Musik Alban Bergs nicht in seinem Film spielen. Nun war ich es, der zögerte. Ernsthaft? Ja, ernsthaft. Ich schaute ihn ungläubig an. Was bleibt denn dann übrig, fragte ich irritiert. Na, eine schöne Liebesgeschichte. Man hat von dem Film nie wieder gehört. . .

Teure Rekonstruktion

Die heute im Kino sehr beliebten Biopics sind nicht etwa umweltfreundliche Filme, die mit naturbelassenen Materialien unter humanen Arbeitsbedingungen hergestellt werden. Es sind (bio)grafische Filme - englisch (pic)tures -, die das Leben einer berühmten Persönlichkeit aus Zeitgeschichte oder Kunst in dramatisierter Form erzählen - nach einem Drehbuch mit Schauspielerinnen und Schauspielern in Szene gesetzt. Keine Dokumentationen also, sondern Spielfilme, deren Herstellung oft wegen der historischen Hintergründe, die rekonstruiert werden müssen, besonders teuer ist.

Der Vorteil für gute Aussichten an der Kinokasse: Die Geschichte oder die Person waren schon einmal ein Erfolg oder jedenfalls von großer Aufmerksamkeit begleitet. Charly Chaplin zum Beispiel oder Adolf Hitler. Der Nachteil: Damit der Film spannend oder anrührend genug wird, müssen zusätzlich Anekdoten und Dialoge erfunden werden, die es im wahren Leben gar nicht gab. Das darf aber nicht so weit von der überlieferten Persönlichkeit wegführen, dass sie unkenntlich wird. Dann wäre ihr Werbewert für den Film dahin. Die Person darf andererseits auch durch die Handlung oder die Dialoge nicht herabgesetzt oder sinnentstellt gezeigt werden. Und oft, wie im Fall von Alban Berg, dürfen die Figuren im Film nicht den Echtnamen der Vorbilder tragen.

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Was in dem Zusammenhang erlaubt und was verboten ist, steht zum Teil im Gesetz - und wird darüber hinaus in einem Vertrag festgehalten, der die Persönlichkeitsrechte der gezeigten Person oder ihrer Nachkommen schützen soll. Gewöhnlich kostet dieser Vertrag den Produzenten Geld, und falls die benötigten Erinnerungen schon als Buch vorliegen, müssen auch noch Autor und Verlag dieses Buches für die Nutzung in einem Film vertraglich abgesichert und bezahlt werden.

Der Erfolg mit einer bereits vom Leben geschriebenen Story wird einem Film also nicht geschenkt. Florian Henckel von Donnersmarck riskiert das mit seinem neuen Film, "Werk ohne Autor". Er führt nach der wahren Lebensgeschichte eines berühmten Malers und der Schreckensherrschaft der Nazis in Deutschland die Täter und Opfer eines monströsen Verbrechens in einer Familie zusammen. Das schielt auf den ersten Blick nicht nach einem Kassenerfolg mit Unterhaltung.

Der Film beruht auf einer Story, die nicht nur das Leben geschrieben hat, sondern auch der Tod. Der Berliner Journalist Jürgen Schreiber hat sie herausgefunden und notiert. Am 22. August 2004 erschien in der Berliner Zeitung "Der Tagesspiegel" sein Artikel "Tante Marianne - Das große Geheimnis des Malers Gerhard Richter". Darin erzählt Schreiber die Geschichte eines Gemäldes, das nach einem Foto gemalt wurde. Ihn interessieren dessen Hintergründe, die Leben der Menschen, die darauf abgebildet sind. Gerhard Richter war schon damals einer der bekanntesten Maler der Gegenwart, seine Bilder gehören heute zu den teuersten der Welt.

Im Rahmen einer Serie nach Fotos aus dem Familienalbum malte er 1965 das Bild "Tante Marianne". Zu sehen sind ein junges Mädchen und ein Säugling: Marianne Schönfelder, die jüngere Schwester seiner Mutter, damals 14 Jahre alt, und deren kleiner Neffe, Gerhard Richter selbst, gerade vier Monate alt.

Geschichte eines Fotos

Als Jürgen Schreiber begann, die Geschichte des Fotos zu recherchieren, das 1932 entstanden war, stieß er auf einen schrecklichen Lebenslauf mitten in Nazideutschland. Marianne Schönfelder war, was man heute "geistig desorientiert" oder "auffällig" nennen würde. Damals reichte das für die Diagnose "schizophren". Mit 21 Jahren wurde sie von den hilflosen Eltern in die Psychiatrie eingewiesen und zwangssterilisiert. Sie kam nie wieder frei. Im sogenannten "Euthanasieprogramm" der Nationalsozialisten wurden geistig Behinderte und Auffällige zunächst chirurgisch von der Fortpflanzung ausgeschlossen und später ermordet.

Aber damit nicht genug. Der Kunststudent Gerhard Richter heiratete 1957 in Dresden ein Fräulein Eufinger, die Tochter seines Vermieters und ersten großzügigen Förderers, des Gynäkologen Heinrich Eufinger. Der war nach 1933 im deutschen NS-Staat als einer der führenden Mediziner bis zum SS-Obersturmbannführer aufgestiegen. Ab 1936 leitete er die Dresdener gynäkologische Klinik Friedrichstadt, in der mehrere Tausend Zwangseingriffe stattfanden - Sterilisationen als Verstümmelung von geistig Behinderten.

