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Andrea Händler

Von Christine Dobretsberger

Reflexionen

Die Kabarettistin Andrea Händler erklärt die Unterschiede zwischen weiblichem und männlichem Humor, denkt über Lebenskrisen und das Älterwerden nach - und erzählt, wie sie überhaupt zum Kabarett gekommen ist.


"Wiener Zeitung": Frau Händler, Sie feiern heuer Ihr 27-jähriges Bühnenjubiläum. War Ihnen schon als Kind klar, dass Sie Kabarettistin werden wollen? Andrea Händler: Im Grunde wollte ich nie Kabarettistin werden. Das ist halt passiert. Eigentlich wollte ich Schauspielerin werden und große Tragödien spielen. Mein Plan war, mit 16 die Aufnahmeprüfung am Reinhardt-Seminar zu machen. Doch daraus wurde nichts.

Warum scheiterte der Plan?

Weil ich zuerst die Matura machen musste, sonst hätte ich es mir mit meinen Eltern verscherzt. Doch gleich danach bin ich zur Aufnahmeprüfung marschiert, bin auf der Stelle durchgefallen und wollte nicht mehr länger leben. Gerettet hat mich ein Freund, der den Kontakt zu Herwig Seeböck hergestellt hat, bei dem ich dann meine Schauspielausbildung absolvierte. Alfred Dorfer, Reinhard Nowak und Roland Düringer waren damals ebenfalls bei Seeböck.

Wie kam es zu Ihrem ersten Kabarettauftritt?

Im Kabarett Niedermair gab es den Nachwuchswettbewerb "Sprungbrett". Auch Dorfers kurz zuvor gegründete Kabarettgruppe "Schlabarett" war für diese Veranstaltung gemeldet. Doch wenige Tage vor dem Wettbewerb stieg der weibliche Part von "Schlabarett" aus, ich war die Einspringerin, lernte innerhalb einer Woche die Rolle - und wir gewannen den Wettbewerb. Ab diesem Zeitpunkt haben wir gemeinsam gespielt.

Wie alt waren Sie damals?

19 Jahre. Natürlich konnten wir nicht vom Kabarett leben. Wir hatten alle Nebenjobs. Ich verkaufte damals Souvenirartikel am Flughafen.

Aber insgeheim hatten Sie immer noch den Wunsch, Schauspielerin zu werden und tragische Rollen zu spielen?

Ja. Einmal hat es ja auch geklappt. 2003 durfte ich in Villach in Felix Mitterers "Mein Ungeheuer" eine ernste Rolle spielen. Das war schon ein Erlebnis, Leute einmal auf eine andere Art zu faszinieren. Das war wirklich eine tolle Erfahrung.

Die Gelegenheit, Ensemblemitglied an einem Theater zu werden, hat sich für Sie nie ergeben?

Das stand allein schon deswegen nicht zur Debatte, weil Herwig Seeböck von Anbeginn darauf geachtet hat, dass wir freiberuflich bleiben, also uns nicht fix an ein Haus binden. Seine Meinung war: Wenn man unbekannt werden will, geht man an ein Theater. Und mit dieser Ansicht hatte er in gewisser Weise auch Recht.

Trotzdem sind Sie immer wieder auch im Theater zu sehen. Momentan etwa in der Josefstadt in Peter Turrinis Goldoni-Bearbeitung "Campiello".

Andrea Händler. Foto: Robert Wimmer

Das macht mir großen Spaß. Weil es eine Abwechslung zu den vielen Solo-Kabarettabenden ist. Das ist wie im Kindergarten. Lange Zeit habe ich nur allein gespielt, und nun darf ich mit den anderen Kindern in der Sandkiste sitzen.

Das klingt so, als wären Sie im Grunde Ihres Herzen eher ein Teamworker als eine Einzelkämpferin?

Ja, das bin ich. Solokabarettistin bin ich letztlich nur deshalb geworden, weil meine Kabarettgruppe plötzlich nicht mehr existent war und jeder ein Soloprogramm gemacht hat. Also blieb mir auch nichts anderes übrig.

Mittlerweile arbeiten Sie bereits an Ihrem achten Soloprogramm.

Ja, gemeinsam mit der Journalistin Angelika Hager.

Gibt es schon einen Titel für das neue Programm?

"Händler naturtrüb", Premiere ist am 4. Oktober 2011.

Wie darf man sich die Zusammenarbeit mit Angelika Hager vorstellen?

