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Einssein mit der Natur in Alaska

Von Uschi Sorz

Reflexionen

Eine Wienerin heuerte bei einem Schlittenhundeführer an und lebte in einer Blockhütte ohne Wasser und Strom.


Durchbrochen wird die Stille nur vom Kratzen der Pfoten auf dem grobkörnigen Schnee und dem Knirschen der Kufen. Vereinzelt auch von einem Bellen, wenn einer der zwölf Alaskan Huskys auf ein Geräusch oder einen Geruch reagiert. Sie sind Clara Kneringers einzige Gefährten in der weißen Unendlichkeit um sie herum. Am Hundeschlitten stehend, saust sie mit dem Gespann hindurch. Ihr Gefühl für Zeit und Raum hat sich längst aufgelöst. Boden und Himmel kann sie kaum noch unterscheiden, ein Schneesturm nimmt ihr die Sicht.

Der Himmel über Alaska...
© Clara Kneringer

Und doch sind Clara, in diesem April erst 19 Jahre alt, und ihr vierbeiniges Team hoch konzentriert. "Gee!", ruft sie den Hunden zu. Das heißt rechts abbiegen. Zum Glück hat sie die Wegmarkierung noch erkannt. Sie nehmen die Kurve.

Es ist der Höhepunkt von Claras Alaska-Abenteuer: der Kobuk 440, das nördlichste Schlittenhunderennen Alaskas. Durch die nahezu baumlose Tundra führt ein Pfad von Kotzebue nach Kobuk und wieder zurück. Das ist weiter als von Wien nach Vorarlberg. 440 Meilen, etwa 700 Kilometer, misst die Rennstrecke. Dreieinhalb Tage ist die sportliche junge Wienerin mit den kurzen braunen Haaren unterwegs. Grenzwertige Momente wie den Schneesturm steckt sie weg.

Am Ziel überwiegt die Freude, sie platzt vor Stolz auf die Tiere. Riffel, Tempest und Flash, den Leithunden, fühlt sie sich ganz nah. "Aber eigentlich sind sie alle großartig und haben ihr Bestes gegeben."

Jagdschein mit 16

Am Rennen teilzunehmen hat Clara, seit September Studentin der Veterinärmedizin, nicht geplant. Völlig überraschend kam es allerdings nicht. Immerhin war sie vom August des Vorjahres bis heuer im Jänner Handlerin bei einem Musher. So heißen die Schlittenhundeführer in Alaska. Dog Mushing ist dort nicht nur eine althergebrachte Transportmethode, sondern auch ein beliebter Volkssport. Handler sind die Gehilfen der Musher. Ein Traumjob, fand Clara.

Bereits in der siebenten Klasse des Gymnasiums begann sie, sich nach Möglichkeiten umzusehen und sich zu bewerben. Im Jahr nach der Matura wollte sie den Kopf freibekommen, etwas von der Welt sehen - und das möglichst mit ihrer Hundeleidenschaft verbinden. Sie fand einen Musher in der Nähe von Nenana, auf der Wegstrecke zwischen Anchorage und Fairbanks. Der Deal: Mitarbeit gegen Kost und Logis sowie Einblick in die Welt des "Dog Mushing". Gleich nach der Matura sollte es losgehen.

Auch in Wien betreibt Clara Hundesport. Obedience und Dummytraining etwa. Auf ihre Hündin Siena, die Akteurin, hat sie lange gewartet: vom Kindergartenalter bis sie 13 war. Dann ließen sich die Eltern, ein Fotograf und eine Gymnasiallehrerin, erweichen. Vermutlich kann Claras Hartnäckigkeit ziemlich überzeugend sein. In der Zwischenzeit hatte sie ersatzhalber ihre Meerschweinchen dressiert und wusste genau, was sie wollte: mit dem lange ersehnten Hund auf den Trainingsplatz!

