"Wiener Zeitung": Herr Glattauer, worin genau gründet Ihre Seelenverwandtschaft mit Manuel Rubey?
Daniel Glattauer: Vor diesem Gespräch fragte ich meine Frau, die Manuel ebenfalls gut kennt, ob sie auch der Meinung sei, dass wir beide seelenverwandt sind. Sie meinte, ja, ihr seid beide weich, Menschenversteher, insbesondere Frauenversteher und technisch völlig unbegabt...
Manuel Rubey: ...obwohl wir beide gerne im Waldviertel am Land leben, wo handwerkliche Begabung sehr von Vorteil wäre ...

Glattauer: Unterscheiden würden wir uns darin, dass Manuel - im Gegensatz zu mir - ein Ästhet ist, Wert auf Äußeres legt, auf schöne Dinge. Er sei in dieser Hinsicht der Feingeistigere.
Rubey: Bei euch zu Hause ist immer alles sehr schön. Ich hätte gedacht, dass ihr beide diesen Sinn für Ästhetik habt, stelle aber gerade fest, dass dies alles von deiner Frau kommt!
Glattauer: Ich habe mir natürlich auch selbst Gedanken über unsere Seelenverwandtschaft gemacht. Ich fühle mich von Manuel verstanden, ohne mich verständlich machen zu müssen. Ich finde auch, dass wir uns beide bemühen, bescheiden aufzutreten, aber im Grunde wahnsinnig ehrgeizig sind. Eine gute Möglichkeit, das zu testen, ist beim Kartenspielen. Wir sind gute Verlierer, aber jeder von uns möchte gewinnen, wir haben diesen Zug zum Tor, wie man im Fußball sagt.
Rubey: Die Seelenverwandtschaft zeigt sich schon allein dadurch, dass du bereits alles vorweggenommen hast, was ich ebenfalls sagen wollte. Ich würde noch hinzufügen, dass wir sogar mit großer Würde verlieren können, und mag auch diese Kombination, dass wir einerseits die Sache selbst total ernst nehmen, uns selbst dabei aber nicht.
Wie haben Sie einander kennengelernt?
Rubey: Ich wurde auf Daniel über seine Kolumnen im "Standard" aufmerksam, die auch in meinem Freundeskreis sehr verehrt wurden. Ich bin wahnsinnig gerne Fanboy von etwas, begeistere mich gerne - das ist auch für meinen Beruf wichtig. Persönlich lernten wir uns dann über eine gemeinsame Bekannte im Waldviertel kennen. Wenn man dann einen Helden trifft und es passt auch noch alles, ist das natürlich das schönste Geschenk.
Glattauer: Wobei ich mich überhaupt nicht als Held betrachte, für mich ist Manuel der viel Interessantere von uns beiden. In meinem Wesen ist nichts Heldenhaftes, ich verstecke mich hinter meinen Büchern, bin nicht gern in der Öffentlichkeit. Wir leben das völlig unterschiedlich. Manuel hat sich auf bewundernswerte Art in die Öffentlichkeit begeben. Das ist ein gefährliches Terrain. Menschen können grausam sein, gerade erfolgreichen Personen vergönnt man den Misserfolg umso mehr.
Rubey: Es klingt jetzt vielleicht widersprüchlich, ich wäre auch lieber keine öffentliche Person, möchte aber, dass die Dinge wahrgenommen werden, die ich tue. Bob Dylan ist diesbezüglich mein großes Idol. Der Nobelpreis-Jury eine Woche lang nicht zur Verfügung zu stehen, ist sozusagen die Königsklasse. Aber als Schauspieler hat man eben nur seine persönliche Präsenz zur Verfügung und gleichzeitig wird es immer schwieriger, den Druck auszuhalten, eine sogenannte öffentliche Figur zu sein.

"Ich bin wahnsinnig gerne Fanboy von etwas, begeistere mich gerne - das ist auch für meinen Beruf wichtig."
