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Stefan Kutzenberger: Mit Donald Trump in die Loge

Von Andreas Rauschal

Reflexionen
Stefan Kutzenberger steckt auch in der Romanfigur Kutzenberger.
© www.corn.at/Deuticke

Der österreichische Autor und Literaturwissenschafter bevorzugt die Autofiktion. Im Jahr 2020 nimmt er den deutschen Buchmarkt ins Visier. Eine Begegnung.


Der Einstieg ist natürlich gemein. Weil Stefan Kutzenberger, Jahrgang 1971, zuletzt ein "Literatur Quiz" in Buchform vorgelegt hat - wir kommen darauf noch zu sprechen -, macht eine Rätselfrage auch den Beginn des Treffens mit dem Autor in einem Wiener Kaffeehaus. Welcher US-Schriftsteller beendete seinen Debütroman mit den drei folgenden Sätzen? "Am nächsten Morgen war die Nacht vorbei, und ich war noch am Leben. Vielleicht schreibe ich einen Roman, dachte ich. Und dann schrieb ich ihn."

Wir einigen uns darauf, dass es sich dabei jedenfalls um ein sehr schönes Romanende handelt - und kommen zum Wesentlichen. Während Charles Bukowski (ja, der!) sein Publikum in "Der Mann mit der Ledertasche" 1971 erst am Ende, also im Nachhinein über den autobiografischen Entstehungshintergrund seines Romans informierte, wohnt man der Genese von Stefan Kutzenbergers spätem Debütroman von Anbeginn bei - Stichwort Metaebene. "Friedinger", im Vorjahr veröffentlicht, bringt uns die Figur Kutzenberger näher, der von seiner Ehefrau einen Schreiburlaub in Griechenland geschenkt bekommt, wo sich aus drei angedachten Romanprojekten eines manifestieren soll.

Allerdings sorgen die Begegnungen mit einer jungen Französin (frage nicht!) und eben Friedinger, der bei diversen gemeinsamen Bieren mit einer in Kutzenbergers Geburtsstadt Linz angesiedelten Geschichte den eigentlich besseren (Kriminal-)Romanstoff mündlich überliefert, außer für Irritation auch für Ablenkung. Kutzenberger (der literarische) dazu im Roman: "Das Einzige, das noch lächerlicher ist als ein unpublizierter Autor, ist ein Autor, der nicht schreibt."

Reizvolles Spiel

Wie hat nun der Weg des - echten - Stefan Kutzenberger in die Literatur ausgesehen? Und was hat schließlich dazu geführt, dass mitten im fünften Lebensjahrzehnt des Autors dann doch noch sein erster Roman erschienen ist? Kutzenberger bei einem Kakao: "Grundsätzlich habe ich mich an die Literatur als Leser angenähert. Als ich mit 14 einen Roman verschlungen und danach herausgefunden habe, dass die Autorin erst 15 Jahre alt war, hat es klick gemacht. Ich habe noch am selben Nachmittag damit begonnen, an einem Buch zu schreiben. Meine Eltern sind schließlich vor ein paar Jahren von Linz nach Wien übersiedelt - das kommt ja auch in ,Friedinger‘ vor -, und ich habe das Manuskript beim Kellerausräumen wiedergefunden. Es ist durch und durch lächerlich, aber ein Beleg dafür, dass ich schon damals Schriftsteller werden wollte.

Geworden bin ich es 30 Jahre später. Ich habe diesen Traum niemals aufgegeben, nicht zu schreiben aufgehört und bin auch in der Literatur geblieben, indem ich Literaturwissenschaft studiert habe und danach gleich Lektor wurde. ,Friedinger‘ selbst ist eigentlich schon mein vierter Roman, die drei Vorgänger habe ich aber für mich geschrieben und nie verlegen lassen, weil ich gehört habe, dass es sinnlos sei, Manuskripte unverlangt einzusenden. Bei ,Friedinger‘ habe ich der Deuticke-Verlagsleiterin, der großartigen Martina Schmidt, meine Situation erklärt, und sie hat mich gebeten, ihr das Buch persönlich zu schicken. Zwei Wochen später kam eine E-Mail, die aus zwei Wörtern bestand: ,Machen wir.‘ Das war ein life change. Und seither darf ich mitspielen!"

