"Wiener Zeitung": Herr Molden, als ich Sie kontaktiert habe, wen Sie sich als seelenverwandten Gesprächspartner wünschen, haben Sie sich für Ursula Strauss entschieden. Das hat
sicher gute Gründe . . .
Ernst Molden: Einer der Gründe ist, dass wir sehr gut miteinander arbeiten können. Ich glaube, es verbindet uns, dass wir uns beide in unserer Arbeit eine manchmal fast an Infantilität grenzende Frische und Unbekümmertheit bewahrt haben. Ich liebe dieses Unbeschwerte, dieses "nicht auf Profi machen", sondern jede Aufgabe neu und fast mit den staunenden Augen eines Kindes zu betrachten. Gleichzeitig nehmen wir nichts nicht ernst. Uschi geht einerseits sehr offen und unverstellt an alles Neue heran, aber zugleich immer mit 150 Prozent Einsatz. Das ist die professionelle Seite unserer Seelenverwandtschaft, und in der Zwischenzeit hat es sich ergeben, dass wir uns einfach auch sehr gern mögen.
Wo haben Sie einander kennengelernt?Ursula Strauss: Bei einer Charity-Veranstaltung für die VinziRast im Stadtsaal. Ernst hat im Backstagebereich gerade geprobt, ich wusste natürlich, wer er ist, aber wir waren uns zuvor noch nie persönlich begegnet.
Molden: Und du hast gesagt, da möchte ich auch mitsingen.
Strauss: An das erinnere ich mich nicht so. Es mag schon sein, dass ich so etwas Ähnliches gesagt habe, wie: das würde ich auch gerne können. Aber direkt zu sagen, da würde ich gerne mitsingen, das hätte ich mich gar nicht getraut. Aber jetzt bin ich natürlich sehr froh, dass du es so verstanden hast.
Molden: Einige Wochen später hat es sich dann ergeben, dass ich gefragt wurde, ob ich bei der Festwocheneröffnung 2013 mitwirken will, die damals ganz im Zeichen des Wienerliedes stand, bzw. in welcher Besetzung ich gerne auftreten möchte. Ich sagte mit Willi Resetarits, aber auch ein, zwei Lieder mit Ursula Strauss.
Strauss: Ich bekam fast einen Herzinfarkt, als ich das erfuhr.
Haben Sie im Rahmen Ihrer Schauspielausbildung auch eine Musicalausbildung erfahren?
Strauss: Nein, aber ich habe immer sehr gerne gesungen. Meine "Gesangsausbildung" hat bei den Pfadfindern und bei der Jungschar stattgefunden, im Kirchenchor und im Chor der Kantorei im Stiftsgymnasium Melk. Dann bin ich Kindergärtnerin geworden und sang die absurdesten Kinderlieder.

Molden: Für mich ist es der totale Segen, dass die Uschi keine Gesangsausbildung hat. Sie singt genauso unbeschwert, wie in ihrer Gegend, also im Donautal in der Wachau, die Musik in der Luft liegt. In der großen Zeit der Schrammelmusik gab es die sogenannten Natursänger, die beim Heurigen Wiederlieder gesungen haben. Berühmtestes Beispiel ist der kürzlich verstorbene Kurt Girk, der "Sinatra von Ottakring". Diese Leute haben aus ihrem wienerischen Alltag das Singen mitgebracht und dann sozusagen by doing geformt. Die Uschi ist eine perfekte Natursängerin.
Sie zählen zu den gefragtesten Filmschauspielerinnen im deutschsprachigen Raum und wurden im Mai zum fünften Mal mit der Romy als "Beliebteste Schauspielerin" ausgezeichnet. Steht man da nicht unter noch größerem Druck, wenn man den Ausflug in ein anderes Metier wagt?