Wir treffen uns, trinken eine Flasche Prosecco und reden darauf los. Am Tisch liegt ein Aufnahmegerät, das alles festhält. Manchmal sind Passagen dabei, die man 1:1 niederschreiben und ins Programm einfließen lassen kann.

Sie brauchen also den gegenseitigen Austausch?

Auf jeden Fall. Mich allein hinzusetzen und zu versuchen, ein Programm zu schreiben, funktioniert einfach nicht. Ich brauche einen Menschen, der die Geschichten, die aus meinem Mund sprudeln, zu Papier bringt. Im Alleingang schaffe ich das nicht.

Ihr Bühnenhumor ist also auch Ihr Privathumor?

Ja, ich muss mich damit identifizieren können.

Können Sie sich vorstellen, zur Abwechslung einmal politisches Kabarett zu machen?

Nein, dafür interessiere ich mich zu wenig für Politik, speziell für Tagespolitik. Meine Kabarettprogramme müssen immer mit Themen verbunden sein, die mich persönlich beschäftigen. Deshalb greife ich lieber sozialkritische Themen auf - Dinge, mit denen sich auch viele andere Menschen identifizieren können.

Sehen Sie sich als Kabarettistin, die sich für Frauenthemen stark macht?

Im Grunde passiert das eher automatisch, einfach aus der Tatsache heraus, dass ich eine Frau bin. Was ich nicht machen könnte, ist ein - wie ich es gerne bezeichne - Pseudo-Emanzenkabarett, wo ausschließlich auf die bösen Männer geschimpft wird. Ich denke, bei mir steigen Männer wie Frauen gleich gut oder gleich schlecht aus. Trotzdem fühlen sich Männer immer viel schneller angegriffen.

Wie sieht es mit den Gagen aus? Verdient man als Kabarettistin genauso viel wie die männlichen Kollegen?

In meinem Beruf verdiene ich genauso viel wie die Männer. Wir bekommen keine Gagen ausbezahlt, sondern sind prozentuell am Kartenverkauf beteiligt. Wer mehr Publikum hat, verdient auch mehr. Das ist gerecht.

Wenn ich an die weibliche Kabarettszene in Österreich denke, fallen mir nur drei Namen ein: Dolores Schmidinger, Andrea Händler und Nadja Maleh. Das heißt, pro Generation eine einzige Künstlerin.

Wir sagen oft: die Kaiserin, die Königin und die Prinzessin.

Woran liegt es, dass sich in Österreich so wenige Frauen auf die Kabarettbühne wagen?

Diese Frage stelle ich mir auch oft. Allerdings sollte man vor allem jene Frauen fragen, die nicht Kabarett spielen. Ich trau mich ja auf die Kabarettbühne.

Andrea Händler. Foto: Robert Wimmer

Dolores Schmidinger meinte einmal in einem Interview, Komik sei nach wie vor eine männliche Domäne. Ein drastisches Beispiel: Wenn ein Mann auf der Bühne die Hose verliert, lacht das Publikum; wenn das einer Frau passiert, ist das immer noch irgendwie peinlich.

Es ist auch sehr schwer für mich, Kraftausdrücke zu verwenden. Als Frau darf man das definitiv nicht. Das funktioniert nicht. Ich habe es probiert. Einer meiner Lieblingskabarettisten ist Andreas Vitasek. Man möchte gar nicht glauben, wie viele Kraftausdrücke er in seinem Programm hat. Aus seinem Mund klingt das aber wie nebenbei. Würde aber ich das alles sagen, wäre es eine Katastrophe. In meinem aktuellen Programm (" Das Schweigen der Händler ") gibt es einen einzigen Kraftausdruck - und dabei spüre ich, wie es viele im Publikum reißt.

Männer wie Frauen?

Ja, da reißt es alle. Das Klischee, Frauen seien die schöneren Wesen, ist immer noch in den meisten Köpfen drinnen.

Oft sind es aber gerade die derben Witze, über die man am meisten lacht.

Natürlich! Am ehesten funktioniert das noch, wenn man in einer Szene einen Mann spielt. In der Männerrolle klappt es noch am besten. Freilich lernt man als Frau, auch ohne Kraftausdrücke über die Runden zu kommen. Trotzdem finde ich es ungerecht. Manchmal gibt es einfach keinen besseren Ausdruck als eben einen etwas derberen. Als Frau ist es außerdem sehr schwer, etwas über Sex zu machen. Oder denken Sie an Betrunkene. Wenn man auf der Straße einen betrunkenen Mann sieht, findet das zwar niemand toll, aber doch weitaus akzeptabler als eine betrunkene Frau. Warum eigentlich?

