"Wiener Zeitung": Das Wort Babyelefant war in den letzten Monaten so oft in aller Munde wie nie zuvor. Was haben Sie sich gedacht, als zum ersten Mal publik wurde, dass der Babyelefant zur Maßeinheit für die Corona-Abstandsregel wurde?
Angela Stöger-Horwath: Ich musste lachen, weil mich ein Freund darauf aufmerksam gemacht hat und fragte: Kommt diese Idee von dir?
Sie erforschen seit vielen Jahren, wie Elefanten miteinander kommunizieren. Wie viel Abstand ist Ihrer Erfahrung nach zu einem Babyelefanten ratsam?
Es kommt darauf an, in welchem Kontext man einem Elefanten begegnet. 2004 war ich im Rahmen meiner Doktorarbeit in der Elefanten-Aufzuchtstation von Daphne Sheldrick in Nairobi, Kenia. Dort kümmert man sich um verwaiste Elefantenbabys. An diese Jungtiere kann man sehr nahe herangehen, sie brauchen auch den Körperkontakt, da sie stark traumatisiert sind. Die Pfleger fungieren quasi als Mutterersatz und schlafen auch nachts bei ihnen im Stall. Wenn man hingegen in freier Wildbahn einem Babyelefanten begegnet, sollte man deutlich mehr als einen Meter Abstand halten, weil Elefantenmütter einen großen Beschützerinstinkt haben und meistens ja in der Nähe sind.
Sie waren in Ihrer Jugend Leistungssportlerin und neunfache österreichische Staatsmeisterin im Synchronschwimmen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich auf diese Randsportart zu spezialisieren?
Rückblickend betrachtet, bin ich in meinem Leben schon des Öfteren in bestimmte Bereiche "hineingestolpert". Als kleines Mädchen hatte ich mit Kunstturnen begonnen, weil meine um neun Jahre ältere Schwester, die immer mein Vorbild war, auch geturnt hatte und ich ihr nacheifern wollte. Dann bekam ich allerdings Rückenprobleme und der Arzt meinte, schwimmen wäre besser für mich als turnen. Zu dieser Zeit nahm ich zusätzlich Ballettunterricht bei Eva Worisch, die auch Nachwuchstrainerin für Synchronschwimmen war. Auf ihre Anregung hin sattelte ich auf diese Sportart um.
Ihr bestes internationales Ergebnis war ein neunter Platz bei der EM in Sevilla 1997. Wäre es ursprünglich ein Ziel von Ihnen gewesen, vom Synchronschwimmen leben zu können?
Nein, mir war schon klar, dass man sich ein anderes berufliches Standbein schaffen muss. Da ich immer schon sehr an Tieren und an der Natur interessiert war, entschied ich mich dann für ein Biologiestudium und wollte im Grunde Meeresbiologin werden.
Wie kam es zur Fokussierung auf Elefanten?
Während des Studiums spezialisierte ich mich auf Bioakustik, also auf jene Teildisziplin der Verhaltensbiologie, die sich mit der Lautkommunikation von Säugetieren befasst. Am meisten hätte mich interessiert, das Kommunikationsverhalten von Delfinen oder Walen zu erforschen. Aus pragmatischen Gründen entschied ich mich dann aber für ein Diplomarbeitsthema, das sich in Wien realisieren ließ. 2001 ist im Tiergarten Schönbrunn gerade das erste Elefantenbaby auf die Welt gekommen und da man damals noch sehr wenig über das Kommunikationsverhalten von Elefantenjungtieren wusste, wurde dieses Diplomarbeitsthema ausgeschrieben. Zunächst war ich eher ein bisschen skeptisch, aber wie das in der Wissenschaft so ist, wenn man sich in ein Thema hineinarbeitet, packt einen dann die Faszination.
Was war die Conclusio dieser Forschungsarbeit?

Im Endeffekt konnten wir zum ersten Mal detailliert aufzeigen, welche Laute Elefantenbabys von sich geben. Viele Laute können sie von Geburt an, das Trompeten gelingt allerdings erst ab dem zweiten, dritten Monat. Bis dahin kommen eher Geräusche aus dem Rüssel, die wie ein Niesen klingen. Es dürfte schwierig und anstrengend sein, aus dem Rüssel einen richtigen Trompeter zu pusten. Der Rüssel hat 40.000 Muskeln, der menschliche Körper 3000, da kann man sich vorstellen, dass es viel an Koordination braucht, um mit diesem Organ richtig umzugehen.
Im Vergleich zu anderen Tieren: Was zeichnet die Kommunikation von Elefanten aus?