- © Peter JungwirthGlattauer: Ich bin ja deutlich älter als Manuel. Wäre ich in seinem Alter und hätte sein Aussehen, wäre es mir vielleicht auch schwerer gefallen, mich so zurückzuziehen, wie ich das in den letzten zehn Jahren getan habe. Ich bin aus dem Rhythmus ausgestiegen, alle zwei, drei Jahre einen Roman zu liefern. Ich möchte nicht an einem Buch arbeiten, nur weil es von mir erwartet wird. Zuerst muss die Idee da sein, ich muss wirklich hungrig auf ein Thema sein. Anders bei Manuel, er ist ein Getriebener seiner Popularität, man verlangt sehr viel von ihm.
Wenn man sich für den Schauspielberuf entscheidet, würde man annehmen, dass dies auch mit dem Wunsch verknüpft ist, im Rampenlicht stehen zu wollen.
Rubey: Da muss ich massiv widersprechen. Man kann Schauspieler sein und trotzdem ein schüchterner Mensch. Mir ist das Spielen total heilig, aber ich werde den Teufel tun, privat das Rampenlicht zu suchen. Es gibt von Udo Jürgens das schöne Zitat: "Ich kann ohne Applaus leben, aber nicht, wenn ich auf der Bühne stehe."
Glattauer: Ich kann das bestätigen, dass Manuel privat ein zurückgenommener, uneitler Mensch ist. Ich wohl auch, nur bei mir ist es logisch, darum bin ich ja Schreiber geworden. Mein Bruder war rhetorisch immer viel besser als ich. Bereits in der Pubertät merkte ich, wenn ich etwas schreibe, kann ich mir damit mehr Gehör verschaffen als durch Reden. Ein Freund meinte einmal, privat bist du nur ein Bruchteil von dem, was in deinen Büchern steckt. Das ist jetzt nicht unbedingt ein Kompliment, aber beim Schreiben wird offenbar viel von meiner Energie frei, die ich sonst gern in mir ruhen lasse.
Schreiben war in Ihrer Familie generell ein Thema. Ihr Vater war Journalist, hat das Ihre Berufswahl beeinflusst?
Glattauer: Wir zwei Brüder sahen unseren Vater wenig, weil die Ehe meiner Eltern früh gescheitert war. Das hat ihn für uns noch spannender gemacht. In den 1960er, 1970er Jahren war er für uns wie eine Popfigur, schrieb im "Kurier" über Musik, hatte lange Haare und war der einzige Vater weit und breit, der cool wirkte. Unsere Jugend war aber von der konservativen Mutter geprägt. Umso faszinierter schielten wir auf den Job des Vaters. Meinem Bruder ist gleich nach der Matura nichts Besseres eingefallen, als Journalist zu werden, ich studierte Pädagogik, landete dann aber mit 25 ebenfalls im Journalismus.

"Bereits in der Pubertät merkte ich, wenn ich etwas schreibe, kann ich mir damit mehr Gehör verschaffen als durch Reden..."
- © Peter JungwirthHerr Rubey, Sie haben zuvor gesagt, dass Sie im Grunde nicht gerne in der Öffentlichkeit stehen und Beruf und Privates möglichst trennen möchten. Steht das nicht im Widerspruch zum Inhalt Ihres zweiten Buches, "Der will nur spielen"? Ein Großteil des Textes handelt von Selbstzweifeln und anderen sehr persönlichen Gedanken, die Sie sich über das Leben machen?
Rubey: Es ist mir ganz wichtig zu sagen, dass dieses Buch keine Autobiografie ist. Ich spiele vielmehr damit, was ist wahr, was ist fiktional?

In meiner Wahrnehmung klingt das Buch gänzlich autobiografisch.
Rubey: Das möchte ich auch nicht bekämpfen, dass es so wahrgenommen wird, die Intention war aber eigentlich eine andere. Wenn ich etwa über das Thema Neid schreibe, möchte ich den Neid der Leser triggern und nicht mich selbst eitel veräußern. Das Buch ist semifiktional, vielleicht weil ich mir noch nicht zugetraut habe, eine komplett fiktionale Geschichte zu erzählen.
Sie betonen mehrmals, wie wichtig für Sie das tägliche Ritual des Schreibens ist, um sich selbst besser kennenzulernen. Ist dies nun wahr oder fiktional?
Rubey: Das stimmt und ich würde sagen, das gilt universell für alle Menschen, die schreiben. Schreiben ist ein so einsamer Prozess, dass man sich zwangsläufig mit sich selbst auseinandersetzt.