Zum Kabarett gehört eine übertriebene Mimik, also in gewisser Weise auch der Mut zur Hässlichkeit. Könnte das ein Grund dafür sein, dass so wenige Frauen Kabarettistinnen werden?

Vielleicht. Aber wie gesagt: Vor allem verbal muss man den Mut haben, sich von einer herberen Seite zu zeigen. Kabarett ist immer härter, zynischer und böser als komödiantische Theaterrollen. Und ganz ehrlich: Wer mag schon zynische Frauen?

Hat man als Kabarettistin eigentlich männliche Verehrer, die nach der Vorstellung am Bühnentürl warten oder einen Strauß Rosen in die Garderobe schicken?

Mein Gott, die hätte ich mir immer gewünscht! Das ist mein wunder Punkt. Ich wollte immer so gerne eine Schachtel mit langstieligen Rosen bekommen, in Seidenpapier eingeschlagen! Andererseits: Die Garderobe in der "Kulisse" befindet sich direkt neben dem Heizungsboiler - da würden die Rosen ohnedies nicht so schön zur Geltung kommen. Das würde eher skurril aussehen.

Schauspielerinnen haben es also, was Verehrer betrifft, eindeutig leichter?

Ich glaube schon. Männer haben wahrscheinlich ein bisschen Bedenken und fürchten wohl, ich pfeffere sie beim Reden nieder.

Wäre diese Furcht denn berechtigt?

Nein. Niederreden würde ich sie zwar schon, aber nicht zynisch. Denn da müsste ich ja bei jedem Streit Angelika Hager anrufen und mir einen Text schreiben lassen.

Hat man auf der Kabarettbühne dasselbe Lampenfieber wie am Theater?

Ich habe vor einem Kabarettabend größeres Lampenfieber, weil viel mehr von mir selbst abhängt. Im Theater betrifft das Lampenfieber ausschließlich die Rolle, im Kabarett betrifft es alles - Text, Umsetzung, Dramaturgie. Da ist die Anspannung größer.

Ist es Zufall, dass gerade jenen Menschen, die andere Menschen zum Lachen bringen, im privaten Leben oft gar nicht zum Lachen zumute ist? Die Krisen, die beispielsweise Dolores Schmidinger im Laufe Ihres Lebens zu meistern hatte, sind ja bekannt. Auch Sie machen kein Geheimnis daraus, dass Sie im Jahr 2004 ein ziemlich großes psychisches Tief hatten.

Ich hatte auch im Jahr 2010 ein furchtbares Tief, nämlich als ich zum Rauchen aufgehört habe. Das war fast schlimmer als 2004.

Wie überwinden Sie solche schwierigen Phasen?

Ich lasse mir professionell helfen. Ich bin zum Psychiater gegangen, und der hat mir zuerst einmal medikamentös geholfen.

Wie schafft man es, in so einer gedrückten Stimmung einen Kabarettabend zu absolvieren?

Ich glaube, es ist ein schizophrener Zustand, weil man auf der Bühne ja nicht man selbst ist und in gewisser Weise in eine Rolle schlüpft. Innerlich hat man aber eher das Gefühl, dass man nicht so gut ist, wie in Zeiten, wo auch privat alles passt. Man spielt mit einer gewissen Distanz, den Unterschied machen feine Nuancen aus, die aber Dank der Routine dem Publikum verborgen bleiben. Andererseits heißt das aber nicht, dass die besten Vorstellungen an jenen Tagen stattfinden, an denen ich besonders gut aufgelegt bin.

Aber Spaß macht ein Abend unter derart schwierigen Bedingungen wohl kaum?

Nein. Nur unter normalen Umständen macht ein Kabarettabend Spaß. Wenn es einem privat nicht gut geht, macht er überhaupt keinen Spaß. Dann sind diese zwei Stunden ein Horror. In der Krisenzeit bin ich möglichst knapp vor Vorstellungsbeginn ins Kabarett gekommen und danach sofort nach Hause gefahren.

Nun ist aber wieder alles im Lot?

Ja, glücklicherweise.

In Ihrem aktuellen Programm gibt es auch eine Passage über das Älterwerden. Ist das ein Thema, das Sie persönlich beschäftigt?