Schnee-Selfie mit Huskys: Clara Kneringer und Begleitung unterwegs in Alaska.
© Clara Kneringer

Weil sie dabei unter anderem mit Jagdhundesport in Berührung kam, hat sie mit 16 Jahren den Jagdschein gemacht und mit Siena Treibjagden begleitet. Die Eltern staunten und tolerierten es. "Sie mögen Hunde ja, auch wenn sie nicht so verrückt nach ihnen sind wie ich und mit Jagd nichts am Hut haben", sagt Clara. Inzwischen besitzt auch die Schwester eine Hündin und Clara denkt über die Anschaffung eines Labradors nach, weil Siena als Mischling nicht an allen heimischen Wettbewerben teilnehmen darf.

Kein Komfort

Haben die Eltern denn nicht geschluckt, als sie mit 18 allein nach Alaska aufbrechen wollte? Noch dazu zu einem fremden Mann, dem 36-jährigen Musher Jessie Holmes, der in der Wildnis in einer von unzähligen Hundehütten umgebenen, 16 Quadratmeter kleinen Blockhütte haust? "Doch", sagt Clara. "Meine Mutter ist mit mir hingeflogen und hat sich dort auch umgesehen." Der mit allen erdenklichen Survival-Skills ausgestattete Naturbursche erwies sich als anständiger und unkomplizierter Kumpel. "Hat alles gepasst", kommentiert Clara und meint: Belästigungen hatte sie von dieser Seite nicht zu befürchten. Vor allem sei er ihr ein guter Lehrer gewesen. Dem engen Zusammenleben in spartanischen Verhältnissen ohne Wasser und Strom, aber in gegenseitigem Respekt begegnete sie mit der Begeisterung der Jugend. "Wasser holten wir aus einem Eisloch im Nenana River", erzählt sie. Der sei eh nur 30 Meter entfernt gewesen.

Pittoreske Landschaft...
© Clara Kneringer

Acht bis neun Kübel reichten für zwei Tage. Das wurde dann auf einem kleinen Holzofen in der Hütte erwärmt. Für die Hunde. Sie bekamen warmes Wasser mit aufgetautem Fleisch. "Man kann ihnen nicht einfach eine Schüssel kaltes Wasser hinstellen, das würde ja einfrieren bei Temperaturen bis zu minus 40 Grad." Musher und Handlerin versorgten sich am Campingkocher und fuhren von Zeit zu Zeit an eine Tankstelle oder nach Fairbanks zum Duschen.

Rund um den Wohnplatz gab es weder WLAN noch sonstigen Komfort. Dafür rund 50 Hunde und Knochenarbeit vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Nördlich des Polarkreises ist man im Winter fast ständig im Dunkeln, ausgestattet mit Kopftaschenlampe. "Mir kommt es immer noch komisch vor, dass jetzt zu Hause in Wien das Wasser wieder aus der Leitung fließt", meint Clara.

"Irgendwie fand ich das nämlich schon befriedigend, dass ich für die notwendigen Dinge auch etwas tun musste." Die Hunde hätten ihr das karge Dasein in der Wildnis leicht gemacht.

Unbändiger Wille

"Die sind mir so schnell ans Herz gewachsen, dass sich die ganzen Anstrengungen immer sinnvoll angefühlt haben." Man lebe mit ihnen einfach im Moment, mache unablässig und ohne groß nachzudenken, was gerade anstehe. "Das war fast meditativ." Sie bewunderte die Sterne, die Nordlichter, grandiose Sonnenauf- und -untergänge und empfand sich zugleich als Teil davon. "Die Natur und das Gefühl der Zeitlosigkeit sind überwältigend." Und das Schönste: Sie durfte die Hunde nicht nur versorgen, sondern auch trainieren.

