Zum Hauptinhalt springen

"With A Little Luck"

Von Bernhard Torsch

Reflexionen

Rückblick auf eine einzigartige Karriere als Sänger, Komponist, Musiker, Milliardär, Ehemann, Geschiedener und Geadelter: Am 18. Juni wird Paul McCartney 70 Jahre alt.


Was Paul McCartney bis 1970 getrieben hat, weiß fast jedes Kind. Also machen wir es kurz: 1942 Geburt in eine britische Familie der unteren Mittelklasse; 1956 stirbt seine Mutter an Brustkrebs; 1957 erstes Treffen mit John Lennon und Aufnahme in dessen Band "The Quarrymen"; 1958 stößt George Harrison dazu; 1960 Umbenennung in "The Beatles", 1963 "She Loves You" und danach größte Band der Welt, Beatlemania, berühmter als Jesus und mehr Geld als Gott, ein Hit nach dem anderen, Haschisch und LSD, Sgt. Pepper’s Lonely Heart’s Club Band, allmähliche Erschöpfung, Streit, Auflösung der Band.

"Venus and Mars"

Mehr muss man nach gefühlten 250.000 Beatlesbiographien nicht mehr sagen. Der Mensch Paul McCartney interessiert uns diesmal mehr, und dieser Mensch versinkt Mitte 1969, als die Beatles nur noch auf dem Papier existieren, in eine tiefe Depression, verlässt wochenlang nicht sein Bett und versucht, die Leere mit Schnaps und Heroin zu füllen. Gäbe es da nicht eine amerikanische Fotografin, die er im Frühjahr geheiratet hat, es wäre nicht sicher, ob McCartney das Jahr 1970 erlebt hätte. Linda bringt ihn von den harten Drogen runter und scheucht ihn aus dem Bett.

1967 weilt die Fotografin Linda Eastman in London und macht sich mit ihren beeindruckenden Schnappschüssen von Rockstars rasch einen Namen. McCartney trifft sie erstmals bei einem Konzert, und der Beatle ist sofort angetan von der extrem entspannten Art der geschiedenen alleinerziehenden Mutter aus reichem Elternhaus. Bei ihr kann er sicher sein, dass sie es nicht auf sein Geld abgesehen hat - gar kein so unwichtiges Auswahlkriterium für ein Mitglied der berühmtesten Kapelle des Planeten und den begehrtesten Junggesellen der Welt.

Während sich Paul immer mehr von seinem Arbeitspartner John Lennon entfremdet, entdeckt er in Linda eine neue Seelenverwandte, die seine Leidenschaft für Spontanität und Marihuana teilt. Es ist Linda, die den zusehends depressiven Paul, der daran verzweifelt, dass seine drei Kollegen immer weniger Interesse am Projekt Beatles haben, ermuntert, doch einfach einmal ein Soloalbum zu produzieren ("McCartney"). Oder auch einfach so ins Auto zu steigen und eine Fahrt ins Blaue zu unternehmen - etwas, was sich Paul seit Jahren aus Angst vor wild gewordenen Fans nicht mehr getraut hat.

"Hi Hi Hi"

Gemeinsam mit Linda schwört Paul Anfang der 1970er Jahre dem Fleischkonsum ab - und die beiden werden zu den prominentesten Befürwortern veganer Ernährung. Paul nimmt Linda immer auf Tournee mit, und er lässt sie in seiner Band The Wings spielen, auch wenn sie nur ein paar Akkorde auf dem Keyboard drücken kann.

So ist Linda jedenfalls immer an Pauls Seite, was unter anderem dafür sorgt, dass die Klatschpresse wenig zu schreiben hat, zumindest nicht über Seitensprünge. Als Linda 1998 stirbt, verliert Paul nicht nur die Liebe seines Lebens, sondern auch seine beste Freundin. Und zum zweiten Mal nach dem Tod seiner Mutter ist es der Brustkrebs, der eine Frau aus McCartneys Leben reißt.

Statt mit Affären macht Paul McCartney immer wieder einmal mit kleineren Drogengeschichten Negativschlagzeilen. Vor allem 1979, als man die McCartneys bei der Einreise nach Japan mit Haschisch erwischt. Völlig blauäugig, wollten die beiden ihren Vorrat an hervorragendem Cannabis ausgerechnet in ein Land mit ex-trem drakonischen Drogengesetzen mitbringen! Paul wird inhaftiert, sitzt neun Tage im Knast und sieht einer möglichen siebenjährigen Gefängnisstrafe entgegen. Nur sein Promi-Bonus und viel Geld für Anwälte retten ihn vor dem japanischen Zuchthaus.