Das heurige Aus für Deuticke, dessen Programm nun teils von Zsolnay übernommen wird, betraf den Autor im Anschluss zunächst zwar unmittelbar. "Kurzzeitig habe ich geglaubt, mein Traum wäre auch schon wieder vorbei. Ich habe mir dann aber einen Literaturagenten genommen, der für mich den Berlin Verlag, eine Piper-Tochter, gefunden hat. Unglaublich, aber jetzt ist Margaret Atwood meine Verlagskollegin!"

Die Figur Kutzenberger wird uns also schon demnächst wiederbegegnen. Immerhin hat Stefan Kutzenberger, der Kutzenberger ist, der er natürlich nur teilweise ist, eine beträchtliche Vorliebe für die Autofiktion. Namen wie Karl Ove Knausgård oder Emmanuel Carrère fallen. Was ist das Reizvolle an dieser literarischen Form? Kutzenberger: "Das Reizvolle ist das Spiel. Je näher ich der eigenen Biografie im Schreiben gekommen bin, desto unwahrer ist sie mir vorgekommen. Die fiktiven Teile wiederum kamen mir oft echter vor als die Wahrheit, meine tatsächliche Biografie. Dazu die Frage: Was wäre, wenn dieses und jenes passieren würde? Ich habe an ,Friedinger‘ ja im besten Midlife-Crisis-Alter gearbeitet. Andere würden sich ein Auto kaufen, das ich mir nicht leisten könnte. Ich habe mir eine Affäre erschrieben - was ja eigentlich die eleganteste Form ist."

Weltverschwörung

Während ein Autor steuern kann, was er an Privatem preisgibt, und während er selbst weiß, wie hoch der Wahrheitsgehalt des "Preisgegebenen" tatsächlich ist, hat es das persönliche Umfeld, auch in Zusammenhang mit den Reaktionen von außen, diesbezüglich nicht ganz so leicht. Wie hat sich der Spagat aus dem, was geschrieben werden muss, und dem, was es in unserer zwischen Fakt und Fake mitunter ohnehin schon reichlich verworrenen Zeit womöglich auslösen kann, für den Autor dargestellt?

"Ich war schon auch extrem betriebsblind und habe beim Schreiben ab einem gewissen Zeitpunkt überhaupt nicht mehr an die Konsequenzen gedacht. Der erste Fehler war dann, dass ich das Buch meiner Frau ohne Beipackzettel gegeben habe. Eine Affäre hätte sie mir zum Glück nicht zugetraut, die Stelle, an der Kutzenberger behauptet, er empfinde sein ganzes Leben als gescheitert, hat sie aber ziemlich getroffen. Dabei ist mein Roman im weiteren Verlauf eine Liebeserklärung an die Familie" - und jetzt lacht der Autor -, "die vielleicht ein bisschen umständlich formuliert daherkommt."

Welche Charaktereigenschaft sollte ein Schriftsteller mitbringen, wenn er sich an eine Autofiktion wagt? Exhibitionismus, Selbstironie oder den Mut, sich nichts zu scheißen? Kutzenberger: "Exhibitionismus, hm. Wenn Knausgård 4000 Seiten über sich selbst schreibt, empfinden das viele als egomanisch. Ich nicht. Ich denke, hier versucht jemand ganz intensiv, vor allem die Welt zu verstehen, die man nun einmal am besten durch seine eigene Person hindurch versteht." Schließlich geht es auch im nächsten Roman von Stefan Kutzenberger, der seit einem Jahr fertig ist, vom Berlin Verlag aus Gründen (das Marketing!) aber erst zum Höhepunkt des US-Wahlkampfes im Herbst 2020 veröffentlicht wird, darum, vor zumindest partiell autobiografischem Hintergrund vom Privaten ins Globale überzublenden.

"Kutzenberger bleibt eine gescheiterte Figur. Sein Verlag wurde aufgelöst, nachdem sein erster Roman endlich erschienen ist. Er hält dann als Literaturwissenschafter einen Vortrag über Bob Dylan, der in die Hose geht, aber zu dem Auftrag führt, in Island ein Jahr lang Dylan-Texte zu analysieren. Kutzenberger wird in eine Art Weltverschwörung hineingezogen, in der das ganze Weltgeschehen, vom Fall der Berliner Mauer über 9/11 bis hin zur Wahl Donald Trumps, von einer Bob-Dylan-Geheimgesellschaft gesteuert wird. Am Ende steht ein Showdown in Thriller-Manier, in dem Kutzenberger Trump mit einer Giftspritze in der Hand gegenübersteht."