Alaskan Huskys sind Athleten, sie werden eigens für den Rennsport gezüchtet. Dabei geht es nicht um die Rasse, denn sie sind Mischungen, sondern um Eigenschaften wie Widerstandsfähigkeit, Ausdauer und vor allem den unbändigen Willen zu laufen. "Sie lieben es und sind vor einem Rennen kaum zu bremsen vor Ungeduld", erzählt Clara. Pauschale Kritik von Tierschützern findet sie ungerecht. Man müsse es selbst gesehen haben, wie sehr es die Tiere genießen, lange Strecken zu laufen. "Natürlich sind sie Hochleistungssportler, aber so werden sie auch behandelt."

Die meisten Musher lieben, hegen und pflegen ihre Tiere hingebungsvoll, es sei eine eigene Welt, die nur um die Hunde kreise. Sie werden massiert, trainiert, bekommen das allerbeste Futter. Preisgelder reichen nicht aus, um das zu finanzieren. Jessie Holmes etwa jobbt nebenbei als Tischler und lässt sich ab und zu für die von BBC Worldwide für den Sender National Geographic produzierte TV-Doku-Serie "Life Below Zero" beim Jagen, Fischen und Dog Mushing über die Schulter blicken.

Viele Rennen in Alaska

Bei Rennen überprüfen Tierärzte den Gesundheitszustand der Läufer an sogenannten Checkpoints. Verletzt sich einer, wird er vorne auf den Schlitten gepackt und das Gespann läuft mit einem Hund weniger. Die Begeisterung der Bevölkerung für die Rennen ist groß. An den Checkpoints wird nicht nur gejubelt, ein Heer von Freiwilligen gibt auch Essen und Trinken aus, versorgt die vier- und zweibeinigen Sportler mit Schlafplätzen und räumt hinter ihnen auf. Im Winter gibt es fast jedes Wochenende irgendwo in Alaska ein Rennen. Die Distanzen variieren von Lang- und Mittel- bis zu kürzeren Sprintstrecken.

Clara Kneringer
© privat

Ende Jänner ist Clara fertig mit dem Handlerjob. Für den Kobuk 440 kehrt sie im April nach Alaska zurück. "Noch einmal zweieinhalb intensive Wochen." Training, Vorbereitung, Verschicken vieler beim Rennen benötigter Dinge wie Hundefutter, Reserveschneebrillen oder einen Vorrat an Pfotenschutz-Booties zu den Checkpoints.

Dort melden und erholen sich die Gespanne während des Rennens, beim Kobuk 440 etwa sind insgesamt 20 Stunden Ruhezeit verpflichtend. Auch hier gilt: Vierbeiner zuerst. "Musher haben alle Hände voll zu tun mit dem Füttern, Massieren und Niederlegen der Hunde und bekommen selbst wenig Schlaf." Nächtigt sie nicht in einer der dafür zur Verfügung gestellten Schulen, liegt Clara unter freiem Himmel im Polarschlafsack bei den Hunden im Stroh.

Sie ist geschickt darin geworden, einen Schlitten zu lenken. Dick eingepackt steht sie am hinteren Ende der Kufen und gibt durch Gewichtsverlagerung die Richtung vor. An einem senkrecht zu den Kufen stehenden Bogen, dem Handle-Bar, hält sie sich fest. In der Mitte ist der übliche Transportsack befestigt, vorne läuft das Gespann. So etwas wie Zügel gibt es nicht, nur eine Bremse.

Die Hunde hören auf Kommandos: "Go!", los, "Gee!", rechts, "Haw!", links, "Easy!", langsamer, "Whoa!", stopp. Gemeinsam trotzen sie Eis, Kälte, Sturm oder auch gleißendem Sonnenlicht. "Man wird eine Einheit", sagt Clara. "Diese tiefe Verbundenheit mit den Tieren inmitten der rauen Natur ist unbeschreiblich."

Und: "In Alaska habe ich so richtig gemerkt, wie wichtig es ist, die schönen Momente zu genießen und mich durch die weniger schönen durchzubeißen."

Uschi Sorz hat an der Kunstakademie in Amsterdam studiert und lebt als freie Journalistin und Texterin in Wien.