"Wiener Zeitung": Am 12. November 1918 wurde die Republik begründet. Wer heute durch die Innenstädte von Wien, Innsbruck, Graz oder Salzburg geht, spaziert durch eine imperiale Kulisse. In hundert Jahren ist es der Republik nicht gelungen, der Gegenwart ihren formalen Stempel aufzudrücken. Konnte sie nicht oder wollte sie nicht?

Arno Strohmeyer: Bei solchen Fragen sollte man immer berücksichtigen, dass die Republik in Österreich zwei Schritte benötigt hat, um wirklich bei den Menschen anzukommen. Der erste Versuch ab Herbst 1918 stand unter keinem guten Stern und war schnell wieder Vergangenheit. Erst im zweiten Anlauf nach 1945 hat sich die neue Staatsform erfolgreich und dauerhaft im Bewusstsein verankert.

Was macht das Jahr 1918 für Historiker so interessant?

Damals fand tatsächlich ein Epochenwechsel statt, eine Zäsur von einschneidender Bedeutung. Unser Blick auf das kleine Österreich verengt oft die große Perspektive: 1918 ist nicht nur die Österreichisch-Ungarische Doppelmonarchie untergegangen, sondern auch das Deutsche Kaiserreich, das Osmanische und, wenngleich schon 1917, das zaristische Imperium. Offensichtlich wurde der Aufstieg der USA zur vorherrschenden Weltmacht. An dieser welthistorischen Zäsur macht die Geschichtswissenschaft den Übergang von der Neuzeit zur Zeitgeschichte fest, 1918 beginnt Neues in vielfacher Hinsicht.

Zuerst stand aber der Verlust des Bestehenden im Fokus. Der Bruch wurde auf die eine oder andere Weise als Tragödie empfunden. Selbst viele, die damals jubelten, bedauerten doch auch die Auflösung des Vielvölkerstaats. Die Gründer der Ersten Republik, etwa Otto Bauer oder Ignaz Seipel, fühlten sich als Bürger eines Großreichs und haderten nun mit ihrem Dasein als unbedeutende Kleinstaatler.

Ja, mit der Monarchie endete ein Lebensgefühl, und es gab kaum Euphorie über den Beginn des Neuen. Die Niederlage von 1918 führte für Österreich zum Verlust des Großreichs, zudem stand es vor den Trümmern seiner wirtschaftlichen Existenz. Dies alles hat das Bewusstsein der Menschen geprägt, Zweifel an der Überlebensfähigkeit des Kleinstaats, und die Forderung nach einem Zusammengehen mit Deutschland waren die logische Folge. Heute wissen wir, dass auch Kleinstaaten höchst erfolgreich sein können und zu jenen Staaten zählen, die über die höchste Lebensqualität und soziale Sicherheit verfügen. Und trotzdem weinen manche noch immer dem einstigen Großstaat und seiner internationalen Rolle nach.

Das politische Image der Monarchie war lange ausgesprochen negativ. Vor allem die SPÖ sah das Reich als Völkerkerker, wo Zensur und Unterdrückung vorherrschten. Heute dagegen erlebt die Monarchie eine Renaissance und wird als mögliches Rollenmodell für die Zukunft der heutigen EU erforscht. Wie ist es zu diesem Imagewandel gekommen?