Kutzenberger verfrachtet die Dylanologen also in die Dylano-Loge. Und er hofft nun vermutlich, dass das Impeachment-Verfahren gegen den US-Präsidenten scheitern wird? Der Autor: "Ha, Dylano-Loge, das gefällt mir! Und stimmt, ich dürfte derzeit der wohl einzige Europäer sein, der hofft, dass Trump sich möglichst lange an der Macht halten wird. Ich habe einmal einen Roman über die ,Millionenshow‘ geschrieben, dessen Struktur dann eins zu eins jener von Danny Boyles Film ,Slumdog Millionaire‘ entsprochen hat. Ich musste das Projekt also aufgeben und möchte diese Erfahrung eigentlich nicht mehr wiederholen."

Der US-Songwriter Bob Dylan spielt in Stefan Kutzenbergers neuem Roman "Jokerman", der im Herbst 2020 im Berlin Verlag erscheinen wird, eine Rolle.
© Sony Music

Zu Ende geschrieben wurde der Bob-Dylan-Roman "Jokerman" übrigens in Wels, wo Kutzenberger für drei Monate als Stadtschreiber aktiv war. "Ich musste dort nur eine wöchentliche Kolumne für die ,Oberösterreichischen Nachrichten‘ abliefern und war ansonsten vollkommen frei." Fühlt sich so ein Engagement nicht an wie ein nicht enden wollendes Abendessen mit dem Obmann des Tourismusverbandes? Kutzenberger: "Nein, Wels war toll. Auch wenn es eine polarisierte Stadt ist, in der ein FPÖ-Bürgermeister die Ängste der Leute schürt, anstatt sie ihnen zu nehmen. Das Beste für mich persönlich waren die Ausflüge in das richtige Leben - in Wien lebt man ja doch in seiner Blase -, sprich vor allem in die Schulen, in denen die Schüler mehrheitlich Nichtmuttersprachler sind, in die HTL, in der Literatur sonst kaum eine Rolle spielt. Dort auf Interesse zu stoßen und zu sehen, oh doch, es gibt Anknüpfungspunkte, das war eine schöne Erfahrung."

Veränderter Kanon

Lustvolle Didaktik (das Wort "Infotainment" fällt) bestimmt auch Kutzenbergers aktuelle Veröffentlichung, "Das Literatur Quiz" (gemeinsam mit Maximilian Hauptmann, erschienen in der edition a): "Maximilian ist ein Student von mir und trotz seiner Jugend - Jahrgang 1996! - belesen wie ein alter Mann, was man nicht von allen seinen Kollegen behaupten kann. Das Buch war seine Idee - und das Ergebnis ist der Versuch, Wissen über Literatur, die wir für wichtig halten, spielerisch zu vermitteln."

Welche Veränderungen fallen Kutzenberger nach rund zwanzig Jahren als Lektor für Vergleichende Literaturwissenschaft in Hinsicht auf seine damaligen Studenten und heutigen Studierenden auf? "Es hat sich auf jeden Fall der Kanon verändert. Namen wie Hermann Hesse, Thomas Mann und Stefan Zweig, die mir in der Oberstufe die Rutsche in die Literatur gelegt haben, sind den Studierenden im besten Fall noch ein Begriff, aber sie haben sie nicht gelesen - und kommen stattdessen von Fantasy-Sagas her. Das muss man auch ernst nehmen - und in einer Kanondebatte ist es natürlich immer gefährlich, als reaktionär missverstanden zu werden. Ich denke persönlich auch nicht, dass die Welt untergeht, wenn die Leute Goethe nicht lesen. Aber es ist definitiv schön, wenn sie es tun. Weil er gut ist."

Im "Literatur Quiz" erfährt man übrigens auch (so man es nicht schon weiß), dass Friedrich Schiller zum Schreiben den Geruch fauler Äpfel benötigte. Hat Stefan Kutzenberger Erfahrungen mit ausgefallenen Schreibritualen? Oder gibt es einen geregelten Tagesablauf mit Mittagessen und Wäschemachen? "Ich hätte mir einen festen Schreibzyklus immer gewünscht, habe aber keinen. Je weniger Theater ich um das Schreiben mache, desto einfacher fällt es mir jedenfalls: Am Küchentisch, wenn die Kinder mit der Hausübung beschäftigt sind und das Radio läuft. Nebenbei ist gut, und nach drei Jahrzehnten Schreibarbeit im Verborgenen bin ich daran gewöhnt. Es ist schön, weil es so unschuldig ist."

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Andreas Rauschal, geboren 1984 in Vöcklabruck, ist Redakteur im "extra" der "Wiener Zeitung".