
"Wiener Zeitung": In Ihrem Namen scheint Ihr beruflicher Weg schon vorgezeichnet. Wie ist das Schreiben dann in Ihr Leben gekommen?
Birgit Schreiber: Ich war Journalistin, habe gleich nach der Schule als Volontärin und später als Redakteurin gearbeitet. Schreiben war mein Ding, aber ich wollte tiefer gehen. Ich habe auf der Uni in Sozialwissenschaften promoviert. Dafür habe ich Biografieforschung betrieben und Lebensgeschichten von ehemaligen KZ-Häftlingen aufgezeichnet. Dabei ist das Entscheidende passiert: Ich habe gemerkt, dass das Erzählen und Aufschreiben für die Interviewten wichtig für den Prozess war, sich mit der Vergangenheit zu arrangieren. Aufschreiben und Erzählen macht also gesünder - das war meine erkenntnisreiche Initialzündung.
Wie hat Sie diese Erkenntnis dann weitergeführt?
Ich habe eine Weiterbildung in Poesietherapie gemacht und gemerkt, dass Schreiben mich und viele Menschen weiterbringt. Es tut allen gut und hat keine Nebenwirkungen. Ich habe immer wieder Schreibkurse gehalten, und die Menschen in meinen Kursen waren so begeistert von der Wirkung des Schreibens, dass ich mich für meinen Weg entschieden habe.
Den Satz "Ich kann nicht schreiben" haben Sie sicher schon oft gehört. Was kann man tun, damit Schreiben eine positive Erfahrung wird?
Die schlechten Erfahrungen des Schreibens kennen wir alle zur Genüge. Viele Menschen wurden durch das Schreiben in der Schule gekränkt. Wir wurden beurteilt, gegängelt, in literarische Formen gepresst. Das kann man gut überwinden, wenn man beginnt, in der Gruppe zu schreiben und die Kraft der Gemeinschaft nützt. Das freie Schreiben ist ein guter Einstieg. Auch kurze Schreibphasen von fünf bis zehn Minuten sind gut fürs Beginnen.
An der großen Zahl an Blogs und Buchneuerscheinungen merkt man einen starken Drang der Menschen zu schreiben. Gibt es ein stärkeres Bedürfnis zum schriftlichen Ausdruck als zum Lesen?
Soziologen sagen seit Jahrzehnten, dass das Individuum schon lange überfordert ist. Immer mehr wird auf uns verlagert, unser Leben ist durch die Verknüpfungen in alle Welt vielseitiger geworden, durch die Digitalisierung sind wir viel zerstreuter. Das analoge Schreiben ist eine Art Rückzugs- und Sammelraum, wo man reflektieren kann. Ich benütze es als Entspannungsinsel, um zu sehen, wo ich gerade stehe. Schreiben kann auch Identität bilden. Durch das Schreiben über sich selbst, das Erzählen von persönlichen Geschichten kann man sich selbst weiterentwickeln. Man formt die eigene Person, indem man schreibt.