Der asiatischen Justiz entkommen, kehren Paul und Linda zunächst auf ihre schottische Farm zurück - um sich um ihre Marihuanaplantage zu kümmern. Seit Bob Dylan die Beatles mit Hasch bekannt gemacht hatte, war Paul ein großer Freund des süßen Krauts - und hat es bis vor kurzem regelmäßig geraucht, was er auch gerne bereit war, öffentlich zuzugeben. Immer wieder tauchen Drogenanspielungen in seinen Songs auf, manchmal auch ganz eindeutige Pro-Softdrugs-Statements, wie im Lied "Hi Hi Hi" (sprich: high, high, high), das von der BBC sofort auf den Index gesetzt wurde.

"Band On The Run"

Nigeria, Sommer 1973. Paul McCartney, seine Frau Linda und Gitarrist Denny Laine sind gerade in Lagos angekommen, um dort ihr neues Wings-Album "Band On The Run" aufzunehmen - und schauen dumm aus der Rockmusikantenwäsche. Sonne, Lebensfreude, tolle Rhythmen und lokale Drogenspezialitäten - so stellten sie sich Afrika vor, als sie kurz zuvor in einer Liste weltweiter Aufnahmestudios ihrer Plattenfirma EMI geblättert und dabei auch Nigeria entdeckt hatten.

Stattdessen treffen sie auf eine bitterarme, von einer brutalen Militärdiktatur geknechtete Bevölkerung, auf Hunger und Elend und auf Räuber, die Paul mit vorgehaltenem Messer zur Herausgabe von Bargeld, Kreditkarten und Demokassetten auffordern. Nach ein paar Wochen im nicht klimatisierten Studio tauchen außerdem einheimische Musiker wie Fela Kuti auf und beschuldigen die Band, afrikanisches Kulturgut klauen zu wollen (was nicht stimmt, denn außer dem hübschen Song "Mamunia" mit seinen offensiven Bongos sollte auf der Platte gar nichts nach Afrika klingen).

Paul McCartney, gezeichnet von Christian Berger.

Als dann auch noch der ehemalige Cream-Schlagzeuger Ginger Baker, der in Afrika Asyl gefunden hatte (nachdem man ihn aus praktisch jedem europäischen Land rausgeschmissen hatte), daherkommt und Paul zu einem Schüsschen Heroin überredet, ist das Fass voll und McCartney bricht im Studio zusammen. Zum Glück ist es nur eine Panikattacke. Aber weil ein McCartney nicht so schnell aufgibt, werden die Aufnahmen fortgesetzt, und im Herbst haben sich Paul und Linda mit Nigerias Musikerszene angefreundet und geben zum Abschied eine Grillparty für 300 Leute.

Zurück in London, erntet man die Früchte dieses harten Sommers: "Band On The Run" wird von Kritikern und Publikum begeistert aufgenommen und als Rückkehr McCartneys zu seiner alten Form gefeiert. Die Platte ist die künstlerische und kommerzielle Emanzipation Pauls von den Beatles und leitet den zweiten Teil seiner Karriere ein, der ihm genauso viel Geld und Ruhm einbringen wird, wie seine zehn Jahre mit den Fab Four.

Es folgt nun eine wahre Perlenkette an Superhits: "Live And Let Die", "Let ’Em In", "Silly Love Songs", "With A Little Luck", "Mull Of Kintyre" und etliche andere verhelfen Paul zur unbestrittenen Dominanz in den Hitparaden der 70er.

McCartney gilt in der "Yellow Press" als der "nette Beatle". Bis heute. Weil er so lausbubenhaft charmant aussieht und immer freundlich lacht, sobald er wittert, das sich im Umkreis von 200 Metern ein Kameraverschluss öffnet. Aber mindestens einmal hat man auch diesen Medienprofi kalt erwischt, nämlich einen Tag, nachdem John Lennon ermordet worden war. Jemand hielt ihm ein Mikrophon vor die Nase und fragte ihn, was er zum Mord zu sagen hätte, und ein völlig neben sich stehender McCartney brachte nur ein leises "it’s a drag" zustande, was ihm bis heute ungerechterweise als Gefühlskälte angelastet wird.

"Two Of Us"

In Wahrheit ist er am Boden zerstört, denn er hatte die Hoffnung, eines Tages wieder mit Lennon zusammen Songs zu schreiben, nie aufgegeben - obwohl sich das erfolgreichste Komponistenduo der Geschichte nach der Trennung eine Zeit lang bitterböse angegiftet hatte. Das war dann der berüchtigte "war of songs", den McCartney mit "Too Many People" begonnen hatte, in welchem Song er Lennon vorwarf, die Beatles zerstört zu haben, woraufhin der Angegriffene mit "How Do You Sleep" konterte und McCartney musikalisch ausrichtete, er würde nur mehr Fahrstuhlmusik machen.

