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Brillenglück statt "Nasenfahrrad"

Von Manfred Rebhandl

Reflexionen
Überzeugter "Spätberufener": Optiker Alex Luger bei der Arbeit.
© Rebhandl

Alex Luger betreibt ein Brillengeschäft in Wien Neubau. Er sieht seine Aufgabe darin, "Lebensqualität" zu schenken - und manchmal auch einen neuen Menschen aus einem alten zu machen.


Ich war 16, als ich meine erste Brille bekam, und da hatte ich bereits über zwei Dioptrien. In der Schulklasse war ich immer weiter nach vorne gerückt, bis ich das Geschriebene an der Tafel endgültig nicht mehr sehen konnte. Am Land war es nicht besonders angesagt, mit Brillen herumzulaufen, daher zögerte ich das Notwendige so lange wie möglich hinaus. Bei Raufereien war man mit den "Scheiben" ein beliebtes Opfer. "Brillenschlange!" war das Mindeste, was man zu hören bekam. Und für die Mädchen galt sowieso: "Mein letzter Wille - eine Frau mit Brille."

Als ich den Sehbehelf dann endlich zu Hause aufsetzte, im hell erleuchteten Badezimmer, sah ich die fetten Pickel, die sich überall in meinem Gesicht ausgebreitet hatten, mit überdeutlicher Schärfe, und dem Alter entsprechend war ich Adoleszenter am Boden zerstört. Mein Verhältnis zur Brille blieb folglich über Jahrzehnte kein gutes. Ich setzte sie auf und hoffte, dass sie nicht weiter auffiel. Hinunter jedoch fiel sie oft. So zierten im Laufe der Jahre um die zwanzig Brillen mein Gesicht. Die vorherige hatte ich jeweils verlegt, verloren oder mich draufgesetzt. Oder sie war eben irgendwann zerbrochen.

Alex Luger kennt alle Probleme, die seine Kunden mit dem "Nasenfahrrad" haben können, zur Genüge. Er selbst aber sah seine eigene Sehhilfe von Anfang an positiv. "Wie ich mit 18 die erste gebraucht habe, hab ich gesagt: Hah, endlich!", erzählt der gebürtige Oberösterreicher, der sein Geschäft für "handmade" Brillen in der Kirchengasse im 7. Bezirk betreibt. Kein Wunder, möchte man meinen, denn sein Vater war Augenarzt in Rohrbach, und seine Mutter hat dazu passend ein Kontaktlinseninstitut aufgebaut.

"Das ist es!"

"Akademikerfamilie, Titel, Diplome, Auszeichnungen." So beschreibt Luger seinen familiären Background, auf den er zunächst aber "genau null Bock" hatte. Stattdessen arbeitete er schon als 13-Jähriger in den Ferien lieber am Bau, erledigte Maler- , Bodenleger-, Betonier- oder Eisenbinderarbeiten. "Ich könnte dir ein ganzes Haus hinbauen!", lacht er. "Ehrlicher Job, hingreifen, dreckig werden!" - das gefiel ihm als Alternative zur sauberen Weißmanteldoktorwelt des Vaters. Nach Studienversuchen in Lebensmitteltechnik ("Ich hab halt gern gegessen!") in Wien und Biologie in Innsbruck schenkte ihm seine Schwester, die in die Fußstapfen des Vaters gestiegen war, einen Gutschein für einen WIFI-Kurs in Optometrie, "bisserl löten, bisserl schleifen, bisserl Grundlagen". Und sofort wusste er: "Das ist es!"

Mit 22 brauchte der Spätberufene also eine Lehrstelle. In der Jogginghose klapperte er alle großen Ketten in Innsbruck ab (Hartlauer, Pearl ...), bei Fielmann stellte ihn der Filialleiter noch in der Jogginghose ein. "Die Ausbildung dort war super, mit Lehrwerkstatt in Wien, Gläser einschleifen, Zentrierungen, optische Daten, das alles muss sitzen, wo es hingehört, das lernst du nur durch Übung!" Er lernte schnell, aber das System der "Ketten" war nicht seines: "Zweit-, Dritt- oder Viertbrille plus Versicherung verkaufen!" Er sagte "Danke!" und ging in Freundschaft. Seinen Lehrkoffer mit alten Werkstücken hat er noch heute. Die Halterungen der Bügel, erklärt er, könne man zum Beispiel "einschwemmen". Da werde das Pilzschanier mit Elektrostößen so weit erwärmt, "dass man es ins Material eintunken kann". Das Nietscharnier anzubringen wiederum wäre "höhere Handwerkskunst, du kannst dir nicht vorstellen, wie schwierig das sein kann".

