"Wiener Zeitung": Haben Sie gut geschlafen?

Birgit Högl: Ich schlafe zum Glück immer sehr gut, aber ich weiß, dass viele Menschen derzeit nicht gut schlafen. Die Schlafforschung hat gerade erst begonnen, die verschiedenen Schlafstörungen zu differenzieren, die mit Covid-19 auftauchen. Die Erkrankung führt dazu, dass auch Patienten mit milderem Verlauf tagsüber schläfrig sind oder sich nachts mit dem Atmen schwertun. Viele schlafen schlecht, weil es sie belastet, zu Hause festzusitzen, oder weil sie sich Sorgen um den Arbeitsplatz machen.

Es gibt schon einige Initiativen, da zu helfen. Generell sind nicht-medikamentöse Therapien oft am wirksamsten, bzw. sollte immer auch nicht-medikamentös behandelt werden. Die Europäische Akademie für kognitive Verhaltenstherapie bei Schlaflosigkeit ist ein Zusammenschluss von europäischen Schlafspezialisten, die gerade an Empfehlungen arbeiten, wie man Patienten helfen kann, die nicht von zu Hause wegkönnen. Hilfe ist unterwegs.

Was ist guter Schlaf?

Das ist schwieriger zu beantworten, als man denkt. Wenn man in der Früh aufwacht und sich richtig gut erholt fühlt, dann war der Schlaf wahrscheinlich gut. Es gibt viele Vorstellungen, wie guter Schlaf zu sein hat, die oft eher eine Last sind als hilfreich. Die Vorstellung, nur ununterbrochener Schlaf sei wertvoll, ist eine fixe Idee.

Es ist also normal, nachts aufzuwachen?

Genau. Selbst gesunde Schläfer sind mehrmals pro Nacht entweder kurz wach oder haben Mikro-Weck-Reaktionen. Es gibt aber ganz große Unterschiede, ob man das überhaupt bemerkt. Es gibt viele Leute, die mehrere Minuten ganz wach sind, bei denen die Erinnerung an die Wachheit aber komplett gelöscht wird. Andere registrieren selbst kurze Wachheiten sehr genau und ärgern sich darüber. Und Gedanken, die man während des Tages hat, können einen bis in den Schlaf verfolgen. Es kann so weit gehen, dass bestimmte Teile des Gehirns zwar schlafen, aber man am Ende nicht mehr richtig unterscheiden kann, ob man wach ist oder schläft.

Warum ist die Unterscheidung so wichtig?

Sie haben recht, das ist eher eine akademische Frage. Was zählt, ist der Leidensdruck! Wenn jemand das Gefühl hat, sich zu quälen und nicht gut schlafen zu können, dann ist das sehr belastend.

In vielen Naturvölkern existiert dieses Ideal des durchgehenden Nachtschlafs gar nicht.

Ich habe selbst bei einem indigenen Volk in Südamerika geforscht, wo es keinen Strom gab und keine Infrastruktur. Die Menschen haben nachts oft Aufgaben, wie nach dem Feuer oder nach den Haustieren zu schauen. Wenn Raubtiere einfallen, müssen sie schnell reagieren. Das ist vergleichbar mit Eltern, die den Schlaf unterbrechen müssen, um ihre Kinder zu versorgen. In beiden Fällen ist es notwendig. Aber wenn Menschen nachts dauernd ihr Handy checken, opfern sie damit freiwillig Schlafzeit und Schlafqualität.

Was machen Sie, wenn Sie nicht einschlafen können?

Schlafhygiene klingt so altmodisch, aber es hilft wirklich. Es sollte möglichst ruhig sein, deshalb sind auch Ohrstöpsel eine gute Idee. Es sollte möglichst dunkel sein - außer bei Kindern, die Angst haben vor der Dunkelheit. Bei Erwachsenen reicht schon ganz wenig Licht, das von draußen eindringt, aus, um die körpereigene Melatonin-Produktion zu unterdrücken. Und die Temperatur ist entscheidend: Unsere Körperkerntemperatur - die Temperatur im Inneren des Körpers - schwankt im 24-Stunden-Rhythmus. Sie ist abends am höchsten und in den frühen Morgenstunden am niedrigsten. Wenn sie abfällt, schläft man am besten ein. Wenn man die Hände und Füße - zum Beispiel mit Fußbädern oder dicken Socken - wärmt, bevor man ins Bett geht, kann man anschließend gut Wärme nach außen abgeben und die Temperatur im Inneren sinkt. Das hilft beim Einschlafen.

Ist es besser, früh schlafen zu gehen?

Nein, es gibt für jeden unterschiedliche Zeiten, wann er oder sie am besten einschläft und am besten aufwacht. Es gibt Frühmenschen und Nachtmenschen, wobei diese oft mit dem Vorurteil kämpfen, dass sie weniger fleißig sind. Das stimmt nicht! Nachtmenschen können bis spät in die Nacht aktiv sein und gut arbeiten. Sie werden oft erst nach Mitternacht müde. Das kann genetisch bedingt sein, und es ändert sich im Lauf des Lebens: Jugendliche sind meistens Nachtmenschen und werden mit dem Alter Frühmenschen. Viele Pensionisten sagen: Jetzt könnte ich endlich ausschlafen, aber jetzt geht es nicht mehr. Es hat auch viel mit der Umgebung zu tun. Licht ist der stärkste Signalgeber für die innere Uhr. Wenn ich kurz vor dem Körpertemperaturminimum in einer hellen Umgebung bin - zum Beispiel, weil die Wohnung sehr hell beleuchtet ist oder weil ich in mein Tablet schaue -, dann meint meine innere Uhr, der Sonnenuntergang wäre später und verschiebt meinen Rhythmus nach hinten.

