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Von Klageweibern und Begräbnislachern

Von Mathias Ziegler

Reflexionen

Verschiedene Kulturen gehen mit dem Sterben unterschiedlich um. Auf Fremde wirken Trauerrituale bisweilen befremdlich.


Wer scheele Blicke ernten will, der borge sich für das nächste Begräbnis einen weißen Anzug aus. Oder gar ein buntes Hawaiihemd. Denn Schwarz und nur Schwarz ist der ungeschriebene Dresscode bei mitteleuropäischen Beerdigungen. Aber entspräche nicht eigentlich helle oder bunte Kleidung – vorzugsweise in Grün, der Farbe der Hoffnung, – mehr der christlichen Lehre, die den Sterblichen Hoffnung macht auf ein ewiges Leben in Fülle? "Die liturgische Trauerfarbe ist jene, die im Kulturkreis üblich ist. In unseren Breiten ist das Schwarz, im Norden Europas ist es Weiß", erklärt dazu Martin Sindelar, Leiter und Erzbischöflicher Zeremoniär in der Erzdiözese Wien. "Die Liturgie nimmt sich damit der Ausdrucksform der Menschen an. Im Sinne von: ‚Ihr als Trauernde werdet ernstgenommen, weil ihr jetzt erst einmal nichts zu feiern habt.‘" Zwar wird bis heute bei Begräbnissen oft ein altes Lied aus dem frühen Christentum gesungen – "Zum Paradiese mögen Engel dich begleiten" –, das einen Weg der Trauer hin zum himmlischen Jerusalem zeichnet, wo Christus dem Toten das Tor öffnet. Sindelar betont aber, dass dieses Lied nicht die Trauernden selbst singen, "sondern das tut die christliche Gemeinschaft für sie, weil sie ja weinen – und wer weint, kann nicht singen".

Alles in allem ist ein christliches Begräbnis also dem Heilsversprechen zum Trotz in der Regel eine recht triste Angelegenheit. Das gilt auch für das mehrheitlich orthodoxe Montenegro, wo sich – ebenso wie im islamisch geprägten Kulturkreis des Nahen und Mittleren Ostens – bis heute eine alte Tradition gehalten hat, deren Ursprung in der Antike liegt: die sogenannten Klageweiber, also Frauen, die gewerbsmäßig die rituelle Totenklage gegen Honorar ausüben.

Mit den Toten lachen, tanzen und rangeln

Wie anders nehmen sich da Trauerfeiern etwa auf Sulawesi aus. Auf der viertgrößten Insel Indonesiens lebt das Volk der Toraja, das rund 600.000 Menschen umfasst. Etwa die Hälfte ist heute christianisiert, die übrigen haben ihre alte, stark animistisch geprägte Naturreligion Aluk Todolo mit dem Christentum vermischt. Das schlägt sich auch bei Beerdigungen nieder. Die sind nämlich nicht trist und trauerschwer, sondern ausgelassen und fröhlich. Mehrere Tage lang wird gefeiert, gerne auch mit Touristen, die allerdings ein kleines Gastgeschenk (etwa eine Stange Zigaretten) mitbringen sollten. Mitunter dauert die Trauerfeier eine ganze Woche, nicht fehlen darf dabei der rituelle Rundtanz Mabadung, bei dem alle mitmachen und auch singen. Und auch der obligatorische Trauerzug ist begleitet von Gejohle, Lachen und ausgelassenen Rangeleien der Sargträger.

Fast genauso bunt sind die hinduistischen Feuerbestattungen auf Bali (gut 1000 Kilometer weiter südlich, aber immer noch in Indonesien). Da werden Opfergaben dargebracht, schwarzgekleidete Männer tragen auf Bambusstangen goldene Holztürme und riesige Löwen- und Kuhstatuen durch den Ort und bewegen sich rhythmisch zur Musik von Tschinellen und Gongs. Auch hier wird gejohlt, gelacht und getanzt. Wer sich ein eigenes Begräbnis nicht leisten kann, lässt seine Toten bei einer der nur alle fünf Jahre stattfindenden Massenkremationen bestatten – bis dahin wird der Leichnam in der Erde begraben. Während dieser Zeit bekommt der Tote regelmäßig Opfergaben, weil ja die Seele noch im Körper steckt. Die Gräber liegen allerdings abseits, weil sie als Orte der Dämonen gelten.

