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Hans Staudacher

Von Barbara Freitag

Reflexionen

Vom "zornigen Wilden" zum "alten Milden": So sieht sich der Kärntner Maler Hans Staudacher, der am 14. Jänner 90 Jahre alt wird, selbst. Ein Besuch in seinem Wiener Atelier.


Kein Brot mehr, sondern Kultur entsteht heute in der ehemaligen Ankerbrotfabrik in Wien Favoriten. Zahlreiche Lofts entstanden im Zuge der Sanierung des architektonisch markanten Ziegelbaus aus dem neunzehnten Jahrhundert, in welchen Kunstinitiativen und Galerien eingezogen sind. So eröffnete etwa Ernst Hilger ebenso eine Dependance wie die auf Design der fünfziger Jahre spezialisierte Kunsthandlung Lichterloh.

Ein weiterer prominenter Mieter ist der Kärntner Maler Hans Staudacher, der hier genügend Raum für seine unzähligen Bilder aus vergangenen Jahrzehnten fand. Zwar malt er nicht mehr, möchte seine Schätze aber alle paar Tage betrachten und ordnen, aktiv und unruhig, wie er immer noch ist. Ehefrau Hannelore, die er liebevoll "Uschi" nennt, chauffiert ihn ins Atelier und weicht auch sonst - seit mehr als fünfzig Jahren - nicht von seiner Seite.

Der Empfang bei den Staudachers ist herzlich und ungezwungen, und Frau Hannelore tut gleich ihren Unmut darüber kund, dass ihr Mann keine Bilder mehr produziert. "Er sieht nicht gut und kann nicht mehr am Boden malen, aber wenigstens zeichnen könnte er wie früher. Das würde ihm guttun, denn er hat ja sein ganzes Leben gemalt!"

Schalk im Nacken

Staudacher winkt ab, grummelt Unverständliches und weist den Besuch an, ihm zu folgen. Mit Schirmkappe und Zigarre bestückt, wirbelt er von einem Regal zum nächsten. Den Schalk im Nacken, wie man es von ihm kennt, zieht er verschiedene Bilder hervor und kommentiert sie launig. Er hat aus allen Perioden etwas auf Lager: dichte Kompositionen auf Jute, gestische Großformate mit Textzeilen, Symbolen und Schriftzeichen oder Papierarbeiten und Zeichnungen auf Karton. Staudachers Werke wirken wie zu Bildern gewordene Gedichte, essenziell und leidenschaftlich.

Ob er sich bei manchen Bildern noch erinnern kann, was er im Schaffensprozess dabei gedacht hat? Staudacher: "Wenn man so schnell malt, kann man nicht auch noch denken! Einmal hat jemand zu mir gesagt: ,Bei dem Werk haben Sie sich wohl nix gedacht!‘ Ich habe geantwortet: ,Nein, eh nicht! Das geht über die Muskeln‘."

Ein anderes Mal habe ein Besucher seiner Ausstellung in der Secession 1959 abwertend über ein Bild gemeint, so etwas könne auch sein kleiner Sohn. Staudacher antwortete ihm: "Na, dann kommen Sie einmal und versuchen wir es beide!" Er habe ihn zu einer leeren Leinwand geführt, ihm eine Tube mit Farbe in die Hand gedrückt und ihn aufgefordert, auf die Leinwand zu zielen. "Er strengte sich an und schaffte nur ein kleines Patzerl. Dann habe ich ihm gesagt: ,Na, nicht einmal Sie können das - wie soll ihr kleiner Bub das schaffen?!"

Neben den zahlreichen Bildern im Atelier finden sich auch viele in Sammlungen und Galerien. Wie viele er insgesamt gemalt habe? Staudacher: "Tausende. Ich habe immer gemalt". Er läuft weiter von einem Bild zum nächsten und erzählt, dass er dieses nicht verkaufen will, aber auch jenes nicht. Warum nicht? "Meine Frau verkaufe ich ja auch nicht!"

