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Hommage an vergessene Gitarren

Von Franz Zauner

Reflexionen

Der österreichische Musiker Gottfried David Gfrerer hat eine Obsession für Resonatorgitarren. Auch sein aktuelles Album "Polychrome" kündet davon.


Wer ihn nicht kennt, erkennt ihn nicht. Er kommt zum Konzert, so wie er gerade ist, in Holzfällerhemd, Jeans und Freizeitschuhen. Gottfried David Gfrerer beschäftigt weder Visagisten noch Modedesigner. Kein Ohrgesteck weist auf seine Künstlerschaft hin, kein hautenges schwarzes Leder legt sich als Ausweis der Verwegenheit um seine Beine, und Maskenbildnern macht er keine Arbeit. Er will keinen Look kreieren, sich nicht verkleiden, kein Doppelleben mit einem Image führen: "Man soll sich meine Musik merken, nicht mich."

Im Keller des Restaurants "Fromme Helene" wird es eng für die vielleicht hundert Besucher, die sich dort versammelt haben. Gfrerer fühlt sich sichtlich wohl auf der kleinen Bühne, mag die Clubatmosphäre, den Blickkontakt mit den Zuhörern. Bevor er zu einer seiner drei Resonator-Gitarren greift, reibt er behutsam seine Hände auf den Oberschenkeln.

Und dann offenbart er den kostbarsten Besitz, den ein Musiker haben kann: seinen Sound, den Gfrerer-Sound. Spätestens jetzt, da der singende Gitarrist seinem Ins-trument sirrende, mitreißende Tonfolgen entlockt, hat er die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums. Auskenner sagen, er sei einer der besten Slide-Gitarristen Europas mit einer ausgeklügelten, polyphonen Fingerstyle-Technik, er gemahne an Legenden wie Ry Cooder oder Mark Knopfler.

Großartige Dynamik

Sein aktuelles, mittlerweile viertes Album trägt den Titel "Polychrome" (Lili Records/Lotus). Es ist die Summe seines Musikerlebens, das mit Kärnterliedern begann und sich über Jahrzehnte zu einem genreübergreifenden Klangkosmos erweiterte, aus dem man beim ersten Hinhören ein archaisches Musik-Nordamerika heraushört: Folk, Blues, Jazz, aber auch die langgezogenen Töne von Hawaii-Musik. Und dazu noch, wie er in seiner ruhigen, freundlichen Art sagt, "die Melancholien des Kärntner- und Wienerlieds".

Ein Jahr hindurch hat sich der gebürtige Kärntner immer wieder in die Einsamkeit eines unbewirtschafteten Bauernwirtshauses in den Nockbergen zurückgezogen, in Gesellschaft von einem Dutzend Resonatorgitarren aus den 1930er Jahren. Diese Gitarren, im CD-Booklet alle abfotografiert, wurden in einem schillernden Farbschema lackiert, genannt "Polychrome". Daher der Name des Albums.

Resonatorgitarren sind seine Obsession. "Die sind laut, und deswegen spiele ich sie." Doch sie sind nicht nur laut, sie haben auch eine großartige Dynamik. Man kann sie gut hörbar auch sehr leise spielen. Gfrerer mag alles an diesen Gitarren: die Optik, den Klang, die Geschichte. Die kalifornische Firma National hat sie in den 20er Jahren entwickelt. Im Korpus dieser Gitarren stecken bis zu drei hauchdünne Aluminium-Membranen, die den Schall der Saiten aufnehmen und verstärken. Jede Gitarre hat ein eigenes Klangbild, das kann man auf "Polychrome" angeblich hören, wenn man entsprechende Ohren hat.

