"Wiener Zeitung": Herr Schürz, wir leben in einer konsumorientierten Gesellschaft. Haben Sie selbst einmal davon geträumt, sehr reich zu sein?

Martin Schürz: Nein, habe ich nicht. Ich komme aus proletarischen Verhältnissen und habe sehr früh gelernt, mit dem glücklich zu sein, was da ist. Ich glaube, es ist eine Temperamentsache, und ich war ein zufriedenes Kind. Es ist eine Ressource, sich an Kleinigkeiten freuen zu können. Ich arbeite auch als Therapeut mit Kindern und die erzählen mir manchmal von ihren materiellen Träumen, da geht es um ganz bescheidene Dinge. Es stimmt nicht, dass alle Menschen reich sein wollen. Sie wollen einfach ein gewisses Konsumniveau oder bestimmte Luxuserfahrungen.

Sie erforschen große Vermögen und arbeiten im Ambulatorium "Die Boje" oft mit Kindern, die zu den Ärmsten der Gesellschaft gehören. Wie gehen Sie mit diesem Gegensatz um?

Vielleicht stabilisiert es mich, weil ich sonst Schuldgefühle hätte, privilegiert zu leben. Viele meiner Patienten sind schwer traumatisiert, haben Gewalt oder sexuellen Missbrauch erlebt oder den Selbstmord eines Elternteils. Es ist unglaublich, was Kinder aushalten.

In der Vermögensforschung muss man zwar nicht viel aushalten, aber die Arbeit ist wie ein nicht endender Lauf oder eine Don Quijoterie. Es ist aufwendig, an Daten zu kommen, die viele Menschen als privat betrachten und nicht hergeben wollen. Die tatsächliche Vermögenskonzentration wird durch freiwillige Erhebungen nicht abgebildet. Man bleibt als Vermögensforscher immer mit einem unzureichenden Ergebnis zurück.

Ihr Buch "Überreichtum" handelt von extremem Reichtum und davon, wie wir als Gesellschaft damit umgehen. Ist Reichtum unmoralisch?

Begründeter Reichtum muss nicht unmoralisch sein, Überreichtum schon. Es gibt keine Gerechtigkeitstheorie, die Überreichtum rechtfertigt. Ich stelle einfache Fragen in meinem Buch: Warum gibt es Überreichtum, obwohl er ungerecht ist? Warum werden Überreiche auch in einer Demokratie bevorzugt?

Ab wann ist ein Mensch zu reich?

Der deutsche Philosoph Christian Neuhäuser schreibt in seinem Buch "Wie reich darf man sein?", man sei dann reich, wenn man sich drei durchschnittliche Jahresgehälter zur Seite legen kann. Das erscheint mir eine zu niedrige Grenze. Ich argumentiere: Ein Mensch ist dann zu reich, wenn er mit Hilfe seines Vermögens die Möglichkeit hat, die Demokratie zu zerstören. Dafür benötigt man Macht - und nicht nur Ersparnisse.