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Dort sollte 1938 auch Gerhard Richters Tante Marianne sterilisiert werden. Nur ihr schlechter Gesundheitszustand verhinderte zufällig die unmittelbare Begegnung mit Eufinger in dessen Klinik. Der Termin wurde im letzten Moment abgesagt, der Eingriff später am Ort ihrer erzwungenen Unterbringung in der Anstalt Arnsdorf nachgeholt. Marianne Schönfelder starb wenige Wochen vor Kriegsende am 16. Februar 1945 in einer Gaskammer. Sie wurde nur 27 Jahre alt.

Prof. Heinrich Eufinger war anschließend fast drei Jahre lang in sowjetischer Gefangenschaft und dort auf seine frühere Tätigkeit überprüft worden. Auch die ostdeutsche Volkspolizei ermittelte später gegen ihn, stellte das Verfahren aber ein - vermutlich wegen des akuten Ärztemangels in der SBZ, später DDR. Eufinger durfte wieder praktizieren und wurde Chefarzt der Gynäkologischen Abteilung eines Krankenhauses in Dresden. 1956 übersiedelte er in die westdeutsche Bundesrepublik - möglicherweise, um sich weiterer juristischer Verfolgung und der in der DDR noch bis 1987 drohenden Todesstrafe zu entziehen.

Eufinger brachte es auch im Westen wieder zum Chefarzt einer Frauenklinik und starb 1988 in Wilhelmshaven als geachteter Bürger.

Kurz nach den Schwiegereltern war auch Gerhard Richter aus der DDR in den Westen Deutschlands gegangen. Er floh 1961 kurz vor dem Mauerbau und lernte in Düsseldorf Joseph Beuys kennen. Richters bald folgender Aufstieg vom Schildermaler zum Weltstar ist hinreichend dokumentiert. Ein ungewöhnlich farbenfrohes Fenster im Kölner Dom gehört neben den berühmten Serien nach Fotos zu seinen bekanntesten Arbeiten.

Bis zum überraschenden Besuch eines Journalisten bei ihm daheim, der arglos die Geschichte hinter einem Foto recherchieren wollte, war dem politisch interessierten und informierten Künstler Richter die schicksalhafte Nähe zwischen seiner Tante und seinem Schwiegervater seltsam verborgen geblieben. So heißt es jedenfalls. War das Unwissen oder Verdrängung oder Verleugnung?

Schuldhafte Nähe

Sein Gemälde "Tante Marianne" wurde plötzlich stummer Zeuge eines Verbrechens und einer Verstrickung. Davon auszugehen, Prof. Heinrich Eufinger habe Marianne Schönfelder persönlich verstümmelt oder ermordet, wäre allerdings sachlich unrichtig. Das behauptet der Journalist in seiner Recherche auch nicht. Donnersmarck hingegen in einem Interview mit der "Wiener Zeitung" kürzlich. Braucht er das für seinen Film?

Die unmittelbare körperliche Begegnung von Opfer und Täter innerhalb der Familie hat es nicht gegeben, eine schuldhafte Nähe wird aber sehr wohl nahegelegt. Jürgen Schreiber hat die umfangreichen Informationen zu dem inzwischen berühmten Bild nach seinem Artikel im Berliner "Tagesspiegel" von 2004 in einem Buch mit dem Titel "Ein Maler aus Deutschland" (Pendo Verlag, München und Zürich, 2005) zusammengefasst.

Vor Florian Henckel von Donnersmarck und seinem Film tut sich damit im Kontext dunkelster deutscher Zeitgeschichte ein attraktives Szenario mit vier Hauptrollen auf: Mit dem Opfer Marianne Schönfelder, dem Täter Heinrich Eufinger, dem Künstler Gerhard Richter und dem Chronisten Jürgen Schreiber. Ihre Echtnamen kommen aber im Film nicht vor. Der Regisseur hat sich für die Freiheit der eigenen Dramatisierung entschieden, die das verbietet. In einem Gespräch mit dem deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat Donnersmarck dazu erklärt, "dass man oft durch Fiktion und durch Dichtung der Wahrheit näher kommen kann als durch Aufzählung von Fakten. Das Leben ist so unordentlich und von Zufällen geprägt - daran will ich mich nicht halten müssen."

Der Film ist ein Beispiel für die anfangs beschriebene Herausforderung zwischen der Attraktivität und Bedeutung einer wichtigen wahren Lebensgeschichte und den erzählerischen Gesetzen eines spannenden oder auf andere Weise unterhaltsamen Spielfilms. Das bleibt ein schmaler Grat.

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"Wiener Zeitung"-Interview mit Florian Henckel von Donnersmarck

WZ-Filmkritik "Werk ohne Autor"

Wolfgang Tumler, geboren 1947, Stiefsohn des Schriftstellers Franz Tumler, war bis 2010 TV-Produzent in Berlin und lebt nun als Autor in Wien.