
Er hat ein Restaurant neben dem Berliner Ensemble vorgeschlagen. Gehobene österreichische Küche, gediegenes Interieur, an den Wänden hängen gerahmte Fotografien von Bertolt Brecht. Daniel Kehlmann wählt einen Nischenplatz gleich bei der Küche. Auf der Wand gegenüber steht Brechts Zitat aus der Dreigroschenoper "Erst kommt das Fressen dann kommt die Moral". Daniel Kehlmann bestellt eine Vorspeise, Kräuter-Backhendl auf Kartoffel-Speck-Salat.
"Wiener Zeitung": Herr Kehlmann, wir sind hier von Brecht-Bildern umgeben, dabei haben Sie einmal daran erinnert, dass Brecht dem "Massenmörder Stalin gehuldigt habe". Brecht mögen Sie offensichtlich nicht.
Daniel Kehlmann: "Dem Massenmörder Stalin gehuldigt", das war aber nicht meine Formulierung! Ich halte Brecht für einen der größten Schriftsteller der deutschen Sprache. Ich habe nur an bei einem Brecht-Festival, bei dem eine reichlich popartige Glorifizierung stattfand, daran erinnert, dass wir meiner Meinung nach Glück haben, dass die Welt nicht ganz so geworden ist, wie Brecht sie haben wollte. Ich halte Brecht für einen Sprachschöpfer, den man neben Goethe oder Luther oder Hölderlin stellen kann. Aber er hat Stalin verteidigt, und zwar wider besseres Wissen. Und daran muss man auch erinnern, wenn alle anderen Redner bei einem Festival nur sagen, wir brauchen Brecht, gerade heute. Der für mich wichtige Satz meiner Rede war ja: Brecht ist nicht das literarische Äquivalent zum Che-Guevara-T-Shirt. Sondern er ist jemand, der verdient hat, dass wir seine Thesen ernst nehmen, und dann müssen wir darüber reden, wie erstaunlich es ist, dass ein Mann wie er sich auf die Seite von Mördern stellte. Nicht, um ihm Vorwürfe zu machen, sondern weil es so viel über das zwanzigste Jahrhundert erzählt.
Ist Brecht für Sie auch ein Exempel für die Verführbarkeit von Schriftstellern durch totalitäre Systeme?
Dieses Thema beschäftigt mich sehr. Schriftsteller werden ja immer ganz phrasenhaft gefragt, ob Literatur etwas verändern kann. Wenn man sich aber die politischen Ansichten von einigen der größten Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts ansieht, so ist es nicht unbedingt zu bedauern, dass sie nichts verändern konnten. Weil sie dezidierte Gegner von Demokratie und Freiheit waren. Das schmälert nicht ihre literarische Bedeutung, aber es ist etwas, das man im Gedächtnis behalten sollte. Eben als Warnung. Es ist wichtig, zu sehen, wo andere sich geirrt haben, und man muss das auch aussprechen dürfen, bei aller Verehrung für Brecht oder Neruda zum Beispiel.
Wir könnten jetzt über Christian Krachts Roman "Imperium" reden. In einem Interview haben sie ihn gegen den Vorwurf eines Kritikers verteidigt, er verbreite eine rassistische Weltsicht.
Darüber möchte ich eigentlich nichts mehr sagen. Ich finde, man hält diese sinnlose "Debatte", die ja nach jetzigem Stand der Dinge auch nur aus einem "Spiegel"-Artikel und etwa fünfhundert Verteidigungsartikeln bestand, sinnlos am Laufen, wenn man dazu noch etwas äußert.
Dann sprechen wir über das Kino: Ihr Bestseller "Die Vermessung der Welt" wird gerade von Detlev Buck verfilmt. Sie haben selbst das Drehbuch geschrieben. "Ruhm", ein Film, der auf ihrem gleichnamigen "Roman in neun Geschichten" basiert, ist schon fertig. Sie spielen darin sogar selbst eine kleine Rolle.
Nur ein ganz kurzer Auftritt. Leider war ich damals gerade ein bisschen rundlicher als jetzt.
Kameras lassen jeden ein wenig fülliger aussehen.
Genau das werde ich sagen, wenn man mich darauf anspricht.
Sie treten in "Ruhm" als Laudator für einen Schriftsteller auf und reden Unsinn. Haben Sie den Monolog selbst erfunden?
Der Monolog ist kompletter Unsinn, ja. Das habe ich aber nicht improvisiert, so etwas kann ich nicht. Die Regisseurin Isabel Kleefeld hat den Text für mich geschrieben.
War es ein wenig einschüchternd, selbst vor der Kamera zu stehen, umgeben vom Team?
Ich war als Kind sehr oft bei Dreharbeiten, mein Vater war ja Regisseur. Ich war also nicht eingeschüchtert. Außerdem sind ja alle sehr nett zu einem, wenn man der Autor ist und einen Cameo-Auftritt hat. Ein normaler Kleindarsteller steht wohl unter viel mehr Druck.
Haben Sie einen Einfluss darauf, wer welche Bücher von Ihnen verfilmt? Viele Autoren klagen darüber, dass Sie dabei nicht mitreden können.
Ich bin nie übergangen worden. Ich weiß, dass Kollegen von mir sehr unangenehme Erfahrungen mit dem Filmgeschäft gemacht haben. Aber ich kann mich wirklich nicht beklagen.
Glauben Sie, dass "Ruhm" als Film noch mehr Publikum erreicht als das Buch?
Darüber denke ich nicht nach. Ich denke auch beim Schreiben nicht daran, wie viel Auflage etwas haben wird. Ich glaube, dass man tun muss, was man künstlerisch für richtig hält, und dass es dann dafür auch oft ein größeres Publikum gibt, als es die Kulturpessimisten vermuten. Mich interessiert aber jetzt die Frage, wie der Film auf jemanden wirkt, der das Buch gar nicht kennt.