Die meisten Töne, die von Elefanten produziert werden, sind die sogenannten Rumble-Laute. Dieses für das menschliche Ohr kaum bzw. gar nicht hörbare Rumoren bewegt sich im Infraschallbereich von 10-20 Hertz. Wenn ein Mensch ein gutes Gehör hat, hört er Töne ab 20 Hertz. Rumble-Laute von Elefantenbullen sind circa im Bereich von 10 Hertz. Der Vorteil dieser tiefen Töne ist, dass sie sehr weitreichend sind.Über welche Distanzen hinweg können Elefanten miteinander kommunizieren?
Das kommt ganz auf das Habitat an, auf die landschaftlichen Gegebenheiten, auf Wind und Witterung und wie groß der Umgebungslärm ist. In der Früh, wenn es nebelig und feucht ist, was für die Schallübertragung gut ist, können Elefanten im Infraschallbereich über eine Distanz von bis zu zwei Kilometern miteinander kommunizieren. Mittlerweile gibt es sehr gute Geräte, die diese Laute visualisieren und aufzeichnen können.
In welcher Frequenzhöhe redet vergleichsweise ein Mensch?
Frauen etwa bei 200-250 Hertz, Männer im Bereich von 100-120 Hertz.
Stimmt es, dass weibliche Elefanten "gesprächiger" sind als männliche?
Ja, früher ging man überhaupt davon aus, dass Elefantenbullen, sobald sie die Herde verlassen haben, Einzelgänger sind und so gut wie gar nicht kommunizieren. Aber das stimmt nicht, sie haben auch ihre Freundschaften und ihr Sozialsystem, aber nicht so eng wie die Weibchen. In der Natur leben Elefanten in matriarchalen Gruppen, also mit ihren weiblichen Verwandten und deren Jungtieren zusammen. Im Schnitt sind 25 Tiere in einer Herde, im Grunde wird ständig kommuniziert, weil die Gruppe ja zusammengehalten werden muss. Wenn sich zum Beispiel bei der Nahrungssuche die Herde weiter auseinander bewegt, wird über diese tiefen Töne miteinander Kontakt gehalten. Elefanten haben auch höchstwahrscheinlich familienspezifisch eine ganz individuelle Signatur, das ist wie ein spezieller "Dialekt", mit dem sie sich von anderen Herden unterscheiden.
Um untereinander einen besseren Wiedererkennungseffekt zu erzielen?
Ja, Jungtiere ahmen vermutlich u.a. deshalb ihre Mutter nach, damit sie nicht nur am Geruch, sondern auch akustisch leichter erkannt werden.
Was war in Ihrer nunmehr 20-jährigen Forschungstätigkeit der bisher größte Forschungserfolg?
Dass wir zeigen konnten, dass Elefanten imstande sind, Laute zu imitieren. Bei der menschlichen Entwicklung erfolgt das Erlernen der Sprache durch Nachahmung. Unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen oder auch andere Primaten, können das beispielsweise nicht.
Welche Tiere können sonst noch Laute imitieren?
Singvögel, Papageien und Kolibris. Bei den Säugetieren zählen Wale, Delfine, Seehunde, Fledermäuse und eben Elefanten dazu. Wobei Fledermäuse nur innerhalb der Art Laute nachahmen können. Bei Seehunden und Elefanten gibt es Beispiele, die menschliche Sprache imitieren können.
Mit anderen Worten, es gibt einen Elefanten, der sprechen kann?
Koshik lebt im Everland-Zoo in Yongin in Südkorea. Er ist ein Asiatischer Elefant und kann auf Koreanisch ein paar Wörter sagen. Konkret handelt es sich dabei um Kommandos, die er immer wieder von seinem langjährigen Pfleger gehört hat. Also zum Beispiel "Sitz", "Hallo", "Gut", "Nein".
Begann er von sich aus diese Wörter nachzuahmen?

Er hat ganz spontan damit angefangen. Interessant ist auch die Art und Weise, wie er diese Laute produziert. Hierfür gibt er sich den Rüssel ins Maul und hat dabei eine ganz eigene Methodik entwickelt, um diese Wörter zu modulieren. Bei den Konsonanten tut er sich schwerer, aber die Vokale kann er sehr gut.
Im Internet ist zu lesen, dass es in Kenia einen Elefanten gibt, der aus Langeweile damit begonnen hat, das Geräusch von Diesel-Motoren nachzuahmen.
Das ist richtig, bei Elefanten, die in Menschenobhut sind, kann man immer wieder solche Beobachtungen machen. Elefanten spielen viel mit der Stimme, wenn ihnen langweilig ist, wobei sie nicht nur nachahmen, sondern auch neue Laute erfinden.
Wie viele Elefantenlaute gelten als entschlüsselt?