Paul beendete diesen Streit mit dem versöhnlichen "Let Me Roll It", das zwar Lennons Gitarrenstil parodierte, textlich aber die alte Freundschaft beschwor. In der Tat treffen sich die zwei Ex-Pilzköpfe in den 70er Jahren immer wieder einmal zum Gedankenaustausch, und als Paul 1980 die mutig-experimentelle Platte "McCartney II" veröffentlicht, ist John so angetan, dass er selbst wieder beginnt, Songs zu schreiben und ins Studio zu gehen.

In Interviews zu dieser Zeit geben beide zu, dass ihre Solowerke nie ganz an die Qualität der einstigen Großtaten heranreichen, weil eben der kongeniale Partner fehle. Aber der Attentäter Mark Chapman setzte allen Hoffnungen auf eine neuerliche Zusammenarbeit ein blutiges Ende. 1982 schreibt McCartney den Song "Here Today", einen intimen Nachruf auf seinen Freund, nachzuhören auf der großartigen LP "Tug Of War".

"Say Say Say"

Rund eine Milliarde Euro soll Paul McCartney besitzen, was ihn zum wohl reichsten Musiker der Welt macht. Das liegt nicht nur daran, dass der Mann seit 1964 mehr Nummer-1-Hits als jeder andere Komponist geschrieben hat, sondern auch an den fast jährlichen Welttourneen vor ausverkauften Häusern. Und an einem klugen - manche sagen: an Geiz grenzenden - Umgang mit Geld.

Der Star hat stets gut, aber nie protzig gelebt. Keine grotesken Neureichenvillen, keine Sportwägen, sondern gediegener Luxus und feine Appartements in London und New York. Nur einmal hat Paul richtig Geld verloren, und zwar nach der Scheidung von Heather Mills, dem Model, das er sich nach dem Tod von Linda angelacht hatte. Der Spaß kostete ihn mehr als 60 Millionen Euro. Und ausgerechnet Michael Jackson, mit dem McCartney nicht nur gemeinsame Welthits kreierte ("Say Say Say", "The Girl Is Mine"), sondern dem er auch den Ratschlag gab, sein Geld in Musikkataloge zu investieren, überbot ihn, als die Rechte an den Beatlessongs zum Verkauf standen.

"Freedom"

Großartig politisch engagiert hat sich McCartney nie, sieht man einmal von seiner (grauenhaften) Single "Give Ireland Back To The Irish" ab, die mit ihrem naiven Text und ihrer einfallslosen Melodie auch ganz gut auf John Lennons Agit-Prop-Missgriff "Sometime In New York City" gepasst hätte. Ansonsten gab es harmlose Bekundungen, dass man für Frieden und gegen Krieg sei ("Pipes Of Peace") - und natürlich das einzige Thema, bei dem der Sunnyboy auch laut werden konnte und kann: Tierschutz. Und wenn man ihn fragen würde, täte er einem wohl versichern, dass er den Regenwald mag, Folter uncool findet, Demokratie der Diktatur vorzieht - und es super wäre, würden die Menschen netter zueinander sein.

Viel Konkreteres ist McCartney nicht zu entlocken, aber das ist auch gut so, denn die Welt braucht vieles, bloß keine Popsänger, die sich für Politiker halten. Für Benefizveranstaltungen ist der Mann immer wieder zu haben, und einmal hat er sogar eine selbst organisiert. Nachdem er am 11. September 2001 in New York Augenzeuge des Anschlags auf die Twin Towers geworden war, telefonierte er kurzerhand ein paar Freunde an - und nur eineinhalb Monate nach dem Terrorangriff standen Superstars aus Rockmusik, Sport und Hollywood auf einer New Yorker Bühne und sangen dem traumatisierten Publikum Mut zu. Und McCartney selbst performte vor einen wehenden US-Flagge seinen zweitschlechtesten Politsong, "Freedom", den er im Rausch der ersten Wut geschrieben hatte und für den er sich später schwer genieren sollte, als er von amerikanischen Hurrapatrioten in Beschlag genommen wurde.

Nun, am 18. Juni, wird er 70, der Mann, der einst gesungen hatte: "Will you still need me, will you still feed me when I’m 64". Und er geht immer noch auf Tour, nimmt immer noch neue Platten auf, ist immer noch bereit, neue Wege zu beschreiten, wie etwa mit seinem jüngsten Album "Kisses On The Bottom", auf dem er den Crooner gibt und sich vor den großen Songwritern der 20er, 30er und 40er Jahre verbeugt. Seine Karriere ist noch nicht vorbei, aber man darf durchaus schon von einem Lebenswerk sprechen, das als Maßstab für jeden gelten muss, der meint, er könne Lieder schreiben. Zusammen mit John Lennon und Brian Wilson bildet Paul das Triumvirat höchster Pop-Songwriterkunst, das oft kopiert, aber nie erreicht wurde.

Bernhard Torsch, geboren 1971, lebt und arbeitet als freiberuflicher Journalist in Klagenfurt und schreibt seit vielen Jahren im "extra" über Rockmusik und deren turbulente Geschichte.

Website Paul McCartney