Resonatorgitarren sind Instrumente, die lang anhaltende, hallige Töne abgeben können. Sie lassen sich gedehnten Südsee-Sound entlocken. Die sogenannte Hawaii-Musik ist bis heute musikalisch formuliertes Fernweh. Mit dem Hawaii-Boom in den 30er Jahren griffen auch Blues-Musiker gerne zu diesem Instrument, und es stellte sich auch als passender Begleiter für die Tonarten der Melancholie heraus. Und später dann, in den 90ern, griff auch Gfrerer nach dieser besonderen Zupfgeige. Der heute 52-jährige Musiker holte die Resonatorgitarre nach Europa zurück, woher sie erstaunlicherweise stammt, zumindest in Gestalt ihres Erfinders.

Ein gewisser John Dopyera emigrierte 1908 aus dem damaligen Monarchie-Kronland Slowakei nach Kalifornien und ersann dort gemeinsam mit dem Vaudeville-Musiker George Beauchamp (der später auch den ersten elektrischen Tonabnehmer erfand) dieses Instrument, das seine Töne auf natürliche Weise verstärkt. Die von ihm gegründete National String Instrument Corporation ist bis heute legendär. Die Motive auf Dopyeras Gitarren zeigen mitteleuropäische Ornamentik, bevorzugt Blumen und Blumenkränze. Und selbst so manches Hula-Girl, das auf alten Resonator-Gitarren prangt, erinnert eher an eine Sennerin als eine polynesische Südsee-Schönheit. Der Kreis schloss sich, als Dopyeras Tochter Anne Dopyera West sich auf Facebook als Gferer-Fan zu erkennen gab.

Viele der originalen National-Resonatorgitarren sind mittlerweile verschwunden. Von einer Spezialausgabe, der hölzernen Resonatorgitarre mit drei Klangkörpern, wurden angeblich nur ein Dutzend gebaut. Sie sind allesamt verschollen. "Es ist ein Mystery-Instrument", sagt Gfrerer. Aber es gab diese Gitarre wirklich. Gfrerer sah vor Jahren ein Foto davon, es ließ ihm keine Ruhe. "Ich dachte mir, so eine Gitarre muss ich haben." Da keine zu bekommen war, baute er das Instrument selbst. Mittlerweile hat er schon Dutzende davon gezimmert. Er experimentiert mit Lochformen, Materialen, Metallen in unterschiedlichen Konfigurationen: "Langsam ahne ich, wie guter Klang zustandekommt."

Volks- als Rootsmusik

Er verfügt als einziger Resonatorgitarren-Insider über eine Quelle für das dreischichtig verleimte Holz, das für den Korpus der ursprünglichen, "Triolian" benannten Gitarre, verwendet wurde. Die Resonatoren sind aus Aluminium, er bekommt sie aus den USA und aus China. Für die Herstellung einer dieser Bilderbuchgitarren braucht er zwei, drei Monate.

Es interessiert ihn, wie der Sound funktioniert, wie Klangunterschiede zwischen den Instrumenten zustandekommen, vor allem aber, wie man eine Gitarre so bauen kann, dass sie für Gitarristen zu dem wird, was für Geiger eine Stradivari ist: ein perfektes Instrument. Seine Lieblings-Bühnengitarre hat er schon einige tausend Mal zerlegt und wieder zusammengesetzt. Seine Adaptionen sind bisweilen minimal, er tauscht ein Hölzchen aus, schraubt an winzigsten Variablen des Klangkörpers. Es steht zu vermuten, dass uns gewöhnlichen Hörern noch die gröbsten der hauchfeinen Differenzierungen entgehen, die er aus dem Instrument herauskitzelt. Allerdings kann er auch Gitarren bauen, die sich unüberhörbar voneinander unterscheiden, die "sind dann entweder leise oder bombastisch".

Wie hat er zu seiner Musik gefunden? "Neben klassischer Musik wie Debussy war es Roots-Musik. Ich bin in der Tradition des Kärntnerliedes aufgewachsen, mit Haus- und Volksmusik. Auch das ist Roots-Musik." Folk-Songs erschienen ihm als logische Fortsetzung der Heimatklänge, als er Bob Dylan im Radio hörte.

