"Wiener Zeitung": "Das Rot des Apfels" heißt eines der beiden in diesem Herbst von Ihnen erschienenen Bücher. Untertitel: "Tage mit einem Maler". Liest man darin, so ist es, als ob man den Raum Ihrer 35 Jahre währenden Freundschaft mit dem Maler Peter Schermuly betritt.

Martin Mosebach: Ja, "Das Rot des Apfels" ist ein wichtiges Buch für mich, ein sehr persönliches. Eine Hommage an Schermuly, der vor vier Jahren starb.

Über die Jahrzehnte hat Peter Schermuly etliche Portraits und Portraitstudien von Ihnen gemalt. Ihr Versuch nun, erinnernd und erzählend des Malers Schermuly zu gedenken, bewegt sich entlang der Abbildungen von elf dieser Bilder, sowie ganz am Schluss eines Portraits Ihres Vaters. Könnte man sagen: So wie er Sie in seinem künstlerischen Medium angeschaut hat, so schauen Sie nun ihn an?

"Oft geht es darum, der Sprache nachzulauschen wie einer Tanzmusik" - Martin Mosebach im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiterin Bernadette Conrad. - © Foto: Conrad
"Oft geht es darum, der Sprache nachzulauschen wie einer Tanzmusik" - Martin Mosebach im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiterin Bernadette Conrad. - © Foto: Conrad

Ich schreibe ja nicht als Kunsthistoriker. Meine Autorität liegt darin, dass ich ihm Modell gesessen und dabei Gespräche mit ihm geführt habe. Diesen meinen Zugang wollte ich auch offen legen. Von diesen unendlichen Gesprächen ist ja leider nichts niedergelegt. Nur noch von der Atmosphäre, dem Geist, der Essenz konnte ich versuchen, etwas wiederzugeben, bevor es sich durch die grausame Zeit verflüchtigt. Auch empfinde ich gegenüber etwas so Bedeutendem in meinem Leben etwas wie eine grundsätzliche Pflicht, mir darüber Rechenschaft abzulegen, eine Dokumentationspflicht. Ich habe Schermuly ja kennengelernt, bevor ich Schriftsteller war. An ihm sah ich, was es heißt, in künstlerische Arbeit vertieft zu sein. Kunst als Lebensform - da war er vorbildhaft für mich.

Mosebachs Mentor, der Maler Peter Schermuly. - © Foto: HiaslG/ Wikipedia
Mosebachs Mentor, der Maler Peter Schermuly. - © Foto: HiaslG/ Wikipedia

Sie selbst wurden Schriftsteller, als Sie eigentlich gerade auf dem Sprung in einen ganz anderen Beruf waren . . .

In die Schriftstellerei bin ich hineingeschlittert! Mit dem schwachen zweiten Juraexamen, das ich gerade gemacht hatte, hätte ich irgendwann wohl auch arbeiten können, aber die Türen waren nicht sehr weit geöffnet. Aber ich hatte Erzählungen geschrieben, für die ich dann den Preis der Jürgen-Ponto-Stiftung erhielt, und daraufhin fragte mich eine Lektorin, ob ich nicht auch einen Roman schreiben könne? So entstand "Das Bett", mein erster Roman, schon unter Vertrag! Deutlich war allerdings das Gefühl, dass ich mich auf die Literatur wie auf eine Planke rette, weil es keinen anderen Weg mehr gab. Ich hatte Jura viel zu improvisierend betrieben, durfte mich gar nicht wirklich Jurist nennen - eigentlich war ich unbrauchbar für den Beruf.

In der Zeit Ihres Jurastudiums malte Schermuly Sie einmal mit einem Lorbeerkranz auf dem Kopf. Sie erklären zwar bescheiden, dieser vertrocknete Kranz hätte eben bei ihm im Atelier herumgelegen, und es hätte gut zur Farbe ihrer Jacke gepasst, aber von heute aus gesehen, passte er natürlich zu noch viel mehr als zu Ihrer Jacke. . .

