Ist "Theo", ebenso wie Ihr Kinderbuch "Rainer Maria sucht das Paradies", nicht ein Beleg dafür, dass Sie sich nicht nur in Frauen sehr gut hineinversetzen können?

Gewiss ist es für mich als Mann spannend, mich in eine Frau hineinzudenken, aber dass ich seit "Gut gegen Nordwind" oft als reiner "Frauenversteher" abgestempelt werde, stört mich schon ein bisschen. Ob Frauen, Männer, Kinder oder Nacktschnecken - ein Schriftsteller sollte sich in alle seine Figuren hineinversetzen können, das gehört zu seiner Profession.

Trotzdem übt Ihre Einfühlsamkeit offenbar eine besondere Anziehungskraft auf Frauen aus. Der Großteil Ihrer begeisterten Leserschaft ist weiblich. Ist Ihre Frau nicht eifersüchtig, wenn weibliche Fans Sie mit Leo Leike verwechseln?

Zum Glück nicht. Sie weiß, dass diese Verehrung nicht mir als Person, sondern hauptsächlich meiner Romanfigur Leo gilt. Und sie weiß vor allem, dass ich das ebenfalls weiß. Den Rummel bei den Lesungen nimmt sie sehr gelassen hin. Das gehört eben zu meiner Arbeit. Leo und ich haben übrigens gar nicht so viel gemeinsam. Ich möchte jetzt nicht eingebildet wirken oder mit ihm konkurrieren, aber er hat eindeutig weniger Antrieb als ich, ist zögerlicher und zurückhaltender. Erst wenn er etwas getrunken hat, geht er so richtig aus sich heraus. Okay, das verbindet uns . . .

"Gut gegen Nordwind" und "Alle sieben Wellen" sind auch als Theaterstücke sehr erfolgreich. Gefällt es Ihnen, wenn Sie Leo und Emmi auf der Bühne sehen?

Ich finde, die Darstellung auf der Bühne gibt den Figuren eine zusätzliche Dimension. Bei dieser Geschichte ist ja nicht der Plot das Um und Auf, sondern die Sprache, die auch mündlich gut rüberkommt. Witzigerweise habe ich jetzt sogar eine Goldene Schallplatte für 100.000 verkaufte Hörbücher von "Gut gegen Nordwind" bekommen. Mittlerweile habe ich Emmi und Leo in der Darstellung vieler Schauspieler gesehen: von großen, kleinen, dicken, dünnen, sehr attraktiven und weniger ansehnlichen - und es hat immer gepasst. Die Figuren waren glaubwürdig und das Stück hat in jeder Inszenierung einen eigenen Sog entwickelt. Ich hatte zwar beim Schreiben nie an ein Theaterstück gedacht, aber unbeabsichtigt die idealen minimalistischen Voraussetzungen dafür geschaffen: zwei Personen, wenig Bühnenaufwand.

Ab wann wissen Sie, ob ein Thema, ein Stoff, eine Idee geeignet ist, ein ganzes Buch - oder Stück - zu tragen?

Das weiß ich immer erst, wenn ich ungefähr bei der Mitte des Manuskriptes angelangt bin. Dass ich mich einmal in eine richtige Sackgasse geschrieben hätte, ist mir zum Glück noch nie passiert, aber um die Mitte herum gibt es jedes Mal einen Wendepunkt, wo ich die Geschichte neu überdenken und den ursprünglichen Plan oft abändern muss. Auch bei "Gut gegen Nordwind" war das so: Als ich begonnen hatte, die Geschichte zu schreiben, war ich überzeugt, dass sich Emmi und Leo begegnen müssen. Aber ab etwa der Mitte habe ich umdisponiert und gedacht, es wäre besser, sie treffen sich nicht.

Dass sie am Ende nicht zusammen gekommen sind, haben Ihnen viele Leser, vor allem viele Leserinnen übel genommen. . .

Manche nehmen mir auch übel, dass die beiden in "Alle sieben Wellen" nun doch zusammenkommen. Ich selber habe ja einen ausgesprochenen Drang zum Happy-End, doch das Ende von "Gut gegen Nordwind" hatte ich keinesfalls als unbefriedigend empfunden. Gut, das Wunder ist ausgeblieben, aber die beiden haben eine wunderschöne Zeit miteinander verbracht, sich gegenseitig Sehnsüchte erfüllt, und wenn sie beide fortan getrennte Wege gehen, ist das auch nicht schlimm. Emmi ist verheiratet und Leo wird sicher eine Frau finden, die ihn glücklich macht. So habe ich mir das gedacht. Aber da haben mich die Leserinnen eines Besseren belehrt, und irgendwann war ich soweit, dass ich eine Fortsetzung schreiben wollte. Mittlerweile bin ich froh, dass ich es getan habe. Auch für Emmi und Leo. Und das Happy End ist schon okay, auch wenn mich manche "Literaten" dafür verachten. Es passt zu mir.

Können Sie sich vorstellen, noch einen dritten Band zu schreiben: "Emmi und Leo - zehn Jahre später"?

Momentan ist das schwer vorstellbar, aber es nicht auszuschließen, dass es mich irgendwann einmal zu reizen beginnt. Da es ja wieder ein E-Mail-Roman sein müsste, wäre wohl erst eine Trennung der beiden nötig, und dann müssten sie wieder zusammen kommen. Ich weiß nicht, ob ich das hinbekomme. Daher beschäftige ich mich vorerst lieber mit anderen Projekten. In meinem neuen Roman, an dem ich gerade schreibe, geht es eher um Schattenseiten einer Beziehung. Ich arbeite dabei mit Elementen krimimäßiger Spannung, was ich bei meinen bisherigen Büchern, außer bei "Darum", nicht getan habe. Trotzdem soll es in der Geschichte auch etwas zu lachen geben - und schlecht ausgehen darf sie wahrscheinlich auch nicht. Obwohl - ich bin jetzt ungefähr bei der Mitte angelangt, und da muss ich bekanntlich alles noch einmal neu überdenken. Die Dinge beginnen sich etwas anders zu entwickeln, als ich es erwartet habe. Ich lasse mich gerne von meinen Figuren überraschen.

Würden Sie sich mit einem neuen Buch gescheitert fühlen, wenn die Verkaufszahlen drastisch einbrächen?