Das passt zur aktuellen Debatte über das Bundesheer: Das westfälische System, das wir seit Ende des Dreißigjährigen Kriegs haben, beruht nun einmal auf der Souveränität, und damit auf der Fähigkeit, ein bestimmtes Territorium militärisch zu behaupten.

Es gibt eine andere Sicht: Kriege entstehen erst durch wirtschaftliche Interessen oder fanatische Kriegstreiber - wären also vermeidbar.

Das ist eine absichtliche Selbsttäuschung.

Ein Feindbild ist doch immer konstruiert, oder nicht?

Das ist richtig. Und zwar aus einem Grund: Um einem anderen Menschen in die "Gosch’n" zu hauen, muss ich mich erst einmal überzeugen, dass das richtig ist. Oder meine Pflicht. Oder gottgewollt. Die meisten Menschen wollen andere Menschen weder töten noch verletzen. Das zeigen militärpsychologische Studien: Bei freier Auswahl der Möglichkeiten sind die meisten gehemmt. Das geht bis zu einer physischen Hemmung im Akt selbst. Vor allem seit dem letzten Jahrhundert gibt es Aufzeichnungen von Soldaten, die erzählen, dass sie es in dem Moment, in dem es darauf ankommt, nicht schaffen. Wir haben eine Tötungshemmung, weil wir soziale, empathiefähige Lebewesen sind. Wir sind wahnsinnig harmoniesüchtig.

Es braucht also unheimlich viel an ideologischer, kultureller und spiritueller Aufrüstung, um Menschen dazu zu bringen, im Krieg zu töten. Trotzdem schafft es ein Großteil nicht, das zeigen Studien aus dem Zweiten Weltkrieg. In einem Feuergefecht schoss ein Drittel bis vierzig Prozent der Soldaten nicht zurück.

Trotzdem führen Kriege auch zur Entmenschlichung, zu Massakern und Vergewaltigungen.

Erstens spielt die Verweildauer im Konflikt eine Rolle: Wenn die Menschen eine gewisse Zeit diesem Dauerstress ausgesetzt sind, drehen sie durch. Deshalb haben US-Soldaten ein Turnus-System, bei dem sie nur eine gewisse Zeit lang an der Front sind. Für die Soldaten ist die Angst davor, dass ihnen selbst etwas passiert, übrigens genauso schlimm wie die Angst, dass einem Kollegen etwas zustößt, oder auch die Furcht davor, dem Feind etwas antun zu müssen.

"Warum verändern sich Gesellschaften?": Historiker Steffelbauer im Gespräch mit "WZ"-Mitarbeiterin Blatakes. - © Luiza Puiu
"Warum verändern sich Gesellschaften?": Historiker Steffelbauer im Gespräch mit "WZ"-Mitarbeiterin Blatakes. - © Luiza Puiu

Zweitens gibt es diejenigen, die ab einem gewissen Punkt sagen: Jetzt ist alles wurscht. Das sind die Entmenschlichten. Der Vietnamkrieg und das Massaker von My Lai haben dazu geführt, dass dieses Phänomen und auch die gruppendynamischen Prozesse dahinter untersucht wurden. Man hat herausgefunden, dass diese Typen andere anstecken. Dahinter steckt auch die christliche Moral, die besagt: Ich bin ohnehin schon verdammt, ich komme ohnehin in die Hölle. Wenn man eine gewisse Anzahl solcher Leute in einer Einheit hat, dann kippt es.

Sie haben vor Kurzem mit einer Kollegin und einem Kollegen aus der Kultur- und Sozialan-thropologie das Start-up "That’s life!" lanciert. Wen wollen Sie coachen und worin?