Strauss: Ich denke nicht über das Scheitern nach, sondern ich bin zu neugierig am Probieren. Die Gefahr des Scheiterns ist etwas, das mich in diesem Beruf begleitet wie mein Schatten - sie ist ständig immanent. Aber wenn die Angst vor dem Scheitern eine zu große Stimme bekommt, dann geht nichts weiter. Ich habe einfach immer wahnsinnig gern gesungen, früher war das ein ganz selbstverständlicher Teil meiner Sozialisation, zwei meiner Brüder hatten eine Band, die Welt der Musiker hat mich immer sehr angezogen. Jetzt bin ich sehr glücklich, dass das Singen wieder Teil meines Lebens ist.

Vor kurzem ist Ihr erstes gemeinsames Album "Wüdnis" erschienen. Hat es für Sie beim Komponieren und Texten eine Rolle gespielt, zu wissen, Ursula Strauss ist Ihre Gesangspartnerin?
Molden:Ja, alle 12 Songs sind eigens für diese Konstellation geschrieben - und es war auch von Anbeginn klar, dass es eine absolut reduzierte Platte werden soll, dass es wirklich nur zwei Stimmen und eine Gitarre gibt. Ich höre am liebsten Folk und Blues, das sind Platten, die vor 70 bis 100 Jahren aufgenommen wurden. Vom Feeling her sollte sich dieses Album so ähnlich anfühlen wie der Sound von The Carter Family. Für "Wüdnis" hatte ich das Bild von zwei Musikanten vor Augen, die nach tagelangem Marsch durch dunkle Wälder und Sümpfe nun endlich ein Wirtshaus erreichen, sich - in meinem Fall - den Bierschaum aus dem Bart wischen und dann Lieder singen, die so klingen, als wären sie 100 Jahre alt, obwohl sie ganz neu geschrieben sind. Wir kommen mit diesen Liedern aus der Wüdnis und wir gehen nachher wieder in die Wüdnis. Das sollte der Gestus sein und es war die Herausforderung, die ich mir selbst gestellt habe. Uschi ging in jede Richtung wacker mit, das ist eine super Eigenschaft.
Wie nah sind Ihnen die Texte bzw. war Ihre Herangehensweise in Sachen Textinterpretation eine andere als beim Schauspiel?
Strauss: Man muss sich jeden Text zu eigen machen, was beim gesprochenen Wort ein Problem ist, wenn Texte nicht gut geschrieben sind. In solchen Fällen muss man mutig genug sein und sagen, das stimmt für mich nicht. Man muss die Figuren, die man darstellt oder die Geschichten, die erzählt werden sollen, verteidigen. Das musste ich in diesem Fall nicht, weil ich seine Sprache verstehe, ich verstehe, was er ausdrücken will, das kommt direkt in meinem Herzen an und ist auch ein Teil dieser Seelenverwandtschaft. Unsere Stimmen klingen auch gerne miteinander.
Molden: Miteinander Musik zu machen, war schwellenlos.
Strauss:Ein guter Freund sagte einen Satz, der die Musik, glaube ich, gut beschreibt: "Man kann in der Platte sehr gut leben." In jedem einzelnen Lied ist viel Platz für alle möglichen Stimmungen - für Melancholie, für Begeisterung, für Traurigkeit, für Liebe, Zorn etc. Genau das ist es, was Ernstl mit seiner Sprache so zauberhaft hinbekommt, er schafft es, Poesie zu schreiben, die viel Raum für Interpretation offen lässt und trotzdem sofort ein Gefühl transportiert.

Apropos Poesie, ursprünglich kommen Sie ja vom geschriebenen Wort, arbeiteten zunächst als Journalist, dann verfassten Sie Romane, Essaybände und Theaterstücke. Was war der Anlass, dass Sie seit geraumer Zeit in erster Linie musikalisch in Erscheinung treten?