Glattauer: Ich glaube, es kommt sehr darauf an, was man schreibt. Manuels Bücher erinnern mich an meine journalistische Zeit, als ich für die Lesebeilagen persönlich gefärbte Geschichten verfasst habe. Da war ich sehr nah bei mir. Wenn ich Romane schreibe, bin ich bemüht, mich in andere Menschen, in meine Figuren hineinzuversetzen. Ein Buch in Ich-Form zu schreiben, ist zwar viel verlockender, letztendlich aber auch schwieriger.
Inwiefern schwieriger?
Ich habe zwei Romane in Ich-Form geschrieben - "Darum" und "Geschenkt". Das sind zugleich jene Bücher, die mich am meisten eingeschränkt haben. Einen Erzähler zu haben, der zwischen den Figuren herumjonglieren kann, ist das ergiebigere Schreiben. In deinen Büchern, Manuel, bist du ganz klar der Ich-Form verpflichtet, und der ganze Text ist eng an deine Person gebunden, auch wenn du sagst, dass du dir gewisse Freiheiten herausgenommen hast.
Rubey: Selbst wenn es mich wahnsinnig ehrt, dass wir gerade quasi auf Augenhöhe über das Schreiben reden, möchte ich eines ergänzen: Unsere Freundschaft ist total auf Augenhöhe, aber mit Daniel über das Schreiben zu reden, wäre genauso vermessen, wie zu Roger Federer zu sagen, ich spiele auch Tennis.
Glattauer: Alle, die schreiben, sind auf einer Ebene. Und ich bin sowieso ein Glückskind, weil mir mit "Gut gegen Nordwind" eine derartige Aufmerksamkeit zuteilwurde. Es gibt sicher viele mindestens genauso talentierte Autorinnen und Autoren, von denen man nie etwas hören wird, weil sie nicht diese Gunst der Stunde erwischt haben.

Rubey und Glattauer mit der Buchhändlerin Ulla Harms, in deren Lokal "franzundjulius" (1150 Wien) das Gespräch geführt wurde.
- © Peter JungwirthUnter Ihren 66 Buchtipps in "Der will nur spielen" ist auch "Gut gegen Nordwind". Ist das Ihr Lieblingsbuch von Daniel Glattauer?
Rubey: Da müsste ich länger darüber nachdenken. Ich las dieses Buch lange, bevor wir einander persönlich kennengelernt haben. Ebenso wenig wie es ein Zufall ist, dass "Yesterday" noch immer gesungen wird, ist es kein Zufall, dass dieses Buch immer noch gelesen wird. Es ist einfach ein perfektes Werk. Vielleicht vergleichbar mit einem Musiker, der den perfekten Popsong schreibt.
Die Liebe zur Musik dürfte ebenfalls eine Gemeinsamkeit sein.
Rubey: Ja, Musik verbindet uns und begleitet mich persönlich schon mein ganzes Leben. Wir hatten keinen Fernseher, meine Eltern versuchten das eine Zeit lang durchzuziehen, deshalb war Musik die erste große Prägung für mich. Ich hatte auch das große Glück, dass ich immer Freunde hatte, mit denen ich gemeinsam Musik machte.
Herr Glattauer, welcher Musikstil begeistert Sie?
Glattauer: Ich bin gerade dabei, die klassische Musik so richtig für mich zu entdecken.
Rubey: Ich durfte zuletzt den Genuss erleben, dass du dich ans Klavier gesetzt und einige deiner Kompositionen gespielt hast. Es war fantastisch.
Glattauer: Es war nicht fantastisch, es war ein total verstimmtes Klavier und ich habe mich dauernd verspielt.
Rubey: Wenn jemand gesagt hätte, das sind Bach-Kantaten, hätte ich es geglaubt.
Glattauer: Zuerst Federer, jetzt Bach: Manuel, ich kenne niemanden, der so unverschämt loben kann wie du!
Vielleicht gibt es ja einmal einen Gastauftritt in Manuel Rubeys Band, der Familie Lässig?
Rubey: Die Türen stünden sperrangelweit offen!
Glattauer: Das traue ich mich niemals, allein schon wegen meiner Scheu vor der Bühne. Außerdem bin ich nicht lässig ...
