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Hinweise für aktive Hirnbenutzer

Von Thomas Seifert

Wissen
John-Dylan Haynes beim Interview im Hotel Post in Lech am Arlberg.
© Thomas Seifert

Der deutsch-britische Neurowissenschafter John-Dylan Haynes räumt im "Wiener Zeitung"-Interview mit Hirn-Mythen auf.


Der deutsch-britische Hirnforscher John-Dylan Haynes gehört zu jener Gruppe von Neurowissenschaftern, die sich derzeit daranmachen, die Sprache des Gehirns zu entschlüsseln. Dylan-Haynes ist seit dem Jahr 2006 Professor für Theorie und Analyse von Hirnsignalen am Bernstein Center for Computational Neuroscience und am Berlin Center for Advanced Neuroimaging (BCAN) der Charité und der Humboldt-Universität zu Berlin. Die "Wiener Zeitung" sprach mit ihm am Rande des Mediengipfels in Lech, bei dem Dylan Haynes einen Vortrag hielt.

"Wiener Zeitung": Prof. Dylan Haynes, haben Sie Tipps für aktive Gehirnbenützer? Wie gebraucht man dieses Organ optimal?John-Dylan Haynes: Vor einigen Jahren gab es ein Spiel auf der Nintendo-Spielkonsole, das hieß: "Kawashimas Gehirn-Jogging". Daraus ist eine ganze Hirntraining-Industrie entstanden. Heute wissen wir: Wenn ich Sudoku-Spielen trainiere, dann kann ich danach besser Sudoku lösen. Wenn ich Tetris trainiere, spiele ich dann besser Tetris. Für das Training der Gehirnleistung insgesamt eignen sich Spiele mit komplexer Handlungseinbettung, in denen man komplizierte Aufgaben bewältigen, viele Faktoren berücksichtigen und vernetzt denken muss. Wenn das ziemlich nach dem "Spiel des Lebens" klingt, dann ist das kein Zufall, schließlich sind wir auf die Bewältigung unseres Lebens am besten trainiert. Aber zurück zu Computerspielen: So ein komplexes Spiel wäre eine Art Crossfit fürs Gehirn im Vergleich zu - sagen wir - Hanteltraining. Wir wollen ja den Körper insgesamt stärken und nicht nur einzelne Muskelgruppen trainieren. Beim Gehirn ist es ebenso.

In welchen Bereichen unterliegt der moderne Mensch, was sein Gehirn angeht, den größten Irrtümern?

Die meisten von uns überschätzen ihre Multitasking-Fähigkeit phänomenal. Gleichzeitig unterschätzen wir, welche Auswirkungen es hat, wenn dort eine E-Mail aufblinkt und da eine WhatsApp-Nachricht piepst und tausend Dinge um unsere Aufmerksamkeit buhlen. Sobald ich die Bearbeitung einer Aufgabe unterbreche, wird meine Aufmerksamkeit abgezogen. Das verursacht Kosten: Mental, aber auch, was die eigene Leistungsfähigkeit betrifft. Die Fehlerrate schnellt nach oben und wir arbeiten ineffizient. Stellen Sie sich das so vor: Sie haben den Schreibtisch mit Unterlagen für eine bestimmte Aufgabe vollgeräumt. Jetzt machen sie - nur mal schnell! - eine andere Aufgabe. Dazu müssen sie zuerst aber den Schreibtisch abräumen, um Platz für die Unterlagen, die sie sich für die neue Aufgabe zurechtgelegt haben, zu schaffen. So in etwa kann man sich auch unser Denken vorstellen. Das ist ineffizient und unproduktiv. Ich würde das übrigens auch nicht Multitasking nennen, sondern Task-Switching.

Ihre konkreten Ratschläge?

Schalten sie möglichst viele Benachrichtigungen am Handy und am Computer ab. Lassen Sie möglichst wenig Störungen zu. Treiben Sie Sport. Meditieren Sie. Tun sie alles, was dazu beiträgt, dass Sie sich entspannen können.

Gibt es weitere Hirn-Mythen, die Sie gerne entzaubern wollen?

