"Wiener Zeitung": Warum schreiben Sie als Historiker ausgerechnet über Fleisch?
Ilja Steffelbauer: Weil ich die aktuelle Debatte eigenartig finde. Wir urbanen Mittelschichtler, die am wenigsten Kontakt mit Tieren haben, romantisieren und vermenschlichen sie. Die Psychologie hat auch einen Namen dafür: den "Bambi-Effekt". Denn für viele sind die einzigen Tiere, die sie kennen, Tiere, die sich wie Menschen verhalten. Die letzten achttausend Jahre, in denen wir als Agrargesellschaften existiert haben, hat so gut wie jeder Mensch ganz alltäglich mit Tieren zusammengelebt. Zwar in großer Nähe und einer persönlichen Beziehung - aber es war ein Nutzverhältnis.
Tierschützer fordern Persönlichkeitsrechte für Tiere.
Für Historiker ist vieles schon einmal dagewesen. Im Mittelalter hat es bis in die frühe Neuzeit in ganz Mitteleuropa die Tierprozesse gegeben. Da wurden Tiere von kirchlichen Autoritäten vor Gericht gebracht, weil sie sich nicht ordentlich verhalten haben. Heuschrecken, die Felder überfallen hatten, wurden angeklagt, weil sie ihre Rolle in Gottes Schöpfung nicht richtig erfüllt haben. Hähne wurden verurteilt, weil sie zu früh gekräht haben.
Wenn wir heute fragen, ob Primaten Rechtspersönlichkeiten sind, müssen wir den Gedanken konsequent weiterverfolgen: Sind dann alle Menschen im Wachkoma oder mit schweren geistigen Behinderungen keine Menschen mehr? Da wäre ich vorsichtig. Es ist eine überzogene Debatte, bei der viele urbane "Bobo"-Schichten mehr Mitgefühl mit Tieren haben als mit manchen Menschen.
Auch das ist aus historischer Sicht wohl nichts Neues.
Nein. Die Eliten hatten auch früher schon mehr Sympathie für ihre Pferde und Hunde als für die Menschen, die ihre Pferde und Hunde gehalten haben.
Wir haben uns vom Gelegenheitsaasfresser zum Killeraffen entwickelt, schreiben Sie. Wie meinen Sie das?
Um das menschliche Gehirn aufzubauen, brauchen wir eine effiziente Energiequelle und eine effiziente Eiweißquelle. Und die effizienteste Quelle ist nun einmal Fleisch.
Veganer und Vegetarier sehen das anders.
Für das, was unsere Vorfahren gemacht haben, können wir uns nicht verantwortlich fühlen. Evolution passiert einfach. Die Frühhominiden zogen über die Weiten der afrikanischen Savanne und aßen nur gelegentlich Fleisch - oder auch Aas, wenn es sich eben ergab. Sie sind dann dazu übergegangen, sich aktiv Fleisch zu beschaffen. Das hat die Entwicklung unseres Gehirns gefördert und uns zu der Spezies gemacht, die wir heute sind - aufrecht gehende Killeraffen. Ab diesem Moment haben auch alle Probleme angefangen, denn ab diesem Moment in der Geschichte wurden wir soziale Lebewesen. Die folgenden 290.000 Jahre verbrachten wir als Sammler und Jäger. Die längste Zeit, in der es uns als fertige Spezies gibt, waren wir in kleinen Gruppen unterwegs und haben gejagt.