Was mit diesen Arbeiten einmal geschehen soll, sei ihm egal. Seine Tochter und seine Frau mögen sich darum streiten. Es beeindruckt ihn auch überhaupt nicht, dass der Wert seiner Bilder am Kunstmarkt in den letzten Jahren so rasant gestiegen ist. Staudacher: "Was kosten die denn?" Antwort: großformatige Ölbilder aus den fünfziger und sechziger Jahren erreichen bis zu 50.000 Euro. "Da habe ich aber nix mehr davon."

Figurativer Beginn

Nur am Rande interessiert ihn auch die große Nachfrage nach seinen frühen Arbeiten. "Das ist mir wurscht". Viel mehr freut ihn, dass er in einer seiner vielen Laden gerade schwarze Tuschzeichnungen wiedergefunden hat. "Es geht um die Gestik", befindet er angesichts einer Zeichnung. "Der Unterschied entsteht nur durch das Material". Ob er jetzt Ordnung schaffe, während des Gesprächs? Staudacher, lachend: "Ja, absolute Unordnung". Wieder ein Fund: "Ah, das sind die Schwalben von St. Stephan." Dann entdeckt er ein Bild mit Pferden.

Obwohl er recht bald abstrakt zu malen begonnen hat, liegen Staudachers Wurzeln im Figurativen. "Man kann so oder so am Strich gehen. Malerei besteht auch aus Figuren kritzeln." Staudacher betrachtet sein Pferdebild: "Zirkuspferde am Westbahnhof in Villach. Das ist von Weihnachten 1945, da bin ich aus der Kriegsgefangenschaft heimgekommen, mit 45 Kilogramm". In dieser Zeit entstanden viele Tierbilder, nicht zuletzt, um die nachhaltigen Eindrücke des Krieges aufzuarbeiten.

Nach einem Aufenthalt in Paris, der ihn künstlerisch stark prägte, fand Staudacher zu seinem typischen Malstil des Informel. Er galt als "zorniger Wilder". Was ist er heute? "Ein alter Milder". Ob er sich über die vielen Ehrungen und Preise im Laufe seines langen Malerlebens freut? "Nein, das war nie wichtig. Ich habe ja auch erst ab Sechzig von der Malerei leben können".

Zeit für eine Rauchpause. Gattin "Uschi" übernimmt: "Und damals wäre er fast an einem Leistenbruch gestorben, den er jahrzehntelang nicht behandelt hat. 1983 musste er akut operiert werden und hat die Nacht zwischen Leben und Tod auf der Intensivstation verbracht". Kennen gelernt hatten die beiden einander in der Wiener Secession. "Es war die erste Ausstellung, die ich dort gesehen habe, und die war vom Staudacher". Aus Sympathie wurde Liebe, und aus Hannelore Uschnig wurde bald Uschi Staudacher. Ihren Traum von der Dolmetscherkarriere hing die Welthandel-Studentin an den Nagel. "Damals war das noch so. Ich blieb bei den Kindern. Später wollte ich gerne wieder arbeiten, aber mein lieber Mann hat das immer verhindert. Ich bin ja auch immer rasch Farben holen gegangen, wenn er welche gebraucht hat . . ."

Beeindruckt von Jandl

Gab es Kontakte mit anderen Künstlern? Uschi: "Schon, man hat sich getroffen und unterhalten, aber mehr nicht. Hans war ja kein akademischer Maler, er hat sich nirgendwo angeschlossen oder verbündet und war immer sehr direkt und hat alles so gesagt, wie er es gemeint hat. Das war nicht jedermanns Sache".

Ehemann Hans kehrt zurück: "Die Mutter vom Hundertwasser hat mich damals gefragt, ob ich glaube, dass ihr Bub einmal davon leben kann." Beeindruckt habe ihn vor allem Ernst Jandl: "Er hat immer phonetisch gedichtet. Ich habe ja auch viel mit Worten gemacht. Aber Jandl hat gedichtet, während ich geredet habe wie ein Onassis im Trockenen."