Absolut. Etwa die Vorstellung, wonach das Gehirn nachts runterfährt wie ein Computer, den man abschaltet. Tatsächlich ist das Gehirn nachts stoffwechselmäßig sogar aktiver als tagsüber. Das liegt daran, dass während wir schlafen das ganze House-Keeping gemacht wird - so wird etwa das Gedächtnis konsolidiert.

Ein weiterer Mythos: Dass die rechte Hirnhälfte für die Intuition und die linke für die Logik zuständig sein soll. Oder: Dass das Gehirn eine Festplatte ist, dass wir Informationen löschen müssen, um neue Dinge wieder reinzuschreiben.

Für mich ist es auch immer wieder schockierend, wie wenig Menschen bewusst ist, dass das Gehirn Träger aller unserer Gedanken ist. Es gibt aber viele Menschen, die glauben, dass unsere Gedankenwelt eine gewisse Unabhängigkeit hat.

Die Fortschritte bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz haben zuletzt die Diskussionen um die "Singularität" - also jenem Zeitpunkt, an dem der Computer dem Menschen überlegen ist - entfacht.

Wir benützen einen Traktor, um schwere Lasten zu ziehen, wir ziehen einen Taschenrechner heran, um Berechnungen zu machen, die uns sehr schwerfallen würden und die der Taschenrechner problemlos erledigt. Das stört niemanden. Aber warum fühlen wir uns von künstlicher Intelligenz bedroht? Ich bin gegen eine Frontstellung Computer gegen Mensch in der Debatte.

Wie erklären Sie sich diese Ur-Angst vor dem Übermenschen?

Tatsächlich haben viele ein Unbehagen, dass eines Tages ein Wesen oder ein Ding auf den Plan treten könnte, das uns intellektuell dramatisch überlegen sein wird. Und zugegeben: So etwas ist heute nicht mehr reine Science Fiction. Aber: Wir haben im Laufe der Jahrhunderte immer mehr Konkurrenz bekommen. Durch den Webstuhl, durch den Traktor, durch Roboter, durch den Computer. Was uns nervös macht, ist, dass wir nun in unserer ureigensten Nische, nämlich der Intelligenzleistung Konkurrenz bekommen: Dem Schachcomputer Deep Blue gelang es 1996 erstmals, einen Schachweltmeister - das war damals Garri Kasparow - in einer Partie zu schlagen. Dem Computer fällt es leicht, Muster zu verarbeiten und große Datenmengen und eine Unmenge von Optionen zu erkennen. Wer aber hat Deep Blue ersonnen und programmiert? Ein Mensch! Warum aber die Angst vor dem Übermenschen wieder zugenommen hat, hat damit zu tun, dass es uns heute schwerfällt, abzuschätzen, wie weit die Fortschritte in der künstlichen Intelligenz noch gehen.

Welche zukünftigen Anwendungen sehen Sie im Bereich der Neurowissenschaften?

Sobald sich Fragen auf eine "Ja" oder "Nein"-Entscheidung reduzieren lassen, gibt es heute bereits marktfähige Sensoren, die sozusagen "Gedanken lesen" können. Gleichzeitig möchte ich aber davor warnen, den übertriebenen Versprechungen mancher Akteure Glauben zu schenken. Bestimmte Unternehmen im Bereich des Hirnmarketing bieten Lösungen an, die man schlicht als unseriös bezeichnen muss. Im Bereich von Lügendetektoren etwa oder beim Hirnmarketing. Bei Letzterem kann man auf der Basis von Verhaltensmustern viel besser erkennen, was jemand kaufen wird, als Kaufentscheidungen von Hirnaktivität abzuleiten.



Welche Anwendungen könnten bis 2050 zur Verfügung stehen?

Ich glaube nicht, dass es unmöglich ist, bis 2050 einen Lügendetektor zu bauen, der aufgrund von Hirnaktivität Lügen entlarvt. Da sind aber viele Fragen offen: Wie viel Geld steckt man da hinein? Wie bekommt man die ethischen und rechtlichen Schwierigkeiten in der Forschung in den Griff?

Wo wird der Mensch dem Computer immer überlegen sein?

Unsere große Stärke ist der Umgang mit anderen Menschen. Der Computer wird das nie so richtig hinbekommen, das schaffen ja nicht einmal wir Menschen selbst richtig gut.