Gfrerers Musik und seine Texte klingen, als hätte er mehr Zeit in Memphis, Tennessee, verbracht als in Kärnten. Dabei war er noch nie in den USA. Er hat aber die Musik aus der Ferne mit der ihm eigenen, entspannten Akribie studiert. Die afroamerikanischen Gitarristen der 30er Jahre faszinierten ihn. US-Bluesmusiker wie Son House und Robert Johnson gehören dazu, jener "dunkle König", wie ihn die "Zeit" nannte, der einen harten Blues spielte und als einer der Urväter dieses Musikstils gilt. Oder Mississippi John Hurt. Gfrerer hat ihm auf seiner neuen CD einen Song gewidmet: "Don’t You Die Until You’re Dead." Aber auch den massentauglichen Sound von Gitarristen wie Mark Knopfler schätzt er. Gfrerer hat immer wieder mit amerikanischen Musikern gearbeitet, in der Resonatorgitarren-Szene ist er weltweit gut vernetzt.

Als Komponist ist er ein eifriger Fußnotensammler, seine Lieder wachsen oft aus Gedankenfragmenten und Melodiefetzen. Der Song "Made By Hand" ist dafür ein gutes Beispiel: Er handelt von einem alten Mann, der seine (Lebens-)Lasten durch den Schnee schleppt. Es gab diesen Mann wirklich, und das gleich mehrfach. Es ist der Nachbar, den er in der Einsamkeit des Komponierens tagtäglich einen Schlitten durch den Schnee ziehen sah: Eine Figur, im Verschwinden begriffen, und mit ihr eine ganze Epoche.

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Im wiegenden Schritt des alten Mannes, der ihn zu einer ebensolchen Melodie inspirierte, schwingt auch eine Erinnerung an Gfrerers Großvater mit, der sich als Holzknecht verdingte. Auch in seiner Abstammung ist Gfrerer multilateral, unter seinen Vorfahren gab es auch einen Adeligen.

Songs als Variationen

In seinen Anfängen verfasste Gfrerer Lieder zu Dialekttexten des Kärntner Dichters Bernhard C. Bünker. Mit zunehmend international werdenden Auftritten wuchs sein Bedürfnis, verstanden zu werden, oder zumindest eine Chance zu haben, verstanden zu werden. Die Poesie seiner Liedtexte ist elaboriert. Englisch erschien ihm trotzdem als ideale Sprache für das, was er sagen will. Und für einen Sänger aus Kärnten lässt sie sich auch hinreichend weich intonieren, besser jedenfalls als hochdeutsch.

Wiewohl seine Songtexte zum Mitfühlen einladen und oft aus winzigen Begebenheiten keimen, sind sie bisweilen mit versteckten, gelehrigen Hinweisen auf Personen und Ereignisse durchsetzt: "Ich habe mich bei jedem Song eingelesen." Manche Lieder haben eine lange Vorgeschichte. An "Somebody Else" etwa hat er 17 Jahre lang getüftelt, andere Songs wie "It’s All Water Under The Bridge" flossen ihm beim Duschen zu. "Abbeville" wiederum verdankt sich einem Zufallsfund, einem Memorabile aus dem amerikanischen Bürgerkrieg. Das Stück handelt über den Anlass hinaus von den Wunden und Ruinen, die jeder Krieg hinterlässt. Für die Melodie ließ sich Gfrerer von US-Liedgut aus den 1860er Jahren inspirieren.

"Man kann im Leben nicht viele wirklich unterschiedliche Lieder schreiben", sagt Gfrerer. Ein paar vielleicht, die dann typisch sind und den Sound des Musikers definieren. Alle anderen Songs sind Variationen: Elemente von Melodien werden darin wiederholt, bestimmte Akkordfolgen und Kadenzen. Gfrerer selbst spielt gern in "offener D-Stimmung, mit ein paar alpinen Terzen mittendrin. Aber wahrscheinlich sage ich morgen etwas völlig anderes".