Wann hat er eigentlich zu malen begonnen? "Ich hab immer schon gekritzelt, schon auf der Schulbank. Ein Lehrer hat zu mir gesagt, ich soll Maler werden. Der Kritzler bin ich geblieben, allerdings hat er damals einen Maler und Anstreicher gemeint. Da habe ich was missverstanden."

Gemalt wurde in der Not auf allem, was irgendwie geeignet war: Zementsäcke, Jute, Kisten. Staudacher: "Beim E-Werk gab es Blöcke mit schwarzen Grafitstiften, da konnte man so schön damit zeichnen." Leider ist von diesen Werken nichts erhalten geblieben. Nach dem Krieg wurde Staudacher Schüler von Arnold Clementschitsch. Was er von ihm gelernt hat? "Aus der Vorstellung zu malen. Und trinken".

In Wien wurde Staudacher Mitglied der Secession, als Josef Hoffmann Präsident war. "Er war der Grandseigneur; er hat immer Stammplätze in den Wirtshäusern gehabt, das ,Hoffmanneckerl‘, und manchmal hab ich was mitessen dürfen, weil ich ja kein Geld hatte. Dann hat er sich so aufgeregt bei seiner letzten Biennale, weil die Kritiker ihn so angegriffen haben, dass er in der Nacht einen Schlaganfall gekriegt hat und gestorben ist."

Starke Gestik

Hoffmann war eine schicksalshafte Begegnung für Staudacher, denn der entsandte ihn 1956 zur Biennale nach Venedig. Interessant für den jungen Künstler war auch die Einschätzung des legendären kirchlichen Kunstmäzens Otto Mauer, der Staudachers Malweise und jene des Franzosen Georges Matthieu für ähnlich befand. Staudacher: "Monsignore Mauer hatte Mathieu nach Wien zur Teilnahme an einer Ausstellung eingeladen. Der kam, hatte aber keine Bilder dabei. Dann hat er im Astoria, wo er gewohnt hat, welche gemalt - und ich habe sie gerahmt. Aber ähnlich waren unsere Arbeiten nicht, wir haben nur beide spontan gemalt. Er hat eher mathematisch gemalt, er war ja auch Mathematiker, und ich aus dem Handgelenk."

In der kunstgeschichtlichen Kategorisierung wird Staudachers Werk wahlweise dem Informel, Tachismus oder Lettrismus zugeordnet. Was davon trifft für ihn selbst zu? "Gar nichts. Ein Maler macht Striche, Strichismus oder Fleckismus, man wird eingeteilt. Damit habe ich nichts zu tun gehabt. Ich wollte keine Kunstgeschichte machen, sondern malen". Die Malerei sei ein ständiger Versuch gewesen. "Ich hab immer ausprobiert. Es ist mir immer auf die Gestik angekommen. Früher hab ich mit dem großen Pinsel gemalt und mit starker Gestik, da war dann gleich fast alles schwarz. Damals hab ich ordentliche Muskeln gehabt, heute hab ich keine Kraft mehr".

Viele andere können von so viel Vitalität mit neunzig Jahren freilich nur träumen.

Barbara Freitag, geboren 1961, war u.a. bei der Aus-tria Presse Agentur (APA), Pressereferentin der Ludwig Boltzmann Gesellschaft und lebt nun als freie Kulturjournalistin in Wien.

Zur Person
Hans Staudacher wurde am 14. Jänner 1923 in St. Urban am Ossiachersee geboren. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf und begann als Autodidakt mit Zeichnungen, Landschaftsaquarellen und Porträts neben seinem Brotjob als Bademeister in Villach. 1950 übersiedelte er nach Wien und beschäftigte sich mit Kubin, Klimt und Schiele. 1956 vertrat er als Mitglied der Secession Österreich auf der 28. Biennale von Venedig. 1965 erhielt er den Hauptpreis der Biennale Tokio und in Folge viele weitere Ehrungen und Preise.
Staudacher gilt als Begründer der österreichischen informellen Malerei. 1977 wurde sein erstes Ölbild im Wiener Dorotheum um 7500 Schilling versteigert. Heute erzielen seine Papierarbeiten bis zu 4000 und großformatige Ölbilder bis 60.000 Euro.