Ja, er hat etwas gleichsam herbeigezaubert. Er hat immer großen Anteil genommen an mir. Über Jahre hinweg war er mein erster Leser, er hat an meiner Entwicklung teilgenommen, wie ich an seiner. Er war ein Mentor. Damals aber, diese Idee, einen 24-jährigen Faulpelz und Herumtreiber mit einem Kranz zu schmücken. . . ich weiß noch, dass meine Eltern ganz empört waren! (lacht) Aber im Grunde ist das Bild ja auch sehr komisch - statt nackter Heldenbrust oder Toga trage ich Krawatte zum Lorbeerkranz!

Sie haben sich ja nie wieder zur Juristerei umgeschaut. Haben Sie sich dann bald als Schriftsteller gefühlt?

Nein, keineswegs. Die ersten Romane wurden sehr gespalten aufgenommen, mit erfreulichen Stimmen, aber auch scharfen Verrissen. Meine ersten zwölf Jahre als Schriftsteller waren viel härter, als sie es in einer Kanzlei gewesen wären, denn ich musste etwas tun, was ich bis dahin nie getan hatte: etwas lernen. Lernen, ein Autor zu werden. Ich bin ein unwilliger Lerner. "Alles was ich gelernt habe, habe ich vergessen; was ich weiß, habe ich schon immer gewusst." Das könnte ich frecherweise auf mich anwenden. Nein, das Schreiben ist mir keineswegs in den Schoß gefallen. Ein Buch aus sich herauszuholen, und es dann durchzuarbeiten! Die Frage "Was ist ein Roman?" hat mich jahrelang fast verrückt gemacht; das Gefühl, mit etwas vollkommen Sinnlosem beschäftigt zu sein. In dieser Zeit habe ich auf die Frage nach meinem Beruf oft "Rechtsanwalt" gesagt. Ich hatte mich zulassen lassen, aber nie Mandate übernommen. Dabei konnte ich vom Schreiben leben, mein erster Verlag hat mich zehn Jahre lang weitgehend getragen.

Erst ab "Westend", dem dritten Buch, fühlte ich mich berechtigt, mich Schriftsteller zu nennen; ein Buch, das wildwüchsig war, erst allmählich seine Form fand.

An einer Stelle schreiben Sie, dass Sie öfter von Schermuly, auf seine Kunst bezogen, den Satz gehört hätten: ,Es ist alles schon da’. Oder in anderen Worten: ".. . . in der Materie war das Kunstwerk schon anwesend, es wohnte in ihr, es musste nur noch herausgelockt werden." Was heißt das?

Es sagt natürlich auch etwas über meine eigene Ästhetik! Was für den Maler die Farbe ist, sind für den Schriftsteller die Fakten: Und so ist die reine Materie seiner Geschichte schon vor aller Reflexion erfüllt mit Botschaft. Die vieldeutige, geheimnisvoll in der Materie schlafende Botschaft ist viel wichtiger, als was man meinungsmäßig in sie hineinlegen kann. Der andere Teil ist die Sprache selbst - sie gibt so viel vor an Assoziationen, an Geschichte jedes einzelnen Wortes, an Atmosphären. Als Autor ist man vielfach jemand, der auf dem Meer der Sprache treibt mit seinem Floß. Die stärksten Effekte stammen aus der Sprache selbst - nehmen Sie das Wort Sonne. Dass es sich auf Wonne reimt, gibt uns das Gefühl für Sonne. Auch ist sie weiblich, DIE Sonne. In den romanischen Sprachen ist das umgekehrt, daraus ergibt sich gesellschaftlich ein anderes Bild! Die männliche Sonne dort - il sole, le soleil - ist auch unbarmherzig, tötend, gnadenlos, während die Frau - la luna - eingeschlossen in den Harem der Nacht, ein ganz anderes Bild hervorruft als im Deutschen. Diese Eindrücke kann ein Autor nicht erzeugen - das findet er vor.