Molden: Mitte der 90er Jahre begann ich, erste Lesungen aus meinen Büchern zu machen. Da mir Lesungen immer wahnsinnig fad waren, lud ich befreundete Musiker zu diesen Veranstaltungen ein. Später spielte ich selbst Gitarre und schrieb dann auch meine ersten Lieder. Ab dem 21. Jahrhundert begann ich zu singen, was ich - so wie die Uschi - nie gelernt, aber immer gern gemacht habe. Willi Resetarits gab mir dann den Rat, im Dialekt zu singen, weil er meinte, das ginge viel einfacher. Und es stimmt, das Wienerische ist eine perfekte Popsprache. Hochdeutsch ist der Killer eines jeden Songs, weil es so kantig, vielsilbrig und konsonantenreich ist. Im Wienerischen dominieren die Vokale, du kannst alles biegen und schmieden, wie es dir gefällt.
Kommen wir zu einem ganz anderen Thema, das ebenfalls eine große Rolle in Ihrem Leben spielen dürfte: der Liebe zur Natur und zur Artenvielfalt.
Molden: Das Interesse für Tiere ist meine ursprüngliche Leidenschaft. Ab meinem achten Lebensjahr wollte ich Zoologe werden, habe in den Donauauen nach Kröten und Fröschen gesucht, die ich dann ein paar Tage zu Hause beobachtet und dann wieder freigelassen habe. Auch heute bin ich ganz fasziniert, wenn plötzlich ein Vogel auftaucht, den ich noch nicht kenne, dann beginne ich sofort nachzuforschen.
Strauss: Ich war als Kind auch ständig in der Natur draußen. Ich bin in der Nähe von Melk in einer Siedlung aufgewachsen und unser erweiterter Spielplatz war die Erlaufmündung und die Au, da war genügend Platz, wo wir uns austoben konnten.
Molden: Wir sind beide Wald- und Wiesenkinder. Der Segen an Wien ist für mich, dass ich auch hier die Wildnis finde - im Prater oder in der Lobau, mir sind diese Dschungeln sehr wichtig. Ich brauche Bäume, Wasser, etwas zum Rauchen und eine Gitarre - insofern bin ich ein genügsamer Mensch.
In Ihrem Buch "Das Nischenviech", das poetische Porträts der unterschiedlichsten Tiere versammelt, bezeichnen Sie den Zitronenfalter als Ihren Seelenverwandten in Gelb. Weshalb?
Molden: Weil er sich nach den Wintermonaten so früh schon blicken lässt. Oft liegt sogar noch ein bisschen Schnee, aber der Zitronenfalter will am ersten wärmeren Tag unbedingt schon hinaus. Er torkelt noch, kann aufgrund der Kälte noch nicht richtig fliegen, aber er ist so fröhlich und so positiv und will, so wie ich, so schnell wie möglich ins Freie. Ihn zu beobachten, macht mich unheimlich froh, und ich grüße dann jeden einzelnen namentlich.
Strauss: Ich finde die Natur insgesamt sehr bereichernd, ich liebe Pflanzen und Blumen und allein die Tatsache, im Garten selbst Gemüse ziehen zu können, ist ungemein beglückend und war für mich auch in dieser Corona-Krisenzeit ganz wichtig.
Wie sieht es mit Ihrer gemeinsamen Konzerttournee aus, die aufgrund der Corona-Pandemie verschoben werden musste?
Strauss: Wir haben in den kommenden Monaten rund zehn Konzerte geplant, eines davon wird am 31. Juli in Litschau beim Schrammel-Klang-Festival sein.
Gibt es schon eine Entscheidung, ob im Herbst das Festival "Wachau in Echtzeit" stattfinden wird, das von Ihnen kuratiert wird?
Strauss: Es ist alles durchprogrammiert. Und zum Auftakt gibt es am 22. Oktober ein "Wüdnis"-Konzert.
Herr Molden, Sie haben während der coronabedingten Ausgangsbeschränkungen zweimal pro Woche Balkonkonzerte gegeben. Was bleibt davon für Sie in Erinnerung?