Rubey: Ich glaube, jede Art von künstlerischer Äußerung ist eine Überwindung von Scham. Da war die Musik für mich eine große Hilfe, weil ich hier ausschließlich mit Menschen zusammenarbeite, denen ich 100 Prozent vertraue. Mittlerweile verspüre ich auch keine Scham mehr dabei, meinen Kollegen einen neuen - und vielleicht noch unfertigen - Song vorzuspielen. Man arbeitet dann gemeinsam daran weiter. Vielleicht ist das auch einer der wenigen Unterschiede zwischen uns: Ich arbeite total gerne in Teams, habe bekanntermaßen auch gerne Bühnenpartner.
Glattauer: Ich bin beim Schreiben ein absoluter Individualarbeiter. Ideen kommen mir nur, wenn ich mich alleine mit einem Text beschäftige.

Der neue Roman von Daniel Glattauer erscheint am 20. Jänner.
- © ZsolnayNach nunmehr acht Jahren Pause erscheint am 20. März Ihr neuer Roman, "Die spürst du nicht". Wie lange haben Sie an diesem Buch gearbeitet und wann hatten Sie die Idee dazu?
Glattauer: Die Idee zu dem Buch hatte ich vor rund zwei Jahren, kurz vor einem Toscana-Urlaub mit Freunden. Geschrieben habe ich dann ein knappes Jahr an dem Roman. Ich bin beim Schreiben langsam und werde immer langsamer. Es ist ein permanenter Kampf gegen die physische Müdigkeit.
Hatten Sie bei diesem Buch von Anbeginn den gesamten Verlauf der Geschichte im Kopf?
Glattauer: Ein bisschen was wusste ich, aber vieles auch nicht. Ausgangspunkt war, dass ich erzählen wollte, dass das Unglück mancher Menschen wichtiger zu sein scheint als jenes von anderen. Das finde ich ungerecht.
Hielten Sie während des Entstehungsprozesses des Buches Rücksprache mit dem Verlag oder einer anderen Person?
Glattauer: Dem Verlag habe ich das Manuskript erst gezeigt, als es fertig war, auch vorher nicht angekündigt, dass ich ein neues Buch schreibe, sonst kommt der Druck von außen.
Während des Schreibens tauschten Sie sich mit niemandem aus?
Doch, meine Frau hat es gelesen und sozusagen das Buch begleitet. Da sie nicht möchte, dass ich am Abend schlecht aufgelegt bin, würde sie nie sagen, das gefällt mir nicht, aber an der Art und Weise, wie sie einzelne Passagen kommentiert, weiß ich dann trotzdem, woran ich noch einmal arbeiten sollte. Als das Manuskript dann fertig war, ließ ich es einige Freunde lesen, auch Manuel.
Wie war Ihr erster Leseeindruck?
Rubey: Das Buch hat mich sehr bewegt. Ich glaube, es wird von inhaltlicher Seite einige Überraschungen geben, weil es eine Geschichte ist, die man nicht erwartet. Ich finde es toll, Erwartungshaltungen zu brechen und bei einem Autor neue Facetten zu entdecken.
Weitere Folgen aus der Reihe "Seelenverwandte":
Seelenverwandte 2: Christl Lieben und Nadja Maleh
Seelenverwandte 3: Christian und Wolfgang Muthspiel
Seelenverwandte 4: Adele Neuhauser und Miriam Stein
Seelenverwandte 5: Erika Pluhar und Anna Dangel
Seelenverwandte 6: Carolin Pienkos und Cornelius Obonya
Seelenverwandte 7: Otto Schenk und Rudolf Buchbinder
Seelenverwandte 8: Peter Kampits und Manfred Bockelmann
Seelenverwandte 9: Alfried Längle und Martin Schwab
Seelenverwandte 10: Ernst Molden und Ursula Strauss
Seelenverwandte 11: Alfred Komarek und Erwin Steinhauer
Seelenverwandte 12: Ina Regen und Violetta Parisini
Seelenverwandte 13: Mari Lang und Didi Drobna
Seelenverwandte 14: Klaus Eckel und Thomas Mraz
Seelenverwandte 16: Josh. und Bernhard Speer
Seelenverwandte 17: Dietrich Siegl und Gregor Seberg