Aus dem Wekzeugfundus eines Optikers . . .
© Rebhandl

Die Brillen, die Luger heute verkauft, werden hauptsächlich aus Baumwollacetat gefertigt, einem grundsätzlich transparenten Material, das sich "wie gutes Holz verarbeiten und maßfärben lässt". Je besser die gepressten Platten "abgereift" wären, desto besser ließen sich die Fassungen mit einem CNC-Schleifer bis auf hundertstel Millimeter mit einer gewissen Drehzahl herausfräsen. "Du kannst nicht einfach Material einspannen und hoffen, es kommt eine Brille heraus. Die Abstimmung muss passen, sonst ruinierst du dir Material und Maschine!"

In das Acetat kommen heute auch gerne schmückende Elemente wie Rosenblüten oder Kaffeebohnen hinein. Auch Rosshaar wurde schon verarbeitet, das aber stand an den Rändern heraus.Trial and error. Ein wenig delikat war die Verarbeitung der Asche eines verstorbenen Brillenherstellers aus den Niederlanden. "Die Brille hat ausgeschaut wie der Anfang von ,Star Wars‘!", schwärmt Luger. Vermehrt greifen die Hersteller auch wieder auf bewährte Materialien wie Holz oder Schildpatt zurück. Die klassische "Hornbrille" verdanken wir dem indischen Wasserbüffel, der das Material auf seinem Schädel rund 25 Jahre "reifen" lässt. "Manche Leute wollen aber kein totes Vieh im Gesicht tragen", lacht Luger. Bis man in der Brillenerzeugung überhaupt zu solchen Materialien kam, war es ein weiter Weg.

Neue Werkstoffe

Einer der ältesten Hinweise auf die Existenz einer Brille findet sich in den Predigten eines italienischen Dominikanermönches, der 1305 sprach: "Es ist noch nicht 20 Jahre her, dass man die Kunst, Brillen zu machen, fand, durch die man besser sieht. Es ist eine der besten und notwendigsten Künste."

In der Chronik seines Ordens wird auch Bruder Alexander della Spina erwähnt: "Er verfertigte Brillen, welche zuerst von jemandem gemacht wurden, der darüber aber nichts mitteilen wollte, selbst und verbreitete sie fröhlichen und bereitwilligen Herzens." Die sogenannten "Nietbrillen" dieses Bescheidenen bestanden aus Holz, Eisen oder Horn und wurden ohne Befestigung einfach vors schwächelnde Auge gehalten - natürlich waren sie alleine Gelehrten und Reichen vorbehalten. Im Wiener Kunsthistorischen Museum hängt ein Gemälde aus dem Jahre 1498, auf dem der Hl. Augustinus mit einer solchen Brille dargestellt ist.

Bei der "Bügelbrille" wurden bereits zwei gefasste Gläser verbunden, die Erfindung des Buchdrucks 1445 steigerte die Nachfrage nach Lesehilfen enorm. 1535 wurde schließlich in Nürnberg die erste Brillenmacherzunft gegründet, aber erst um 1800 meldete der englische Optiker Dudley Adams ein Patent an, welches erstmals die Ohren als Brillenhalterung vorsah. Immer neue Werkstoffe wurden in der Folge verarbeitet, bis ab den 1940er Jahren Kunststofffassungen und -gläser die Fertigung industrialisierten und extrem verbilligten. Bis hin zum gepressten Glas mit gepresster Fassung, das im Supermarkt um zwei Euro verkauft wird und, so Luger, "seinen Zweck als Lesehilfe durchaus erfüllt, aber nicht als Brille".

Bis 1950 war der "Brillenmacher" ein eigener Beruf, erzählt Luger, doch geriet das gesammelte Wissen aus Brillenmacherhochburgen wie Passau durch die Verlagerung der Massenfertigung nach Italien oder China weitgehend in Vergessenheit. Heute entdecken viele kleine Hersteller die Schätze aus den alten Manufakturen wieder, in denen oft "gute, abgereifte Acetatplatten herumliegen oder gute Maschinerie herumsteht", die oft Spezialentwicklungen der Brillenmacherdynastien mit hunderten Jahren Erfahrung im Brillenbau waren.