Molden: Dass von den Menschen so viel Dankbarkeit kam. Ich war fast gerührt, dass manche sogar von weither kamen, obwohl das Ganze immer nur eine Viertelstunde gedauert hat.
Davon abgesehen, wie haben Sie die Wochen des Lockdowns erlebt?
Molden: Für mich war der Stillstand der letzten Monate im Augenblick ein sehr unangenehmes, aber unter dem Strich ein sehr erhellendes Erlebnis. Plötzlich waren wir Künstler verboten, wir waren wie die Schnapsbrenner in der Prohibition, wie die Huren in einem puritanischen Staat, das heißt, wir waren illegal. Dieses Bild, das uns zugeschrieben wurde, dass wir spuckend und schleimend auf der Bühne stehen und alle anderen mit dem Coronavirus anstecken würden, brachte für mich diese generelle Ambivalenz zutage, die den Künstlern entgegengebracht wird, dieses uralte Misstrauen gegenüber dem fahrenden Volk. Gleichzeitig wurde noch etwas offengelegt, man hat gemerkt, wie plötzlich, wie bei einem großen Motor, dem das Öl ausgeht, alles irgendwie zu ruckeln beginnt. Das kulturelle Geschehen ist so etwas wie das Motoröl einer Stadt. In Wien stehen an guten Tagen weit über 100 Veranstaltungen am Programm und selbst wenn man keine besucht, gibt es subkutan dieses Grundsummen der Kunst.
Strauss: Ich denke, es herrscht eine grundsätzliche Schieflage zwischen der Selbstverständlichkeit der Kunst- und Kulturkonsumation und der Wahrnehmung bzw. dem Ernstnehmen der Menschen, die diesen Beruf ausüben. Die Kunst ist ein Bereich, der immer ein bisschen mit Argwohn betrachtet und gleichzeitig auf ein Podest gestellt wird, von dem man dann als Künstler oder Künstlerin ganz schnell wieder gestürzt werden kann. Da klafft ein tiefer Graben zwischen dem Image eines Landes, das sich Kunst und Kultur auf die Fahnen schreibt, und dem Bewusstsein, was es tatsächlich bedeutet, Kunst zu machen.
Was kann Ihrer Meinung nach Kunst und Kultur für die Gesellschaft leisten?
Strauss: Der eigentliche Sinn von Kunst und Kultur ist, den Menschen Mut zu machen, die Leute aufzufangen, wenn sie straucheln, ihnen das Gefühl zu geben, sie werden verstanden in ihren Nöten, Ängsten und Sehnsüchten. Ihnen zu zeigen, dass es Menschen gibt, die all das ausdrücken können, entweder in Worten oder in Musik oder in Stein gehauen.

Molden: In einer nicht mehr religiösen Welt hat die Kunst auch ein bisschen die Funktion des Übersinnlichen übernommen.
Strauss: Und sie ist ein Korrektiv. Kunst und Kultur ist wie ein Grundnahrungsmittel.
Molden: Man kann die Kunst auch nicht unterdrücken. Die Künstler, die ich ernst nehme, haben keine andere Wahl, die müssen Kunst machen, weil sie irgendwann erkannt haben, es ist ihre Aufgabe. Es ist auch kein Zufall, dass die amerikanische Popularmusik, vor allem im Jazz, Blues und Folk, die mit Abstand größte Entwicklung in den 1930er Jahren während der Wirtschaftskrise genommen hat. Auch bei uns ist durch diese Krisenzeit sehr viel im Entstehen. Darauf darf man sich freuen und muss gleichzeitig hoffen, dass in Zukunft die Konzerte wieder in gewohnter Form möglich sein werden. Während des Shutdowns haben viele Kolleginnen und Kollegen per Live-Streamings auf die Möglichkeiten des Netzes zurückgegriffen. Nichts davon hat mich irgendwie glücklich gemacht, nach zwei-, dreimal bin ich so traurig geworden, dass ich abdrehen musste. Der Livecharakter ist einfach durch nichts zu ersetzen.