Zählt da auch der Fernseher, vor dem abends viele sitzen?

Ja, auch in gewissem Maße. Da kommt noch dazu, dass sich die Bilder bewegen und die Helligkeit variiert. Entscheidend ist die Lichtintensität. Wenn ich ohnehin schlecht einschlafe und viel in Bildschirme schaue, dann hilft das nicht. Das Gegenteil stimmt auch: Wenn in den sehr frühen Morgenstunden schon Licht auf meine Netzhaut fällt, meint der Körper, es ist schon Tag und wird einfacher wach. Das heißt, dass man sich mit Licht helfen kann, wenn man im Winter morgens früh aufstehen muss und Probleme hat, aus dem Bett zu kommen. Man kann den Rhythmus jedoch nur begrenzt verschieben. Eine Rolle spielt auch, wann man isst und wann man Sport macht: Wenn man nicht so gut schläft, sollte man mindestens drei Stunden vor dem Einschlafen keinen Sport mehr machen.

Können Blaulichtfilter helfen?

Früher hat man den Fabrikarbeitern empfohlen, auf dem Heimweg nach der Nachtschicht schwarze Brillen zu tragen. Es reicht aber eine dicht abschließende Blaulichtfilter-Brille mit orangen Gläsern, wenn man zum Beispiel abends noch am Computer arbeitet. Das hilft, das kurzwellige Blaulicht rauszufiltern, weil dann die Unterdrückung der Melatonin-Ausschüttung weniger stark ausfällt.

Baldrian, Rotwein oder Cannabinoide - welche "Hausmittel" sind empfehlenswert?

Von allen pflanzlichen Mitteln sind Baldrian und Hopfen am besten erforscht. Beide wirken nicht sehr stark, sind aber eine gute Option. Wenn man gut schläft, ist gegen ein Glas Rotwein nichts zu sagen. Aber wenn jemand unter Schlafstörungen leidet, ist die Verlockung oft groß, Alkohol als Schlafmittel zu benützen. Dabei hat er oft gegenteilige Effekte, vor allem, wenn die Dosis immer weiter gesteigert wird. Mit Alkohol schläft man subjektiv vielleicht leichter ein, aber während der Nacht wird der Alkohol abgebaut und das stört die Schlafarchitektur: die Tiefe des Schlafs und die Erholsamkeit. Bei Cannabidiol (CBD) gibt es leider nur wenige Untersuchungen, aber viele Berichte zeigen, dass Menschen es als sehr hilfreich erleben.

Seit Jahrzehnten ist die Rede von der "unausgeschlafenen Gesellschaft". Nehmen wir den Schlaf zu ernst?

Nein, wir unterschätzen ihn. Alle Empfehlungen lauten, dass Erwachsene sieben bis neun Stunden schlafen sollten. In Österreich ist die Hälfte an der Untergrenze oder darunter. Vor allem Frauen sind bereit, auf Schlaf zu verzichten, um alles unter einen Hut zu kriegen. Auch Kinder und Jugendliche schlafen oft viel zu wenig.

Würde es etwas bringen, wenn die Schule später anfängt?

Oft wird empfohlen, die Kinder einfach früher ins Bett zu schicken, damit sie die für ihr Alter empfohlene Schlafdauer schaffen. Aber wenn die Kinder zur gewünschten Bettgehzeit nicht müde sind, können die Eltern damit nicht viel erreichen. Es gibt Studien, dass gerade ältere Schüler von einem späteren Unterrichtsbeginn profitieren würden, weil sie dadurch auf eine längere Gesamtschlafzeit kämen.

Die Selbstoptimierung macht an der Bettkante nicht halt. Selbsternannte Schlafexperten empfehlen, nachts nur zwei bis vier Stunden zu schlafen oder polyphasisch zu schlafen, also den Schlaf über 24 Stunden in Etappen zu unterteilen.

Da gib es wenig Bewiesenes und viele Behauptungen. Zum Beispiel, dass kurzer Schlaf gesünder sei und längerer Schlaf depressiv mache. Das ist in vielerlei Hinsicht falsch! Nicht längerer Schlaf macht depressiv, sondern depressive Menschen haben ein oft erhöhtes Schlafbedürfnis und eher Schlafstörungen. Zu kurzer Schlaf ist schon am ersten "Tag danach" ungesund. Schon nach einer Nacht Schlafentzug hat ein junger, gesunder Mensch plötzlich einen Stoffwechsel wie ein älterer Patient, der kurz vor Diabetes steht.

Kann man vor- oder nachschlafen?

Bei manchen geht es begrenzt, bei anderen nicht. Manche kommen gut klar mit Nachtschichten, andere nicht. Das ist auch ganz wesentlich genetisch bedingt.

Sie leiten das Innsbrucker Schlaflabor. Arbeiten Sie oft nachts?

Ich habe nur noch selten Nachtschichten. Aber viele Menschen arbeiten regelmäßig nachts - und das ist eine enorme Belastung. Der Mensch ist eine tagaktive Spezies.