Mit 20 habe ich geglaubt, ich werde nie alt, und mit 30 auch noch nicht. Doch seit ich 35 bin, weiß ich, man wird älter. Bis vor etwa sechs Jahren habe ich immerhin mit dem Alter noch kokettiert. Das hört jetzt auf. Es gibt nichts mehr zu kokettieren. Mit 46 hat man einfach eine gewisse Reife. Ich und das Alter versuchen derzeit, Freunde zu werden. Oder besser gesagt: Wir müssen Freunde werden. Denn wenn wir jetzt nicht Freunde werden, bekomme ich in zehn Jahren ein richtiges Problem. Und das will nicht.

Es heißt, mit zunehmendem Alter wird manches schöner.

Das weiß ich nicht - darauf warte ich noch. Die oft zitierte Gelassenheit hatte ich allerdings schon, als das Thema Alter noch gar nicht spruchreif war. Aber ich muss ehrlich sagen: Manchmal wäre mir der Pfeffer von früher lieber. Man erkennt es an Kleinigkeiten. Wenn man mit Jungen redet, merkt man auf einmal, dass man doch nicht mehr so richtig dazu gehört. Das war bis vor zehn Jahren überhaupt kein Thema für mich. Sich über Äußerlichkeiten zu definieren, das muss ich mir jetzt abschminken.

Aber zumindest für den Humor gibt es kein Ablaufdatum.

Gott sei Dank haben wir den noch! Aber ich möchte in keiner Beziehung ein Ablaufdatum haben, sondern zu einer Einstellung finden, die mit dem Alter adäquat umgeht. Ich möchte den momentanen Status nicht einfrieren, sondern eher einen Eintopf daraus kochen, der auch in zehn Tagen noch gut schmeckt. Ich möchte gerne so alt werden wie ein Gulasch, das am dritten Tag besser schmeckt als am ersten Tag. Momentan befinde ich mich gedanklich am zweiten Tag und denke darüber nach, ob ich am ersten Tag nicht manches hätte besser machen sollen.

Apropos Gulasch: Sie sind ja ein bekennender Genussmensch.

Ja, ich esse sehr gerne und wenn ich Zeit habe, koche ich auch sehr gerne. Ich habe sogar damit begonnen, nach Rezepten zu kochen. Zuletzt beispielsweise Tomatenconsommé mit Krebsenknöderl. Ich sehe auch leidenschaftlich gerne Koch-Shows im Fernsehen, "Lanz kocht" ist ein Pflichttermin für mich. Na bitte! Da zeigt sich wieder, wie sich alles verändert: Früher habe ich mir Stöckelschuhe gekauft, heute Kochbücher von Lafer und Schuhbeck.

"Männer fühlen sich immer viel schneller angegriffen" - Andrea Händler im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiterin Christine Dobretsberger. Foto: Robert Wimmer

Zur PersonAndrea Händler, geboren am 14. Mai 1964 in Wien, absolvierte eine Schauspielausbildung bei Herwig Seeböck, Reinhard Tötschinger und Giora Seeliger und war ab 1984 in verschiedenen Theaterproduktionen sowie als Kabarettistin tätig. Als Mitglied der Kabarettgruppe "Schlabarett" spielte sie in "Am Tag davor", "Atompilz von links" und "Muttertag - Die härtere Komödie"; zusammen mit Herwig Seeböck "Qualverwandtschaft" und als Mitglied der "Kabarettgruppe Statt-Theater" unter der Regie von Uli Brée "Männer-Schmerzen" und "Frauen-Schmerzen".

1995 startete sie ihre Solo-Karriere mit dem Programm "Diskret - eine Peepshow". Es folgten: "Heiß gemacht" (1997), "Auszeit" (1998), "Notstand" (2000), "Paradies" (2002), "Einsendeschluss" (2004) und "Das Schweigen der Händler" (2008). Ihr nächstes Soloprogramm "Händler naturtrüb" wird am 4. Oktober 2011 Premiere haben.

Andrea Händler war auch in Theater-, Film- und Fernseh-Produktionen tätig, etwa in "Muttertag - Die härtere Komödie", "Höhenangst", "Hinterholz 8", "Zwölfeläuten" und "Poppitz" sowie bei den ORF-TV-Produktionen "Die kranken Schwestern" und "Kaisermühlen-Blues".

Zusammen mit Dolores Schmidinger spielt sie seit 2003 "Alltagsgeschichten" nach der gleichnamigen TV-Doku-Reihe von Elizabeth T. Spira.

Christine Dobretsberger, 1968 in Wien geboren, freie Journalistin und Autorin, seit 2005 Geschäftsführerin der Text- und Grafikagentur Linea-art.

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