Tierlaute kann man generell schwer in einzelne Wörter übersetzen, man braucht immer den Kontext dazu, also das Verhalten und die Körpersprache des Tieres, bzw. in welcher Situation dieser Laut zum Ausdruck gebracht wird. Wenn man die Laute allein aufgrund ihrer akustischen Struktur betrachtet, unterscheidet man - je nachdem ob es sich um Afrikanische oder Asiatische Elefanten handelt - etwa acht Laut-typen, die sich wiederum in unzählige Variationen und Schattierungen auffächern lassen.
Einen klassischen Begrüßungsruf gibt es bei Elefanten also nicht?
Wenn Elefanten zusammenkommen, ist das eigentlich eher ein Chorus. Selbst wenn sie nur kurz voneinander getrennt waren, ist das ein riesiges Trara, alle vokalisieren und trompeten durcheinander, dabei haben sie auch viel Körperkontakt. Die Bindung aufrechtzuerhalten und zu stärken, ist der Hauptsinn des Begrüßungsrituals.
Sie ließen zuvor anklingen, dass Afrikanische Elefanten andere Laute produzieren als Asiatische.
Die akustischen Strukturen sind sehr unterschiedlich. Es gab ein spannendes Forschungsprojekt, im Rahmen dessen wir nachweisen konnten, dass ein Afrikanischer Elefant, der ab seinem zweiten Lebensjahr in einem Zoo bei Asiatischen Elefanten aufgewachsen war, damit begonnen hatte, asiatische Quietschlaute zu imitieren. Bei Elefanten ist der Wunsch nach sozialer Zugehörigkeit sehr stark ausgeprägt und scheint so wichtig zu sein, dass sie manchmal sogar über die Artgrenzen springen. Das ist übrigens vergleichbar mit dem Verhalten von Papageien. Wenn ich einen Papagei alleine halte, wird er mir sehr viel nachsprechen, wenn ich sie in der Gruppe halte, tun sie es viel weniger oder gar nicht.
Stimmt es, dass Elefanten zu Trauer fähig sind?
Ich denke, so gut wie jedes Tier ist zu Trauer fähig, in dieser Hinsicht gibt es in der Forschung noch viel zu testen und zu tun. Und wir werden überrascht sein, wenn wir erfahren, wie viele Tiere zu komplexen Gefühlen und Emotionen in der Lage sind.
Mittlerweile zählen Sie zu den renommiertesten Elefantenforscherinnen. Wie haben Sie es geschafft, sich international einen Namen zu machen?
Wichtig waren sicherlich diese hochkarätigen Publikationen zum Thema Lautimitation. Gerade was die Kommunikation bei Elefanten anlangt, sind wir weltweit führend und durch diese Spezialisierung konnte ich mir eine Art Monopol einrichten, für das ich nun eben auch international bekannt bin.
Was ist das übergeordnete Ziel Ihrer Forschungen? Steht das rein wissenschaftliche Interesse an der Entschlüsselung der unterschiedlichen Laute im Vordergrund oder spielt auch der Erhalt der Elefantenpopulation eine Rolle?

Das sind zwei unterschiedliche Aspekte. Das eine ist der rein wissenschaftliche bzw. vergleichende Aspekt. Wir arbeiten ja nicht nur mit Elefanten, auch mit anderen Tieren wie etwa mit Geparden oder Afrikanischen Wildhunden. Auf der anderen Seite kann man nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, dass es dort, wo Menschen und Elefanten aufeinandertreffen, zu Problemen kommen kann. Der Lebensraum der Elefanten wird ja immer kleiner und wenn dann beispielsweise Bauern zu Schaden kommen, weil Felder zertrampelt oder die ganze Ernte aufgefressen wird, schürt das natürlich den Argwohn gegen diese Tiere. Deshalb gibt es auch von wissenschaftlicher Seite Bestrebungen, diese Koexistenz besser zu gestalten.
Welche Maßnahmen werden dabei ins Auge gefasst?
Indem wir versuchen, Elefantenlaute zu detektieren. Wenn wir in Erfahrung bringen, dass eine Herde in der Gegend ist, kann zeitgerecht Alarm geschlagen oder die Elefanten können noch vertrieben werden.
Ich nehme an, der coronabedingte Einbruch des Tourismus ist auch für die Tierparks inAfrika und Asien ein großes Problem.
Das ist eine Katastrophe. In vielen Tierparks und Aufzuchtstationen ist mittlerweile nicht genug Geld vorhanden, um das Futter für die Tiere zu bezahlen. Im Gegenzug steigt wieder die Wilderei und es gibt noch mehr Tierwaisenkinder. Ich glaube, wenn man ab und zu zehn Euro für eine dieser Institutionen spenden könnte, wäre das gerade in der jetzigen Situation sehr hilfreich, um das Überleben der Tiere zu sichern.