Mehrere Jahre verbringen auch die Toten auf Madagaskar in der Erde, bis sie für den Ahnenkult Famadihana wieder aus ihren Gräbern gehoben werden. Dann feiert die ganze Dorfgemeinschaft mit ihren Verstorbenen und tanzt mit ihnen, um die Verbindung zu ihnen zu stärken und ihnen nochmals Respekt zu zollen. Dabei werden sie auch in neue Seidentücher gehüllt. Die Famadihana ist keine Trauerfeier, sondern ein Freudenfest mit Musik und gutem Essen.

Verstreute Leichenteile und hängende Gräber

Mindestens ebenso befremdlich dürfte auf westliche Besucher die traditionelle Himmelsbestattung in Tibet wirken: Die Körper der Toten werden zerteilt und an exponierten Stellen deponiert, damit die Aasgeiern sie fressen. Auf den ersten Blick irritierend, zeigt dieses Ritual einerseits die Verbundenheit mit der Natur und andererseits das große Vertrauen in die buddhistische Religion: Der Tod ist nämlich nur der Übergang zwischen zwei Leben, und dem Glauben der Tibeter zufolge hat sich die Seele zu diesem Zeitpunkt bereits vom Körper getrennt und ist unterwegs zur nächsten Reinkarnation.

Sehr exponiert, aber in Särgen gesichert, waren auch die Toten der Bo, die bis zum Ende des 16. Jahrhunderts im Südwesten der chinesischen Provinz Sichuan lebten, ehe sie unter mysteriösen Umständen verschwanden. Geblieben sind von ihnen die hängenden Särge aus jeweils einem einzigen Baumstamm, die bis heute an Seilen von Felswänden hängen. Mutmaßlich sollte das den Weg ins Jenseits erleichtern. Ob das wohl auch der Hintergedanke bei der Gründung des US-Unternehmens Celestis war? Seit 1994 hat es nämlich die Asche von rund 1000 Verstorbenen ins Weltall geschossen, unter anderen sind auch "Star Trek"-Schöpfer Gene Roddenberry und "Scotty"-Darsteller James Doohan nun unterwegs in die endlosen Weiten des Weltraums.

Totenschädel überall, auch als Süßgebäck

Ein besonderes Verhältnis zum Tod hat auch die mexikanische Kultur. Dort gibt es den Día de los Muertos, den Tag der Toten, der allerdings durch eine zunehmende Halloweenisierung bedroht ist. In seinem Ursprung ist der Tag der Toten jedenfalls keine Trauerveranstaltung, sondern ein farbenprächtiges Volksfest, mit dem von 31. Oktober bis 2. November die kurzzeitige Rückkehr der Seelen der Verstorbenen zu ihren Familien gefeiert wird, mit buntem Blumenschmuck (als Zeichen der Vergänglichkeit), Skeletten und Totenschädeln auf den Straßen und in den Schaufenstern. Vor allem die Calavera Catrina wird gerne und oft abgebildet. Dazu verspeist man eigens gebackene Totenschädel aus Zucker, Schokolade oder Marzipan, die die Namen der Toten auf der Stirnseite tragen, oder auch das Pan de Muerto (Totenbrot). Der Día de los Muertos geht auf die Azteken oder noch ältere Kulturen in Mexiko zurück – sein zeitliches Zusammenfallen mit Allerheiligen und Allerseelen ist spanischen Missionaren zu verdanken, die ihn nicht abschaffen konnten und für sich das Beste daraus machten. Schließlich gibt es zwischen dem indigenen Glauben und der christlichen Heilslehre einige Parallelen. Denn schon für die Azteken war der Tod nicht das Ende, sondern der Anfang eines neuen Lebens.