"Was Eckiges? Was Rundes?"
© Rebhandl

Und auch das Wissen der Mitarbeiter wird wieder nachgefragt: "Welcher Fräser für welches Material für welche Größe?" Solche Fragen, erzählt Luger, würden wieder diskutiert, ebenso wie Fragen über die Qualität des Glases, das heute zumeist aus Kunststoff ist. "In die Rohlinge mit je unterschiedlichem Brechungsverhalten", erzählt Luger, "wird die jeweilige Stärke einpoliert, Polierköpfe polieren die Radien rein, dann ist das Rohglas fertig." Danach beginnt man, mit Beschichtungstechnologien das Standardglas zum Markenglas zu heben. Da ginge es um die Härte, um die Entspiegelung, um Antistatik und die Pflege des Glases. Er selbst bezieht seine Gläser aus Bamberg, von einem traditionellen Familienbetrieb, "der in puncto Beschichtung auf höchstem Niveau arbeitet".

Nebenher, sagt er, wäre das natürlich auch eine gute "Story" in Zeiten, wo sich die Kunden wieder mehr auf das Lokale und das Nachhaltige besinnen; seine erzählt er so: "Handgemachte Brille, die vielleicht auch noch auf mich customized ist und in Wahrheit einen Schas mehr kostet als das Lizenzprodukt, das in China billig rausgestampft wird und wo man für den Namen zahlt, der dann draufgedruckt wird!"

Nicht zuletzt wegen der "Story" kaufen auch große Ketten Altbestände wie jene der Rathenower Optischen Werke (ROW), die zu den bedeutendsten Herstellern von Linsen und anderen optischen Instrumenten in der DDR zählten. Das Schönste an seinem Beruf aber, sagt er, wäre das "Schenken von Lebensqualität".

Rund oder eckig?

"Einer kommt zu mir, sieht Nüsse, setzt seine Brille auf, sieht wieder alles und schaut nebenher auch leiwand aus! Da kriege ich schon viel zurück." Die Leute kämen völlig verunsichert ebenso wie mit klaren Vorstellungen zu ihm. Internetbesteller, die sich bereits Brillennummer, Farbe und Größe ausgesucht hätten. Dann sagt er: "Pass auf, setz mal auf, schaun wir, ob das überhaupt passt." Schließlich will er nicht, dass einer mit einer Brille von ihm auf die Straße geht, mit der der Kunde "Scheiße ausschaut, das wäre Negativwerbung!"

Auch erfahrenen Brillenträgern, die mit ihrem Modell seit Jahren zufrieden sind, will er zumindest Optionen bieten: "Was Feines, was Kräftiges, was Rundes, was Eckiges?" Grundsätzlich würden die Österreicher Brillen noch immer mehr als Sehhilfen betrachten denn als Accessoire. Den Defensiven versucht er die Angst vor der Veränderung zu nehmen, die Selbstbewussten bremst er auch ein. "Es muss ja nicht immer das Protzerteil sein, das vom Gesicht nichts übrig lässt!" Es gäbe auch schöne Brillen, die das Gesicht dominieren lassen und selbst im Hintergrund bleiben. "Oft sind es gerade die schüchternsten Leute, die mit den ärgsten Geräten ein Statement setzen wollen."

Luger kann, sagt er, Menschen zu einem neuen Image verhelfen, und er schwärmt von großen Erfolgen, die er dabei hat. "Ein Mann, der zu mir kam, hat wieder Dates und einen Job. Die Brille hat ihn total aufgewertet. Er hat sich sogar anders angezogen." Das sind Erfolge, die ihm "taugen", und sie kommen, versichert er, gar nicht so selten vor. Dann wollen wir mal sehen, was er aus mir machen kann: "Was Eckiges? Was Rundes?"

Funk Eyewear. Kirchengasse 29, 1070 Wien.

Manfred Rebhandl, geboren 1966, schreibt Krimis um den Superschnüffler Rock Rockenschaub, die am Wiener Brunnenmarkt spielen, und Reportagen für Zeitungen.